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Titel
Zielobjekt Rechts. Wie die Stasi die westdeutsche Neonaziszene unterwanderte


Autor(en)
Förster, Andreas
Erschienen
Anzahl Seiten
264 S.
Preis
€ 18,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Enrico Heitzer, Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen / Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten

Über die Erkenntnislage zur extrem rechten „Szene“ in der Bundesrepublik und West-Berlin, über Verbindungen in entsprechende Milieus oder gar über eine angebliche oder tatsächliche heimliche Steuerung von militanten Neonazis und Rechtsterroristen durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR gibt es einige zum Teil sehr starke Thesen.1 Bis auf die MfS-Unterlagen zum Münchner Oktoberfest-Attentat, die Verbindung mit dem Rechtsterroristen Odfried Hepp und einigen anderen markanten Einzelfällen hat sich jedoch kein/e Forscher/in systematisch mit den entsprechenden Archivalien der „Stasi“, wie das MfS in der rezensierten Arbeit genannt wird, auseinandergesetzt. Diese Art der Pionierarbeit leistet auch die vorliegende Studie aus der Feder des Journalisten Andreas Förster zwar nur zum Teil. Förster macht aber eindrucksvoll darauf aufmerksam, welche Potentiale in dem Bestand stecken, der in der bisherigen Forschung nur wenig Aufmerksamkeit erhalten hat.

Der Autor stellt das bislang zu wenig beachtete „Interesse des MfS an der rechten Szene in der Bundesrepublik“ in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen: „Die Stasi sammelte Informationen über rechtsextreme und neofaschistische Parteien, Gruppen und Einzelpersonen, versuchte – teils mit Erfolg – Quellen in der Szene zu rekrutieren und diese in Einzelfällen auch noch als Einflussagenten zu nutzen, um auf geplante Aktionen steuernd einzuwirken. Doch mit welcher Absicht geschah dies?“ (S. 10) Dieser Frage geht Förster in 16 Einzelkapiteln, inklusive eines Epilogs und eines Prologs, einem Überblickskapitel über den bundesrepublikanischen Rechtsextremismus und über die Entstehung und Arbeit der Abteilung XXII des MfS nach. In einem Dutzend Kapiteln, die sich teilweise noch einmal in mehrere Fallgeschichten aufteilen, fächert Förster das Panorama solcher MfS-Aktivitäten in Richtung Rechtsextremismus auf.

Nach dem Münchner Olympia-Attentat von 1972 wurde im MfS eine ständige Arbeitsgruppe „Terrorabwehr“ gegründet. In deren Folge entstand auch die Abteilung XXII, die sich seit 1975 unter anderem mit dem bundesrepublikanischen Rechtsextremismus beschäftigte. Förster konzentriert sich vor allem auf die Arbeit der Abteilungen XXII/1, die neonazistische Organisationen bearbeitete, und XXII/4, die „Feindorganisationen“ und Gruppen von Emigranten im Blick hatte, die wegen Verbindungen zu rechtsextremen Kreisen selbst als rechtsextrem und/oder militant antikommunistisch galten.

Die Darstellung beginnt mit der Ausspähung der Partei „Die Republikaner“. Deren West-Berliner Vorsitzender Bernhard Andres behauptete am 13. August 1989, dem 28. Jahrestag des Mauerbaus, dass auf der anderen Seite der Mauer, im Prenzlauer Berg, ein erster REP-Kreisverband gegründet worden sei (S. 51). Diese „fake news“, wie Förster es nennt, habe für „Feuer unter dem Dach in der Normannenstraße“ und hektische Aktivitäten gesorgt. Es folgen Kapitel über den rechtslastigen CDU-Politiker Heinrich Lummer, den „Lieblingsfeind der Stasi“, den Reichsbürger Wolfgang Ebel und seine Anhängerschaft in West-Berlin, über die Kooperation der rechtsextremen türkischen „Grauen Wölfe“ mit der bis heute – auch im Bereich der DDR-Aufarbeitung – aktiven „Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte“ sowie über „eine Gruppe rechtsradikaler DDR-Gegner“, zu der auch der 1976 an der Grenze beim versuchten Abbau einer Selbstschussanlage erschossene Michael Gartenschläger gehört habe (S. 97). Dem „Rechtsextremisten Joachim Wünscher“ und „dessen Kumpan Lothar Lienecke“ von der „Gartenschläger-Gruppe“ (ebd.) widmet Förster ein eigenes Unterkapitel, weil die beiden als „Selbstanbieter“ auf das MfS zugingen und sich als Agenten anwerben ließen. Angeblich wurden sie vor allem von Rachegedanken angetrieben: „Die beiden hofften, den Verräter in ihren Reihen zu identifizieren, der ihren Freund Michael Gartenschläger dem Stasi-Killerkommando ausgeliefert hatte, oder zumindest hochrangige Stasi-Offiziere in den Westen locken zu können, um sie zu entführen“ (S. 102). Ein weiteres Kapitel dreht sich unter der Überschrift „007 für Ost und West“ um den dubiosen Nachrichtenhändler Herbert Frauenhuber, der auch für den Verfassungsschutz und den italienischen Geheimdienst Sismi tätig war. Weitere Episoden widmen sich dem Terroristen Udo Albrecht, der Beobachtung der Neonazi-Führungsfigur Michael Kühnen, dem Überläufer Odfried Hepp oder dem „Möchtegern-Terroristen“ (S. 208) Werner Kley. Von Interesse für das MfS war dieser „vor allem wegen seiner Einbettung in eine militante, von rechtsextremistischen Einzelpersonen durchsetzte Szene aktionsorientierter DDR-Dissidenten“, in deren Zusammenhang der Autor unter anderen Bernd Moldenhauer, Axel Heinzmann und Olaf Kappelt namentlich erwähnt (S. 207).

Förster beantwortet seine Leitfrage eindeutig: Die MfS-Akten der Abteilung XXII belegten nicht den „immer mal wieder erhobene[n] Vorwurf, die Stasi habe in irgendeiner Weise steuernden Einfluss auf die Neonazi-Bewegung in der Bundesrepublik genommen“. Es sei gleichwohl „in Einzelfällen“ gelungen, „geplante Anschläge etwa auf die innerdeutsche Grenze oder staatliche Einrichtungen in Ost-Berlin durch den gezielten Einsatz von IM zu verhindern“ (S. 231). Im Fokus hätte zudem das Agieren der westlichen Sicherheitsbehörden in der rechtsextremen Szene gestanden. Dass deren Blick auf rechte politische Kriminalität mitunter stark getrübt war, sei auch dem MfS aufgefallen.

Der Autor liefert mit dem Buch eine Art Steinbruch, auf den spätere Forschungen zurückgreifen können. Wenn wiederholt zu lesen ist, dass Geheimdienste wie der BND, vor allem aber einzelne Verfassungsschutzämter die entsprechenden Akten bislang unter Verschluss hielten oder auf Nachfrage deren Vernichtung behaupten, zeigt er auch immer wieder Grenzen auf. Besonders deutlich wird das Problem etwa in den Abschnitten über Kühnen oder das „Bombenhirn“ Peter Naumann. Von Ersterem nahm das MfS aufgrund operativer Erkenntnisse an, dass er sich mit dem LfV Niedersachsen eingelassen haben könnte. Die Erkenntnisse über Naumann wiederum könnten Förster zufolge „die bis heute von mehreren Journalisten und Publizisten vertretene These stützen“, dass der offiziell als rechtsextremer Einzeltäter gezeichnete Heinz Lembke die 1981 in der Nähe von Uelzen entdeckten 33 Erddepots mit Waffen und Ausrüstung „als Angehöriger einer vom BND gesteuerten ‚Stay-behind-Organisation‘ [...] angelegt“ haben könnte (S. 189). Das Buch ist insofern ein Plädoyer für die Öffnung bundesdeutscher Geheimdienstarchive nach gewisser Frist.

Aus den zitierten Stellen ist deutlich geworden, dass der Schreibduktus mitunter wenig wissenschaftlich, sondern eher als journalistisch einzuordnen ist. Das gilt auch für den Untertitel des Buches, der etwas reißerisch von der „Unterwanderung“ der Neonaziszene Westdeutschlands spricht, obwohl das Buch teilweise eher auf das Gegenteil hindeutet – dass es dem MfS eben trotz Bemühungen nicht gelang, in bestimmten Kontexten Fuß zu fassen. Die analytischen Anteile der Arbeit sind viel zu kurz geraten und zum Teil selbst kritikwürdig. So macht Förster für die DDR-Szene etwa recht eindimensional als „Grund für das Abgleiten der überwiegend jungen Leute in eine von Rassismus, Nationalismus, Antikommunismus und Antisemitismus geprägten [sic] Subkultur [...] die Ablehnung der offiziellen Staatspolitik“ aus. In der DDR habe ab Mitte der 1970er-Jahre „die junge Generation auf Stagnation und Verfall des politischen und wirtschaftlichen Systems mit der Abwendung vom SED-Staat und der – vermeintlichen – sozialen Homogenität der Gesellschaft“ reagiert (S. 13).

Auch wenn sich mehrere der Kapitel implizit oder explizit aufeinander beziehen, reißt das Buch viele Problemkreise lediglich an, führt diese aber oft kaum in die Tiefe. Zum Beispiel geht es gar nicht auf mögliche Implikationen der personalen Kontinuität des Mielke-Stellvertreters Bruno Beater ein: Dieser war in den 1950er-Jahren eine führende MfS-Figur bei der Bekämpfung von militanten antikommunistischen Gruppierungen wie der „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ (KgU) gewesen und stand dann in den 1970er-Jahren mit an der Wiege der Arbeitsgruppe „Terrorabwehr“, der Keimzelle von Abteilung XXII. Trotzdem lässt die Arbeit erahnen, wie ergiebig die Arbeit an einer integrierten deutsch-deutschen Verflechtungsgeschichte des post-nationalsozialistischen Rechtsextremismus sein könnte. Wenn man, wie der Autor dieser Rezension, dafür plädiert, den „Arbeiter- und Bauernstaat“ stärker als Post-NS-Gesellschaft zu betrachten und auch in dieser Hinsicht vergleichend mit der alten Bundesrepublik zu historisieren, liegt es auf der Hand, die Entwicklungen im Feld des Rechtsextremismus in den Teilstaaten stärker aufeinander bezogen in den Blick zu nehmen als bisher. Gänzlich unerforscht ist beispielsweise der Umstand, dass es sich bei mehreren Rechtsterroristen oder Führungsfiguren der bundesrepublikanischen Szene der 1970er- und 1980er-Jahre um ehemalige DDR-Bürger handelte, die durch Flucht oder Häftlingsfreikauf in den Westen gelangt waren. Im Buch tauchen einige von ihnen auf.

Einerseits liegt mit dem Buch ein sehr gut lesbarer Text vor, der viele Impulse für künftige Forschungsprojekte bietet. Andererseits sind die Analysen zu wenig tiefgründig und verbleiben allzu oft im eher anekdotischen Bereich. Trotzdem wird keine künftige wissenschaftliche Tiefenbohrung in diesem Feld an dem grundlegenden Werk vorbeikommen.

Anmerkung:
1 Regine Igel, Terrorismus-Lügen. Wie die Stasi im Untergrund agierte, München 2012.

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