G. Schwerhoff: Köln im Ancien Régime

Titel
Köln im Ancien Régime. 1686–1794


Autor(en)
Schwerhoff, Gerd
Reihe
Geschichte der Stadt Köln 7
Erschienen
Anzahl Seiten
552 S.
Preis
€ 60,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dietrich Ebeling, Bonn / Universität Trier

„Keine Stadt ist eine Insel“, heißt es in Jürgen Osterhammels Weltgeschichte des 19. Jahrhunderts.1 Gemeint ist damit, dass die Geschichte einer Stadt nur im Zusammenhang mit den allgemeinen Strukturen und Prozessen der jeweiligen Epoche verstanden und geschrieben werden kann. Einflussreich auf die Forschung zum frühmodernen und modernen Städtewesen hat in den letzten Jahrzehnten die Debatte über die Bedeutung des alten Stadtbürgertums für die Genese der Moderne gewirkt. Zwei Großprojekte standen dabei im Mittelpunkt: der wesentlich durch Hans-Ulrich Wehler geprägte Bielefelder DFG-Sonderforschungsbereich „Sozialgeschichte des neuzeitlichen Bürgertums“ und das von Lothar Gall initiierte Frankfurter Projekt „Stadt und Bürgertum im 19. Jahrhundert“.2 Auch wenn über die Bedeutung der Stadt als „Konstitutionsort bürgerlicher Gesellschaft“ inzwischen weitgehend Einigkeit herrscht3, gilt dies nicht für die Frage, welches Gewicht dem alten Stadtbürgertum bzw. dem wenig oder gar nicht in die Stadtgesellschaft des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts integriertem ‚neuen‘ Bürgertum – Verlags- und Manufakturunternehmer, Staatsbedienstete und Vertreter der sogenannten freien Berufe (Ärzte, Architekten, Journalisten, Schriftsteller) – bei der Herausbildung des modernen Bürgertums zukam. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass das Stadtbürgertum keineswegs der „Fußkranke des Fortschritts“ (Dieter Langewiesche) war.4 Auch die Auffassung, das alte Stadtbürgertum sei im 19. Jahrhundert in den „mittelständisch-kleinbürgerlichen Gesellschaftsklassen“ aufgegangen und das Wirtschafts- und Bildungsbürgertum habe das verkrustete Gesellschaftsgefüge der Städte aufgesprengt, wurde revidiert.5

Das Bild Kölns im 18. Jahrhundert ist in der älteren Historiographie geprägt von zeitgenössischen Beschreibungen einer wirtschaftlich stagnierenden, aus der Perspektive der Aufklärung in altständischen Strukturen verharrenden Stadt. Die jüngere Forschung hat sich mit diesem Bild kritisch beschäftigt und ist zu differenzierten Ergebnissen gekommen. Dies gilt nicht nur für die zweifelsohne schwindende Bedeutung Kölns als exportgewerblichem Standort und Handelsplatz, sondern auch im Hinblick auf die damit mittelbar zusammenhängende Rolle der verschiedenen Kräfte im politisch-sozialem System der Stadt.

Anders als etwa die aus der Gall-Schule hervorgegangene Darstellung von Ralph Roth zur Geschichte Frankfurts zwischen dem Beginn der Französischen Revolution und dem Ende der reichsstädtischen Autonomie 18666 vermeidet Schwerhoff eine solche Einordnung. Seine Darstellung will dem Modernisierungsparadigma zwar nicht ausweichen, stellt dem aber die der kulturwissenschaftlichen Wende verpflichtete Darstellung „vergangene(r) Lebenswelten“ (S. 3) gegenüber. Gemessen an diesem Selbstanspruch ist das Buch eine Enttäuschung. Weder wird ein aus der Forschungsdebatte sich ableitendes Konzept entwickelt, noch werden in der Darstellung Lebenswelten erkennbar. Erst in der Zusammenfassung werden einzelne Stichworte (Rolle von Frauen in der Wirtschaft, Unterhaltungskultur, Freizeitverhalten, Lottofieber) einer lebensweltlichen Betrachtungsweise benannt (S. 458).

Der sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts durch die Institutionalisierung (Bürgerliche Deputatschaft) verschärfende Konflikt zwischen Ratselite und (klein-)bürgerlicher Opposition manifestierte sich unter anderem in der Handhabung der öffentlichen Finanzen. Leider belässt es Schwerhoff bei dem in der älteren Literatur gängigen Hinweis auf Ämtermissbrauch und Vetternwirtschaft (S. 368–370). Tatsächlich spiegelt sich in der wachsenden Verschuldung der Stadt die soziale Bruchlinie zwischen einem Rentenbürgertum und einer zunehmenden Zahl von vermögenslosen Bürgern.

Eine zentrale Rolle bei den innerstädtischen Konflikten Kölns im 18. Jahrhundert spielte das nicht nur für die Wirtschaftsordnung, sondern auch für die politische Verfassung grundlegende Zunftsystem. Jeder Versuch einer Einschränkung des Zwangscharakters der städtischen Handwerkswirtschaft rief zugleich einen Verfassungskonflikt hervor. Die Einbindung in das herrschaftliche Ordnungssystem der Städte nahm den Zünften aber auch einen Großteil ihrer Autonomie in wirtschaftlicher Hinsicht. Wenngleich die städtischen Obrigkeiten – im Falle der Reichsstädte zunehmend mehr von den Institutionen des Reichs bedrängt – in den drei Jahrhunderten vor dem Ende des Ancien Régime bemüht waren, die sogenannten Zunftmissbräuche einzudämmen und die Ansiedlung zunftfreier Gewerbe zu fördern, blieben die Zünfte doch bis zu ihrer Aufhebung durch die französische Herrschaft nicht nur die dominante Organisationsform des Gewerbewesens; sie verkörperten insgesamt den korporativen Charakter der städtischen Ordnung. In Reaktion auf Bestrebungen vor allem aus dem Kreis protestantischer Verleger-Kaufleute zur Liberalisierung der Wirtschaft entwickelten sich die Zünfte zunehmend zu berufsständischen Interessenvertretungen und kanalisierten als Opposition das Protestpotential gegenüber der Ratsoligarchie. Das Buch räumt diesen Konflikten zwar breiten Raum ein. Weder wird das aber genutzt, um die verschiedenen Lebenswelten des Kleinbürgertums und der verschiedenen Gruppen der Führungsschicht im Hinblick auf den bereits im 18. Jahrhunderts sich abzeichnenden Wandel der Stadtgesellschaft von einer korporativen zu einer assoziativen Ordnung herauszuarbeiten; noch wird die These hinreichend belegt, dass die Kölner Verfassung in der Praxis einen „stadtbürgerlichen Republikanismus“ darstellte, der für „viele einfache Kölner Bürger […] eine Brandmauer gegen willkürliches Durchregieren jener kleinen Elite […]“ bildete (S. 460).

Während die Position Kölns im Herrschaftsgefüge des Alten Reichs und in den europäischen Konflikten (Spanischer Erbfolgekrieg, Siebenjähriger Krieg) ausführlich behandelt wird, fehlt eine Einordnung in das sich in der Frühen Neuzeit doch stark wandelnde Städtesystem.

Die eingangs skizzierte Debatte erfordert zwingend die Zusammenschau von 18. und 19. Jahrhundert. Dies ist aufgrund der Anlage der Reihe nicht zu leisten; die zu betrachtende Epoche verteilt sich auf drei Bände. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass weder ein nachlesbares noch ein in den bisher erschienenen Bänden erkennbares Konzept zu der neuen Kölner Stadtgeschichte vorliegt. Trotz aller Kritik: Nicht jedes Buch ist ein Lesevergnügen, dieses ist es zweifellos.

Anmerkungen:
1 Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009, S. 357.
2 Vergleich der Projekte bei Thomas Mergel, Die Bürgertumsforschung nach 15 Jahren. Für Ulrich Wehler zum 70. Geburtstag, in: Archiv für Sozialgeschichte 41 (2001), S. 515–538; siehe auch Michael Schäfer, Geschichte des Bürgertums, Köln 2009, S. 73–77. Die Prämissen des Bielefelder SFB beruhen wesentlich auf dem Modernisierungskonzept von Hans-Ulrich Wehler, dargestellt in seiner 5-bändigen Deutschen Gesellschaftsgeschichte. Zum Konzept des Frankfurter Projekts mit einer ersten Bilanz Lothar Gall, Vom alten zum neuen Bürgertum. Die mitteleuropäische Stadt im Umbruch 1780–1820, in: ders. (Hrsg.), Vom alten zum neuen Bürgertum. Die mitteleuropäische Stadt im Umbruch 1780–1820, München 1991, S. 1–18.
3 Mergel, Bürgertumsforschung, S. 525. Im Bielefelder SFB gab es von Beginn an Projekte, die der Stadt eine zentrale Bedeutung zumaßen, so etwa die Habilitationsschrift von Hans-Walter Schmuhl, Die Herren der Stadt. Bürgerliche Eliten und städtische Selbstverwaltung in Nürnberg und Braunschweig vom 18. Jahrhundert bis 1918, Gießen 1998.
4 Sehr knappe Zusammenfassung bei Dieter Hein, Stadt und Bürgertum, in: Informationen zur modernen Stadtgeschichte (1998), Heft 2, S. 3–7.
5 Hans-Walter Schmuhl, Bürgertum und Stadt, in: Peter Lundgreen (Hrsg.), Sozial- und Kulturgeschichte des Bürgertums. Eine Bilanz des Bielefelder Sonderforschungsbereichs (1986–1997), Göttingen 2000, S. 224–248, hier S. 224.
6 Ralf Roth, Die Herausbildung einer modernen bürgerlichen Gesellschaft. Geschichte der Stadt Frankfurt am Main, Bd. 3: 1789–1866, Ostfildern 2013; ohne die einzelnen Facetten der Bürgertumsdebatte breit zu entfalten, werden doch die Leitlinien des von Habermas entwickelten und von Nipperdey hinsichtlich des Vereinswesens operationalisierten Konzepts zur Genese einer bürgerlichen Öffentlichkeit als Grundlage der eigenen Arbeit vorgestellt. Neben den Herrschaftsverhältnissen und Herrschaftsbeziehungen wird der Wandel kultureller Werte und Beziehungen behandelt.

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