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Titel
Köln im Kaiserreich 1871–1918.


Autor(en)
Mergel, Thomas
Reihe
Geschichte der Stadt Köln 10
Erschienen
Anzahl Seiten
567 S.
Preis
€ 60,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Horst Sassin, Wissenschaftliche Kommission, Bergischer Geschichtsverein

Thomas Mergels Geschichte der Stadt Köln im zweiten deutschen Kaiserreich beschreibt die Entwicklung von der flächenmäßig kleinsten zur größten deutschen Großstadt, verbunden mit dem infrastrukturell entscheidenden Fall der Stadtmauer, der großzügigen Stadtplanung, der Herausbildung des Munizipalsozialismus und der Transformation der politisch dominanten Kräfte. Neben kommunalen werden auch staatliche Instanzen sowie religiöse und im weitesten Sinn kulturelle Entwicklungen in den Blick genommen. Der mit der rheinischen Regional- und der Kölner Kommunalgeschichte vertraute Autor will die in der Literatur wenig beachtete Epoche Kölns ansatzweise als Paradebeispiel herausstellen.

Mergel bekommt die dramatische Entwicklung Kölns von einer rheinischen Handelsstadt im Korsett des Militarismus zur Handels-, Industrie- und Dienstleistungsmetropole in vier chronologischen Teilen und 21 Sachkapiteln sicher in den Griff. Die Bruchlinie verläuft in den 1880er-Jahren, wo mit der Entfestigung der bisherigen Festungsstadt die Stadterweiterung beginnt, zunächst durch die Errichtung der die Altstadt umringenden durchgeplanten Neustadt, später durch die Erweiterung um Industrievorstädte und Bauerndörfer, verbunden mit der Professionalisierung der bisher von ehrenamtlichen Beigeordneten geleisteten Verwaltung. Mergel verdeutlicht, wie erfolgreich die Kölner Stadtspitze mit der Anwerbung spezialisierter Experten aus anderen preußischen Städten war. Der Hang zur traditionellen Ehrenamtlichkeit wirkte dennoch nach, bis die letzten ehrenamtlichen Beigeordneten um die Jahrhundertwende vor der Komplexität und Zeitaufwändigkeit ihner Aufgaben kapitulierten.

Vor und auf der Bruchlinie ist der Kulturkampf zu verorten, der die katholisch geprägte Stadt spürbar betraf, aber, wie der Verfasser nachweist, trotz ultramontaner Massenmobilisierung vom liberal-katholischen Bürgertum aufgefangen und, begünstigt von der preußischen Schutzzollgesetzgebung, zurückgefahren wurde. Die preußische Kulturkampfgesetzgebung machte auch in den katholischen Kirchengemeinden Laiengremien erforderlich, die schon bald mit nur noch geringer Wahlbeteiligung besetzt wurden. Im Schulwesen mussten die Kölner Stadtverordneten, die für Simultanschulen eintraten, sich der Regierungsweisung fügen und konfessionell einheitliche Schulbezirke schaffen, mit denen die Regierung die protestantische Erziehung im katholischen Rheinland zu sichern beabsichtigte. Insofern führte die Entklerikalisierung des Schulsystems, wie Mergel erläutert, paradoxerweise zu seiner Konfessionalisierung. Ganz andere Akzente setzte die Stadt Köln bei zwei „Leuchttürmen“ (S. 264) der Bildungspolitik. Ein Mädchengymnasium entstand zunächst durch Privatinitiative, wurde nach wenigen Jahren aber in städtische Regie übernommen. Die Handelshochschule, deren Errichtung der Provinziallandtag abgelehnt hatte, schuf die Stadt auf eigene Kosten. Dieses stark expandierende Erfolgsmodell wurde Keim der 1919 gegründeten Universität.

Im Vergleich mit dem Kulturkampf, der der katholischen Zentrumspartei eine hegemoniale Stellung in der dritten und später in der zweiten Wählerklasse verschaffte, wirkten die Sozialistengesetze nicht im gleichen Maß förderlich für die Sozialdemokratie. Die Partei wurde rigoros unterdrückt, aber ein harter Kern fungierte als Hauptverteilerstelle für die Untergrundzeitung Der Sozialdemokrat, jedoch konnte sie – im Gegensatz zur Darstellung des Verfassers – bei Wahlen nicht kandidieren, bedingt durch das Persönlichkeitswahlrecht statt des Verhältniswahlrechts. Jenseits der Partei wurden in den frühen 1880ern gewerkschaftliche Fachvereine, sozialdemokratische Krankenkassen und Bestattungsvereine geduldet, und schon 1888, zwei Jahre vor dem Fall des Sozialistengesetzes, erschien die Kölner Arbeiterzeitung, was einen Eindruck wachsender Toleranz gegenüber der sozialistischen Arbeiterbewegung vermittelt. Zwar gewann die SPD bei Wahlen rund ein Drittel der Stimmen, aber aufgrund des Wahlrechts keine Mandate. Die Liberalen, die ursprünglich die Kommunalpolitik bestimmten und bis zum Ende des Kaiserreichs die erste Wählerklasse hielten, verloren die beiden anderen Wählerklassen. An dieser Stelle sei die differenzierte Darstellung der Entwicklung des Dreiklassenwahlrechts – auch mittels Tabellen – hervorgehoben.

Die dichte Bebauung der Kölner Altstadt, von der 1877 nur sechs Hektar unbebaut waren, wurde mit einschneidenden Maßnahmen an die Bedürfnisse des modernen Verkehrs angepasst. Dazu diente das preußische Enteignungsgesetz von 1874, das in Verbindung mit dem Fluchtliniengesetz die Stadtplanung und Urbanisierung, speziell den Abriss und die Errichtung von Häuserblocks und die Straßenführung erleichterte. Mergel legt immer wieder den Finger in die Wunde, was Lehren für die jetzige Zeit erlaubt. Er registriert maßlose Renditen von über 50 Prozent in der Gründerkrise und Bodenspekulation im Kontext der Eingemeindung des Glacis, sodass Spekulanten Gewinne erzielten, während die Endkunden von den moderaten städtischen Grundstückspreisen nicht profitierten. Auch weist er die unterschiedliche Versorgung der neu eingemeindeten Stadtteile nach; während Stadtteile wohlhabender Bürger – darunter die kleine Gruppe Schwerreicher, ein Viertel der 100 reichsten Bürger der Rheinprovinz – bestens versorgt und angebunden waren, setzte die Stadt ihre vertraglich vereinbarten Ansprüche auf eine Pferdebahnlinie in ein Arbeiterviertel nicht durch. Die Stadtplanung diente gleichwohl der Minderung sozialer Konflikte, wozu Mergel einen aufschlussreichen Vergleich anstellt. Während der Kölner Stadtplaner Stübben dabei auf Segregation der sozialen Schichten setzte, zielte sein Berliner Pendant Hobrecht auf die Durchmischung mit abnehmender sozialer Stellung stockwerkweise und gleichfalls vom Vorderhaus zu den um mehrere Höfe gestaffelten Hinterhäusern. Diese unterschiedlichen Konzeptionen bewirkten auch, dass in Köln drei Prozent der Grundstücke mehr als 60 Bewohner aufwiesen gegenüber 60 Prozent in Berlin. Dennoch waren viele sozial schlechter gestellte Kölner Einwohner auf der Suche nach einer adäquaten Wohnung, wie die überaus hohe innerstädtische Umzugsquote von 43 Prozent der Einwohner im Beispieljahr 1906 zeigt, eine Quote, die weitaus höher liegt als Zuzüge nach und Wegzüge aus Köln zusammen.

Der enormen Bedeutung der modernisierten Verkehrsführung in einer Großstadt wie Köln widmet Mergel sich umsichtig. Vor 1914 konkurrierten erste, mit Benzin und elektrisch betriebene Autos konfliktträchtig mit Pferdefuhrwerken, Radfahrern, Fußgängern, aber auch mit Hundefuhrwerken für die Umzüge der Arbeiter. Hinzu kamen Eisen- und Straßenbahn, 1910 bis 1915 drei neue Rheinbrücken und seit der Eingemeindung von Deutz und Mülheim drei industriefähige Rheinhäfen. Für den Fernverkehr war die Eisenbahn am wichtigsten, transportierte sie doch zwischen Köln und Antwerpen ein Vielfaches der Schiffsgüter. Das rechtfertigte den Beschluss von 1903, anstelle des alten Centralbahnhofs den neuen Hauptbahnhof mit einer der größten Haupthallen Europas zu errichten.

Der preußische Militarismus wirkte sich in besonderem Maße auf die Stadt Köln aus, weil sie aus Berliner Sicht besonderen Schutz vor den französischen Revanchegelüsten erforderte. So wurde die Stadt die zweitgrößte Garnisonsstadt Preußens nach Berlin. Die Militärbehörden bestanden nicht nur auf der Erhaltung der Stadtmauer, sondern übten ein Vetorecht bei der Stadtplanung und -organisation aus. Gegen die verbesserte Artillerie wurde die Stadt von einem zusätzlichen Ring von Forts weiter eingeschnürt. Erst aufgrund der Stadterweiterung wurden die Kasernen aus der Innenstadt verlegt. Selbst bei der Schreibung des Stadtnamens hatte das Militär Einspruchsrecht, sodass es entgegen dem Willen der Stadtverordneten beim anlautenden C blieb. Das änderte sich erst unter britischer Besatzung. Dennoch ermittelt Thomas Mergel einen schon seit der Reichsgründung dominierenden preußisch-deutschen Nationalismus als politische Grundhaltung der Bürgerschaft. Obwohl die Bedeutung des Ersten Weltkriegs für die Kölner Stadtgeschichte noch wenig erforscht ist, gelingt ihm eine differenzierte Darstellung der militärischen, wirtschaftlichen, sozialen und administrativen Auswirkungen des Krieges. Köln war eine Hochburg der Burgfriedenspolitik und erlebte eine ruhige, pragmatisch organisierte Revolution, allerdings kam es im Krisenjahr 1917 vermehrt zu Streiks, bei den Metallarbeitern mit dem erstmalig vereinbarten Tarifvertrag als Resultat.

Die Darstellung gewinnt durch den Wechsel der Adler- mit der Froschperspektive an Lebendigkeit. Da wichtige Bestände wegen des Einsturzes des Historischen Stadtarchivs nicht verfügbar waren, mussten vornehmlich die Literatur, aber auch andere Archive die erforderliche Basis für eine Synthese der Forschungen bis 2014 schaffen. Die teilweise großformatigen Abbildungen vermitteln einen vertiefenden Eindruck von den thematisierten Entwicklungen. Ein differenziertes Werk von hoher Verständlichkeit.

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