F. Speer: Ausländer im "Arbeitseinsatz"

Titel
Ausländer im „Arbeitseinsatz“ in Wuppertal. Zivile Arbeitskräfte, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene im Zweiten Weltkrieg


Autor(en)
Speer, Florian
Herausgeber
Der Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal. Dezernat für Kultur, Bildung und Sport, Stadtbetrieb Historisches Zentrum
Erschienen
Anzahl Seiten
636 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Horst Wessel, Mannesmann-Archiv, Mühlheim an der Ruhr

Mehr als 40 Jahre lang hatten Wissenschaft und Öffentlichkeit das Thema der Beschäftigung von ausländischen Arbeitskräften in der deutschen Kriegswirtschaft – Landwirtschaft, Handwerk und Industrie, Verkehr u.a. Dienstleistungsbereichen – gemieden wie der Teufel das Weihwasser. In den letzten Jahren jedoch werden wir von einer Flut von einschlägigen Veröffentlichungen geradezu überrollt. Keine Stadt, die hier zurückstehen wollte; sogar private Unternehmen der Wirtschaft, die früher eine Verwicklung in die Kriegswirtschaft brüsk geleugnet hätten, ließen nun durch eigene oder beauftragte Historiker entsprechende Untersuchungen anstellen.

Da in vielen Fällen keine hauptamtlich betreuten Archive vorhanden und die betreffenden Unterlagen infolge der Fehleinschätzung oder gerade auch im Wissen um ihre historische und aktuelle Bedeutung längst vernichtet worden waren, mussten mit hohem Aufwand Parallel- und Ersatzüberlieferungen aufgespürt und ausgewertet werden – ohne jedoch in den meisten Fällen die Lücken in der Überlieferung schließen zu können. Nur zu oft ist im eifrigen Bemühen, (verspätet) Reue zu zeigen, eine Bekenntnisliteratur entstanden, deren Ergebnisse nicht von Quellen gestützt werden und den tatsächlichen Verhältnissen bei weitem nicht entsprechen. Es gab gewaltige Unterschiede, und die Bandbreite der Behandlungsmöglichkeiten war ebenso groß wie die der Verantwortung und der Handlungsfreiheit, und zwar im Hinblick auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen und vor allem auch auf den praktischen Handlungsspielraum.

So differenziert, wie die große Schar der ausländischen Arbeitskräfte gewesen ist, die im letzten Weltkrieg zum kleinen Teil freiwillig und zum überaus überwiegenden Teil gezwungen im Deutschen Reiche tätig gewesen sind, so unterschiedlich war die Gruppe derjenigen, die sie beschäftigt, untergebracht, verpflegt, entlohnt etc. und die mit ihnen zusammengearbeitet haben.

Die hier anzuzeigende Untersuchung hebt sich von der Masse der zum Thema „Zwangsarbeit“ erschienenen Veröffentlichungen wohltuend ab. Zwar stand der im Auftrag der Stadt agierende Autor vor gewaltigen Quellenproblemen – hier sah es bei der städtischen Verwaltung nicht besser aus als bei den Privatunternehmen, bei Bahn und Post, bei den Krankenanstalten und den kirchlichen Einrichtungen. Aber der Verfasser, der bereits bei zwei Untersuchungen über die Arbeiter im Zweiten Weltkrieg zweier Wuppertaler Unternehmen Erfahrungen erworben hatte, hat sich durch die Erschließung relevanter Bestände in in- und ausländischen Archiven, durch die Befragung von Zeitzeugen sowie durch die Auswertung zeitgenössischer Veröffentlichungen eine breite tragfähige Quellengrundlage geschaffen. Er hat sich nicht in den Mainstream der Betroffenheitsliteratur eingereiht, sondern die erschlossenen Quellen einer kritischen Überprüfung unterzogen und auch widersprüchliche Aussagen gewürdigt. Zwar beklagt er zu Recht die trotz aller Mühen nicht zu schließenden Lücken in der Überlieferung, aber diese werden genannt und nicht verschwiegen oder durch bloße Vermutungen gestopft.

Die verwendeten Begriffe werden nicht, wie das heute leider vielfach geschieht, undifferenziert verwendet, sondern – trotz der damit verbundenen Schwierigkeiten – bestimmt und abgegrenzt. Bereits im Untertitel werden zivile Fremdarbeiter, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene getrennt aufgeführt, und zu Recht wird darauf aufmerksam gemacht, dass es den Begriff „Zwangsarbeiter/in“ damals nicht gab und dass auch die Begriffe „slave-workers“ und „slave-labo(u)rers“ erst von den Alliierten im Rahmen der Strafverfolgung verwendet wurden, jedoch einen anderen Tatbestand betrafen, der noch am ehesten dem der KZ-Häftlinge entsprach. Gezwungen wurden auch deutsche „arische“ Männer und Frauen, z. B. die „Dienstverpflichteten“. Diese werden in der vorliegenden Untersuchung ebenso wenig berücksichtigt wie die Juden und Halbjuden sowie Strafgefangene. Gegenstand der Arbeit sind ausländische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene (einschließlich der italienischen Militärinternierten). Viele der zivilen männlichen und weiblichen Ausländer haben den verlockenden deutschen Angeboten geglaubt oder der Not gehorcht und sind anfangs freiwillig zum Arbeitseinsatz ins Deutsche Reich gekommen. Aber zumindest die so genannte „Ostarbeiter“ durften nach Ablauf ihrer vertraglich fixierten Arbeitszeit nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren, sondern wurden gezwungen, unter Kriegsbedingungen in der Fremde weiter zu arbeiten.

Wie man hinsichtlich der eingesetzten Fremdarbeiter differenzieren muss, so ist dies auch im Hinblick auf deren Lebensumstände in Deutschland unabdingbar. Die Lebensumstände waren höchst unterschiedlich, die Bandbreite der Behandlung unglaublich groß. Wer hier nivelliert, der übersieht nicht nur entscheidende Unterschiede, sondern tut den Betroffenen Unrecht – die sich mit Recht gegen die Verwendung dieser undifferenzierten Begrifflichkeit zu Wehr setzen –, und man begibt sich der Möglichkeit, die menschenverachtende Ideologie der Nationalsozialisten und ihrer mehr oder minder willigen Helfer zu entlarven. Denn es war ein gewaltiger Unterschied, ob man zivile Arbeitskraft war oder Kriegsgefangener, Westarbeiter, Pole, „Ostarbeiter“ oder Einwohner der baltischen Staaten, westlicher oder sowjetischer Kriegsgefangener oder auch italienischer Militärinternierter. Der Verfasser vermeidet daher nach Möglichkeit den Begriff „Zwangsarbeiter“ oder macht ihn in Verbindung mit einem Zusatz näher kenntlich; in der Regel ist die Rede von „Ostarbeitern“, Polen, Franzosen, Italienern etc.

Im Kapitel „Bestimmungen, Allgemeines, Anwerbung und Deportationen“ werden u.a. Arbeitsmarkt und der Ausländereinsatz, die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, die Problematik der Freiwilligenwerbung, Zwangsmaßnahmen in Polen und der Sowjetunion, die staatlich vorgegebenen Lebens- und Arbeitsbedingungen, die Diskriminierung durch Rassenpolitik sowie Spannungen und Differenzen innerhalb der deutschen Politik behandelt. Weitere Kapitel sind den Kriegsgefangenen und der Arbeitsverwaltung in Wuppertal gewidmet. Die Verhältnisse in Wuppertal während der nationalsozialistischen Zeit, wobei aus naheliegenden Gründen die Fremdarbeiterlager und die Beziehungen zwischen deren Bewohnern und der städtischen Bevölkerung besondere Beachtung gefunden haben, sowie der Fremdarbeiter-„Einsatz“ für Stadtverwaltung und städtische Betriebe bilden umfangreiche Abschnitte von fünfzig und mehr Seiten. Gerade die Tätigkeit im Dienst der Stadt und öffentlicher Unternehmen wird häufig ebenso übersehen wie die Verwendung der ausländischen Arbeitskräfte im Haushalt, bei Reichsbahn und Reichspost sowie in der Landwirtschaft, die allerdings aufgrund der schlechten Quellenlage bzw. weil die Stadt nur wenige Landwirtschaftsunternehmen besaß, nur am Rande Berücksichtigung finden. Ob jedoch in der Landwirtschaft, abgesehen von der Ernährungslage, bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen als beispielsweise in der Industrie bestanden haben, das mag vielleicht für Wuppertal zugetroffen haben, allgemein dürfte jedoch die Bandbreite dort kaum geringer gewesen sein als in Industrieunternehmen.

Die zuletzt Genannten füllen das umfangreichste Kapitel. Wir erfahren, unter welchem Einfluss von Staat und Partei die Wuppertaler Privatunternehmen standen, wie das Verhältnis von deutschen und ausländischen Arbeitern im Betrieb war, wie groß die Sabotageangst gewesen ist, welche Strafen für welche Vergehen verhängt wurden, über welchen Handlungsspielraum die Arbeitgeber z.B. bei der Beschäftigung und Behandlung ausländischer Arbeiter verfügten, wie es beispielsweise im Hinblick auf die Produktion und die Preisfestsetzung sowie allgemein um ihre unternehmerische Handlungsfreiheit bestellt war. Bei der meist staatlich verordneten Herstellung von Rüstungsgütern ist zwar richtig gesehen, dass diese nicht mit einem Negativimage behaftet war, aber übersehen, dass allgemein mit einer kurzen Kriegsdauer gerechnet wurde und daher die dafür zu tätigenden Investitionen sich nicht rechneten und rasch abgeschrieben werden mussten; ferner sollte beim „Einsatz“ von ausländischen Arbeitskräften beachtet werden, dass es sich dabei zum weitaus überwiegenden Teil um ungelernte und angelernte Kräfte handelte, deren Leistung – zumindest in den ersten Monaten – unter der der deutschen Facharbeiter blieb.

Die letzten Abschnitte behandeln „Tod und Geburt“, „Repression, Verfolgung, Strafen und Hinrichtungen“ sowie „Kriegsende“. Es folgen drei verdienstvolle, wenn auch noch nicht abgeschlossene Zusammenstellungen – der Verfasser nennt sie „Kataloge“ – der Arbeitsstellen, der Lager und Unterkünfte sowie der Rüstungshersteller und der Rüstungsproduktion, ferner ein Dokumentenanhang und die Nachweise der Quellen und der benutzten Literatur. Es ist eine sehr wichtige Veröffentlichung, die weit über Wuppertal hinaus Beachtung verdient.

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