Cover
Titel
Adam Smith. Wohlstand und Moral


Autor(en)
Streminger, Gerhard
Erschienen
München 2017: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
254 S.
Preis
€ 24,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Moritz Isenmann, Historisches Institut, Universität zu Köln

Adam Smith eignet sich denkbar schlecht als Gegenstand einer Biographie. Das liegt zum einen daran, dass über das Leben des schottischen Philosophen nicht viel bekannt ist. Dazu hat Smith selbst sein Möglichstes beigetragen. Denn er hat nicht nur außerordentlich wenige Briefe geschrieben, sondern noch vor seinem Tod durch seine Testamentsvollstrecker alle Notizen und unfertigen Schriften verbrennen lassen. Zum anderen ist das, was man über Smiths Leben weiß, nicht gerade der Stoff für eine spannende Geschichte. Die meiste Zeit über führte der oft in seine Gedanken versunkene Smith nämlich ein beschauliches Gelehrtenleben, wohnte lange Jahre als ewiger Junggeselle mit seiner Mutter zusammen und ging gerne stundenlang am Meer spazieren. Die aufregendste Episode im Leben des Aufklärers ist ein Aufenthalt in Frankreich während der Jahre 1764–1766, über den aber ebenfalls nur wenig Gesichertes gesagt werden kann.

Dass sich der Autor Gerhard Streminger und der Verlag C.H. Beck dennoch dazu entschieden haben, sich Adam Smith über das Genre der Biographie zu nähern, ist wohl – in Ermangelung neuer Quellen und Erkenntnisse über Smiths Leben – vor allem dem Umstand geschuldet, dass sich Biographien gerade sehr gut verkaufen. Das größte Problem mit Stremingers Buch liegt aber nicht so sehr darin, dass er oft zu Spekulationen gezwungen ist und auf einer dürftigen Quellengrundlage das Porträt einer intellektuellen Lichtgestalt zeichnet („großer Humanist“, „begnadeter Lehrer“ etc.). Problematisch ist vor allem die Interpretation, die Streminger von Smiths Werk ausbreitet und in der er weitgehend einer Entwicklung folgt, die in den vergangenen Jahrzehnten stattgefunden hat. Galt Smith noch bis in die 1970er-Jahre hinein als maßgeblicher Theoretiker des von staatlichen Eingriffen befreiten und vom Eigennutz der ökonomischen Akteure angetriebenen Markts, hat sich seither eine Interpretation durchgesetzt, die in Smith vielmehr den Vertreter einer in moralphilosophische Erwägungen eingebetteten Marktwirtschaft sieht.1 So schreibt auch Streminger, dass nicht das Verfolgen des Eigennutzes, sondern „Ethik und Moral“ (S. 73) die Basis für Smiths Politische Ökonomie gewesen seien. Gegen eine Vereinnahmung durch den Neoliberalismus will Streminger den schottischen Aufklärer ausdrücklich schützen: Während es zum Wesen des Neoliberalismus gehöre, „alles dem Markt zu unterwerfen“, sei es „im Smith’schen Modell eine der Aufgaben des Staates, unabhängig von Marktverhältnissen die humane Existenz der Menschen zu sichern“ (S. 151). Streminger zufolge können wir uns sogar die Suche nach einem „Dritten Weg zwischen Raubtierkapitalismus und Planwirtschaft eigentlich ersparen“. Den habe der „Begründer der Politischen Ökonomie“ schon vor einem Vierteljahrtausend gefunden (S. 177).

Das Problem mit dieser Interpretation ist jedoch, dass in Bezug auf ökonomische Belange von „Ethik und Moral“ im „Wohlstand der Nationen“ nicht viel zu lesen ist. Umso mehr erfährt man in diesem ebenso monumentalen wie sperrigen Werk hingegen von Kaufleuten, die gerade dadurch das Gemeine Wohl befördern, dass sie nicht dieses, sondern ihren eigenen Nutzen verfolgen.2 Aus diesem Dilemma findet Streminger zwei Wege. Zum einen vermeidet er es weitgehend, auf die einschlägigen Passagen einzugehen und sich in einer genauen Textanalyse möglichen Einwänden zu stellen. Zum anderen werden die Thesen des „Wealth of Nations“ dadurch entschärft und uminterpretiert, dass sie mit Aussagen aus Smiths anderem großen Werk, der „Theorie der ethischen Gefühle“, vermischt werden (z.B. S. 80f. u. 182). Diese unter Ideenhistorikern, politischen Philosophen und Wirtschaftsethikern seit einiger Zeit sehr beliebte Vorgehensweise ist aber aus verschiedenen Gründen methodisch äußerst fragwürdig: Erstens hat sich Smith an keiner Stelle des „Wohlstands der Nationen“ auf sein moralphilosophisches Werk bezogen. Und da auch nicht bekannt ist, dass er es Buchhändlern zur Auflage gemacht hätte, seine beiden Werke immer nur zusammen zu verkaufen, muss man davon ausgehen, dass er der Ansicht war, sein ökonomisches Werk sei aus sich selbst heraus zu verstehen. Zweitens zeugt diese Vermengung von einem grundsätzlich ahistorischen Verständnis von Smiths Gesamtwerk. Schließlich liegen zwischen der Veröffentlichung der „Theorie der ethischen Gefühle“ (1759) und der des „Wealth of Nations“ (1776) immerhin 17 Jahre. Eine mögliche Entwicklung in Smiths Gedankengängen während dieser langen Zeit wird nicht in Betracht gezogen, die Frage nach etwaigen Auswirkungen seines Aufenthalts in Frankreich 1764–1766 und dem Einfluss der Physiokraten auf seine ökonomischen Ideen ebenfalls nicht gestellt.3 Das Resultat ist ein Zirkelschluss, in dem die „Theorie der ethischen Gefühle“ den Interpretationsrahmen des „Wohlstands der Nationen“ vorgibt und die auf dieser Grundlage entstandene Interpretation wiederum als Beweis dafür dient, dass es „[z]wischen den beiden Hauptwerken Smiths, seinem ethischen und seinem politisch-ökonomischen, [...] keinen Gegensatz“ gibt (S. 177).

Welcher Zwang den Texten bei der Konstruktion dieses „anderen Smith“ (S. 226) teilweise angetan wird, zeigt exemplarisch Stremingers Darstellung von Smiths Ansichten zur Bildung im „Wohlstand der Nationen“: Streminger zufolge möchte Smith „der Unsichtbaren Hand des Marktes entgegenwirken – und zwar durch den Unterricht einer von religiösen Vorstellungen gereinigten Moralphilosophie in jenem umfassenden Sinn, in dem Smith diese philosophische Disziplin verstand und lehrte“ (S. 174). An anderer Stelle spricht Streminger auch von „Bildung für alle“ (S. 182). Tatsächlich hat Smith erkannt, dass die Arbeitsteilung den einzelnen Arbeiter zur wiederholten Ausführung ein und desselben simplen Handgriffes zwingt und zur Verkümmerung der intellektuellen Fähigkeiten von Arbeitern führen würde, wenn dieser nicht durch Schulbildung entgegengewirkt werde. Doch schießt Streminger bei seiner Interpretation der Smith’schen Vorstellungen kilometerweit übers Ziel hinaus. Während sich der Leser nach der Lektüre seines Buchs nämlich vorstellt, dass der einfache Arbeiter eine umfassende moralphilosophische Ausbildung erhalten sollte, spricht Smith im Text lediglich von „Lesen, Schreiben und Rechnen“, die den Kindern des „gemeinen Volks“ in einer „bescheidenen Schule“ beigebracht werden sollen, bevor sie ihre niederen Tätigkeiten aufnehmen.4 Sozialer Aufstieg ist dabei nicht intendiert. Dass die Angehörigen des common people in einem „zivilisierten Gemeinwesen“ nicht so gut ausgebildet sein können wie „Personen von einem gewissen Rang und Vermögen“, hielt Smith für unausweichlich.5 Von der Verwirklichung eines „autonomen, selbstbestimmten Lebens“, das Smith laut Streminger „allen Mitbürgern“ ermöglichen wollte (S. 189), kann daher keine Rede sein.

Ähnlich irreführend sind die anachronistischen Vorstellungen von „staatlichem Arbeiterschutz“ und „Mindestlohn“ (S. 159), die Streminger in Smiths Werk hineinliest. Ein wichtiger Wesenszug des idealen Bildungssystems nach Smith ist im Übrigen, wie Streminger selbst bemerkt (S. 34), dass es weitgehend über direkt vom Publikum zu erbringende Gebühren finanziert werden soll. Denn Smith war der Ansicht, dass Lehrer und Professoren – wie auch Richter und andere öffentliche Angestellte – kein festes Salär vom Staat erhalten dürften, da sie nur dann gute Leistungen erbrächten, wenn sie einem ständigen Konkurrenzdruck ausgesetzt seien6 – eine ziemlich „neoliberale“ Position, könnte man meinen.

In Stremingers schlankem Buch erfährt der Leser letztlich mehr über dessen eigene Ansichten als über die von Adam Smith. Dieser hat sicherlich nicht der Ausbeutung von Arbeitern das Wort geredet. Doch weder der Smith der „Theorie der ethischen Gefühle“ noch der des „Wohlstands der Nationen“ eignen sich als Referenzpunkte für eine grundsätzliche Kritik am Neoliberalismus oder gar als Gründungsfigur einer „sozialen Marktwirtschaft“ (S. 226). Der Erste glaubte, dass die Vorsehung die Erde in ihrer Weisheit unter wenigen Herren aufgeteilt hatte, und fabulierte in seiner warmen Gelehrtenstube von Bettlern, die sich am Wegesrand sonnen und diejenige „Sorglosigkeit und Sicherheit“ besitzen, „für die Könige kämpfen“7; der Zweite wiederum war davon überzeugt, dass staatliche Eingriffe in das Marktgeschehen nur schädlich sein können, weil sie das freie Wirken des Konkurrenzmechanismus einschränken und dadurch Kapital in unprofitable Wirtschaftszweige umleiten.

Es ist zu wünschen, dass die Forschung Adam Smith in Zukunft wieder stärker als Untersuchungsgegenstand eigenen Rechts behandelt, anstatt ihn zum Vehikel für die Verbreitung der eigenen Ideen zu verwenden.

Anmerkungen:
1 Siehe beispielsweise: Spencer Pack, Capitalism as a Moral System. Adam Smith’s Critique of the Free Market Economy, Cheltenham 1991; Knut Haakonssen (Hrsg.), The Cambridge Companion to Adam Smith, Cambridge 2006; Lisa Herzog, Inventing the Market. Smith, Hegel, & Political Theory, Oxford 2013.
2 Adam Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (The Glawgow Edition of the Works and Correspondance of Adam Smith 2), hrsg. v. Roy H. Campbell / Andrew S. Skinner / William B. Todd, Oxford 1976, z.B. Bd. 1, S. 454 u. 456; Bd. 2, S. 687.
3 Für einen Versuch, die Genese von Smiths ökonomischen Ideen nachzuvollziehen, siehe Moritz Isenmann, Die langsame Entstehung eines ökonomischen Systems. Konkurrenz und freier Markt im Werk von Adam Smith, erscheint in: Historische Zeitschrift 307 (2018), H. 3.
4 Smith, Wealth of Nations, Bd. 2, S. 784f.
5 Ebd.
6 Ebd., S. 759.
7 Adam Smith, The Theory of Moral Sentiments, hrsg. v. Knud Haakonssen, Cambridge 2002, S. 216.

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