M. Jarząbek: Legioniści i inni

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Titel
Legioniści i inni. Pamięć zbiorowa weteranów I wojny światowej w Polsce i Czechosłowacji okresu międzywojennego


Autor(en)
Jarząbek, Marcin
Erschienen
Anzahl Seiten
312 S.
Preis
PLN 35,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Natali Stegmann, Geschichte Südost- und Osteuropas, Universität Regensburg

Die vorliegende Studie mit dem Titel „Legionäre und Andere. Kollektives Gedächtnis der Veteranen des Ersten Weltkriegs in Polen und der Tschechoslowakei in der Zwischenkriegszeit“ widmet sich dem Platz des Ersten Weltkriegs in der Erinnerungspolitik der mit dessen Ende neu gegründeten Staaten. Ausgehend von dem Phänomen der Legionärsverbände, welche sowohl in Polen als auch in der Tschechoslowakei als Vorkämpfer der Republik galten, verfolgt der Verfasser die These einer grundlegend anderen geschichtskulturellen Ausgangslage im von ihm untersuchten „neuen“ gegenüber dem westlichen („alten“) Europa. Weil in Ostmitteleuropa der Erste Weltkrieg ein Staatsgründungskrieg war, bzw. nachträglich dazu gemacht wurde, gründeten – so Jarząbek – die Länder des neuen Europa legitimationspolitisch stärker auf der nationalen Überhöhung der Vorkämpfer. Zugleich verschwanden die gewöhnlichen Soldaten, die in den Armeen der Teilungsmächte bzw. der Habsburgermonarchie gekämpft hatten, tendenziell aus dem „kollektiven Gedächtnis“.

Methodisch folgt die Studie einem strikt kulturgeschichtlichen Ansatz. Sie nimmt dabei verschiedene Formen der Narration in den Blick, nämlich solche von einzelnen Kriegsteilnehmern, solche der im und nach dem Krieg gegründeten Legionärs- und anderer Veteranenverbände, solche der Staatsgründer und der eigens gegründeten nationalen Erinnerungsstätten sowie Gesetzestexte und schließlich Populärkultur. In der Einleitung wie auch im theoretischen Anhang (aneks teoretyczny) befasst sich der Verfasser eingehend mit dem Konzept des kollektiven Gedächtnisses wie mit Studien zum Kriegsgedenken im westlichen Europa und mit vermeintlichen Abweichungen des östlichen Europas vom westlichen Vorbild. Leider finden dabei Studien etwa zu den irischen Soldaten in der britischen Armee oder zu den Soldaten aus den französischen Kolonien keine Beachtung. Dabei hätte ein Blick auf diese Gruppen von der nationalen Verengung weggeführt, die im Konzept der „Erinnerungsorte“ (Nora) und des kollektiven Gedächtnisses (Halbwachs) schon angelegt ist und der die Studie letztlich auch nicht zu widerstehen vermag.

Das erste Kapitel zu „Polen, Tschechen und Slowaken an den Fronten des Ersten Weltkrieges“ gibt zunächst einen Überblick über die Zahl der jeweiligen Kombattanten und über die Genese der Legionärsverbände; es geht dagegen nicht auf die durchaus unterschiedlichen Kriegserfahrungen der Polen, Tschechen und Slowaken ein. Im zweiten Kapitel geht es (ausgehend von der Beobachtung, dass Krieg schon vor 1914 einen Platz im kollektiven Gedächtnis hatte) anhand einiger literarischer Beispiele um die Verarbeitung der tatsächlichen Kriegserfahrungen unter Einsatz entsprechender Topoi (wie Heldenmut, Leiden als Bewährung). Kapitel drei schließlich befasst sich mit den Institutionen des nationalen Gedächtnisses, nämlich mit dem Recht, mit Veteranenorganisationen und mit den nationalstaatlichen Erinnerungsstätten (dem tschechoslowakischen Památnik odboje sowie verschiedenen polnischen Gedenkorten).

In bemerkenswerter Abweichung von der im zweiten Kapitel verfolgten Idee einer Kontinuität des kulturellen Fundus, finden rechtliche Kontinuitätslinien im dritten Kapitel nur dort Beachtung, wo es um das Vereinigungs- und Versammlungsrecht geht. Obwohl die Studie ausführlich auf die Kriegsbeschädigtenverbände eingeht, deren Status auch aus der staatlichen und rechtlichen Kontinuität insbesondere der Habsburgermonarchie erwuchs und die in beiden untersuchten Ländern die zahlenmäßig stärksten Organisationen ehemaliger Soldaten waren, ist die Behandlung dieser Gruppe methodisch ungenau. Dabei wird mit der weiteren Lektüre deutlich, dass gerade die „Kriegsopfer“ als die im Titel genannten „Anderen“ fungierten.

Wenn sich Jarząbek nämlich im vierten Kapitel dem etablierten Erinnerungskanon widmet, führt er die Unterscheidung der Anerkennung von Leid (krzywda) einerseits und von Verdienst (zasługa) andererseits ein. Der Verfasser streicht mehrfach heraus, dass das Kriegsgedenken in Polen und der Tschechoslowakei von den Legionärsverbänden dominiert wurde und somit das Gedenken der anderen Soldaten keinen Eingang in den nationalen Kanon fand; dies sei in der Tschechoslowakei seit der Staatsgründung und in Polen seit dem Piłsudski-Putsch von 1926 der Fall gewesen. Kapitel fünf fügt dieser dezidiert nationalstaatlichen Perspektive eine Lokalstudie zum (zwischen Polen und der Tschechoslowakei geteilten) Teschener Schlesien hinzu. Hier wird deutlich, dass auf beiden Seiten der Grenze nur die wenigen je national organisierten Legionäre regional übergreifend agierten, während das Kriegsgedenken sonst lokal verortet blieb und meist das Andenken an die Gefallenen in den Mittelpunkt stellte. Außer dem Resümee und dem genannten methodischen Anhang verfügt das Werk außerdem über einen Quellenanhang, eine Bibliographie und einen Sach- wie einen Namensindex.

Die Studie folgt insgesamt der erfreulichen Tendenz, dass nun auch in der Forschung zu Polen wie in der polnischen Forschung der Erste Weltkrieg alltags- und kulturgeschichtlich sowie erinnerungspolitisch in den Fokus gerät. Jarząbek hat hierzu eine Menge Material in verschiedenen Archiven sowie sehr disparate gedruckte Quellen verwertet. Sein Buch ist insgesamt lesens- und empfehlenswert. Allerdings weißt es auch eine Reihe von Unstimmigkeiten auf, die sich insbesondere auf den Vergleich zwischen Polen und der Tschechoslowakei sowie auf das Verhältnis von „Leid“ und „Verdienst“ beziehen.

Zwar hebt die Studie immer wieder auch Unterschiede zwischen beiden Ländern hervor (insbesondere bezüglich des von Piłsudski etablierten autoritären Regimes), bleibt aber doch bei der Behauptung einer Exzeptionalität beider Länder, der sich aus der Legionärstradition speise. Wenn der Verfasser aber zu dem Ergebnis kommt, dass die Legionäre in Polen erst unter den Bedingungen des autoritären Regimes nach 1926 die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg dominierten und die „Anderen“ aus dem Kanon drängten, während Gleiches in der Tschechoslowakei schon 1918 unter demokratischen Bedingungen geschah, so wirft dies zahlreiche Fragen auf, die eben auf die eklatanten Unterschiede zwischen beiden Ländern verweisen.

Hierzu gehören u.a. die vergleichsweise stabile politische Lage sowie die deutliche institutionelle Kontinuität in der Tschechoslowakei, wohingegen Polen bis 1921 Krieg um seine Ostgrenzen führte, schließlich das polnische Erbe der Teilungen und die disparate institutionelle und rechtliche Lage dort. An vielen Punkten setzt die Studie erst 1926 an, wenn es um Polen geht. Das hat zur Folge, dass die kanonbildende Wirkung des Grenzkriegs überhaupt nicht vorkommt, obwohl doch Piłsudski-Putsch, Führerkult und Etatismus reichlich aus den Mythen und den personellen Kontinuitäten des Polnisch-Bolschewistischen Krieges schöpften. Während dem „tschechoslowakischen“ Sieg gegen die Habsburgerverbände in der Schlacht bei Zbrorov 1917 mehrere Seiten gewidmet sind, kommt der polnische Sieg über die Rote Armee in der Schlacht bei Warschau 1920 (das sogenannte „Wunder an der Weichsel“) nur am Rande vor. Der Autor zeigt zwar auf, dass das nationalkonservative Lager um Piłsudskis Rivalen Dmowski einem nationalen Kriegsgedenken (außer einer Verherrlichung der Tat und der Rasse) wenig abgewinnen konnte und die staatliche Unabhängigkeit in erster Linie als Resultat geschickter Diplomatie (nämlich Dmowskis) betrachtete. Das rechtfertigt aber nicht, die Zeit bis 1926 weitgehend auszusparen und den polnischen Fall trotzdem in einen direkten Vergleich zu den tschechoslowakischen Verhältnissen seit 1918 zu bringen. Jarząbek sieht auch richtig, dass die tschechoslowakische nationale Propaganda (Tschechoslowakismus, „Auslandsrevolution“, die Annäherung Masaryks und der „russischen“ Legionäre seit 1917) insgesamt erfolgreicher war als die polnische. Er bleibt dann aber eine Erklärung schuldig, warum den Tschechoslowaken auf demokratischem Wege etwas gelang, wozu es in Polen erst eines Putsches bedurfte. Insgesamt bleibt der Vergleich damit unausgewogen.

Was die aufgeworfene Frage des tschechoslowakischen Erfolges betrifft, so weist dieser genau auf das von Jarząbek problematisierte Verhältnis von „Leid“ und „Verdienst“. Mit Blick auf die Tschechoslowakei mit ihrer ererbten sozialpolitischen Tradition ist es nämlich ein Fehler, den sozialpolitischen Diskurs nicht als Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses zu lesen. Anders als in Polen war in der Tschechoslowakei der Legionärsstatus sogar seit 1919 gesetzlich festgeschrieben; die Legionäre besaßen demnach Privilegien, die allgemein sichtbar waren. Wenn sich der Staat dennoch mittelfristig nach innen und nach außen Legitimität verschaffen konnte, dann deswegen, weil eben auch die Kriegsbeschädigten Anerkennung fanden und weil rechtliche und sozialpolitische Kontinuitäten einen sozialen Kitt darstellten. Der sozialpolitische Diskurs wiederum hatte reichlich Schnittstellen mit den Verhältnissen im „alten“ Europa. Bezöge man diese Aspekte stärker mit ein, würde sich auch die Frage nach dem polnischen Diskurs der Jahre 1918 bis 1926 noch einmal anders stellen.

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