Cover
Titel
The Levant. A Fractured Mosaic


Autor(en)
Harris, William
Erschienen
Anzahl Seiten
212 S.
Preis
$ 22.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang G. Schwanitz, Deutsches Orient-Institut Hamburg

An den Kreuzwegen zwischen Europa, Afrika und Asien gelegen, wuchs der Levante eine Brückenfunktion zu. Dieser Begriff, im Mittelalter aus dem Italienischen für „Osten“ oder „Sonnenaufgang“ geprägt, umfasst in den verschiedenen Perioden jeweils unterschiedliche Räume. Zunächst betraf er die Küstengebiete des östlichen Mittelmeeres. Kaufleute aus den südeuropäischen Hafenstädten pflegten dort Holz, Eisen und Stoffe gegen Weihrauch, Gewürze, Seide und Teppiche aus Indien, China und Persien sowie Stoff-, Metall-, Eisen- und Lederwaren aus dem Vorderen Orient zu tauschen. Dies begann sich zu verändern, als im Nahen Osten europäische Imperien und neue Staaten aufkamen. Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts hießen die osmanischen Provinzen Beirut und Damaskus Groß-Syrien, Greater Syria; oder, von der Arabischen Halbinsel aus betrachtet, die Nordländer, Bilad ash-Sham. Nach dem Ersten Weltkrieg zogen dort die britischen und die französischen Mandatare neue Grenzen, die aber nicht den Wünschen der Einwohner entsprachen, Groß-Syrien zu erhalten.

Die weitere Entwicklung mag hier eine Berliner Luft-Navigationskarte „Vorderasien“ illustrieren. Am östlichen Mittelmeer sind darauf im Zweiten Weltkrieg beiderseits des Jordan die Länder Palästina und Transjordanien abgebildet sowie bis an die Türkei und an den Irak die États du Levant. Die Kartografen der Firma Georg Westermann markierten damit Frankreichs Einfluss. 1 Aus diesen États du Levant gingen Syrien und Libanon hervor. Letztere, zusammen mit der Türkei, Jordanien und Palästina (heute Israel sowie das autonome Palästina), sind die Kerngebiete, um die es im vorliegenden Buch geht: die arabische, jüdische und türkische Levante.

Zutreffend nennt William Harris daher die Levante nicht nur ein Mosaik, sondern eben ein zerbrochenes Mosaik. Denn wie der Akademiker von der neuseeländischen Universität Otago erhellt, prägten die Levante allzu häufige Landnahmen und Rückeroberungen. 2 Der Autor, der durch Studien über Israels Siedlungen im Westjordanland, auf dem Golan und in Gaza, sowie über den Libanon hervortrat, gliedert diesen Band in vier Teile: Die strategische Geografie der Levante; Rom, Islam und Byzanz; Kreuzfahrer, Mamluken und Osmanen; und die moderne Levante. Ein Dutzend Karten illustrieren diese Vielfalt, das Glossar ist sehr hilfreich.

Bereits im ersten Kapitel erklärt William Harris die levantinische Aufsplitterung von Außen und Innen. Die geschichtsmächtigen Kräfte, die der Region das Gepräge verliehen, trafen in mehreren tausend Jahren auf eine große Vielfalt an Völkern und Gemeinschaften und erzeugten wiederum neue Ethnien. Ägypten, dessen Nordteil mit Alexandria und Sinai zuweilen auch zur Levante gezählt hat, blieb dagegen eine homogene Insel im Sandmeer, vergleicht man es mit dem levantinischen Flickenteppich mit seiner Völkervielfalt in Bergen, Tälern und an Küsten. Da wird die darstellerische Methodik selbst eine Herausforderung. William Harris bevorzugt inhaltliche Querschnitte der Geografie und der Reiche vor den eng chronologischen Periodisierungen. Damit folgt er seinem Begriff von Levante, der den großen Vorteil hat, mehrere Völker und späterhin Staaten zu umfassen, jedoch auch den Nachteil, sich wie Gummi zu dehnen. Insofern vermittelt der Autor viele Überblicke, ohne in die Tiefe gehen zu können.

Freilich gerät die Bilanz, die Harris für die heutige Levante mit der Türkei, Libanon, Syrien, Israel, Jordanien und dem Autonomiegebiet Palästina zieht, überhaupt nicht rosig. Während die Bevölkerungszahl dort vom Mittelalter bis zur Moderne ungefähr stabil geblieben war, gibt es auf demselben Raum die bekannte Bevölkerungsexplosion. Dies und der auch gestiegene Lebensstandard belasten die Ressourcen ungemein. Angesichts der Wüsten und Steppen steht dabei die Wasserversorgung im Brennpunkt. Syrien zum Beispiel hängt fast völlig vom Euphrat ab, dessen Oberlauf wiederum die Türkei kontrolliert. Dies geschieht in einem Raum, der von Kurden bewohnt ist. Hinzu kommen die Streitereien um Land wie Alexandrette, das sich die Türkei einverleibte, das aber gleichwohl von Syrien beansprucht wird. So fällt auch das Fazit aus: die türkische Levante zeichnet eine rasante Zunahme der Bevölkerung mit ethnischen Zwisten aus; die jüdische Levante steht unter einem ähnlichen Druck mit ihrem weiterhin ungeregelten Nahostkonflikt; die arabische Levante ist extrem überbevölkert, umweltverschmutzt und wohl unfähig, ihren jungen Bewohnern Arbeit zu bieten.

Da ist es nicht verwunderlich, dass William Harris nostalgisch in die Geschichte blickt. Welche Schwächen auch immer das Osmanische Reich gehabt haben mag, die Levantiner hatten wenigsten nur eine Regierung und erfreuten sich einer danach nie mehr erreichten Bewegungsfreiheit. Wer etwa am Küstenstreifen entlang von Beirut nach Jerusalem reisen wollte, konnte dies völlig ungehindert ohne die heutigen Umwege über drei internationale Grenzen nach Amman und Damaskus tun. In den osmanischen Provinzen des späten 19. Jahrhunderts gab es, aller ethnischen Differenzen zum Trotze, eine relative Entspannung. Über einhundert Jahre später, so bilanziert der Verfasser, im Zeitalter der so genannten Globalisierung, zeigt sich die Levante mannigfach fragmentiert und tiefen Spannungen ausgesetzt.

Wie sieht Harris die nähere Zukunft der Levante? Drei Faktoren sind von seiner Warte her für ihren Wandel wichtig (er beendete sein Manuskript im Februar 2003, also vor der Invasion im Irak): der Wechsel des Regimes im Levante-Anrainer Irak, der israelisch-palästinensische Konflikt und die syrische Haltung gegenüber Israel. Es wird deutlich, dass der Autor einen Regimewechsel in Baghdad für die günstigere Lösung hielt, wobei er Szenarien wie den Zerfall des Iraks prüfte, die bislang nicht eingetreten sind. Er glaubt, Washington könnte durch sein Engagement in Irak empfänglicher für arabische Ansprüche im Konflikt mit Israel werden. Aber er sieht auch die Gefahr, dass die Amerikaner zu sehr im Irak absorbiert werden und den israelisch-arabischen Konflikt aus den Augen verlieren könnten.

Nachdem sich Israelis und Palästinenser unfähig zeigten, eine tragfähige Regelung selbst herbeizuführen, hänge viel von den Entwicklungen anderenorts ab wie dem Einfluss eines großen Schocks. Auf der israelischen Seite führe die politische Zersplitterung in Parteien zum Stillstand der Bewegung. Harris kann sich keine Knesseth vorstellen, die das Mandat für eine drastische Veränderung im Westjordanland erteilt. Auf der palästinensischen Seite falle die Abwesenheit einer glaubwürdigen Führung auf, Yasir Arafats Inkompentenz und die tödliche Energie islamischer Extremisten. Insgesamt hänge alles noch mehr denn je von Washington ab, dem zwar die anderen Teilnehmer des Quartetts wie die Europäer, die Russen und die UNO beistehen mögen, die jedoch ohne die Amerikaner nichts bewirken können.

Die Syrer schließlich, so meint William Harris, seien darauf bedacht, ihren Status in der nördlichen Levante zu erhalten: sie dominierten den Libanon und verhinderten dort mithin eine israelische Vormacht. Auch mit Blick auf das alte Groß-Syrien aus der Mandatszeit, tendiere Damaskus zu einem geopolitischen Revisionismus, der über eine Zurückerlangung der Golan-Höhen von Israel hinausgehe (und auf eine weitere Beherrschung des Libanons hinausläuft). Seit dem 11. September 2001 spiele das syrische Regime eine zwielichtige Rolle. Einerseits habe es Washington Informationen über die al-Qaida-Gruppen geliefert. Andererseits decke es Islamisten von Hizb Allah, Hamas und Islamic Jihad. Zudem pflege Damaskus seine traditionellen Beziehungen mit dem Regime im Iran und wolle auch sein Verhältnis zu Ankara verbessern, aber ohne den Anspruch auf den Raum Alexandrette preiszugeben.

Die Bilanz von William Harris fällt ernüchternd aus. Die Zukunft der Levante hänge von einer sich bewegenden Kombination aus Machtbeziehungen, von unvorhersehbaren Ereignissen und von der Qualität von Führungspersönlichkeiten ab. Im globalen Zusammenhang lasse der Mangel an politischem Willen eine Regelung des arabisch-israelischen Zwists durch die UNO oder durch die Europäische Union als sinnlos erscheinen. Deutschland, Frankreich, Russland und China zeigten wenig dahingehende Neigungen. Vielmehr hätten sie die Tendenz, autoritäre Regimes zu besänftigen und dabei von der Erhaltung des Status quo im Nahen und Mittleren Osten zu profitieren.

William Harris hat die beste englischsprachige Einführung zur Levante geschrieben. Er belebt dabei einen Begriff, mit dem der Leser über die engen ethnischen und nationalen Grenzen hinaus die bizarre Schönheit und den historischen Reichtum dieser Region wieder entdecken kann. Levante ist ein kulturträchtiger und produktiver Begriff, der den Bogen aus der Frühzeit über das Mittelalter in die Moderne spannt. Das Buch, dessen Einband Maria Madonna Davidoff so trefflich koloriert hat, kann mit seinen fairen Übersichten und persönlichen Einschüben nun als der moderne Überblick zur Levante gelten.

Anmerkungen:
1 Reichsluftfahrtministerium (Hg.), Luft-Navigationskarte in Merkartorprojektion, Vorderasien, 1941, Gesamtherstellung Georg Westermann, Braunschweig-Berlin, Maßstab 1:200000, vorl. Ausgabe: Bei der Wahl der Bezeichnung États du Levant spielte 1941 sicher die Rücksicht auf das Vichy-Regime als Partner Berlins eine Rolle ebenso wie die sich bereits abzeichnende Nationsbildung in diesem Raum.
2 Aus osmanischen und venezianischen Quellen zur Sozialgeschichte der Küste und zur mamlukischen Bewegung, die christliche Küstenstädte als Bastionen der Kreuzfahrer zerstörte, vgl. auch Fuess, Albrecht, Verbranntes Ufer. Auswirkungen mamlukischer Seepolitik auf Beirut und die syro-palästinensische Küste (1250-1517), Leiden 2001.

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