A. Schmidt: Katholisch und emanzipiert

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Titel
Katholisch und emanzipiert. Elisabeth Gnauck-Kühne und Pauline Herber als Leitfiguren der Frauen- und Mädchenbildung um 1900


Autor(en)
Schmidt, Anna-Maria
Reihe
Sofie. Schriftenreihe zur Frauenforschung 22
Erschienen
Anzahl Seiten
179 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Maria Anna Zumholz, Universität Vechta

Der „Gedanke der Frauenemanzipation [ist] mit den Grundanschauungen der katholischen Kirche unvereinbar“, behauptete die bedeutende bürgerliche Frauenrechtlerin Gertrud Bäumer im einflussreichen Handbuch der Frauenbewegung, denn laut „katholischer Auffassung“ sei die Frau dem Mann sozial untergeordnet.1 Das sah ihre Kollegin Elisabeth Gnauck-Kühne völlig anders, für sie war die katholische Kirche gar ein Hort der Emanzipation, weil sie die Geschlechterrolle der Frau nicht auf die Bestimmung zur Ehefrau und Mutter reduzierte, sondern auch unverheiratete, jungfräulich lebende Frauen wertschätzte und Frauen somit eine Wahl zwischen einer Ehe und einem ehelosem Leben gestattete. Diese Einstellung der katholischen Kirche war ein wesentliches Motiv für die Konversion von Gnauck-Kühne.

„Katholisch und emanzipiert“ nennt Anna-Maria Schmidt ihre Studie über „Elisabeth Gnauck-Kühne und Pauline Herber als Leitfiguren der Mädchen- und Frauenbildung um 1900“. Beide Frauen waren ursprünglich als Lehrerinnen tätig, repräsentieren jedoch unterschiedliche Facetten des katholischen Bildungswesens und der konfessionellen Frauenbewegung. Anna-Maria Schmidt charakterisiert Elisabeth Gnauck-Kühne als „Gründerin einer christlichen Frauenbewegung“ (S. 94–97) und Pauline Herber als „Leitfigur“ des „Vereins katholischer deutscher Lehrerinnen“ (S. 144–146).

Vor ihrer Konversion zur katholischen Kirche hatte sich Elisabeth Gnauck-Kühne in der evangelischen Frauenbewegung engagiert, die „Evangelisch-Soziale Frauengruppe“ gegründet und auf dem Evangelisch-Sozialen Kongress in Erfurt 1895 als erste Frau das Hauptreferat über „Die soziale Lage der Frau“ gehalten. Nach der Konversion war sie an der Gründung des „Katholischen Deutschen Frauenbundes“ beteiligt und nahm über ihre wissenschaftlichen Studien konfessionsübergreifend Einfluss auf die Frauenbewegung. Indem sie sich in ihren Vorträgen und Veröffentlichungen statistischer Methoden bediente und ihre Argumente somit auf eine wissenschaftliche Basis stellte, weckte sie in einer breiten Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die sozialen Probleme von Frauen. So stellte sie in ihrer Studie „Die deutsche Frau um die Jahrhundertwende“ (1904) fest, dass die Mehrzahl der Frauen unter 30 Jahren und über 50 Jahren entweder unverheiratet oder schon wieder Witwe war und die Ehe somit keine lebenslange Versorgungsinstitution für Frauen darstellte. Daher forderte Elisabeth Gnauck-Kühne eine für alle Frauen verpflichtende duale Ausbildung, die Frauen für beide Lebenssituationen, für den „Hausmutterberuf“ und für eine außerfamiliäre Berufstätigkeit, qualifizieren sollte.

Mit ihren Ansichten zur Geschlechterordnung beschritt sie eine auffällig ambivalente Gradwanderung. Sie leugnete einerseits die von dem katholischen Redemptoristen und Spezialisten für Frauenfragen, Augustin Rösler, in seinem Beitrag „Weib“ in „Wetzer und Welte’s Kirchenlexikon“ vertretende Auffassung, die Frau sei dem Mann grundsätzlich sozial untergeordnet (Schmidt, S. 80). Andererseits sprach sie sich unter Berufung auf die Schutzbedürftigkeit der Ehefrau und Mutter für eine – freiwillige – Unterordnung der Frau unter den Mann in der Ehe aus. Elisabeth Gnauck-Kühne scheute nicht davor zurück, ihre Kontroverse mit Rösler öffentlich in der Kölnischen Volkszeitung auszutragen und beharrte somit auf ihrer eigenen Deutungshoheit gegen klerikale Bevormundung.

Pauline Herber kommt das Verdienst zu, 1885 mit dem „Verein katholischer Lehrerinnen“, seit 1889 „Verein katholischer deutscher Lehrerinnen“, den ersten und bis heute existierenden katholischen Standesverein für Frauen ins Leben gerufen, ihn lange Jahre als Vorsitzende geleitet und zudem wesentliche Anstöße zur Gründung des „Katholischen Deutschen Frauenbundes“ gegeben zu haben. Sie konzipierte eine Organisation, die sich sowohl der Professionalisierung des Lehrerinnenstandes als auch der sozialen und nicht zuletzt der persönlichen Probleme ihrer Mitglieder in Krankheit und Alter annahm. Im „Verein katholischer deutscher Lehrerinnen“ wurden selbstbewusste Frauen sozialisiert, die unter anderem auf politischer Ebene nach der Einführung des aktiven und passiven Wahlrechts die Interessen von Frauen vertraten.

Die Studie von Anna-Maria Schmidt stellt eine erweiterte Fassung ihrer Staatsexamensarbeit dar, die in zusammengefasster Form 2015 in der Zeitschrift „Ariadne“ erschienen ist.2 Sowohl für Elisabeth Gnauck-Kühne als auch für Pauline Herber liegen keine aktuellen wissenschaftlichen Biographien vor, die ihrem jeweiligen Lebenswerk gerecht werden. Die Studie von Anna-Maria Schmidt schärft den Blick für das bedeutende emanzipatorische Potential dieser katholischen Frauen und der von ihnen geprägten katholischen Frauenbewegung. Immerhin vertrat Gisela Notz noch 2017 in ihrer Rezension von Regina Illemanns Dissertation „Katholische Frauenbewegung in Deutschland 1945–1962. Politik, Geschlecht und Religiosität im Katholischen Deutschen Frauenbund“ die Ansicht, dass „man sich sogar darüber streiten [könne], ob kirchliche Frauenverbände überhaupt zu den Frauenbewegungen zu rechnen sind“, weil ihnen „nicht per se ein Veränderungswille hin zu einer geschlechtergerechten Gesellschaft unterstellt werden“ könne.3 Abgesehen davon, dass Frauenverbände wie der „Katholische Deutsche Frauenbund“ und der „Verein katholischer deutscher Lehrerinnen“ keine kirchlichen, sondern katholische Vereine darstellen, verstanden sich diese dezidiert als Teil der bürgerlichen Frauenbewegung.

Leider wird jedoch der zentrale Begriff der Emanzipation, der zeit- und konfessionsgebunden unterschiedlich definiert wurde und wird, nicht problematisiert, was unter anderem zur Folge hat, dass im abschließenden Fazit „Gratwanderung zwischen katholischer Tradition und weiblicher Emanzipation“ nicht widerspruchsfreie Beurteilungen zu finden sind: „Einzig in der Frage des Lehrerinnenzölibats besaßen die Frauen eine der Emanzipation abgewandte Einstellung“, heißt es auf Seite 160, während zwei Seiten weiter hervorgehoben wird, das sich Gnauck-Kühne und Herber dieses „jungfräuliche Lebensideal […] in einem emanzipatorischen Sinne, der rechtlichen und finanziellen Unabhängigkeit von Mann, zu eigen“ machten.

Außerdem sei auf einige Ungenauigkeiten hingewiesen: Helene Lange richtete 1889 in Berlin keine Gymnasialkurse ein, sondern sie war Mitinitiatorin und Leiterin sogenannter Realkurse, die anschließend 1893 in Gymnasialkurse umgewandelt wurden (S. 31). Diese Gymnasialkurse sollten der Vorbereitung auf ein deutsches Abitur dienen, 1896 legten die ersten sechs Schülerinnen am königlichen Luisengymnasium in Berlin ihre Reifeprüfung ab. Die „Ausbreitung des gemeinschaftlichen Lebens von Katholikinnen“ in Orden und Kongregationen scheiterte Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts nicht allein an den „Ideen der Aufklärung, Säkularisation und […] Bestrebungen der französischen Revolution“, sondern war auch eine Folge des mit der Auflösung von Klöstern verbundenen Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 (S. 44–45).

Insgesamt bieten die Ausführungen von Anna-Maria Schmidt mit ihrem Aufmerksamkeit erregenden Titel eine gut lesbare Einführung in die Thematik und wecken das Interesse an einer vertieften Auseinandersetzung mit Protagonistinnen der katholischen deutschen Frauen(bildungs)bewegung.

Anmerkungen:
1 Gertrud Bäumer, Die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland, in: Helene Lange / Gertrud Bäumer (Hrsg.), Handbuch der Frauenbewegung, Teil I, Die Geschichte der Frauenbewegung in den Kulturländern, Berlin 1901, S. 1–166, hier S. 165.
2 Anna Maria Schmidt, Pauline Herber und Elisabeth Gnauck-Kühne. Führende Persönlichkeiten nicht nur der katholischen Frauen(bildungs)bewegung, in: Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung seit 150 Jahren. Ein Grund zu feiern, zu erinnern und Geschichte(n) zu erzählen. Ariadne, Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte, 67–68 (2015), S. 110–118.
3 Gisela Notz, Rezension zu: Regina Illemann, Katholische Frauenbewegung in Deutschland 1945–1962. Politik, Geschlecht und Religiosität im Katholischen Deutschen Frauenbund, Paderborn 2016, in: H-Soz-Kult, 07.02.2017, https://www.hsozkult.de/review/id/rezbuecher-26418 (20.02.2019).

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