R. Varela u.a. (Hrsg.): Shipbuilding and Ship Repair Workers

Cover
Titel
Shipbuilding and Ship Repair Workers Around the World. Case Studies 1950–2010


Herausgeber
Varela, Raquel; Murphy, Hugh; van der Linden, Marcel
Reihe
Work Around the Globe: Historical Comparisons and Connections 2
Erschienen
Anzahl Seiten
747 S.
Preis
€ 159,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Wegenschimmel, Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung, Regensburg

Das für seine Bemühungen um die Global Labour History bekannte International Institute of Social History (IISH) initiierte 2013 ein Projekt, das sich dem industriellen Schiffbau und der Schiffsreparatur widmet. “In the Same Boat? Shipbuilding and Ship Repair Workers: A Global Labour History (1950–2010)“ ist ein kollektives Forschungsprojekt, an dem 40 internationale ForscherInnen beteiligt waren. Vier Jahre später erschien der daraus entstandene Sammelband, den Raquel Varela und Marcel van der Linden vom IISH und der schottische Schiffbauhistoriker Hugh Murphy herausgeben. Die HerausgeberInnen begründen ihr Interesse an der Werftenindustrie unter anderem damit, dass sie sich aufgrund der weit weniger standardisierbaren Arbeitsprozesse stark von der häufiger untersuchten Automobilindustrie unterscheidet. Weitere Gründe sind die Besonderheiten der industriellen Großproduktion, eigene soziale Milieus zu generieren, und die auffällig häufige Verwicklung in politische Prozesse. Die besten Beispiele hierfür sind die portugiesische Setenave-Werft und die Danziger Werft in ihrem Kampf gegen autoritäre Regime.

Fallstudien sind die Königsdisziplin der Global Labour History. Sie haben den Vorteil, dass in ihnen sowohl Arbeitsbedingungen als auch Arbeits- und Produktionsbeziehungen berücksichtigt werden können. In der stark global-kompetitiven Schiffbauindustrie können vergleichende Fallstudien darüber hinaus Konkurrenz- und Kooperationslinien zwischen den Unternehmen aufzeigen. Der Untersuchungszeitraum ab 1950 wurde so gewählt, dass er sowohl Konjunkturphasen, etwa die 1950er-Jahre oder die Zeit nach der Schließung des Suezkanals, als auch Depressionen wie die zweite Ölpreiskrise umfasst. Der lange Zeitraum ermöglicht außerdem eine Untersuchung von globalen Entwicklungslinien und der Staffelübergabe an der Spitze des internationalen Wettbewerbs. Während Großbritannien noch 1950 den globalen Schiffbaumarkt dominierte, wurde es kurz darauf von Japan und später von Südkorea abgelöst. Seit einigen Jahren führt nun China die Produktionsstatistiken in Bruttoraumzahlen (Gross Tonnage) an.

In seinem Beitrag veranschaulicht Hugh Murphy den relativen und absoluten Niedergang der englischen Schiffbauindustrie. Dem Autor zufolge gibt es zwei Interpretationslager zur Erklärung dieses Phänomens: „those who blamed it on institutional rigidity and those who supported a more traditional management failure thesis” (S. 68). Nach einer langen Trajektorie staatlicher Interventionsversuche, die keine langfristigen Erfolge zeitigten, kam es 1977 zur Verstaatlichung von 19 Werften als Shipbuilders Plc. Doch auch die damit eingeleitete Restrukturierung der Branche konnte nichts daran ändern, dass die britische Schiffbauindustrie die im internationalen Vergleich am wenigsten produktive war. Mit der Regierung Thatcher begannen die Auflösung der Staatsholding und der Verkauf bzw. die Schließung der einzelnen Werften.

Gemeinsam mit Deutschland und den nordeuropäischen Staaten stellt die Geschichte der britischen Schiffbauindustire einen Fall der „managed contraction“ dar, bei der Staat und Gewerkschaften immer wieder beaufsichtigend, beratend und steuernd eingriffen. Den Gegensatz zu dieser Entwicklung finden die VerfasserInnen in den „expansionist East Asian countries“ (S. 659). China, Japan und Südkorea betraten den globalen Markt erst mit deutlicher Verspätung. Der exportorientierte Schiffbau setzte zunächst in Japan in den 1950er-, in Südkorea in den 1970er- und in China in den 1980er-Jahren ein. Diese Länder konnten dabei den Vorteil von modernen Neubauten („Greenfield“-Werften) mit großen Kapazitäten, Know-how aus den USA und Europa sowie billige Arbeitskräfte nutzen. Sie konnten den Markt mit Schiffen mit geringer Wertschöpfung und großer Bruttoraumzahl (Massengutfrachter und Tanker) erobern und versuchten später, sich auch in den Segmenten mit höherer Wertschöpfung zu etablieren. In all diesen Ländern versuchten die Unternehmen die steigenden Löhne in der arbeitsintensiven Industrie über Subunternehmen einzudämmen.

Rumänien hat heute, gemessen am Output, die größte Schiffbauindustrie Europas. Leider erfährt der Lesende das erst aus den dem Sammelband beigefügten Statistiken und nicht aus dem Beitrag von Constantin Ardeleanu zur rumänischen Schiffbauindustrie. Die Fallstudie zur Stadt Galați, der Hochburg der rumänischen Schiffbauindustrie, behandelt lediglich die kommunistische Periode und endet mit dem Jahr 1989. Den rumänischen Fall und die Danziger Werft, die Sarah Graber Majchrzak beschreibt, verbindet der ökonomische Zentralismus und die Ausgangsstellung eines Zivilschiffbaus im Auftrag der Sowjetunion, die selbst nur Marineschiffe baute. Erst nach der Reform des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe im Jahr 1954 konnten sich die Werften des Ostblocks von der Sowjetunion frei machen, um nun von der nationalen Politik kontrolliert zu werden. In Polen kam es nach dem Dezemberaufstand von 1970 in den Werften Gdansk, Gdynia und Szczecin zu einer Forcierung der Exporte in blockfreie und NATO-Staaten, um Devisen zu erwirtschaften.

Die argentinischen und brasilianischen Fälle der südamerikanischen Schiffbauindustrie zeigen den Staat als wesentlichen Akteur, und zwar sowohl als Auftraggeber als auch als Investor. Seinen Rückzug in den neoliberalen Experimenten der 1990er-Jahre quittierten die ArbeiterInnen mit Widerstand und Selbstorganisierungsstrategien, durch welche die Werften zeitweise de facto in die Hände der Beschäftigten fielen.

Es war immer ein Anliegen der Global Labour History, der Analyse prekarisierter Beschäftigung eine historische Grundlage zu geben.1 Daran halten sich die AutorInnen auch in diesem Sammelband. Sie betonen den Faktor des internationalen Wettbewerbs in der Zunahme von Werk- und befristeten Verträgen sowie die Beschäftigung über Subunternehmen in der Schiffbauindustrie. Erstaunlich ist, dass das sowohl für die asiatischen als auch für die europäischen und südamerikanischen Werften gilt.

Weniger hervorgetreten ist die Global Labour History bislang durch die Analyse staatlicher Akteure und Einflüsse, die sie als heuristisches Konzept als eher überbewertet betrachtet.2 Sämtliche Artikel des Sammelbands belegen indes, dass eine Untersuchung einer Industrie wie des Schiffbaus ohne die Variable Staat und ohne die Reflexion der möglichen Allianzen zwischen ArbeiterInnen oder Parteien nicht auskommt. Möglicherweise ist die wiederholte Thematisierung der Staat-Werften-Beziehungen auch der Mitherausgeberschaft von Hugh Murphy zu verdanken, der dieses Verhältnis für den britischen Fall bereits untersucht hat.3

Viele der Beiträge sind in einem engagierten Duktus verfasst. Oftmals bleibt dabei eine epistomologische Reflexion auf der Strecke. Eine positive Ausnahme ist der Beitrag von Johanna Wolf zum Bremer Vulkan. Sie deutet an, wie Begriffe wie „decline“ oder „Asian tigers“ auch Narrative repräsentieren, und weist auf die spannende methodologische Möglichkeit einer Wiederverwertung soziologischer Studien aus den 1980er-Jahren hin. Zum Ende ihres Beitrags zeigt sie noch die Richtung für die weitere Forschung an. Das internationale Werftenprojekt könne eben nicht damit enden, nationale Fallstudien nebeneeinander zu stellen: „As the basis of the analyses, nation-states are discussed in isolation, and rarely in relation to others. Comparative or inter-cultural transfer approaches that transcend national borders are rarely applied and, if they are, they are designed to strengthen the argument for national case studies.” (S. 141).

Man kann guter Dinge sein, wenn man hört, dass das Forschungsteam schon eine weitere Publikation, diesmal aus problemzentrierten Beiträgen, plant. Der Neoliberalismus der 1980er- und 1990er-Jahre, die Sozialpakte der 1970er-Jahre, Public-Private-Partnerships, Subunternehmen, Kooperationen innerhalb der Europäischen Union und die Beihilfenpolitik der Europäischen Kommission – all diese Themen bedürfen einer komplexen, transnationalen Betrachtung. Mit den Fallstudien dieses Sammelbandes liegen die Puzzleteile auf dem Tisch. Es geht nun darum, sie zusammenzusetzen.

Anmerkungen:
1 Marcel van der Linden, Workers of the World. Essays toward a Global Labor History, Leiden 2008.
2 Marcel van der Linden, The Promise and Challenges of Global Labor History, in: International Labor and Working-Class History 82 (2012), S. 57–76.
3 Lewis Johnman / Hugh Murphy, British Shipbuilding and the State since 1918. A Political Economy of Decline, Liverpool 2002.