K. M. Mallmann: Kommunisten in der Weimarer Republik

Titel
Kommunisten in der Weimarer Republik. Sozialgeschichte einer revolutionaeren Bewegung


Autor(en)
Mallmann, Klaus Michael
Erschienen
Anzahl Seiten
552 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marcel Boldorf, Universitaet Mannheim

Mallmann legt in seiner Essener Habilitationsschrift ein Konzept vor, das den Weimarer Kommunismus als politisch-soziale Bewegung erfassen will. Dabei greift er auf eine soziologische Analysemethode von Rainer Lepsius zurueck, die sozialmoralische Milieus unterscheidet. Ein solches Milieu konstituiert sich durch eine spezifische Kombination von Merkmalen (Elementen sozialer Destinktion) wie Religionszugehoerigkeit, regionale Tradition, wirtschaftliche Lage oder kulturelle Orientierung. Mallmanns Untersuchung gilt dem "kommunistischen Milieu", das er neben anderen, z.B. dem katholischen oder sozialdemokratischen Milieu identifiziert. Die Kategorie "Milieu" laeuft dabei quer zur parteibezogenen Organisations- und Programmgeschichte sowie zur oekonomisch begruendeten Einteilung in Klassen. Dieses Schema zur Erfassung der Gesamtgesellschaft erscheint mir interessant, weil die genaue Verortung des Individuums offen bleibt: Es ist denkbar, dass eine Person verschiedenen Milieus angehoert.

Die Arbeit beschraenkt sich nicht auf diesen innovativen Blickwinkel. Von ihrem eigenen Anspruch her moechte sie die Geschichte der Weimarer KPD neu schreiben und setzt sich in scharfer Form mit den diesbezueglichen Forschungen in Ost- und Westdeutschland auseinander, denen sie "auf unterschiedlich normierter politisch-gesellschaftlicher Basis" in gleicher Weise Eindimensionalitaet vorwirft: "verklaerende Hagiographie als fortschreitende Aneignung des Leninismus auf der einen und Fernsteuerung auf der anderen Seite" (S. 2). Letzterer Kritikpunkt bezieht sich auf das "Stalinisierungs"-Modell Hermann Webers, dem er nicht nur die Fixiertheit auf die Politik der Parteifuehrung in Berlin bzw. Moskau vorhaelt, bei dem der Blick auf Kommunismus als soziale Bewegung zu kurz kommt. Er kritisiert auch die Aussenlastigkeit der Begriffsbildung. Stalinisierung mache Stalin persoenlich fuer die Entwicklung zentralistischer Strukturen verantwortlich. Aehnlich wie es Loth unlaengst fuer die Fruehphase SBZ/DDR tat (Wilfried Loth, Stalins ungeliebtes Kind: warum Moskau die DDR nicht wollte, Berlin 1994), lenkt er den Blick auf die innerparteilichen Konstellationen in der KPD. Sie seien es gewesen, die zum zentralistischen Umbau gefuehrt haetten, zumal sich Stalin 1925 erstmals in deutsche Angelegenheiten eingemischt habe (S. 68).
Das gesamte erste Grosskapitel (S. 18-83) zu den innerparteilichen Weichenstellungen (1918-1923) kann als Beispiel dafuer gelten, wie wichtig Mallmann eine Revision der bisherigen Forschungen ist. In diesem Abschnitt bezieht er allerdings die von ihm erschlossenen Quellen auf lokaler Ebene, die den Blick auf die Basis lenken sollen, ueberhaupt nicht ein. Zur Zeichnung des Milieus geht er allmaehlich in den folgenden Kapiteln ueber, die sich mit der Binnenstruktur der Partei, den Parteimedien, der Abgrenzung zu anderen sozialen Milieus und dem utopischen Gehalt der kommunistischen Ideologie in der Weimarer Zeit auseinandersetzen. Hier beginnt seine Quellenbasis sich zu erweitern: Neben gedrucktem Material, wie Flugblaettern, Parteitagsberichten und zeitgenoessische Zeitschriften, wertet er die Akten der Berliner Parteifuehrung, einen umfangreichen Bestand an lokal- und regionalgeschichtlicher Literatur sowie Autobiographien aus. Die von ihm zum ersten Mal fuer eine solche Untersuchung erschlossene Quellenbasis sind saarlaendische Kreis- und Stadtarchive sowie die oral history-Befragung von Zeitzeugen. Aus Opportunitaetsgruenden waehlte er fuer eine Mikroanalyse ausgerechnet das Saargebiet aus, das in der Zwischenkriegszeit als Voelkerbundsmandat gar nicht zum Deutschen Reich gehoerte und aufgrund seiner ueberwiegend katholischen Bevoelkerung nicht die konfessionelle Zusammensetzung Deutschlands widerspiegelte. Wenn er die Saar dennoch als repraesentativ herausstellt, verkennt er, dass er aufgrund der besonderen regionalen Situation, die bei der Analyse sozialmoralischer Milieus als Element sozialer Destinktion herauszustellen ist, eher ein spezifisches, denn ein allgemeingueltiges Bild entwirft.

Bei seinem Blick ins Innenleben der KPD deckt Mallmann auf, wie wenig monolitisch sie war und wie stark Traditionslinien der wilhelminischen Arbeiterbewegung nachwirkten. Die KPD-Mitglieder, ueber die er das Milieu zu erfassen sucht, seien potentielle "Revolutionaere in nicht-revolutionaerer Zeit" gewesen, Revolutionaere im Wartestand, mit einer Utopie, die die herrschende Gesellschaftsordnung transzendierte, die aber in den 1930er Jahren erheblich broeckelte (S. 390). Im Alltag haetten Anpassung, Kompromiss und die Nutzung ihrer Partizipationschancen im lokalen Kontext im Vordergrund gestanden, so seien sie "Sozialdemokraten wider Willen" gewesen. Ein scharfer Gegensatz habe dabei nicht zur Sozialdemokratie, sondern eher zum Buergertum und Katholizismus bestanden, d.h. dem Milieu, das "rituell und lebensweltlich im katholischen Ghetto eingebunden war und in diesem parochialen Korsett seine normativ-mentalen Praegungen empfing" (S. 283), um eine der Mallmann'schen Formulierungen zu zitieren. Sie steht stellvertretend fuer einen journalistisch-essayistisch gepraegten Stil, der seine langjaehrige Taetigkeit als Fernsehjournalist beim Saarlaendischen Rundfunk erkennen laesst.
Mallmanns Untersuchung ist keine quantifizierende Arbeit, die etwa im Sinne der Historischen Sozialwissenschaft zu empirischen Ergebnissen gelangt. Dies wirkt sich an mancher Stelle nachteilig aus, wo der Autor aufgrund fehlenden Materials auf Spekulationen ausweicht (z.B. S. 44). Seine Quellen sind vielmehr bunt gestreut, beziehen manches alltagsgeschichtliche Detail ein und zeichnen auf diese Art ein Kolorit der 1920er Jahre, das "die Kommunisten von damals" besser verstehen lehrt.

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