A. W. Mitchell: The Grand Strategy of the Habsburg Empire

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Titel
The Grand Strategy of the Habsburg Empire.


Autor(en)
Mitchell, A. Wess
Erschienen
Princeton, NJ 2018: Princeton University Press
Anzahl Seiten
XV, 405 S.
Preis
$ 35,00; £ 27.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Karin Schneider, Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung, Österreichische Akademie der Wissenschaften

Die Habsburgermonarchie war in den letzten Jahren Thema mehrerer innovativer Einzelstudien, die sich mit verschiedenen Aspekten dieses komplexen Staatswesens auseinandersetzten.1 A. Wess Mitchell, früherer Präsident des Center for European Policy Analysis in Washington und jetziger Mitarbeiter im Bureau of European and Eurasia Affairs im US Department of States wählt einen militärhistorischen Zugang und orientiert sich an der Frage: „How does a Great Power with limited military resources manage strategic competition against multiple rivals simultaneously?“ (S. IX) Denn schließlich bestand die Habsburgermonarchie über Jahrhunderte und war in dieser Zeit ein fixer Bestandteil der europäischen Mächteordnung Die Antwort liefert Mitchell in einer stimulierenden Analyse der militärstrategischen Taktiken und Entscheidungen, welche die Position der Habsburgermonarchie im europäischen Mächtegefüge zwischen 1700 und 1866 bestimmten.

Die Habsburgermonarchie sah sich aufgrund ihrer geographischen Lage mit besonderen Herausforderungen konfrontiert: Sie war als „interstitial power“ von allen Seiten von anderen Großmächten umgeben. Die Regierenden mussten daher mit Bedrohungen aus allen Himmelsrichtungen rechnen beziehungsweise diesen gegebenenfalls begegnen. Zugleich waren aber die militärischen Kapazitäten in der Regel nicht ausreichend, um mehr als einen Feind zur gleichen Zeit zu bekämpfen. Zeitgleiche Auseinandersetzungen an verschiedenen Fronten waren daher äußerst problematisch und folglich zu vermeiden.

In dieser Konstellation war die Beherrschung des Faktors „Zeit“ entscheidend. Die Verhinderung eines Mehrfrontenkrieges war das oberste Ziel und der scheinbar einfachste Weg bestand in der geplanten zeitlichen Staffelung militärischer Auseinandersetzungen, dem „sequencing of contests“ (S. 306). Da dieser Zugang zwar theoretisch einleuchtend, praktisch jedoch schwer umzusetzen ist, zogen die Entscheidungsträger in der Habsburgermonarchie bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts noch weitere Aspekte in ihre Außenpolitik mit ein, die den „backbone“ (S. 193) der Militärstrategie der Habsburgermonarchie bildeten: An erster Stelle ist hier eine defensive militärische Grundhaltung zu nennen – auf Bedrohungen wurde reagiert, militärische Mittel kamen nur zum Einsatz, wenn alle anderen Strategien wie Diplomatie und Bündnissysteme versagten. Entsprechend dieser Grundsätze wurde das Terrain militärisch durch die Errichtung von Forts an strategisch wichtigen Stellen gesichert, technologische Entwicklungen insbesondere im Bereich der Artillerie und der Kartographie forciert und auf diplomatischer Ebene Allianzen geschlossen.

Der erste Teil des Buches handelt in drei Kapiteln die grundlegenden Voraussetzungen ab: Mitchell beschreibt hier die spezifischen politischen, administrativen, geographischen und demographischen Herausforderungen, mit denen sich die Entscheidungsträger der Habsburgermonarchie konfrontiert sahen und die dieses Herrschaftsgebiet von anderen Mächten unterschied.

Der zweite Abschnitt ist den militärischen Auseinandersetzungen des 18. Jahrhundert an drei verschiedenen Grenzabschnitten der Monarchie gewidmet: im Süden mit dem Osmanischen Reich, im Norden mit Preußen unter Friedrich dem Großen und im Westen mit dem revolutionären Frankreich. Jeder dieser Konflikte zeichnete sich durch Besonderheiten aus, die dem Verteidigungssystem der Habsburgermonarchie, dem Terrain und militärischen Entwicklungen zuzuschreiben sind. So bildete die Militärgrenze auf dem Balkan über Jahrhunderte eine effiziente Verteidigungslinie gegenüber dem Osmanischen Reich. Dieses Gebiet war nicht nur durch die Verwaltung durch den Hofkriegsrat gekennzeichnet, sondern auch durch eine militarisierte Gesellschafsstruktur, in der die Dorfbewohner die Aufgaben paramilitärischer Kämpfer übernahmen. In den Türkenkriegen seit 1690 stabilisierte die Habsburgermonarchie ihre Stellung am Balkan. Zugleich musste der Hauptrivale der Monarchie in Südosteuropa, nämlich Russland, auf diplomatischem Wege eingehegt und die habsburgische Herrschaft in Ungarn legitimiert werden. Flankiert wurden diese Maßnahmen insbesondere in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts durch intensive diplomatische Aktivitäten in Konstantinopel.

Doch zu diesem Zeitpunkt musste sich die Habsburgermonarchie bereits mit einem anderen Gegner an einer anderen Grenze befassen: Friedrich der Große plante, den Tod Kaiser Karls VI. und den Regierungsantritt Maria Theresias zu Zwecken der Gebiets- und Einflussvergrößerung Preußens zu nutzen. Die aus dem Expansionsdrang Preußens resultierenden Auseinandersetzungen führten zu drei Kriegen, aus denen die Habsburgermonarchie trotz territorialer Verluste (Schlesien) nach Mitchell militärisch gestärkt hervorging: Die Armee war kampferfahren, verfügte nun über eine hervorragende Artillerie sowie eine rational aufgebaute Verwaltung und im Norden war eine Reihe moderner Forts errichtet worden.

Die Verteidigungsanlagen im Norden waren freilich nutzlos gegenüber einem neuen Aggressor, der ab den 1790er-Jahren nicht nur die Habsburgermonarchie, sondern ganz Europa in Atem hielt: Napoleon. In wechselnden Koalitionen kämpfte die Habsburgermonarchie (mit einer Unterbrechung zwischen 1810 und 1812) gegen den französischen Herrscher. Dabei war man selten siegreich, die territorialen Verluste waren enorm und das Sicherheitsnetz, mit dem die Monarchie sich umgeben hatte (Pufferstaaten, Bündnisse, Forts), schwand rasch. Dennoch gelang es, die Selbstständigkeit zu wahren und Napoleon nach dem verlustreichen Winterfeldzug in Russland als Mitglied der 6. Koalition endgültig zu schlagen. 1814/15 wurde auf dem Wiener Kongress unter Federführung Metternichs und des britischen Außenministers Castlereagh nicht nur eine langlebige Friedensordnung, sondern auch ein Bündnissystem geschaffen, das Europa in Zukunft Ruhe und Frieden garantieren sollte.

Der dritte Abschnitt der Analyse befasst sich schließlich mit dem Zenit, dem Niedergang und dem Erbe der Habsburgermonarchie in militärstrategischer Hinsicht. Den Zenit sieht Mitchell in der Nachkriegsordnung von 1815, in der Metternich die Außenpolitik der europäischen Mächte dominierte. Auf multilateralen Kongressen wurden Probleme von europäischer Relevanz besprochen, um sie einer friedlichen Lösung zuzuführen. Auch innenpolitisch war die Lage ruhig: Die Wirtschaft stabilisierte sich, Forts und Pufferstaaten sicherten die Habsburgermonarchie nach außen ab.

Eine Zäsur brachte die Regentschaft Kaiser Franz Josephs I. Der junge, unerfahrene Herrscher setzte im Gegensatz zu seinen Vorfahren, die stets defensiv agiert hatten, auf eine offensive Außenpolitik. Im Vertrauen auf eine starke Armee – die dann aufgrund organisatorischer Mängel, veralteter Ausrüstung und fehlender Infrastruktur so stark nicht war – trat die Diplomatie in die zweite Reihe. Das Ergebnis waren zwei Kriege, der Verlust der Vormachtstellung in Italien und in Deutschland, und das Ende des Großmachtstatus’ nach der Niederlage bei Königgrätz 1866 gegen Preußen.

Mitchell beschreibt, wie sich die Habsburgermonarchie als „interstitial power“ über Jahrhunderte mit Hilfe einer defensiven Außenpolitik, die auf Verteidigungsanlagen, Diplomatie und Bündnissen basierte, in Mitteleuropa behauptete. Ob hinter dieser passiven Haltung eine aktive „grand strategy“ steckte, wie Mitchell teleologisch argumentiert, ist allerdings fraglich. Außer Zweifel steht allerdings der Paradigmenwechsel unter Franz Joseph I., der mit einer aktiven Strategie das Ende der Monarchie als Großmacht brachte. Störend insbesondere für historisch versierte Leser sind die immer wieder vorkommenden Irrtümer, Ungenauigkeiten und Tippfehler (besonders bei Eigennamen). So ist beispielsweise die Bezeichnung „Habsburg Empire“ im Titel eines Buches, das sich auf den Zeitraum von 1700 bis 1866 bezieht, irreführend. Die Orientierung auf den beigegebenen Landkarten stellt außerdem auch für ortskundige Personen eine gewisse Herausforderung dar. Dennoch ist Mitchells Untersuchung eine wichtige Ergänzung der bereits erschienenen Literatur zur Habsburgermonarchie, da er den bisher wenig beachteten militärstrategischen Bereich in den Fokus rückt.

Anmerkung:
1 Vgl. beispielsweise Pieter M. Judson, The Habsburg Empire. A new History, Cambridge/Mass., London 2016 (Deutsch: Habsburg. Geschichte eines Imperiums 1740–1918, München 2017); William D. Godsey, The Sinews of Habsburg Power. Lower Austria in a Fiscal-Military State 1650–1820, Oxford 2018. Traditioneller: Steven Beller, The Habsburg Monarchy 1815–1918, Cambridge, New York 2018.

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