M. Schulze: Wie die Dinge sprechen lernten

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Titel
Wie die Dinge sprechen lernten. Eine Geschichte des Museumsobjektes 1968–2000


Autor(en)
Schulze, Mario
Reihe
Edition Museum 25
Anzahl Seiten
401 S.
Preis
€ 44,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Ludwig, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

„Von der Vitrine in die Vitrine“ (S. 345) resümiert Mario Schulze seine „kreisförmige“ (S. 14) Geschichte des Museumsobjekts zwischen den 1960er- und den 2000er-Jahren. Das ist ebenso untertrieben wie nicht ganz korrekt. Was Schulze in seiner von Philipp Sarasin (Zürich) und Anke te Heesen (Berlin) betreuten Dissertation beschreibt, ist die durch Ausstellungen vollzogene Auseinandersetzung kulturhistorischer Museen mit ihren gesammelten Objekten in den vergangenen fünfzig Jahren und deren kulturtheoretischem Umfeld. Seine Beispiele sind das Historische Museum Frankfurt am Main und das Berliner Werkbundarchiv/Museum der Dinge. Ausgangspunkt der Analyse ist die radikale Abkehr von Objekt und Vitrine in der Dauerausstellung des Frankfurter Museums 1972. Die Beschreibung endet mit den eingehausten Konzentrationen von Museumsdingen in den Berliner Ausstellungen um die Jahrtausendwende. Schulzes Interesse gilt dem Wandel des Museums, der durch den Zusammenhang von Ausstellungsgestaltung und Objektwissen erkennbar wird und in wechselnde „gesellschaftliche Leitwerte“, Geschichtsbilder, Konsumvorstellungen und wissenschaftliche Debatten eingebettet ist. Das Erkenntnisinteresse zielt dabei in zwei Richtungen: eine Historisierung des Museums sowie eine „Objektontologie“ (S. 15).

Im Zentrum der chronologisch angelegten, durch theoretische Reflexionen unterbrochenen Darstellung stehen Detailanalysen von Ausstellungen1, anhand derer sich der Umgang der Kurator/innen mit Objekten ablesen lässt. Schulze beginnt mit dem Jahr 1972, als das Historische Museum Frankfurt am Main in seiner neu konzipierten Dauerausstellung eine auf erläuternden und einordnenden Texten beruhende Präsentation wählte, eine Lernausstellung, die sowohl politisch kontrovers diskutiert wurde2 als auch einen radikalen Bruch mit den bis dahin üblichen objektbasierten Darstellungsformen in Form von „Meisterwerken“ oder Anschauungsbelegen bedeutete. Dieser neue Typus einer „argumentierenden Ausstellung“ (S. 81) griff in seiner Kombination von Text, Großfoto und Leitsystem sowohl auf die Ausstellungsarchitektur der 1920er-Jahre zurück wie auch auf Elemente des Messebaus und wurde damit gleichsam ortlos. Das Frankfurter Experiment war in seinem expliziten Gesellschafts- und Besucher/innenbezug äußerst zeitbezogen, zeigte zugleich aber auch, dass sich die damals virulenten Fragestellungen in den Museumssammlungen nicht wiederfinden ließen. Im Verlauf der 1970er- und stärker noch in den 1980er-Jahren wurden deshalb sowohl die Sammlungen zur Industrie-, Arbeiter- und Alltagskultur aufgebaut als auch Ausstellungen zunehmend im Sinne „argumentierender Objektensembles“ (S. 159) konzipiert. Schulze erkennt hier eine Rückkehr des Objekts in den Ausstellungskontext, verbunden mit Inszenierungsstrategien des Theaters, die letztlich eine lebensweltliche Einbindung der Museumsobjekte bewirken sollten. Diese Hinwendung zu Inszenierungsstrategien ist auch kennzeichnend für die szenographischen Ausstellungen der 1980er-Jahre, in denen weniger historische Informationen objektgebunden präsentiert, als vielmehr Bedeutungen kommuniziert werden sollten. Für diese „kulturwissenschaftliche Wende“ (S. 203) wechselt Schulze seinen Beobachtungsort und wendet sich dem 1973 gegründeten Berliner Werkbundarchiv zu, das in den 1980er-Jahren mit dem Zusatz „Museum der Alltagskultur“ versehen wurde und schließlich 1999 in „Museum der Dinge“ umbenannt wurde. Allein diese Namenswechsel verdeutlichen die Entwicklung, die die Auseinandersetzung mit der materiellen Kultur und ihrer Präsentation seit den 1970er-Jahren genommen hat. Das Werkbundarchiv/Museum der Dinge steht schon länger als Beispiel für eine semiotische Verhandlung von Dingen und ihren Bedeutungen im Fokus der Aufmerksamkeit.3 Anfangs als „Protestmuseum“ (S. 224) dem Sammeln von ephemeren Alltagsobjekten verpflichtet, wandte es sich in den 1980er-Jahren multimedialen Inszenierungsweisen zu, die als Denkbilder fungieren sollten und den Ausstellungsraum, nicht zuletzt unter Bezug auf Walter Benjamins Aura-Begriff, als Reflexionsraum konzipierten. Obwohl diese Ausstellungen vergleichsweise objektarm waren, stellte Schulze heraus, dass sie auf einem „verfeinerten Wissen vom Objekt“ (S. 250) beruhten. Dieses sich anreichernde Objektwissen wurde schließlich seit den 1990er-Jahren Grundlage einer erneuten Objektzentrierung in den Ausstellungen des Werkbundarchivs/Museums der Dinge, die das oben zitierte Diktum „Von der Vitrine in die Vitrine“ erklären.

Dieses Hintergrundrauschen vom Objektwissen und seinen Veränderungen bildet den Kern von Schulzes Argumentation. Dies gelte, so stellt der Verfasser heraus, nicht nur für die Expertise der Kurator/innen im Museum, sondern auch für das Publikum. Die Veränderung der Inszenierungspraktiken geht also einher mit einer Verhandlung der materiellen Kultur in der Gesellschaft. Besonders deutlich wird dieses Argument anhand der erneuten Dingzentrierung des Werkbundarchivs/Museums der Dinge in den 1990er-Jahren herausgearbeitet, die Schulze vor dem Hintergrund einer (vermuteten) reflektierten Konsumpraxis der Museumsbesucher/innen sowie einer zunehmenden Wertschätzung des Besonderen, dargelegt am zeitgleichen Aufstieg des Versandhauses Manufactum, sieht. Damit wird eine direkte Linie zwischen Museum und Konsumgesellschaft gezogen, ein Argument, das schon für das späte 19. Jahrhundert für den Vergleich von Museum und Warenhaus genutzt wurde.4 Die Entwicklung der musealen Präsentationsstrategien reflektiert damit den Stand der wissenschaftlichen und öffentlichen Debatten über die materielle Kultur in ihren jeweiligen Schwerpunktsetzungen von der Gesellschafts- und Konsumkritik über die Aufladung der Objekte als Zeichenträger bis hin zur Charakterisierung des Dings als Akteur. Schulzes Interesse an einer Historisierung der Institution Museum und des Kenntnisstandes über das Einzelobjekt, deren verbindendes Element er in der Abfolge von Inszenierungsweisen festmacht, führt zu einer plausiblen Situierung des Ausstellungswesens im gesellschaftlichen Prozess und geht damit weit über bisherige institutionengeschichtliche beziehungsweise dingtheoretische Zugriff hinaus.

Zugleich regt die Untersuchung zu weiterführenden Fragen an. Die erste richtet sich an die Beziehung zwischen Kurator/innen und Publikum, von der Schulze konstatiert, sie sei insofern eng gewesen, als beide gleichsam als Zeitgenoss/innen agiert und somit ein ähnliches Problembewusstsein und einen ähnlichen Reflexionsstand besessen hätten. Einleuchtend ist diese Argumentation im Hinblick auf ein der Institution verbundenes Publikum, wie etwa beim Werkbundarchiv/Museum der Dinge. Zweifel scheinen jedoch hinsichtlich ein auf ein breites Publikum angelegtes Museum wie das in Frankfurt am Main angebracht, dessen Perspektivwechsel nur von einem Teil der Öffentlichkeit mitgetragen wurde. Insofern stellt sich die Frage nach der Rolle der Institution Museum und vor allem die nach der Mitteilungsbereitschaft der Kurator/innen noch einmal nachdrücklich. Die zweite Frage richtet sich an das Verhältnis von Ausstellung und Sammlung. Schulze hat in seiner Untersuchung darauf hingewiesen, dass in den 1980er-Jahren das Sammeln von Objekten der industriellen Massenkultur und des Alltags eine Reaktion auf die für die eigene Argumentation unzureichende „Objektlage“ gewesen sei, an anderer Stelle auf das Kuratieren von Ausstellungen als Neuverhandlung des Vorhandenen. Da die musealen Sammlungen die Quellengrundlage des Ausstellungsnarrativs bilden (oder eben auch nicht, wie der Verfasser gezeigt hat), sollte diesem Verhältnis von Sammlung, Dingwissen und Erzählstrategie noch einmal gesonderte Aufmerksamkeit gewidmet werden. Mit ihren präzisen Beschreibungen von Ausstellungsarrangements, kenntnisreichen Querverweisen, einer ausgezeichneten Bibliographie und nicht zuletzt aufgrund ihrer historischen Kontextualisierung ist Schulzes Untersuchung jedoch eine gewinnbringende Lektüre zur Zeitgeschichte der Museen.

Anmerkungen:
1 Zur Methode vgl. die Ergebnisse des Projektseminars an der Humboldt-Universität zu Berlin in Mario Schulze / Anke te Heesen / Vincent Dold (Hrsg.), Museumskrise und Ausstellungserfolg. Die Entwicklung der Geschichtsausstellung in den Siebzigern, Berlin 2015.
2 Detlef Hoffmann u.a. (Hrsg.), Geschichte als öffentliches Ärgernis oder: ein Museum für die demokratische Gesellschaft. Das Historische Museum Frankfurt a.M. und der Streit um seine Konzeption, Fernwald 1974.
3 Jana Scholze, Medium Ausstellung. Lektüren musealer Gestaltung in Oxford, Leipzig, Amsterdam und Berlin, Bielefeld 2004.
4 Christoph Asendorf, Batterien der Lebenskraft. Zur Geschichte der Dinge und ihrer Wahrnehmung im 19. Jahrhundert, Gießen 1984.

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