N. Beljakova u.a.: "Es gibt keinen Gott!"

Cover
Titel
"Es gibt keinen Gott!". Kirchen und Kommunismus. Eine Konfliktgeschichte


Autor(en)
Beljakova, Nadezhda; Bremer, Thomas; Kunter, Katharina
Erschienen
Freiburg 2016: Herder Verlag
Anzahl Seiten
255 S.
Preis
€ 29,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus Buchenau, Institut für Geschichte, Universität Regensburg

Zum Verhältnis von Kommunismus und Religion ist seit der Öffnung der Archive hinter dem ehemaligen Eisernen Vorhang intensiv geforscht worden, allerdings sind kaum synthetisierende, länderübergreifende Arbeiten zu der Problematik entstanden. Das vorliegende Werk ist daher hochwillkommen, denn es nutzt den zeitlichen Abstand zur Epochenwende von 1989 für eine knappe, allgemein verständliche Gesamtschau, die vor allem die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten in den Mittelpunkt rückt, aber auch einen Blick nach Ostasien und Lateinamerika wirft. Die Autoren – die orthodoxe Kirchenhistorikerin Nadezhda Beljakova von der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau, der katholische Theologe Thomas Bremer von der Universität Münster und die evangelische Theologin Katharina Kunter von der Universität Karlsruhe – verantworten ihren Text gemeinsam. Zu den starken Seiten des Buches gehört, dass es nicht wie sonst üblich mit Marx und Lenin beginnt, sondern bis in die Französische Revolution zurückgeht und zeigt, wie sich eine Gegnerschaft zwischen Christentum und Revolution schon hier aufbaut. Die Kirchen positionieren sich schon früh gegen ein Weltbild, das sie als Entthronung Gottes und maßlosen Anthropozentrismus wahrnehmen. Verdienstvoll ist insbesondere, wie das Buch an das Unbehagen protestantischer Theologen am Säkularismus erinnert, eine Geschichte, welche die EKD-Führung heute eher schamvoll verschweigt, statt dieses Erbe reflektierend anzunehmen.

Eine gelegentliche Schwäche des Buchs besteht darin, dass es seine komparativen Möglichkeiten nicht immer ausschöpft. Weshalb gerade Russland Schauplatz enormer antireligiöser Gewaltexzesse wurde, wird aus der Darstellung nicht ganz klar. Die Autoren erwecken (S. 54) den Eindruck, als seien die Amtskirchen aller drei großen Konfessionen gleichermaßen taub für die soziale Frage gewesen, was dann auch der Konfliktgeschichte des 20. Jahrhunderts den Weg bereitet habe. Zu diesem Schluss kommen sie nach einem Blick auf das Deutsche Kaiserreich und Russland. Die Unterschiede zwischen beiden Ländern sind allerdings beträchtlich, und die Bandbreite möglicher Konstellationen zwischen Religion und Revolution zeigt sich als noch wesentlich breiter, wenn man auch Länder wie England oder die USA heranzieht. Letztere sind bekannt dafür, dass sie im 19. und 20. Jahrhundert kaum Atheismus oder Antiklerikalismus entwickelten, weil hier das Band zwischen politischer Macht und einer bestimmten Kirche schwächer bzw. nicht vorhanden war. Besonders problematisch waren dagegen Länder wie Frankreich oder auch Russland, in denen sich konservative Kirchen gegen die Moderne wehrten und gleichzeitig ein enges Bündnis mit der politischen Macht eingingen, für deren Fehlleistungen und Ungerechtigkeiten sie dann in blutigen Revolutionen verantwortlich gemacht wurden.

Die Schilderung des Kirchenkampfes in der frühen Sowjetunion beinhaltet alle wichtigen Aspekte – die äußerst harten Maßnahmen der Bolschewiki wie auch die Versuche der in die Enge getriebenen orthodoxen Kirche, zu einem Modus vivendi mit dem neuen Regime zu kommen; den quasi-religiösen Eifer Lenins und seiner Mitstreiter, die anders als Marx die Kirchen als gefährliche Konkurrentinnen um die Herzen der Bevölkerung betrachteten und entsprechend hart gegen sie vorgingen; die verschiedenen Techniken der Marginalisierung, der Spaltung, der Vernichtung von Religion sowie ihre Substitution durch Ersatzkulte.

Anders als das historische Gedächtnis der Kirchen Osteuropas, das den Kommunismus nicht selten pauschal als Martyrium erinnert, differenziert die Darstellung je nach Zeit und Ort. Die Wende der Stalinschen Kirchenpolitik im Zweiten Weltkrieg wird als ein beinahe ebenso einschneidendes Ereignis herausgestellt wie die Revolution selbst. Nachdem noch in den späten 1930er-Jahren in großem Ausmaß Kleriker und Gläubige als ‚Volksfeinde‘ erschossen worden waren, erlaubte die Regierung nach Hitlers Angriff auf die Sowjetunion die Wiederöffnung von Kirchen und ließ 1943 sogar einen neuen russisch-orthodoxen Patriarchen wählen. Im Einklang mit der neueren Forschung betonen die Autoren, die Wende gehe nicht auf eine prinzipiell geänderte Haltung Stalins (oder gar seine Konversion zur Orthodoxie) zurück, sondern erklären den neuen Kurs aus dem Diktat der Notwendigkeit – es sei darum gegangen, in einer für das Land lebensbedrohlichen Lage die Loyalität der Bevölkerung zu sichern. Als schließlich der ‚Erwerb‘ von Satellitenstaaten im östlichen Europa absehbar wurde, benötigte man eine sichtbare orthodoxe Kirche auch als Instrument der Diplomatie und Propaganda – eine Aufgabe, der das Moskauer Patriarchat recht willig nachkam.

Diese bereits ‚eingehegte‘ antireligiöse Politik exportierte Moskau schließlich als Modell in seine Satellitenstaaten. Die Zeit des militanten Atheismus war mit dem Zweiten Weltkrieg vorbei, gekommen war die Zeit des wissenschaftlichen Atheismus. Religion galt nicht mehr so sehr als schädlich, sondern als falsch, und zu bekämpfen hatte man sie nicht mehr primär mit Gewalt, sondern mit Aufklärung. So war es zumindest in der Theorie. Das Buch sagt recht wenig über eine dritte, aber bedeutende Praxis des ‚reifen Kommunismus‘ – die bürokratische Zermürbung, die Alltagsdiskriminierung, den niederschwelligen Terror. Dafür macht es umso deutlicher, dass die Satellitenstaaten durchaus Freiräume hatten, ihre Religionspolitik selbst auszugestalten, so dass sich eine beträchtliche Vielfalt landestypischer Arrangements herausbildete. Recht eigenständig war etwa die Praxis der DDR, wo die evangelische und katholische Kirche – einer westlichen Tradition folgend – Körperschaften öffentlichen Rechts blieben, über erhebliche innere Autonomie verfügten und weniger als in anderen kommunistischen Ländern marginalisiert wurden (beispielsweise blieben die theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten erhalten). Die religionspolitische Realität der Sowjetunion gestaltete sich dagegen als hartes Durchregieren des Staates, sei es bei Bischofswahlen oder bei den Kirchenfinanzen. Die Autoren hätten ruhig deutlich machen können, dass ähnliche Unterschiede – wenn auch nicht in diesem Ausmaß – auch zwischen anderen Regionen des östlichen Europas bestanden, etwa zwischen dem orthodoxen und katholischen Südosteuropa. In den 1960er-Jahren war die jugoslawische Regierung beispielsweise über sämtliche Diskussionen in der serbisch-orthodoxen Kirchenleitung informiert, das katholische Erzbistum Zagreb galt der politischen Führung dagegen als schwer kontrollierbare black box. Einen Unterschied machten hier oft die 1950er-Jahre – hatte eine Kirche (zum Beispiel durch ausländische Unterstützung, besonders loyale Kleriker und Gläubige) genügend Vitalität, um die ersten repressiven Phasen der Religionspolitik zu überstehen, wie das beim Katholizismus in Polen oder in Kroatien der Fall war, dann konnten sich die so erkämpften Freiräume in den 1960er-Jahren stabilisieren. So gesehen war die Rolle des polnischen Katholizismus für die Zivilgesellschaft nicht wirklich ein ‚Sonderfall‘, wie die Autoren schreiben, sondern eher die besonders prägnante Ausformung einer oft stärkeren Selbstbehauptung des Katholizismus in kommunistischer Umgebung.

Der Schatten der Geschichte ist in jedem Fall lang – auch das macht dieses Werk deutlich. Die religiösen Kulturen des östlichen Europas, so die Autoren, seien durch die kommunistische Phase ‚entbürgerlicht‘ worden und hätten eher erbaulichen und liturgischen Charakter angenommen – ein Umstand, der seither das kirchliche Ost-West-Gespräch nicht gerade erleichtert hat, weil in den westeuropäischen Großkirchen gerade jene bürgerlichen Stimmen den Ton angeben. Wo sich Kirchen (wie in Polen und der DDR) Eigenständigkeit bewahrt hatten, half dies über die Wendezeit, weil eher Gegeneliten für den politischen Wechsel bereitstanden und in der Gesellschaft bereits eine gewisse Kultur des Dialogs etabliert war. Die orthodoxen Kirchen waren im Wendeprozess dagegen „sehr viel zurückhaltender“ (S. 212), wobei die Autoren nicht allzu sehr auf die Folgen eingehen. Ein vergleichender Blick auf Russland, Rumänien und Bulgarien würde aber deutlich zeigen, dass diese Länder recht unvorbereitet in die Transformation stolperten, die entsprechend chaotisch verlief – auch deshalb, weil hier die Kirchen als ‚Brücke‘ von der kommunistischen in die liberal-demokratische Ordnung weitgehend ausfielen. Ökumenische Rücksichten scheinen eine Rolle zu spielen, wenn es um die Kirchen im Jugoslawienkonflikt geht – hier zeigt das Buch meines Erachtens nicht deutlich genug, wie sehr Vertreter der großen Kirchen Stichwortgeber des Nationalismus gewesen sind, allen voran der serbisch-orthodoxen.

Unter dem Strich ist Nadezhda Beljakova, Thomas Bremer und Katharina Kunter ein wichtiges Werk gelungen, das ein weit verzweigtes Thema kompetent und gedankenreich auf knappem Raum darstellt. Wünschenswert wäre ein Einschluss des in Teilen der Region tief verwurzelten Islams gewesen – aber angesichts des ohnehin schon weiten Themas sei dies nicht als Kritik formuliert, sondern eher als Aufforderung an zukünftige Autoren. Die Verfasser schließen mit dem passenden Fazit, dass es in der Konfliktgeschichte zwischen Christentum und Kommunismus am Ende keinen Sieger gab. Die Kommunisten traten bis in die 1960er-Jahre triumphal auf, scheiterten aber letztlich an ihren eigenen Versprechungen; die Kirchen konnten so aus dem gesellschaftlichen Abseits zurückkehren, ihren früheren gesellschaftlichen Einfluss aber nicht wieder vollständig restaurieren.