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Titel
Krieg dem Westen. Terrorismus im 21. Jahrhundert


Autor(en)
Laqueur, Walter
Erschienen
München 2003: Propyläen Verlag
Anzahl Seiten
420 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang G. Schwanitz, Deutsches Orient-Institut Hamburg

Walter Laqueur gilt als Nestor der Terrorismusforschung. In Breslau geboren, emigrierte er als Jugendlicher nach Palästina. Lange war er Direktor des Londoner Instituts für Zeitgeschichte. Nach dem arabisch-israelischen Krieg 1967 trat er mit einem Buch über diesen Waffengang hervor. Als das nah- und mittelöstliche System des Terrors und Terrorismus aufkam, publizierte er 1977 sein erstes Werk dazu. Ein Dutzend Bücher folgten, auch zur Geschichte der Juden, Deutschen und Europäer. Nahosthistoriker schätzen ihn gleichwohl als Mitherausgeber des „Israeli-Arab Reader“ und „Human Rights Reader“.

Dennoch sah sich Laqueur mit seiner Terrorismusforschung in einer Schieflage. Wie er meint, waren nur wenige Experten des Terrorismus auch Nahost- und Islamforscher. Diese Zunft habe sie daher geschnitten. Wer zudem den Regierungen Gefahren vorhielt, galt als Unruhestifter oder Person, die zu der Weltreligion nur Vorurteile hat. Obwohl es das Problem noch gibt, hat er sich als Pionier auch durch das vorliegende Buch erwiesen, mit dem er auf einen Überblick zu neuen Elementen des Terrorismus und dessen Zukunft abzielt.

Er behandelt Ursachen und Aussichten der Frage. Es dreht sich um Ursprünge des islamischen Terrorismus, des Djihads und der Selbstmordakte. Dabei geht er auf die Israelis und Palästinenser sowie auf Nachrichtendienste ein. Er prüft Antiamerikanismus, Schlachtfelder der Zukunft und die Beziehung von Globalisierung, Terrorismus und Massenvernichtung. Im Anhang weist er Begriffe für Terrorismus aus, wobei er Terror und Terrorismus nicht klar trennt. Der Band besticht durch empirische Fülle. Da der Akzent auf Nah- und Mittelost liegt, mögen ein Haken, ein Problem, eine Definition, die Kernfrage und zwei Einwände aus dieser Region betont werden.

Laqueur löst Stereotype auf, so Terrorismus je nach Ansatz Armut, nationalen Konflikten oder der Außenpolitik anzulasten. Solche Verkürzungen würden die Sache nicht erfassen. Ähnlich sei es, übertreibt man psychologische Punkte wie Aggressivität und Fanatismus, die im Kontext der Forschung oft ignoriert würden. Zu bezweifeln wäre, dass Israels Aufgabe der besetzten Gebiete und ein Staat Palästina nachhaltig Terrorismus mindern würden. Der Haken: So klar dies ist, so sehr spielen doch solche Momente in einem Komplex ihre Rolle.

Aber da ist ein Problem. Laqueur zeigt Arten von Terrorismus auf. Jedoch behauptet er, eine allgemeine Theorie und umfassende Erklärung ihrer Ursachen würden in die Irre führen. Auch nach Jahren sei keine weithin anerkannte Definition des Terrorismus in Sicht. Diese gäbe es weder für Faschismus und Kommunismus noch für Demokratie und Nationalismus. Laqueur bietet nicht einmal seinen hypothetischen Begriff an. Dass Termini bunt gefasst wurden und stets verändert werden, heißt nicht, dass man ohne Terminologie auskommt.

Daher folgt hier mein Vorschlag: Terror ist eine repressive Strategie von Machthabern, die mit dem staatlichen Gewaltmonopol Menschen so manipulieren, dass sie Schreckensregimes aufrichten oder dulden. Terrorismus hingegen ist eine kommunikative Taktik der schockierenden Gewaltanschläge durch Unterlegene, die dabei hinterhältig vor allem Zivilisten bedrohen oder töten, um andere einzuschüchtern oder zu gewinnen. Beides geht von Gruppen oder Einzelnen mit Ideologien aus. Terrorismus von unten und Terror von oben können sich funktionell, strukturell, national und global in einem regionalen System verbinden.

Laqueur stellt als Kernfrage, wann denn Amerika zum „großen Satan“ für Muslime wurde. Jedoch wehrt er sich gegen „direkte Zusammenhänge“ zwischen dem Aufschwung des radikalislamischen Terrorismus und Washingtons Außenpolitik. Hier ist der Rahmen zu beachten. Der erste Sündenfall war der Sturz des Regimes in Iran 1953. Dann geriet die arabische Niederlage gegen Israel 1967 zum Trauma. Der Kriegszustand blieb. Welche Großmacht würde einer Seite Waffen liefern und so Ungleichgewichte verschieben? Als Washington 1968 prüfte, ob es Israel Phantomjets zukommen lasse, erschienen in Kuweits Wochenblatt „Al-Hadaf“ ein Artikel und ein Aufruf.

Was mache ich, fragte da ein Araber, wenn Israels Phantomjets meine Kinder töten? Dann jage ich die US-Botschaft in die Luft. Amerikaner müssen den Fehler sehen, wenn sie an Israel Phantoms aus innenpolitischen Gründen liefern. Schluss mit dem arabischen Erdöl und US-Interessen. Amerikaner nein, Kommunismus ja. Die Phantoms kamen wie später Helikopter. Der Aufruf daneben: Die Freundschaftsgesellschaft der Feinde Amerikas in Kuweit sucht 14 Kämpfer. Diese gehen in 14 arabische Staaten, um dort Amerikaner zu töten und deren Botschaften zu sprengen, sollte Israel die Phantoms erhalten. Fida'iyin müssen Kuweitis als Bürgen haben. Die Basis entstand. Was am Millenium erschien, hatte sich lange zuvor entwickelt.

Der Autor erhellt die „Geopolitik des Terrorismus“, aber ohne Berliner Impulse. Daraus folgt mein erster Einwand: 1914 bejahte der Kaiser den Djihad-Plan Max von Oppenheims „Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde“. Der Diplomat initiierte in einer deutsch-osmanischen Aktion einen Djihad in englischen, russischen und französischen Kolonien, der auch auf Terror abhob wie Bakus Ölfelder zu entzünden, Politiker zu töten oder den Sueskanal zu verminen.

Dazu ließ Kriegsminister Enver Pascha wie von Oppenheim gewollt den osmanischen Djihad-Aufruf islamistisch fassen. Dies erläuterte der tunesische Scheich Salih: Diesen Djihad führt der Kalif mit Bundesgenossen, den Deutschen, gegen die Feinde: Briten, Franzosen und Russen; er ist eine individuelle Pflicht auch für Muslime im Feindesheer; er ist antikolonial und national. Das Neue: Muslime sollten ihn mit Ungläubigen nur gegen bestimmte Ungläubige ausfechten. Der Normalfall jedoch war Djihad durch Muslime gegen Ungläubige. Später ergänzten Islamisten das Novum: Djihad gegen Zivilisten (Scheich Salih verbot ihn gegen Alte, Frauen und Kinder sowie diese zu verstümmeln und zu töten, es sei, sie kämpfen wie Männer); Selbstmord; globaler Djihad, bis die Welt islamisch ist.

Oppenheim legte den Plan der Revolutionierung von islamischen Gebieten wieder 1940 vor. Zwar gab es da keinen Kalif mehr, doch suchte der Jerusalemer Großmufti Amin al-Husaini diese Lücke zu füllen. Er rekrutierte Muslime unter dem Hakenkreuz und rief im Radio zum Djihad auf. Deutsche brachten gemeinsam mit Muslimen das Mittel des politisierten Glaubenskrieges „Made in Germany“ in die Weltkriege ein. Im Kalten Krieg halfen Amerikaner, West- und Osteuropäer „ihren“ islamischen Seiten. Nach dem Untergang der Sowjetunion entsagten Islamisten wie Usama bin Ladin Pakten mit Ungläubigen.

Einwand zwei betrifft Laqueurs Satz, 1973 meinten Gruppen der Palästinenser, keinerlei globale Terrorakte wie Hijacking mehr auszuführen. Nein, ihr Anschlag auf der Münchner Olympiade, der live um die Welt ging, ließen Leute des Schwarzen Septembers und der al-Fatah planen: Mit Uniformen von Firmen der Luftfahrt und US-Army sowie mit gefälschten israelischen Pässen (Serie 595) ein Linienflugzeug aus Fernost nach Israel entführen und dort über einem dicht besiedelten Raum explodieren lassen. So kam es beim Ostberliner Geheimdienstchef Erich Mielke an. Er befahl seinem Dienst, die Gefahren des „Luftterrors“ auch für Osteuropa aufzuklären.

Manches kann in der nächsten Auflage verändert werden, vor allem: Syrien fiel nie in Jordanien ein. Im Jahr 1928 gründeten sich die Muslim-Brüder nicht nur als Reaktion auf den säkularen Atatürk, sondern auch auf Nationalstaaten und Linke Parteien in ihrer Region. Ägyptens späterer Präsident Abd an-Nasir suchte früh Frieden mit Israel, auch deshalb wollte ihn ein Muslim-Bruder töten. Einer der Mörder seines Nachfolgers Anwar as-Sadat hieß Khalid al-Islambuli. Religiöse Stiftungen heißen Waqf oder Auqaf. Die Rede, alle Fundamentalisten wären Opportunisten, ist falsch umschrieben wie viele arabische Wörter im Text und im Anhang.

Eine Geschichte des nah- und mittelöstlichen Terrors und des Terrorismus steht aus. Dazu müssen Quellen dieser Region benutzt werden, die zu kurz kamen. Dennoch legte Walter Laqueur eine profunde Umschau vor. Es fragt sich, ob sich die Forschung zum Terror und Terrorismus theoretisch und methodisch ausprägt oder ob sie in den regionalen Fächern übernommen wird. Gut wäre, wenn sich ihr weiter Generalisten und Regionalisten annehmen würden.

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