A. Stender: Die Entwicklung der Buchherstellung

Cover
Titel
Die Entwicklung der Buchherstellung in der Bundesrepublik Deutschland am Beispiel der prämierten Bücher der Stiftung Buchkunst.


Autor(en)
Stender, Alexandra
Reihe
Buchwissenschaftliche Beiträge 92
Erschienen
Wiesbaden 2016: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
IX, 189 S., 111 Abb.
Preis
€ 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kim Christian Priemel, Department of Archaeology, Conservation and History, University of Oslo

Bibliophilie und Buchwissenschaften seien, so stellt Alexandra Stender in ihrer Dissertationsschrift früh fest, „zwar Geschwister, aber keine Zwillinge“ (S. 27). Mit anderen Worten: das gedruckte Buch schön zu finden, mag erklären, warum sich Wissenschaftler dafür interessieren, nicht aber, welchen Erkenntnisgewinn sie aus der Beschäftigung damit ziehen. Für Stenders eigenes Thema ist dies gleich doppelt bedeutsam, bedient sich ihre Untersuchung doch eines ganz besonderen Samples: den als schönste Bücher des jeweiligen Verlagsjahres ausgewählten Bänden der Stiftung Buchkunst. Ziel der Arbeit ist es, anhand dieser Auswahl die Wandlungen der Buchherstellung in einer ungefähr mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges einsetzenden und bis in die Gegenwart reichenden Periode zu untersuchen. Stender, die explizit auf Hans Peter Willbergs früherem Band aufbaut1, sucht in einem systematischen Zugriff Trends in der Buchgestaltung zu identifizieren und auf ein gemeinsames Set von Veränderungen zurückzuführen. Als solches identifiziert sie fünf, als „Entwicklungstreiber“ (S. 135) bezeichnete Faktoren: (a) die Verfügbarkeit von Material und Technik, d.h. insbesondere Papierwahl, Satz- und Drucktechnologien sowie buchbinderische Entwicklungen; damit zusammenhängend zum einen (b) die Rationalisierungsbestrebungen in der Druckbranche sowie zum anderen (c) technologisches Knowhow und technische Kompetenz der Beschäftigten; (d) mit dem „Wandel des Zeitgeschmacks“ (S. 151) kommen auch die Konsumenten ins Bild, während (e) die Analyse der Konkurrenz zu anderen, namentlich elektronischen und digitalen Medien sowohl wandelnde Muster des Medienkonsums als auch erneut technologische Entwicklungen thematisiert. Die Abgrenzungen der einzelnen Faktoren fallen entsprechend nicht immer präzise aus, so dass gelegentliche Redundanzen fast unvermeidbar scheinen.

Stenders Analyse profitiert sehr von ihrem systematischen Zugriff. In jeweils ausführlichen, durch gute Bebilderung unterstützten Abschnitten des Hauptteils werden die Trends hinsichtlich Papier, Buchformaten, Satztechniken, Typographie, Druck, Bindung und Ausstattung kompetent dargestellt. Von wandelnden Funktionen des Papierwechsels über die Auswirkungen technischer Innovationen auf Typographie und Satzspiegel bis zu den Buchbindern als „ewigen Sorgenkindern der Buchherstellung“ (S. 147) werden die zentralen Veränderungen nachvollzogen. Deutlich wird dabei einerseits, dass technologische Neuerungen wie Photo- und digitaler Satz keineswegs automatisch mit höheren Standards einhergingen, im Gegenteil: Die Klagen über das geringe Niveau des Lichtsatzes, vor allem aufgrund unzureichend gezeichneter Schriften und undurchdachter Abstände, sowie eine grundsätzliche Ignoranz gegenüber gestalterischen Standards findet Stender in den 1970er- und 1980er-Jahren wiederkehrend. Andererseits legt sie auch dar, dass der Abschied erst vom Blei und dann vom Film gestalterische Freiheiten eröffnete, gar eine „Demokratisierung“ (S. 169) mit sich brachte – und dass dennoch nicht alle Spielräume genutzt wurden: Etablierte Lesegewohnheiten erwiesen sich offenbar als so dominant, dass etwa ein völliger Verzicht auf Satzspiegel nie zur Debatte stand. Ein weiteres zentrales Ergebnis ihrer Studie ist, dass die Materialität des Buches selbst zunehmend zum Verkaufsargument und Gestaltungselement avancierte, um das Alleinstellungsmerkmal gegenüber den konkurrierenden Medien zu betonen. Der Buchkörper selbst steht – wenigstens in den prämierten Bänden der Stiftung Buchkunst – inzwischen sehr deutlich im Vordergrund.

Die Stärke von Stenders Studie, das klar abgegrenzte Sample, markiert zugleich auch die Grenzen ihrer Ergebnisse. Wie viel Generalisierungsfähiges aus den Premiumprodukten des deutschen Buchhandels abzuleiten ist, darüber ist sich auch die Autorin klar, bleibt offen. Nur beiläufig wird darauf hingewiesen, dass die Prominenz des Buchkörpers auch in Neuerscheinungen mit hohen Auflagen zu beobachten ist, und der kursorische Verweis auf die (von Penguin verlegten und mit einer weltweiten Auflage von 5.000 Exemplaren quantitativ im Mittelfeld rangierenden) Clothbound Classics wird nicht weiter verfolgt. Dass die empirische Ausweitung jenseits der ausgezeichneten Bücher eine enorme, von einer einzelnen Bearbeiterin kaum zu leistende Arbeit bedeutet hätte, trifft zweifellos zu – eine Probebohrung aber hätte man sich doch gewünscht. Damit hätte sich demonstrieren lassen, ob das Sample tatsächlich als „Seismograph“ (S. 172) taugt und in welchem Verhältnis Massen- und Nischenproduktion zueinanderstehen, etwa analog zur Haute Couture und der Mode von der Stange.

Platz wäre für solche Überlegungen gewesen, bieten doch breite Teile der Arbeit sehr grundsätzliche und anderswo nachlesbare Zusammenfassungen etwa des Verhältnisses von Buch- und Bibliothekswissenschaften, der Entwicklung von Satz, Druck und Bindung seit Gutenberg oder der Unterschiede zwischen Antiqua- und Grotesk-Schriften. Hilfreich für den Laien, werden mit der Materie vertraute Leser diese Teile eher überblättern. Hier spiegeln sich disziplinäre Anforderungen an die Qualifikationsarbeit, während im Hauptteil auch die Bibliophilie mehr als einmal doch durchscheint. So heißt es unter anderem, ein mit transparentem Papier arbeitender Paul-Celan-Katalog unterstreiche das inhaltliche Argument „optisch wunderbar“ (S. 79), während ein anderer Ausstellungsband eine „aufregende Kombination“ (S. 128) aus hochglänzendem und mattem Papier aufweist. Insofern ist es nicht ohne Ironie, dass Stenders in der Reihe „Buchwissenschaftliche Beiträge“ erschienene, sehr lesenswerte Arbeit gestalterisch eher im Microsoft-Office-Universum zuhause ist und die Titelei weder Aufschluss darüber gibt, dass die Arbeit aus der Garamond gesetzt ist noch um welches Papier es sich handelt – abgesehen davon, dass es alterungsbeständig ist, was man auch der vorliegenden Dissertation wünscht.

Anmerkung:
1 Hans Peter Willberg, 40 Jahre Buchkunst. Die Entwicklung der Buchgestaltung im Spiegel des Wettbewerbs „Die schönsten Bücher der Bundesrepublik Deutschland“ 1951–1990, 2. überarb. Aufl., Frankfurt am Main 1991.