W. Rosen: Ökonomie des Kölner Stifts St. Aposteln

Cover
Titel
Die Ökonomie des Kölner Stifts St. Aposteln. Strukturen und Entwicklungen vom Mittelalter bis 1802


Autor(en)
Rosen, Wolfgang
Reihe
Rheinisches Archiv 158
Erschienen
Köln 2016: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
947 S., 1 CD-Rom
Preis
€ 120,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Popp, Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Germania Sacra

Wer schon mit mittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Quellen zur Wirtschaftsgeschichte größerer Kollegiatstifte gerungen hat, weiß es: Die detaillierte Aufarbeitung stiftischer Besitzgeschichte und Wirtschaftsweise ist auch bei guter Überlieferungslage eine Crux. Dies liegt insbesondere an der schon früh einsetzenden Aufspaltung in verschiedene, dezentral verwaltete Güterbereiche und Sondervermögen, deren Aufgaben oft nicht trennscharf zu unterscheiden sind und die sich auch gegenseitig querfinanzierten, an einer – aus heutiger Sicht – unsystematischen Rechnungsführung und nicht zuletzt auch an den unterschiedlichen Maß- und Münzeinheiten, die in den Quellen begegnen.

Wolfgang Rosen hat sich diesen Schwierigkeiten auf knapp tausend Seiten gestellt und seine im Wintersemester 2013/14 in Bonn eingereichte und 2016 im Druck erschienene Dissertation der Ökonomie von St. Aposteln gewidmet, mithin der Wirtschaftsgeschichte eines der bedeutenden Kollegiatstifte nicht nur der Stadt Köln, sondern der gesamten Germania Sacra, das im Mittelalter über 40 Präbenden verfügte, die 1583 von Papst Gregor XIII. auf 30 reduziert wurden. Der zeitliche Schwerpunkt der Untersuchung liegt quellenbedingt auf den nachmittelalterlichen Jahrhunderten bis zur Auflösung des Stifts 1802; die Überlieferung im Kölner Stadtarchiv konnte Wolfgang Rosen noch vor dem Einsturz 2009 sichten und aufnehmen.

Der Komplexität der Materie begegnet Rosen mit einer ungewöhnlich kleinteiligen Gliederung, die in diesem Falle aber durchaus hilfreich ist. Nach der Diskussion exogener und endogener Faktoren für die Wirtschaftsentwicklung werden akribisch Struktur, Einnahmen und Ausgaben der zwei großen Vermögensbereiche Kellnerei und Präsenz sowie der kleineren Stiftskassen (Neues Amt, Fabrik und Thesaurie, Kämmerei, Archiv-, Propstei-, Orgel- und Brandkasse) aufgearbeitet. Zu den wichtigsten Erkenntnissen der Analysen gehört, dass die gemeinhin angenommene Genese von der Natural- zur Geldwirtschaft für St. Aposteln keineswegs zutrifft. Ab 1450 bis zur Säkularisation stieg die Zahl der Pachtverträge mit geforderten Naturalabgaben kontinuierlich an, die Naturalanteile lagen seit 1600 kontinuierlich über 50 Prozent und erreichten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sogar einen Spitzenwert. Die Stiftsherren konnten damit in gewissem Umfang Preisentwicklungen nutzen und mithilfe ihrer größeren Lagerkapazitäten die Getreideüberschüsse bis zu einem Jahr vorhalten und in schlechteren Zeiten zu höheren Preisen verkaufen. Hier öffnet sich ein weites Feld von Fragen zur Integration des Stifts in das städtische Wirtschaftsleben, zu möglichen Konflikten mit städtischen Obrigkeiten und Beziehungen und Konkurrenzen zu den anderen am Markt präsenten geistlichen Institutionen. Rosen beschränkt sich hier jedoch auf die Ökonomie von St. Aposteln im engeren Sinne.

Auch die Verpachtungsstrategien des Stiftes sprechen für eine aktive Wirtschaftspolitik der Kanoniker. Mit der Ausweitung der Zeitpachtverträge und der Verringerung von Erb- und Lebenszeitpachtverträgen im 16. Jahrhundert reagierte das Stift auf die allgemeine landwirtschaftliche Konjunktur und konnte so die Konditionen der Verträge flexibel anpassen. Aufschlussreich ist das Kapitel zu den Anbau- und Kultivierungsbestimmungen, in dem schon für die mittelalterlichen Jahrhunderte erstaunlich viele Vorschriften für die Pächter zur Bodenverbesserung nachgewiesen werden. So lässt sich für Güter des St. Apostelnstifts bereits 1226 die Verpflichtung zur Düngung belegen. Mit der umfangreichen Beschreibung der vom Stift gewährten oder auch abgelehnten Remissionen (Abgabennachlässe) kann Rosen eine ganze Reihe von Aspekten in zeitlichen und geographischen Differenzierungen abhandeln, erwähnt seien hier nur die für die klimageschichtliche Forschung interessanten Nachlässe aufgrund von Überschwemmungen und anderen witterungsbedingten Schäden.

Durch den langen Untersuchungszeitraum berührt die Studie auch die vieldiskutierte Frage nach der Überlebensfähigkeit der geistlichen Institutionen im Zeitalter der Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts. Rosens Antwort ist hier klar: In ökonomischer Hinsicht bestanden an der Überlebensfähigkeit des St. Apostelnstifts keine Zweifel, die Aufhebung des Stifts am 9. September 1802 erfolgte durch äußere Eingriffe und nicht aufgrund eigener Schwäche.

Wolfgang Rosen hat mit der akribischen Auswertung einer unübersichtlichen und komplexen Quellensituation, mit der Dokumentation von rund 550 Seiten Güterlisten auf CD-ROM und mit den in zahlreichen Kartierungen und Graphiken veranschaulichten Ergebnissen der Printpublikation einen beeindruckenden Beitrag zur Erforschung des Wirtschaftslebens des St. Apostelnstiftes und der Stadt Köln vorgelegt. Rosen selbst betont darüber hinaus den Wert seiner Einzelstudie für komparatistische Zwecke – allein es fehlt bisher an vergleichbaren epochenübergreifenden wirtschaftsgeschichtlichen Studien mit ähnlicher Methodik. Ob sie tatsächlich kommen werden, bleibt abzuwarten.