Quellen zur Geschichte der Stadt Köln

Rosen, Wolfgang; Lars Wirtler (Hrsg.): Quellen zur Geschichte der Stadt Köln. Band I: Antike und Mittelalter von den Anfängen bis 1396/97. Köln 1999 : Bachem Verlag, ISBN 3-7616-1324-5 XIV u. 337 S., mehrere Abb. u. Pläne € 24,95

Deeters, Joachim; Johannes Helmrath (Hrsg.): Quellen zur Geschichte der Stadt Köln. Band II: Spätes Mittelalter und Frühe Neuzeit (1396-1794). Köln 1996 : Bachem Verlag, ISBN 3-7616-1285-0 XII + 289 S., mehrere Abb. u. Pläne € 24,95

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Harald Müller, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Köln ist eine Stadt der Superlative - auch und gerade auf dem Gebiet der Geschichte: Die erste zur colonia erhobene Stadt im römischen Niedergermanien, größte Stadt des Reiches im hohen Mittelalter, Heimat der größten Kirche Deutschlands und der ältesten Stadt-Universität Nordwesteuropas. Die Reihe ließe sich - ganz ohne lokalpatriotisches Pathos - fortsetzen, und sie mündet in die Tatsache, dass auch das größte historische Archiv einer Kommune auf deutschem Boden sich in Köln befindet. Ein gewaltiger Fundus, der schon seit jeher den Gedanken nahe legte, Stadtgeschichte nicht nur quellennah abzufassen, sondern sich an den Zeugnissen selbst entlang zu hangeln. Rund 120 Jahre nachdem der Stadtarchivar Leonhard Ennen den sechsten und letzten Band seiner monumentalen Sammlung ‚Quellen zur Geschichte der Stadt Köln' (1860-79) vorlegte, kann nun die Halbzeitbilanz eines namensgleichen, aber gänzlich anders konzipierten Unternehmens gezogen werden, für das der Förderverein Geschichte in Köln verantwortlich zeichnet. Hatte Ennen die Quellenausgabe seinerzeit als dokumentarische Ergänzung seiner Stadtgeschichte gedacht und schließlich mit dem Jahr 1397 abbrechen müssen, so sind in der modernen Fassung die Quellen selbst die Bausteine einer nicht kontinuierlich erzählten Stadtgeschichte. Von der römischen Zeit bis in die 1960er Jahre reicht der historische Bogen, gegliedert in vier Segmente, denen jeweils ein Band gewidmet ist. Der erste umfasst Antike und Mittelalter bis 1396/97, Band zwei erstreckt sich vom späten Mittelalter in einer gleichsam "alteuropäischen" Periodisierung bis zum Beginn der französischen Herrschaft in der Rheinmetropole 1794. Zwei Folgebände über das 19. und das 20. Jahrhundert bis 1960 sowie ein Registerband sind in Vorbereitung.

Eine wohlüberlegte Quellenauswahl soll Epochen und Themen der Kölner Stadtgeschichte in möglichst großer Breite präsentieren. Im Vorwort ist vom "Inselprinzip" die Rede, demzufolge die kritisch edierten, teilweise übersetzten und stets inhaltlich eingehend kommentierten Zeugnisse als Trittsteine dienen sollen, die dem Interessierten festen Stand in der Flut der Überlieferung gewähren und als Plattformen für die eigenständige Erschließung von Ereignissen und Themen fungieren sollen. Das Unternehmen richtet sich an Fachleute und geneigte Laien gleichermaßen. Nicht nur für letztere dürfte die eingehende Aufbereitung der Texte ein Gewinn sein. Historische Situierung und quellenkundliche Erläuterung nehmen breiten Raum ein und machen die vorliegenden Bände zugleich zu einem anschaulichen Navigationsmittel in der verwirrenden Vielfalt des Überlieferungsgutes. Damit wird neben der Bereitstellung der Quellen als solche eine vielfältige Typologie historischer Zeugnisse geboten.

Vor allem der erste Band nutzt konsequent die spezifischen Überlieferungssituation. Kaum überraschend rangieren an der Spitze der antiken Überlieferung die Inschriften, allen voran die Ersterwähnung der ‚ara ubiorum' im Jahr der Varus-Schlacht (9 n. Chr.) und die Verleihung des Kolonialrechts an die Ubier-Siedlung im Jahre 50, die von da an als ‚Colonia Claudia Ara Agrippinensium' (CCAA) firmierte. Der Name verweist auf die Initiatorin dieser Rangerhöhung: die in Köln geborene Agrippina, die den kaiserlichen Gatten Claudius zugunsten ihres Sohnes Nero vergiften ließ. Den vielfältigen epigraphischen Zeugnissen mit ihren versprengten Nachrichten über Recht, Militär, Stadtentwicklung und Religion stehen Grabmäler, Handwerkserzeugnisse wie das berühmte Kölner Diatretglas, Münzen, aber auch komplexe archäologische Funde wie das Prätorium zur Seite und vermitteln plastische Einblicke in Alltagsleben und Selbstverständnis des römerzeitlichen Köln. 1 Das in den Zeugnissen aus römischer Zeit beinahe allgegenwärtige militärische Element wird schließlich Zug um Zug von zwei Strömungen abgelöst: Immer deutlicher werdende Spuren christlichen Glaubens und die fränkische Herrschaftsübernahme am Rhein läuten das Mittelalter ein. Diese Epoche wird auch im vorliegenden Band bereits stärker von Schriftzeugnissen geprägt, mit dem Relief an der Ulrepforte, dem Stadtsiegel und den zünftischen Gütesiegeln etwa kommen aber auch andere Quellengattungen hinreichend zu Wort.

Das mittelalterliche Köln präsentiert sich vor allem als Stadt der Kirchen, des Handels und der Händel, wobei letztere vor allem im Zusammenhang mit der Entwicklung der Stadtverfassung betrachtet werden. Der Aufstand gegen Erzbischof Anno (1074), der Große Schied (1258), und die sogenannte Weberschlacht (1370/71) bilden traditionell unverzichtbare Bausteine, ohne aber den Blick auf andere essentielle Facetten der Kölner Geschichte zu verstellen. Stapelrecht und Zollprivilegien, Universität und Mauerbau kommen ebenso ausführlich zu ihrem Recht wie Ess- und Trinkgewohnheiten, das Phänomen der sogenannten Außenbürger und die typisch kölnische Art der Dokumentation von Immobiliengeschäften in Schreinskarten und Schreinsbüchern. Über die Auswahl der vorgestellte Quellen zu streiten, machte wenig Sinn. Im feinen Geflecht aus bekannten Marksteinen der Stadtgeschichte und weniger prominenten, aber oft sehr plastischen Zeugnissen vermisst man allerdings gänzlich den Blick Außenstehender auf Köln. Der Brief etwa, den Petrarca 1333 über seinen Aufenthalt in der Rheinmetropole an Giovanni Colonna schrieb, böte hier eine durchaus illustrative Ergänzung, da er inhaltlich fast die gesamte chronologische Spannbreite dieses ersten Bandes umfasst. 2

Es wäre vermessen, bei einem Unternehmen, das von den Beiträgen zahlreicher Spezialisten lebt, eine uneingeschränkt homogene Gestaltung zu erwarten; die meisten Benutzer werden ohnehin gezielt auf einzelne Texte und Themen rekurrieren. Bei durchgängiger Lektüre fallen unter den durchweg sinnvoll und solide bearbeiteten Quellen jedoch Ausreißer in punkto Intensität der Kommentierung auf. Vorzüglich zu nennen ist aus der Sicht des Mediävisten die Aufbereitung des Zollprivilegs Erzbischof Friedrichs I. für Lüttich und Huy aus der Feder von Friedrich Pfeiffer (1103, Nr. 26), überaus umsichtig die Analyse der sogenannten Weberschlacht (1370/71, Nr. 41) durch Gabriele Annas. Bemerkenswert ist ferner die Bearbeitung des Mauerprivilegs Friedrich Barbarossas von 1180 durch Johannes Helmrath, der die Urkunde im Kommentar wie auch drucktechnisch in ihre Bestandteile zerlegt und damit eine proseminartaugliche Anschauungshilfe zur Einführung in die Diplomatik der Herrscherurkunde bietet (Nr. 29). Weniger glücklich fällt dagegen die fast allein philologisch orientierte Kommentierungen zur Wiederbegründung des Ursulastifts (922, Nr. 22) aus. Verglichen etwa mit der meisterlich prägnanten Einführung Wilhelm Janssens in den Kontext der Schlacht von Worringen (1288, Nr. 37) sind zudem besonders die Artikel zu Plektrud (Nr. 20) und zu den Memorialbüchern (Nr. 39), gemessen an Länge und Aussagekraft der jeweils vorzustellenden Quellen, über die Maßen wortreich. In dem insgesamt solide redigierten Band sind nur wenige skurrile Flüchtigkeiten zu monieren: Die Haubenlerche (alauda) mutiert zur Laubenlerche (S. 20), der ‚cardo maximus' zum ‚cordo' (S. 69) die ‚Rheinischen Siegel' sind das Werk Wilhelm, nicht eines imaginären Eugen Ewalds (S. 93). Dies sind allesamt Nichtigkeiten angesichts des immensen Nutzwerts des Bandes, den man ungern wieder aus der Hand legt. Die Quellen selbst in sorgsamer Präsentation zu Wort kommen zu lassen und dem unsicher tastenden Leser mit behutsam belehrender Interpretationshilfe die Hand zu reichen, erweist sich einmal mehr als probates Mittel der Annäherung an die Geschichte. Gerade dort, wo die immense zeitliche und thematische Spannbreite den Überblick für Laien wie für Fachhistoriker illusorisch macht, wo Vielfalt und Vielzahl der Zeugnisse eine Synthese in angemessener Breite vereiteln, vermag das wohlkomponierten Aufgliedern in verschiedenartige Beispiele den Facettenreichtum der Geschichte trefflich zu vermitteln ohne das Ganze aus dem Blick zu verlieren.

Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle auch der zweite Band des Unternehmens kurz vorgestellt 3. Die Tatsache, dass dieser spätere Band dem ersten vorausging, ist einem markanten stadtkölnischen Jubiläum geschuldet: 1396, genau 600 Jahre vor der Veröffentlichung, trat der sogenannte Verbundbrief in Kraft, der die innerstädtischen, bislang patrizisch dominierten Kräfteverhältnisse zugunsten einer Schwureinung der Gilden und Zünfte - in Köln Gaffeln und Ämter genannt - neu regelte. Die Initiatoren taten gut daran, in diese Zeit gesteigerter Sensibilität für die Geschichte der eigenen Stadt den Auftakt seines ambitionierten Projekts einzubinden und damit doch zugleich weit über den engen Rahmen eines Einzelereignisses hinauszuweisen, auch wenn die Durchbrechung der Chronologie an einigen Stellen den Weg zur bandübergreifenden Vernetzung thematisch ähnlicher Beiträge zweifellos verstellt 4.

Der Verbundbrief, Kölns ‚Grundgesetz' bis 1797, symbolisiert Konstanz und Kontinuität in der wechselvollen Geschichte der Domstadt und er bildet zurecht den Angelpunkt des zweiten Bandes. Von Manfred Huiskes sorgfältigst ediert, übersetzt und eindringlich analysiert, liegt dieses Schlüsseldokument nun endlich in einer vollständigen, modernen Ausgabe vor und sollte künftig nur noch nach dieser (Nr. 1) zu zitieren sein! Spätmittelalter und frühe Neuzeit spiegeln sich im Folgenden in einer breit angelegten Palette von Sachthemen. Elemente städtischer Organisation wie Rat (Nr. 3), Gerichtswesen (Nr. 2) und Bürgerrechtserwerb (Nr. 21) werden ebenso exemplarisch anhand von Einzelquellen beleuchtet wie Wirtschaft und Handel (Nr. 9, 12, 27, 32), Außenpolitik und Krieg (Nr. 6, 10, 22, 29), religiöses Leben (Nr. 4, 5, 13, 11, 19, 31) und Dinge des Alltags (Nr. 7, 16, 17, 18). Freilich kann diese schematische Übersicht des Rezensenten der thematischen Vielfalt und inneren Verflechtung der Quellen untereinander nicht gerecht werden. Sie kann und will auch dem an Köln interessierten Leser die selbstständige Entdeckung der bunten Welt nicht abnehmen, die sich in den 40 dargebotenen Texten (in 32 Nummern) präsentiert. Herauszustellen ist aber einmal mehr das intensive Bemühen auch um die Eigenheiten der Quellen. Zwar ist der zweite Band verglichen mit dem ersten eher ein Monument der differenzierten Schriftlichkeit am Rhein, die konsequente Einbeziehung von kartographischen und Bildquellen (Nr. 14, 20, 24, 30) öffnet jedoch auch hier wohltuend den Blick. Mit allein elf bislang unpublizierten Quellen leistet der Band zudem einen eigenen Beitrag zur Aufarbeitung der Überlieferung selbst - ein Fingerzeig auf ungehobene Materialien im Kölner Archivgut und wenig erforschte Bereiche der Stadtgeschichte, die es nach Ansicht der Herausgeber vor allem für das 16.-18. Jahrhundert durchaus noch gibt 5.

Man wird dem Unternehmen "Quellen zur Geschichte der Stadt Köln" sicherlich eine positive Halbzeitbilanz bescheinigen können. Die beiden bislang vorliegenden Bände eröffnen dem Laien wie dem Fachhistoriker einen informativen, zuverlässigen und anregenden, vor allem aber dankenswert unmittelbaren Zugang zur älteren Geschichte Kölns. Sie sind feste Trittsteine auf dem Weg zu einer lange überfälligen modernen stadthistorischen Synthese, die - am Rande bemerkt - nun langsam Gestalt anzunehmen scheint. Mit Spannung steht aber zunächst zu erwarten, wie die Folgebände die konzeptionelle Kopplung von Sachthemen und Quellenexegese im Meer der neuzeitlichen Überlieferung zu meistern verstehen. Die kommentierte Quellensammlung sollte weder im Bücherregal des Köln-Freundes fehlen noch in dem des Stadthistorikers, für den Colonia stets Prüfstein wie Beispiel-Fundgrube ist.

Anmerkungen
1 Zum Prätorium ist im Sinne der zeitlichen Komposition des Bandes jetzt auch auf die Beobachtungen von Sven Schütte zu möglichen Verbindungen des antiken Baus zur Aachener Marienkirche hinzuweisen: Überlegungen zu den architektonischen Vorbildern der Pfalzen Ingelheim und Aachen, in: Krönungen. Könige in Aachen - Geschichte und Mythos, hg. v. Mario Kramp, Mainz 2000, Bd. 1 S. 203-211.
2 Petrarca, Epistola familiaris I 5.
3 Instruktive Rezensionen dieses Bandes finden sich u.a. in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 97 (1995/96) S. 308 f. (B. Ruthmann); Westfälische Forschungen 47 (1997) S. 929 f.; Historisch-Politisches Buch 46 (1998) S. 416 f. (J. Wiesemann); Rheinische Vierteljahrsblätter 63 (1999) S. 387 f. (B. Studt); Geschichte in Köln 47 (2000) S. 120-127 (F. Irsigler); Der Archivar 54.2 (2001) S. 163 f. (M. Rößner-Richarz).
4 Dies gilt für die Verfassungsentwicklung im Allgemeinen wie für Einzelthemen, z.B. das Thema Testamente (Bd. 2 Nr. 13), das sich mit dem Beitrag ‚Totengedächtnis und Stadtgemeinde' (Bd. 1 Nr. 39) inhaltlich eng berührt.
5 Vgl. S. IX. Zumindest partiell dürften hier die im Umfeld des Clemens-August-Jubiläums jüngst erschienen Bände Abhilfe geschaffen haben, besonders: Köln als Kommunikationszentrum. Studien zur frühneuzeitlichen Stadtgeschichte, hg. v. Georg Mölich und Gerd Schwerhoff, Köln 2000 (= Der Riss im Himmel 4).

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