: Macht und Moral des Schenkens. Staat und bürgerliche Mäzene vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Berlin 1999 : Bostelmann & Siebenhaar Verlag Edition Fannei & Walz, ISBN 3-934189-24-5 306 S. € 34,80

: Private Wohltätigkeitsvereine im Kaiserreich. Die praktische Umsetzung der bürgerlichen Sozialreform in Berlin. Berlin 1999 : de Gruyter, ISBN 3-11-016154-0 566 S. € 158,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Walkenhorst, Bielefeld

Mäzenatentum und Stiftungswesen gehörten in Deutschland bislang nicht zu den bevorzugten Themen der historischen Forschung. Erst in den letzten Jahren ist innerhalb der Bürgertumsforschung ein verstärktes Interesse von Historikern für dieses Thema festzustellen. Damit widmet sich auch die deutsche Geschichtswissenschaft nunmehr systematisch einem Forschungsfeld, das vor allem in der anglo-amerikanischen Welt eine lange Tradition besitzt.1 Vor dem Hintergrund dieses Forschungsstandes hat Manuel Frey in der Reihe "Bürgerlichkeit, Wertewandel, Mäzenatentum" erstmals den Versuch unternommen, einen historischen Überblick über das bürgerliche Mäzenatentum in Deutschland vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart zu geben; ein angesichts der bisherigen Vernachlässigung des Themas ebenso ambitioniertes wie notwendiges Unterfangen.

Dieser Versuch ist - das sei an dieser Stelle vorweggenommen - vollauf gelungen. Freys ebenso lesenswerte wie lesbare Überblicksdarstellung überzeugt nicht nur durch eine souveräne Kenntnis der bislang vorliegenden, zum Teil an entlegenen Stellen publizierten Literatur, sondern vor allem durch die kompetente Einordnung des mäzenatischen Handelns in die Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte des Bürgertums. Dem Autor gelingt es auf diese Weise, die komplexe Motivstruktur des bürgerlichen Mäzenatentums herauszuarbeiten, in die individuelle Interessen ebenso einflossen, wie gesellschaftlich akzeptierte Handlungsformen und Wertvorstellungen. Darüber hinaus zeigt er, daß mäzenatisches Handeln sich keineswegs auf die finanziellen Großtaten einzelner Stifterpersönlichkeiten beschränkte, sondern häufig in der Form kollektiven Mäzenatentums stattfand. Gerade die vielfältigen Formen kollektiven Stiftens und Spendens verdeutlichen, daß sich das philanthropische Engagement bürgerlicher Mäzene nicht auf individuelle Motive reduzieren läßt, sondern auch als Umsetzung klassenspezifischer Wertvorstellungen in gesellschaftliche Praxis verstanden werden muß. Indem bürgerliche Mäzene private Mittel für öffentliche Zwecke im Bereich der Kunst, Wissenschaft oder Wohltätigkeit zur Verfügung stellten, verwandelten sie ökonomisches in soziales und kulturelles Kapital und leisteten so einen wichtigen Beitrag zum Kampf des Bürgertums um gesellschaftliche und politische Anerkennung.

Das interessen- und wertgeleitete Engagement bürgerliche Mäzene war seinem Selbstverständnis nach keineswegs darauf beschränkt, Defizite staatlichen Handelns zu kompensieren, sondern konnte und sollte mitunter in Konkurrenz zum Staat treten. Gleichzeitig blieb das gemeinwohlorientierte Mäzenatentum bürgerlicher Funktionseliten mit seinem Anspruch, gesellschaftliche Reformimpulse zu entwickeln, jedoch immer auf die Kooperation mit staatlichen Instanzen angewiesen. Das Verhältnis von Staat und bürgerlichen Mäzenen bildet deshalb das zentrale Struktur- und Gliederungsprinzip von Freys Untersuchung. Dieses Verhältnis war, wie seine Ausführungen dokumentieren, keine ein für allemal festgefügte Form sozialen Handelns, sondern ein dynamischer Prozeß, der dem historischen Wandel unterlag und weiterhin unterliegt.

Bereits die Anfänge bürgerlichen Mäzenatentums im ausgehenden 18. Jahrhundert waren durch ein ambivalentes Verhältnis zur Obrigkeit geprägt. Ungeachtet eines jahrhundertealten kirchlichen und stadtbürgerlichen Stiftungswesens prägte die Tradition des höfischen Mäzenatentums auch in der Spätaufklärung weiterhin das Bild des 'klassischen' Mäzens. Aufgrund seines "monarchischen Charakters" und der mit diesem einher gehenden Gefahr subjektiver Willkür stand individuelles Mäzenatentum dabei im Widerspruch zur Zielutopie der integrativen bürgerlichen Gesellschaft. Das Spezifikum bürgerlichen Mäzenatentums war deshalb die Suche nach neuen, kollektiven Organisationsformen gemeinnützigen Engagements, wie sie in den bürgerlichen Stiftungen und Kunstvereinen des Vormärz ihren Ausdruck fand.

Seinen Höhepunkt erlebte das bürgerliche Mäzenatentum im wilhelminischen Kaiserreich. Vor dem Hintergrund der gewaltigen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Veränderungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, bildete sich ein großbürgerliches Mäzenatentum heraus, das sich im Aufschwung des kommunalen Stiftungswesen sowie in der Entstehung neuer, staatsnaher Formen kollektiver Kunst- und Wissenschaftsförderung widerspiegelte. Soziale Stiftertätigkeit und mäzenatisches Engagement im Bereich von Kunst und Wissenschaft waren dabei, wie Frey an zahlreichen Beispielen zeigt, sowohl für den sozialen Zusammenhalt und die Hierarchisierung innerhalb des Bürgertums als auch für das Distinktionsbedürfnis der neuen großbürgerlichen Elite von zentraler Bedeutung. Dies gilt auch und besonders für das Engagement jüdischer Mäzene, in dem sich spezifisch jüdische Traditionen der Wohltätigkeit mit dem Wunsch nach Prestige und gesellschaftlicher Anerkennung verbanden.

Diese Blütezeit des bürgerlichen Mäzenatentums wurde durch den Ersten Weltkrieg, Hyperinflation und Weltwirtschaftskrise nachhaltig zerstört. Die radikalen gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen der Weimarer Republik stellten nicht nur die materiellen, sondern auch die ideellen Grundlagen des traditionellen bürgerlichen Mäzenatentums in Frage. Mäzenatisches Handeln ist eine Investition in die Zukunft und setzt neben gesicherten materiellen Verhältnissen der Mäzene immer auch stabile gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen voraus. Das Fehlen solcher Rahmenbedingungen war das entscheidende Hindernis für eine Renaissance privaten Mäzenatentums in der Zwischenkriegszeit. Mangels privater Initiative verlagerten sich deshalb zahlreiche Aufwendungen zur Unterstützung von Wissenschaft, Kunst und Kultur zunehmend auf staatliche Institutionen. Und auch im sozialen Bereich wurden die meisten der im 19. Jahrhundert entstandenen Wohltätigkeits- und Hilfsvereine durch staatliche Intervention unter dem Schlagwort "Freie Wohlfahrtspflege" zusammen gefaßt. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten zerbrachen die Grundlagen für privates mäzenatisches Engagement vollends. Gleichzeitig entwickelte das NS-Regime eine Praxis der Kunstförderung, die durch die zwangsweise Verbindung von Kunst und Staat gekennzeichnet war. Die Verknüpfung von Führermythos und Kunstförderung gehörte zu den Besonderheiten der nationalsozialistischen Herrschaftstechnik. Sie diente vor allem dem Ziel, die Vorrangstellung des Diktators im polykratischen Herrschaftssystem des "Dritten Reiches" nach innen und außen abzusichern.

Nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus entwickelten sich vor dem Hintergrund der ideologischen und politischen Spaltung Deutschland sehr unterschiedliche Auffassungen in Hinblick auf die Praxis und gesellschaftliche Funktion privaten Mäzenatentums. In der SBZ/DDR ging die Absage an traditionelle Formen privaten "bürgerlichen" Mäzenatentums einher mit der Propagierung neuer Wege der kollektiven Kunstförderung durch Massenorganisationen und industrielle Großbetriebe (Kombinate). Im Gegensatz dazu erlebten in der frühen Bundesrepublik klassische Formen des individuellen und kollektiven Mäzenatentums eine Renaissance. Die Wiederbelebung privaten Mäzenatentums korrespondierte dabei mit der Ausdifferenzierung der staatlichen Kultur- und Wissenschaftsförderung und führte in vielen Fällen zu neuen Formen einer "Public Private Partnership".

Zu recht weist Frey darauf hin, daß die Konturen mäzenatischen Handelns umso unschärfer werden, je näher man sich der unmittelbaren Gegenwart nähert. Gerade deshalb jedoch ist es zu begrüßen, daß er dennoch einen abschließenden Ausblick auf aktuelle Entwicklungstendenzen innerhalb des Nonprofit-Sektors wagt. Eine wichtige solche Tendenz ist das anhaltende Wachstum des bundesrepublikanischen Stiftungssektors in den letzten zwei Jahrzehnten, das auch Frey konstatiert. Ob es sich hierbei um einen der Entwicklung im 19. Jahrhundert vergleichbaren "Stiftungsboom" handelt, muss seiner Meinung nach jedoch der künftigen Forschung vorbehalten bleiben. Besondere Aufmerksamkeit widmet er darüber hinaus dem Modell der Bürgerstiftung, das nach dem Vorbild amerikanischer "Community Foundations" seit einigen Jahren auch in Deutschland zunehmende Verbreitung findet.2 Nach seiner Meinung ist diese neue, lokal oder regional tätige Stiftungsform in besonderem Maße geeignet, "die älteren, vielerorts zum Erliegen gekommenen bürgerlich-städtischen Stiftungstraditionen durch eine neue, demokratische Form der Publikumsstiftung wiederzubeleben" (S. 230).

Die Geschichte des Mäzenatentums ist mithin keinesfalls an ihr Ende gekommen, sondern steht vor einer neuen, dynamischen Entwicklungsphase. Es ist zu hoffen, daß auch die historische Forschung sich stärker als in der Vergangenheit mit diesem Thema beschäftigen wird. Denn mäzenatisches Handeln steht im Schnittpunkt wirtschafts-, sozial- und kulturgeschichtlicher Fragestellungen und verheißt damit sowohl in empirischer als auch in methodischer Hinsicht ein Erkenntnispotential, das zu lange verkannt wurde. Es ist das Verdienst von Freys Buch, dieses Erkenntnispotential sowie die zahlreichen mit ihm verbundenen Forschungsdesiderate herausgearbeitet zu haben.

Einem solchen Desiderat widmet sich Meinolf Nitsch in seiner Studie über die privaten Wohltätigkeitsvereine im Berlin des Kaiserreichs. Seine als Dissertation an der Freien Universität Berlin entstandene Untersuchung versteht sich als Beitrag zur Geschichte der bürgerlichen Sozialreform im Deutschen Reich. In ihrem Mittelpunkt steht die praktische Umsetzung sozialreformerischer Zielvorstellungen in der Reichshauptstadt durch ein Netzwerk privater Wohltätigkeitsvereine. Nitsch' zentrale These ist, daß das Vereinswesen der Privatwohltätigkeit weitaus effizienter und effektiver war als von der Forschung bislang angenommen. Um diese These zu belegen, präsentiert er zunächst ein detailliertes Porträt der von ihm untersuchten Vereine, ihrer Arbeitsgebiete und ihrer Organisationsstruktur. Im Ergebnis konstatiert er eine strukturelle und funktionale Differenzierung des sozialreformerischen Vereinswesen, die in einer zunehmenden Spezialisierung und Dezentralisierung der Dienstleistungen vor allem auf dem Gebiet der Säuglings-, Kinder- und Jugendfürsorge bzw. der Allgemeinen Armenfürsorge zum Ausdruck kam.

Im Anschluß hieran untersucht Nitsch das Verhältnis der einzelnen Wohltätigkeitsvereine zu Behörden, Gerichten und anderen Vereinen. In aller Regel waren die Vereine um eine zumindest partielle Kooperation mit den für ihr Arbeitsgebiet zuständigen staatlichen Instanzen bemüht. Vielfach kam es dabei zu einer Art Arbeitsteilung zwischen Kommune und freien Trägern, bei der letztere die experimentelle Erprobung neuartiger Maßnahmen übernahmen, die bei Erfolg dann von den Behörden flächendeckend eingeführt wurden. Auch innerhalb des sozialreformerischen Vereinswesens bestand eine Vielzahl von Kontakten, die dazu führten, daß die einzelnen Vereine sich in ihrer Arbeit ergänzten, Wissen und Erfahrungen austauschten und so die Voraussetzungen für die Professionalisierung der Vereinstätigkeit schufen. Von großer Bedeutung für die praktische Umsetzung der bürgerlichen Sozialreform waren nach Nitsch darüber hinaus informelle Netzwerke und Kommunikationsstrukturen, durch die den Vereinen der Zugang zu wichtigen fachlichen und sachlichen Ressourcen eröffnet wurde.

Frauen spielten im Vereinswesen der Privatwohltätigkeit eine zentrale Rolle. Sie übernahmen die verschiedensten Funktionen innerhalb der Vereine und waren auf nahezu allen Ebenen tätig. Viele der sozialen Frauenberufe haben ihren Ursprung im sozialreformerischen Vereinswesen. Im Unterschied zu vielen anderen Berufsgruppen, die auf einem bereits bestehenden Gewerbe aufbauten, entstand der soziale Frauenberuf unterhalb einer Erwerbsform im Rahmen ehrenamtlicher Vereinstätigkeit. Dieser Professionalisierungsprozeß erreichte in einigen Fällen einen Differenzierungsgrad, bei dem das erforderliche Fachwissen nur noch mittels einer standardisierten Ausbildung zu erwerben war. Eine solche Ausbildung jedoch konnten nur die wenigsten Vereine selbst bereitstellen. Aus diesem Grund kam es innerhalb des sozialreformerischen Vereinswesens zu einer Spezialisierung einiger Vereine auf Ausbildungsaktivitäten und die Errichtung von Ausbildungsstätten.

Im Ergebnis zeichnet Nitsch das Bild eines sich professionalisierenden Netzwerks privater Wohltätigkeitsorganisationen, dessen Akteure sich jenseits von Markt und Staat für das Gemeinwohl engagierten. Seine Untersuchung enthält mithin wichtiges Material zur Herausbildung zivilgesellschaftlicher Strukturen in Deutschland. Leider scheint er jedoch die wissenschaftliche Diskussion über die Entwicklung und Grundlagen der Zivilgesellschaft" (civil society) und des "Nonprofit Sektors" nicht zu kennen.3 Diese für sein Thema grundlegenden Begriffe sucht man in der Studie jedenfalls vergebens. Auch über die Finanzierung der Vereinsaktivitäten erfährt der Leser nur sehr wenig. Denn obwohl Nitsch wiederholt auf die Rolle von Mäzenen und Stiftungen hinweist, wird deren Engagement nicht systematisch untersucht. Die finanziellen Grundlagen der privaten Wohltätigkeit bleiben unterbelichtet. Erschwert wird die Lektüre des Buches darüber hinaus durch zahlreiche Redundanzen sowie die offensichtlich durch keinen Lektor gebremste Neigung des Verfassers zur akribischen Wiedergabe einer Unmenge von Details, die selbst den interessiertesten Leser auf eine harte Geduldsprobe stellen. Diese Unzulänglichkeiten sind um so bedauerlicher, als das Thema eine breite Diskussion verdient hätte. Es bleibt deshalb zu hoffen, daß künftige Studien die Entwicklung des sozialreformerischen Vereinswesens als Betätigungsfeld bürgerlichen Mäzenatentums und zugleich als wichtigen Bestandteil einer sich herausbildenden Zivilgesellschaft untersuchen.

Anmerkungen:
1 Vgl. Ellen Condliffe Lagemann (ed.), Philanthropic Foundations. New Scholarship, New Possibilities, Bloomington, Indiana 1999; James Allen Smith, The Evolving American Foundation, in: Charles T. Clotfelter/Thomas Ehrlich (eds.), Philanthropy and the Nonprofit Sector in a Changing America, Bloomington, Indiana 1999, S. 34-51; Helmut K. Anheier/Stefan Toepler (eds.), Privat Funds, Public Purpose. Philanthropic Foundations in International Perspektive, New York 1999.
2 Vgl. Peter Walkenhorst, Innovation und Tradition - Die Entwicklung von Bürgerstiftungen in Deutschland, in: Bertelsmann Stiftung (Hg.), Handbuch Bürgerstiftungen. Ziele - Gründung - Aufbau - Projekte, Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 2000, S. 57-89.
3 Lester M. Salomon u.a. (Hg.), Global Civil Society. Dimensions of the Nonprofit Sector, Baltimore 1999; Helmut K. Anheier u.a. (Hg.), Der dritte Sektor in Deutschland. Organisationen zwischen Staat und Markt im gesellschaftlichen Wandel, Berlin 1997.

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