Cover
Titel
Mit der Kamera bewaffnet. Krieg und Fotografie


Autor(en)
Holzer, Anton
Anzahl Seiten
183 S.
Preis
€ 25,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Detlef Kannapin, Cinegraph Babelsberg e.V.

Zur Rolle des Bildes in kriegerischen Auseinandersetzungen sind in den letzten Jahren viele Veröffentlichungen erschienen. Das Forschungsinteresse speist sich dabei vor allem aus der veränderten strategischen und propagandistischen Bedeutung von Bildern, bzw. ihrer zunehmenden "Undeutlichkeit" und manipulativen Verwendung in den letzten Kriegen, die der Westen geführt hat. Sowohl im Kosovo-Krieg 1999 als auch in den beiden Golfkriegen waren insbesondere von den Folgen des Krieges für die Zivilbevölkerung (fast) keine Bilder mehr zu sehen. Das Zusammenspiel aus Propagandaplanung in den militärischen Kommandozentralen und den gefilterten Bildangeboten für ein interessiertes (Fernseh-)Publikum ist perfektioniert worden, lässt an Kriegen scheinbar teilhaben und gleichzeitig von ihnen nichts übrig. Während so die Manipulationsmöglichkeiten von Video, Digitaltechnik, Film, Fernsehen in Kriegszeiten im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses stehen, ist von ihrer historischen Grundlage kaum systematisch die Rede: von der Geschichte von Krieg und Fotografie.

Hier versucht ein Sammelband Abhilfe zu schaffen, der sich explizit mit der historischen Kontextualisierung des fotografischen Blicks im Krieg beschäftigt. Herausgeber Anton Holzer und die Autoren des Bandes gruppieren sich um die seit fünfundzwanzig Jahren existierende Zeitschrift "Fotogeschichte", die schon mit vielen wichtigen Beiträgen zu diesem Thema aufwarten konnte. Allerdings blieb die Resonanz der Zeitschrift in der Geschichtswissenschaft bislang weitgehend beschränkt auf die mit Fotografien professionell arbeitenden Historiker, die im deutschsprachigen Raum leider immer noch Schwierigkeiten haben, ihr Forschungsfeld als gleichberechtigt neben der Historiografie mit schriftlichen Quellen zu deklarieren. In der Einleitung von Anton Holzer über "das fotografische Gesicht des Krieges" (S. 7-20) wird das Potential einer kriegs- und militärhistorischen Forschung mit Fotografien freigelegt, so z.B. Fragestellungen zum Schlachtfeld als Schauplatz, zur technische Dimension des Krieges, über die Mythen der Presse in allen modernen Kriegen, über die Bilder vom Gegner und ihrer Manipulationen zur Legitimation eigener Kriegsabsichten sowie über die Retuschierung unangenehmer Tatsachen in Bildern, die einer solchen visuellen Legitimationsstrategie entgegenstehen könnten. Holzer kann hier auch erklären, dass die "Einbettung" von Kriegsberichterstattern in die eigene kämpfende Truppe keineswegs eine Erfindung der Planer des Angriffskrieges gegen den Irak von Anfang 2003 ist, sondern dass die Mitführung von "Berichtern" und Kriegsjournalisten bereits im Krimkrieg von 1854 bis 1856 zwischen Russland auf der einen, und Großbritannien, Frankreich und dem Osmanischen Reich auf der anderen Seite praktiziert wurde (S. 9).

Die folgenden Analysen haben eine große thematische Breite und behandeln sehr heterogene Probleme des Verhältnisses von Krieg und Fotografie. Sie reichen von der Interpretation des eben erwähnten Krimkrieges als "erstem Medienkrieg" in der Geschichte über die Bildarrangements der deutschen Einigungskriege und des Ersten Weltkrieges bis hin zu verschiedenen Aspekten der Bilderfülle des Zweiten Weltkriegs in offiziellen Bildern und in Privataufnahmen der "einfachen Soldaten".

Ulrich Keller plädiert in seinem Text "Authentizität und Schaustellung. Der Krimkrieg als erster Medienkrieg" (S. 21-38) insbesondere für die Notwendigkeit einer möglichst breit gefächerten Bildberichterstattung über den Krieg. Er sieht das Problem darin, dass die Produktion immer destruktiverer Waffen die Sichtbarkeit des Krieges auf ein Minimum reduziert (S. 22), was vor allem seit dem Ersten Weltkrieg nur eine retrospektive Bildinformation zulässt. Im Krimkrieg faktisch geboren, entwickelt sich gerade hier die immer weiter perfektionierte, symbiotische Kollaboration zwischen Regie- und Armeeführung (S. 22). Diese hat das Ziel, einerseits die Last des Kampfes der eigenen Armee zu illustrieren, und andererseits zu zeigen, wie weit blickend die Oberbefehlshaber das Kriegshandwerk verrichteten. Welch tief greifende Bedeutung der Krimkrieg für eine Bildpolitik des Krieges hatte, geht nach Keller auch daraus hervor, dass die Fotografie sowohl die mythologische Funktion der konventionellen Bildmedien verlängerte (S. 26), umgekehrt aber auch das vor-fotografische Kernmedium der Kriegsberichterstattung im Bild, die Historienmalerei, angesichts der fotografischen Revolution Konstellationen und Arrangements der Fotos aus dem Krieg übernommen hatte (S. 31).

Während die öffentliche Wirkung der Kriegsfotografie in Preußen-Deutschland und bei ihren niedergerungenen Gegnern Dänemark, Österreich und Frankreich offenbar gering war, wie Frank Becker in seinen Ausführungen zur Funktion der Lichtbilder in den deutschen Einigungskriegen 1864, 1866 und 1870/71 zeigt (S. 39-56), ist die Bildgeschichtsschreibung des Ersten Weltkrieges von besonderer Brisanz. Im kulturellen Gedächtnis ist zum Teil bis heute präsent, dass der Erste Weltkrieg primär eine Materialschlacht war, dessen Tendenz zum "totalen Krieg" vor allem in Stellungskämpfen und Hungerwintern deutlich wurde. Grausamkeiten und Massaker an der Zivilbevölkerung, die jedoch auch zur Überlieferung des "totalen Kriegs" gehören, tauchen in der Geschichte des Ersten Weltkrieges oft nur am Rande auf. Hingegen demonstriert Anton Holzer in "Den Krieg sehen. Zur Bildgeschichtsschreibung des Ersten Weltkriegs" (S. 57-70) an serbischen Bildquellen, dass die Massakrierung der Zivilbevölkerung, besonders in den ersten Kriegsmonaten, im Osten und Süden der Front an der Tagesordnung war (z.B. S. 57). Die Schuld am Ausblenden ziviler Opfer in der kollektiven Erinnerung sieht Holzer in der erinnerungspolitischen Statik der Zwischenkriegszeit. Eigentliche Bilderzählungen gerieten zu festen Bildarrangements, die als "zweite Zensur" fungierten (S. 60f.). Holzer wagt daraufhin die These, dass auch der Erste Weltkrieg implizit ein "Vernichtungskrieg" war, weil er in Ost- und Südeuropa mit Mitteln der Entvölkerung und Umsiedlung geführt wurde, was die überlieferten Fotografien bezeugen (S. 65). Fußnote 37 auf Seite 70 weist zudem noch aus, dass der Begriff "Vernichtungskrieg" in den Vorstellungen des deutschen Generalstabs bereits vor dem Ersten Weltkrieg präsent war.

Ebenfalls mit der kollektiven Bilderinnerung an den Ersten Weltkrieg, diesmal unter geschlechtergeschichtlicher Perspektive, beschäftigt sich der Artikel "'Frauen helfen siegen'. Frauenarbeit in der Fotopropaganda des Ersten und Zweiten Weltkriegs" von Katharina Menzel (S. 71-96). Menzel zeigt auf, dass die Kriegsporträts kämpfender oder in der Kriegswirtschaft eingesetzter Frauen zunächst von gesellschaftlicher Verunsicherung geprägt waren, da vermutet wurde, dass Frauen "im Dienst" ihre traditionellen Rollen vernachlässigen würden. Deshalb wurden Bilder von Frauen im Kriegsalltag zunächst sehr distanziert und sparsam eingesetzt, die Bildwirkung ließ nichts "Frauenspezifisches" erkennen. (S. 72). Sowohl im Ersten wie auch im Zweiten Weltkrieg änderte sich, je länger der Krieg dauerte, die Frauendarstellung dahingehend, dass der gesellschaftlichen Aufwertung der Frauen in den Bildern, speziell bei Frauen in Uniform, größere Akzeptanz entgegengebracht wurde (S. 76). Das galt für alle Kriegsparteien, selbst für NS-Deutschland ab 1942. Allerdings belegen nur britische und US-amerikanische Bildpublikationen Aussichten auf die Erhaltung des gewachsenen Status der Frauen im Krieg (S. 86).

Neben den Arbeiten über Privatfotografien im Krieg von Petra Bopp (S. 97-117) und von Bernd Boll (S. 167-178) sowie einer ausführlichen Darstellung des mehr als widersprüchlichen Arrangements der Bildbände von Lothar-Günther Buchheim über die Verherrlichung des "uneingeschränkten U-Boot-Krieges" der NS-Kriegsmarine (S. 118-145) sind noch die Ausführungen von Daniel Uziel über den "Holocaust von oben. Auschwitz in der Fotografie der Luftaufklärung" hervorzuheben (S. 146-166). Ausgehend von der Entdeckung von Luftaufklärungsfotos der anglo-amerikanischen Streitkräfte von 1944 über Auschwitz im Jahre 1978 durch zwei CIA-Mitarbeiter, verfolgt Uziel den Weg der amerikanisch-britischen Luftaufklärung bis zu mehreren Bombardements der IG-Farben-Fabrik Auschwitz-Monowitz in der zweiten Hälfte des Jahres 1944 und Anfang 1945. Die disparate Frage, ob die Alliierten mit gezielten Angriffen auf Auschwitz die Vernichtung der europäischen Juden hätten aufhalten können, wird von Uziel ausweichend beantwortet. Zum einen konnten die Alliierten Osteuropa mit Direktflügen erst nach der Eroberung eines italienischen Stützpunktes im Dezember 1943 erreichen, was eventuelle Angriffsabsichten verzögerte (S. 149), zum anderen konzentrierte sich das strategische Interesse der USA ausschließlich auf die deutsche Ölindustrie und nicht auf die Struktur der Vernichtungslager, weswegen in den Berichten zur Auswertung der Luftbilder des Lagers Auschwitz, trotz guter Sichtbarkeit der meisten Vernichtungsstätten, Hinweise auf Massentötungen fehlen (S. 150-162). Hier besteht dezidiert weiterer Forschungsbedarf.

Der hervorragend lektorierte und mit bester Bildqualität ausgestattete Band ist eine Aufwertung der Fotografiegeschichte, die zeigt, dass sie weit mehr als ergänzenden Charakter für die traditionelle Historiografie besitzt. Im Anhang findet sich zudem eine ausführliche Auswahlbibliografie.