: Max Traeger. Biografie des ersten Vorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (1887–1960). Weinheim 2017 : Beltz Juventa, ISBN 978-3-7799-3748-7 135 S. € 19,95

Brumlik, Micha; Benjamin Ortmeyer (Hrsg.): Max Traeger - kein Vorbild. Person, Funktion und Handeln im NS-Lehrerbund und die Geschichte der GEW. Weinheim 2017 : Beltz Juventa, ISBN 978-3-7799-3770-8 215 S. € 19,95

Rezensiert für die Historische Bildungsforschung Online bei H-Soz-Kult von:
Gisela Miller-Kipp, Institut für Sozialwissenschaften, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Email:

Die Historiographie zu den „kleinen Nazis“, den sogenannten „Mitläufern“ im „Dritten Reich“ – in beiden angezeigten Bänden wird zur politischen Charakterisierung Max Traegers vielfach auf diese Begriffe zurückgegriffen –, kommt aus einem Dilemma nicht heraus. (Re)konstruiert sie ein „Volk der Täter“, waren auch die Genannten samt und sonders „Nazis“ und hatten Teil an den Verbrechen des „Dritten Reiches“. Differenziert man hingegen im Kollektiv der „Täter“, etwa nach Amtsträgerschaften wie zuerst die Alliierten in ihren Entnazifizierungsfragebögen1, kommt man zu einer differenzierteren Bestimmung und unterschiedlichen Täterprofilen. Sub specie der Menschheitsverbrechen des „Dritten Reiches“ mag das wenig vordringlich sein, jedoch lassen sich nur so individuelle und kollektive Spielräume des Handelns, lassen sich Zwänge und Freiheiten, Widerstandkräfte und Ohmachten in der NS-Diktatur ermessen, was zum Verstehen ihrer Systemlogik und ihres Funktionierens unerlässlich ist. Die beiden angezeigten Publikationen spiegeln das skizzierte Dilemma, sie sind dessen jüngste Beispiele in der Erziehungsgeschichtsschreibung. Beide erfüllen historiographische Ansprüche, wie man sie heute legitimerweise an die Biographien von Amts- und Funktionsträgern im Gesellschaftssystem des „Dritten Reiches“ stellen kann, nicht. Der eine Band, de Lorent, bleibt dokumentarisches Stückwerk und legt sich auf positive Interpretation fest, der andere Band, Ortmeyer / Brumlik (Hrsg.), befleißigt sich linearer Zuschreibungen, die meisten Textbeiträge urteilen apodiktisch.

Hans-Peter de Lorent hat sich früh und engagiert der Historiographie des Hamburger Schulwesens im Nationalsozialismus zugewandt2, dies auch im Auftrag der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Hamburg, deren Vorsitzender er von 1990–1996 war; zuletzt hat er „Täterprofile“ erarbeitet3; für den hier angezeigten Band zieht er diese „Profile“ vielfach heran. Der Band selbst ist eine Auftragsarbeit der GEW, die damit auf eine Publikation reagiert, in der Max Traeger als „kleiner Nazi“ hingestellt wird.4 – De Lorent stützt sich auf wenige Archivalien, in erster Linie Personalakten, dazu auf Sitzungsprotokolle der GEW und der Hamburger Bürgerschaft; hauptsächlich aber stützt er sich auf Berichtsmaterial: auf Schulchroniken, auf zeitgenössische Lebenserzählungen, auf Erinnerungsberichte und Autobiographien. Sie sind bekanntlich eine in ihrem Mitteilungscharakter fragwürdige Quellengattung. De Lorent unterzieht sie keiner Kritik, gelegentlich kontextualisiert er, an keiner Stelle aber fragt er nach dem Berichtszweck oder nach der auktorialen Intention oder nach dem autobiographischen Motiv. Daher ist seine „Biographie“ über weite Strecken ein historisch naives bis gutgläubiges Referat der zitierten Quellen; historisch-systematische Grundlegung etwa oder stringente Darstellung unter einer ausgewiesenen biographischen Kategorie bleibt de Lorent schuldig, der Band bleibt Stückwerk. Er ist in vier chronologischen Abschnitten auf die schulpolitische und gewerkschaftliche Tätigkeit von Max Traeger fokussiert.

Der erste Abschnitt berichtet über Traegers „Wirken bis 1933“. Dem ist der Satz vorangestellt „Mir kommt nur der Ruhm des Anregers zu. Vergessen Sie nie: Der Einzelne ist nichts, die gesamte Lehrerschaft ist alles!“ Das Zitat ist nicht datiert – der Satz ist aus Traegers Dank für das ihm verliehene Bundesverdienstkreuz (vgl. Brumlik in Brumlik / Ortmeyer (Hrsg.), S. 204) und wird von de Lorent nicht kommentiert, obschon er es doch wohl als Motto oder als zusammenfassende Charakterisierung gesetzt hat. Damit vergibt de Lorent gleich zu Anfang der „Biographie“ die Chance, Kontinuitäts- und Diskontinuitätslinien im Berufsleben von Max Traeger zu markieren, hier auf sprachkritischer Basis. Denn das Zitat rückt seinen Urheber durchaus in die Nähe nationalsozialistischer Volksgemeinschaftsideologie, zu deren Hauptparolen bekanntlich gehörte: „Du bist nichts, dein Volk ist alles!“ Genau diesen unterbliebenen Verweis greifen sowohl Benjamin Ortmeyer als auch Micha Brumlik im hier angezeigten Band auf (S. 22 f., 204 f.), um de Lorent als unkritischen „Laudator“ Max Traegers hinzustellen (Ortmeyer in Ortmeyer / Brumlik (Hrsg.), S. 24). Es gibt noch ein paar solcher sprachlichen Affinitäten5, die eine Reflexion etwa über verwurzelte deutschnationale Gesinnung bei Max Traeger nahe legen; schade, dass de Lorent sie nicht angestellt hat.

Traegers „Wirken vor 1933“ beginnt bei de Lorent mit dem Engagement im „Lehrerrat“ der Hansestadt Hamburg, in den Max Traeger im Zuge der „Novemberrevolution“ 1918 auf der Liste der DDP6 gewählt wurde, setzt sich fort in der Leitung einer Volksschule und im kontinuierlichen Einsatz für die Hamburger „Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Schul- und Erziehungswesens“7 und endet mit dem „Wirken“ Traegers in der Hamburger Bürgerschaft 1927–1933 als Abgeordneter der DDP. Von den Debattenbeiträgen Traegers dort zitiert de Lorent aus stenographischen Protokollen in erster Linie dessen Rede gegen die Abgeordneten der NSDAP; zu Traegers „Wirken“ allgemein zitiert er den Nachruf, der zu Traeger in der Hamburger Lehrerzeitung 1960 erschien (HLZ 2/2016). Gattungsbedingt ist dieser Nachruf freundlich lobend geschrieben. De Lorent behält diese wohlwollende Schreibhaltung aber als Historiker bei; er unterläuft damit den kritischen Anspruch an die vorgelegte Biographie, wie er ihn selbst einleitend indirekt erhebt (vgl. S. 13).

Das Format unkritischer Berichterstattung ist insbesondere dem nachfolgenden zweiten Abschnitt des Bandes nicht angemessen. Dieser Abschnitt gilt dem „Wirken“ Traegers 1933–1945; er steht unter der Überschrift „Nazi-Gegnerschaft“. Das ist freilich plakativ dahin geschrieben, eine konsistente Beschreibung solcher „Gegnerschaft“ und deren Verortung im Kontext von Handlungsoptionen in der NS-Diktatur liegt nicht vor. Unter „Nazi-Gegnerschaft“ fallen hier Stammtischtreffen alter Genossen – sie werden zum „Untergrundvorstand“ stilisiert (S. 57, 60), was sich Glaubwürdigkeit daher leiht, dass Max Traeger 1933 als Schuldirektor entlassen worden war. Er blieb aber Lehrer, trat am 1. Mai 1933 (!) freiwillig in den „Nationalsozialistischen Deutschen Lehrerbund“ (NSLB) ein und betrieb als Verbandsfunktionär mit einiger Verfahrenslist die Eingliederung der „Gesellschaft von Freunden“ in den NSLB. Die damit gegebene „widerstandlose Hinnahme der Gleichschaltung“ (S. 57) stellt de Lorent als einzige verbandspolitische Option dar, um die Vermögenswerte und die Sozialkassen der „Gesellschaft“ zu retten. Es gab aber reale Alternativen; von ihnen erfährt man erst im Band von Brumlik / Ortmeyer (Hrsg.).

Die beiden nachfolgenden Abschnitte berichten unter „Aktivitäten ab 1945“ (S. 61 ff.) sowie unter „Max Traeger als treibende Kraft in Hamburg“ (S. 87 ff.) über Traegers erfolgreiche Karriere nach 1945. Er wurde aktives Mitglied der FDP und gleich 1945, bei glatter Entnazifizierung, Obersenatsrat in der Leitung der Schulfürsorge. Er war Mitgründer der GEW und deren erster Bundesvorsitzender, setzte sich so tüchtig wie rastlos beim Wiederaufbau des Hamburger Schulwesens sowie in der Kindernothilfe und in der Jugendpflege ein. Dafür wurde er mit dem Großen Bundesverdienstkreuz und auch als Namensgeber8 geehrt. – Im Resümee dieser beiden Abschnitte kippt die „Biographie“ ins Hagiographische; de Lorent behauptet im Aktiv, was historisch allenfalls als Passivum gelten kann: Max Traeger habe „an vorderster Front“ derjenigen gestanden, „die sich durch die Nationalsozialisten nicht vereinnahmen und korrumpieren ließen“ (S. 71). Im selben Duktus heißt es zum Schluss: „Die GEW kann stolz darauf sein, Max Traeger als ersten Vorsitzenden nach der NS-Zeit gehabt zu haben“ (S. 123; vgl. auch S. 17 ff.).

Ein Exkurs gilt der „Auseinandersetzung um das Haus Rothenbaumchaussee 19 (Ro 19)“, dabei besonders dem Agieren Max Traegers 1951–1954 im Restitutionsverfahren zu dieser Immobilie, die 1935 aus jüdischem Besitz an den NSLB verkauft worden war (S. 73 ff.). Es ist ein in seinen Finten und Winkelzügen zumindest zweifelhaftes Verfahren, für Müller / Ortmeyer eindeutig eine „Arisierung“ 1935 und eine widerrechtliche Aneignung post festum, bei der sich Max Traeger durch den Gebrauch des Begriffs „Judengrundstück“ als Nazi dekuvriert habe (Müller / Ortmeyer, wie Fn. 4, S. 178, 188). Für de Lorent hingegen ist es nichts dergleichen, vielmehr ein preisangemessener Verkauf 1935 (vgl. S. 74, 77 f.), eine sorgfältig durchgeführte „Rückerstattung“ (S. 74) und ein nicht beglaubigter Begriffsgebrauch (vgl. S. 75). – Das ist für den Leser, nimmt man den hier angezeigten Band von Brumlik / Ortmeyer (Hrsg.) hinzu, ein Lehrstück in parteilicher Quellenexegese. De Lorent legt sich dabei vorschnell auf eine entlastende Interpretation fest, und so erscheint die Entlastung bzw. positive Darstellung Max Traegers auch als eigentlicher Zweck dieser „Biographie“. Dabei könnten die funktionale Kontinuität und die institutionelle Diskontinuität im partei- und verbandspolitischen sowie im beruflichen Leben von Max Traeger durchaus für eine Musterbiographie deutscher Amtsträger, Verbandsfunktionäre und ‚Organisationsfachmänner‘ (vgl. S. 89) – eine interessante Charakterisierung! – von Weimar bis Bonn taugen.

Micha Brumlik und Benjamin Ortmeyer sind beide als engagierte Publizisten im Komplex Nationalsozialismus und ‚Vergangenheitsbewältigung‘ bekannt, Ortmeyer dabei auf dem Gebiet der Erziehungsgeschichte und als Herausgeber einer groß angelegten Quellenedition.9 Der von beiden jetzt vorgelegte Band ist eine Streitschrift in angegebener Sache, bestehend aus insgesamt 11 Beiträgen unterschiedlichen Textformats; von Brumlik stammt lediglich eine knappe Einleitung und eine zweiseitige „Vertiefung“, diese zur Propagandaphrase „Der einzelne ist nichts …“ (S. 204 f.), wie oben erwähnt. – Gegen de Lorent persönlich wie in der Sache gegen dessen Biographie von Max Traeger schreibt in erster Linie Benjamin Ortmeyer. Er beginnt damit schon im Vorwort und setzt dies im ersten Beitrag „Persilschein-Logik: Eine Polemik gegen die Apologie von Max Traeger“ fort (S. 15 ff.). Nun darf eine Polemik scharf formulieren, darf übertragen, ablenken, auch apodiktisch urteilen – all dessen unterfängt sich Ortmeyer –, persönlich verunglimpfen und schmähen, auch dessen kann sich Ortmeyer nicht entschlagen, ist jedoch vom Format „Polemik“ nicht gedeckt. Solide Historiographie kommt so nicht zustande, und auch die vielen faksimiliert beigegebenen Dokumente 10 ersetzen nicht sorgfältiges Unterscheiden und kritische – prüfende! – Quellenarbeit, sie spielen lediglich Authentizität vor. Im Wesentlichen geht es hier um Rechthaberei in der Frage, ob Max Traeger ein Nazi gewesen sei, wie Müller / Ortmeyer (2016) (s. Fn. 4) insinuierten. Im hier angezeigten Band nimmt Ortmeyer diese Insinuation indirekt zurück, indem er behauptet, die „zu klärende These“ sei gewesen, „dass [!] er ein Mitläufer gewesen ist“ (S. 16; vgl. auch S. 51) – eine These, die Müller / Ortmeyer (2016) nicht formuliert haben! Um aber doch im Recht zu bleiben, überträgt Ortmeyer jetzt in einer langen Anmerkung die Beschuldigung „kleiner Nazi“ auf einen Pädagogen, von dem im hier vorliegenden Band gar nicht die Rede ist.11 – Ortmeyers „Polemik“ markiert einen bedauerlichen Verlust an Debattenkultur; ihrer Ausfächerung nach zu gehen, sprengte den Rahmen einer Rezension.

In die Fußstapfen Ortmeyers treten der Beitrag von Sven Lehmann („Chronologie einer Kontroverse“, S. 52 ff.), der Beitrag eines Autorenkollektivs „GEW Studis“ („Erfahrungen in der GEW Hamburg: Vergangenheitsbewältigung und Nestbeschmutzung“, S. 157 ff.) – in beiden Beiträgen geht es hauptsächlich um die Umbenennung der Max-Traeger-Stiftung zugunsten von Heinrich Rodenstein12 unter der Parole „Max Traeger – Kein Vorbild!“, da dieser ja ein Nazi bzw. ein „kleiner Nazi“ bzw. ein „Mitläufer“ gewesen sei – und ein zweiter Beitrag von Sven Lehmann, der in Sonderheit an Restitutionsvorgängen eine „verquere Apologetik“ bei der GEW Baden-Württemberg verzeichnet und ihr, der GEW, „Verklärung der Vergangenheit“ vorhält (S. 165 ff.). – Man kann diese Beiträge unter gewerkschaftspolitische Kampfschriften ablegen; sie sind teils vorlaut, teils, man muss schon sagen, nassforsch geschrieben; Micha Brumlik spricht nachsichtig von „selbstgerechter Besserwisserei von Nachgeborenen“ (S. 205). – In einem weiteren Beitrag fassen Saskia Müller und Benjamin Ortmeyer ihren Band von 2016 (s. Fn. 4) zusammen (S. 43 ff.), die Publikation also, die die beiden hier besprochenen Publikationen provozierte. Ihren damaligen Befund spitzen die beiden Autoren jetzt zu: „Die Vernichtung der jüdischen Rasse – das ist es, was das Zentralorgan des NSLB verbreitet hat. Die Nazi-Ideologie war das Wesentliche am NSLB“ (S. 51). Dieser Befund alimentiert ihr Urteil, der NSLB sei „eine verbrecherische Organisation“ gewesen (S. 43, 51) und trägt die Insinuation in sich, dass derjenige, der im Mai 1933 freiwillig in diese Organisation eintrat und alsdann mitgelaufen sei, Max Traeger also, sich doch irgendwie mitschuldig gemacht habe an den Verbrechen des „verbrecherischen Systems“ (S. 51), gewiss aber doch ein Nazi sei, wenn vielleicht auch „nur“ ein „kleiner“ usw. Diesem urteilenden Hin und Her liegt ein linearer Schluss von der rekonstruierten Intention des Zentralorgans des NSLB auf die zentrale Funktion der Institution NSLB und ein linearer Durchgriff von der Institution auf den Leser des Zentralorgans sowie auf den einzelnen Angehörigen des NSLB in Person zugrunde. Solch lineares Schließen ist historiographisch nicht erlaubt, von der dabei vorgenommenen historisch fragwürdigen Klassifizierung des NSLB selbst als einer „verbrecherischen Organisation“ einmal ganz abgesehen.13

Mangelnde Methodologie und Quellenkritik hält Z. Ece Kaya der Biographie Max Traegers von de Lorent vor, „unzulässige Manöver“ mit den von ihm herangezogenen Texten, um ihrerseits Diskursanalyse vorzuschlagen und aufzuzeigen, wie man im vorliegenden Falle diskursanalytisch vorgehen könnte, um die Biographie Max Traegers „im Spannungsfeld von Diskurs und Ideologie“ zu rekonstruieren (S. 187). – Der einzige Beitrag, der sich im Streit um Traeger, um die Immobilie Ro 19 sowie um die Gleichschaltung der „Gesellschaft von Freunden“ sorgfältiger Interpretation der von allen beteiligten Autoren herangezogenen Quellen befleißigt, der kritisch, auch selbstkritisch verfährt (vgl. S. 94 f., 97) und sich (vor)schnellen Urteilens enthält, ist derjenige von Bernhard Nette und Stefan Romey („Perspektive Hamburg“, S. 72 ff.) – er ist der umfangreichste des ganzen Bandes. Die beiden Autoren greifen auf ihre einschlägige Publikation von 2010 zurück14 und ergänzen diese jetzt auf der Basis inzwischen verfügbarer Quellen.

Es ist dieser Beitrag, in dem reale Alternativen zur vermeintlich alternativlosen freiwilligen Gleichschaltung der „Gesellschaft von Freunden“ 1933, zum Agieren Max Traegers dabei sowie zum nachfolgenden Mitläufertum aufgezeigt werden, und zwar am Beispiel Emmy Beckmanns, Oberschulrätin und, wie Traeger, Mitglied der Hamburger Bürgerschaft für die DDP. Als Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverbandes verweigerte Emmy Beckmann dessen Gleichschaltung „aus Protest gegen die Verfolgung der Juden und gegen die Diskriminierung der Frau im NS-Staat“ (S. 152) und konnte dennoch die Kassen des Vereins retten (vgl. S. 74, 112 ff.). – Zwar gibt es auch im Beitrag von Nette / Romey Kritiküberschuss, auch hier gilt der NSLB umstandslos als „verbrecherische Organisation“ (S. 110). Im Ganzen aber liest man diesen Beitrag mit großem Erkenntnisgewinn. Das gilt insbesondere im vergleichenden Blick auf die Biographie Max Traegers von de Lorent. So ist es auch der Vergleich beider hier angezeigten Bände, der deren Lektüre lohnt. Jede für sich hinterlässt historiographische Fragezeichen.

Anmerkungen:
1 Entnazifizierungsfragebogen der Alliierten von 1946/47 (Kontrollratsdirektive Nr. 38 vom 12. Aug. 1946 und nachfolgende Zonen-Exekutiv-Anweisung Nr. 54). In diesem Fragebogen wurden die fünf Einstufungskategorien der Amerikaner für die britische Besatzungszone übernommen; die Kategorie III lautet: „Nazis (geringere Übeltäter)“, die Kategorie IV lautet: „Nazi (Anhänger)“; Kategorie V betraf entlastete oder unbelastete Personen; als „Mitläufer“ gelten gemeinhin Personen der Kategorie IV. Vgl. grundlegend: Justus Fürstenau, Entnazifizierung. Ein Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte, Neuwied 1969.
2 Ursel Hochmuth / Hans-Peter de Lorent (Hrsg.), Hamburg: Schule unterm Hakenkreuz, Hamburg 1985; Reiner Lehberger / Hans-Peter de Lorent (Hrsg.), „Die Fahne hoch“. Schulpolitik und Schulalltag in Hamburg unterm Hakenkreuz, Hamburg 1986.
3 Hans-Peter de Lorent, Täterprofile. Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz, Hamburg 2016; zuvor als Serie „Schule unterm Hakenkreuz/Nazibiographien“ erschienen in der „Hamburger Lehrerzeitung“, 2007 ff.
4 Saskia Müller / Benjamin Ortmeyer, Die ideologische Ausrichtung der Lehrkräfte 1933–1945. Herrenmenschentum, Rassismus und Judenfeindschaft des Nationalsozialistischen Lehrerbundes, Weinheim u.a. 2016, S. 188; dort, wie Ortmeyer wortgleich auch im hier besprochenen Band (S. 15), führen Müller / Ortmeyer eine bekannte Entlastungsrede vor, die da sagt, dass ein „kleiner Nazi“ doch nur ein „Mitläufer“, ja „eigentlich gar kein Nazi gewesen“ sei, um ihr eigenes Urteil, er war ein Nazi, auf diese Weise unbelegt mitzuteilen.
5 So die Rede von der „Zersplitterung“ als „Wurzel allen [gesellschaftlichen] Übels“ (S. 25 f.) oder der Begriff „Opferfreudigkeit“ (S. 68).
6 „Deutsche Demokratische Partei“; de Lorent etikettiert sie als „linksliberal“ (S. 37), worüber man streiten kann; 1930 nannte sich die DDP um in „Deutsche Staatspartei“ (DStP).
7 Gegründet 1805 (!), Vorläuferinstitution, wenn man so will, der Hamburger GEW.
8 Einer Grundschule und einer Gemeinnützigen Stiftung. Über deren Umbenennung etwa zugunsten des GEW-Funktionärs Heinrich Rodenstein, Kommunist und Sozialist und gleich 1933 emigriert, gibt es seit 2016 mit der Beteiligung Ortmeyers erbitterten Streit, vgl. die Bloggeinträge, in: keinvorbild.wordpress.com, https://keinvorbild.wordpress.com/ (12.03.2018); sowie Müller / Ortmeyer, wie Fn. 4, dort bes. S. 188.
9 Ad fontes, gedruckte Dokumentation von Quellenmaterial aus der NS-Zeit, in: forschungsstelle.wordpress.com, https://forschungsstelle.wordpress.com/reihe-ad-fontes/ (12.03.2018).
10 In einem Falle kaum leserlich (S. 17; dort ist zudem die Auszeichnung der Dokumente rechts-links vertauscht).
11 Heinrich Roth, der sich im „Dritten Reich“ mit Wissen und Wort dem Nationalsozialismus annäherte. Zur Personenkategorie „Mitläufer“ vgl. oben, Anm. 1.
12 Vgl. oben, Anm. 8.
13 Der NSLB wurde vom Internationalen Militärgerichtshof, förmliche Anklage vom 18. Oktober 1945, nicht als „verbrecherische Organisationen“ eingestuft, Amtsträger des NSLB waren allerdings zwangsweise zu entlassen (Direktive des Alliierten Kontrollrats vom 12. Jan. 1946; vgl. z.B. Internationaler Militärgerichtshof (Hrsg.), Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg 14. November 1945 bis 1. Oktober 1946, Nürnberg 1947, Bd. 22).
14 Bernhard Nette / Stefan Romey, Die Lehrergewerkschaft und ihr „Arisierungserbe“. Die GEW, das Geld und die Moral, Hamburg 2010. Auf dieses Buch und auf das ihm von Bernd Nette überlassene Quellenmaterial stützt sich auch de Lorent 2017 (vgl. a.a.O., S. 74 f.).

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit der Historischen Bildungsforschung Online. (Redaktionelle Betreuung: Philipp Eigenmann, Michael Geiss und Elija Horn). https://bildungsgeschichte.de/
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