D. Rohmann: Christianity, Book-Burning and Censorship in Late Antiquity

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Titel
Christianity, Book-Burning and Censorship in Late Antiquity. Studies in Text Transmission


Autor(en)
Rohmann, Dirk
Reihe
Arbeiten zur Kirchengeschichte 135
Erschienen
Berlin 2016: de Gruyter
Anzahl Seiten
IX, 360 S.
Preis
€ 99,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrich Lambrecht, Institut für Geschichte, Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz

Gründe für die Vernichtung von Büchern in der Spätantike stehen im Mittelpunkt einer ambitionierten Untersuchung des Althistorikers Dirk Rohmann. Diese Gründe werden als willentliche oder kontingente Zensurmaßnahmen verstanden und dabei vor allem mit dem religiösen Alleinvertretungsanspruch des – nizänischen – Christentums gegenüber paganen Glaubensformen und als häretisch gebrandmarkten anderweitigen christlichen Richtungen, letztlich gegenüber der gesamten im allgemeinen Sinne als nichtchristlich verstandenen antiken Literatur verbunden. Aus einem diesen Einstellungen entsprechenden Umgang mit der schriftlichen Überlieferung des Altertums in der immer mehr von christlichem Denken durchdrungenen Spätantike ergeben sich für Rohmann zwangsläufig Fragen nach Veränderungen in der Bedeutung zum einen traditionell antiker und zum anderen genuin christlicher Bildungsgrundlagen sowie nach den Wegen, auf denen dabei antike Literatur trotzdem wenigstens teilweise eine kritische Phase des Übergangs in Spätantike und Frühmittelalter zu überstehen vermochte und erhalten blieb.

Der Begründungszusammenhang von Christentum, Bücherverbrennung und Zensur in der Spätantike als Gefahr für die Überlieferung antiker Texte erfordert eine aspektreiche Argumentation, welche die vielfältigen Erscheinungsformen des vom Christentum negativ konnotierten Umgangs mit antiker Literatur und die Folgen dieses Verhaltens berücksichtigt. Für die Untersuchung dieser komplexen Fragen steht ein breites Spektrum an Quellen zur Verfügung, die diese Phänomene allerdings oft nur ganz allgemein oder auch einzelfallbezogen, dabei zugleich beiläufig und indirekt ansprechen. Das macht es einerseits nicht ganz leicht, Untersuchungskategorien aufzustellen, mit deren Hilfe sich unterschiedliche Gesichtspunkte so behandeln lassen, dass sie sich nicht überschneiden, und lässt andererseits häufig gar nicht zu, eindeutig belegbare Ergebnisse zu formulieren, die es erlauben, quellengestützte Einzelbeobachtungen zweifelsfrei zu verallgemeinern. Rohmann muss sich daher vielfach mit plausiblen Überlegungen und Schlussfolgerungen begnügen. Ungeachtet dessen bietet das Buch auf einem wichtigen Sektor Einsichten in Transformationsaspekte, die auf den Anteil des Christentums an den Veränderungen in der Rezeption überkommener kultureller Grundlagen hinweisen und somit zum Ende der Antike beitragen.

Die Untersuchung setzt mit einem Kapitel über die Folgen der diokletianischen Christenverfolgung und der Maßnahmen Julians zur reichsweiten Durchsetzung seines eigenen Verständnisses von traditioneller Religion ein. Rohmann konstatiert in diesem Zusammenhang als Reaktion auf die pagane philosophische Literatur große Vorbehalte formulierende Stellungnahmen christlicher Autoren: Sie hätten behauptet, „that pagan philosophies are demonical, ridiculous, sinful and arrogant curiosity, that philosophy itself had persecuted Christians“ (S. 60). Damit sind zwar noch nicht Zensurmaßnahmen im Stile von Christenverfolgern und -gegnern als Vorbilder für vergleichbare Initiativen auf christlicher Seite umgesetzt, die zur physischen Vernichtung schriftlich festgehaltenen Gedankenguts führen können. Es lässt sich aber erkennen, dass mit dem bekannten und bereits eingeübten Repertoire an Reaktionen auf Anschauungen, die als gefährlich für das Römische Reich und die Absicherung seines Fortbestandes galten, wesentliche Grundlagen für die Bereitschaft geschaffen wurden, Bücherverbrennungen als geeignetes Mittel anzusehen, welches nach der Verfolgungszeit vice versa auch dem Christentum dazu dienen konnte, mit Unterstützung durch staatliche Stellen ihm nicht genehme Literatur und damit die in ihr präsentierten Ideen zu vernichten.

Im folgenden Abschnitt wirft Rohmann einen Blick auf die kaiserliche Gesetzgebung und weitere staatliche Maßnahmen zur Rechtfertigung von Bücherverbrennungen und Zensur vom letzten Drittel des 4. Jahrhunderts bis ins 6. Jahrhundert. Die Durchsicht der Quellen eines Zeitraums von 200 Jahren stellt klar, „that there was no systematic plan to ban certain genres of texts“ (S. 109). Den Grund für die eher eklektizistische Vorgehensweise sieht Rohmann in einer meist auf bestimmte begrenzte Konflikte reagierenden Gesetzgebung. Als markanten Ausgangspunkt stellt er – mit Konsequenzen für die Einstellung gegenüber der paganen Bevölkerung und den als häretisch angesehenen Glaubensrichtungen – die Erklärung des Katholizismus zur Staatsreligion heraus.1 Besonders widmet er sich in diesem Zusammenhang dem Gesetz gegen die mathematici von 409 und der Ausweitung der unter diesem Begriff erfassten Personen- und Themenkreise über die Astrologie hinaus in Richtung auf Einbeziehung aller möglichen philosophischen Traditionen, die dem – nizänischen – Christentum bzw. der Bibel nicht entsprachen und als unzulässige curiositas verstanden wurden. Den Höhepunkt in der Intensität inquisitorischer Aktionen gegen paganer und häretischer Inhalte verdächtigte Texte sieht der Autor in justinianischer Zeit.

Sodann betrachtet Rohmann die in der Gesetzgebung verankerten und in staatlichen Maßnahmen erfassbaren Tendenzen aus der Sicht und Handlungsweise religiöser Eiferer, die sich an Initiativen zur Vernichtung von Texten erwiesen, welche sie als ihrer Glaubensüberzeugung widersprechend empfanden. Heilige Männer, Kleriker und Asketen genossen bei ihren Aktivitäten zum Teil staatliche Unterstützung und gaben ihnen eine spezifische Stoßrichtung gegen die kulturellen Interessen der paganen Elite, hinter der Machtkämpfe und soziale Konflikte sichtbar wurden. Dabei kam es immer weniger auf die spezifischen Inhalte der inkriminierten Bücher als vielmehr auf die Vernichtung von Dämonen an, die mit diesen Texten den Weg der von dem in ihnen vertretenen Gedankengut infiltrierten Menschen zum Seelenheil versperrten. Die Verbrennung dieser Bücher sei einem Akt der Reinigung gleichgekommen, der auch für Neubekehrte attraktiv sein konnte, die einen demonstrativen Trennungsstrich von ihrer Vergangenheit ziehen wollten. Angesichts solcher Tendenzen macht Rohmann für die Zeit ab dem 5. Jahrhundert einen Umgang mit dem klassischen Literaturerbe sichtbar, der dessen Chancen auf Überlieferung für die Nachwelt verringerte, nicht nur durch aktives Einschreiten gegen diese Texte, sondern auch durch Geringschätzung und damit fehlende Erhaltungsimpulse, etwa durch ausbleibende Vervielfältigung dieser Literatur.

Diesen Zusammenhängen widmet Rohmann in den beiden anschließenden Kapiteln besondere Aufmerksamkeit. Dabei leitet er den Niedergang nichtidealistischer Richtungen der Philosophie aus dem Aufstieg des Christentums ab (vgl. S. 157). Eine besondere Rolle habe dabei der Vorwurf gespielt, diese philosophischen Anschauungen hätten Häresien begünstigt und so die Einheit des Christentums gefährdet. Im folgenden Kapitel bezieht Rohmann in diese Argumentationsstrategie den Gesichtspunkt der moralischen Missbilligung pagan, jedenfalls nicht explizit christlich orientierter literarischer Gattungen durch christliche Multiplikatoren ein: Diese ließen sich von dem Argument leiten, „that the pagan texts of the past were completely unnecessary to lead a Christian life-style“ (S. 198). Die Untersuchung einschlägiger Stellungnahmen vor allem des Johannes Chrysostomos und des Augustinus führen Rohmann, abgesehen von der abermaligen Bestätigung in unterschiedlichen Zusammenhängen bereits festgehaltener grundsätzlicher Tendenzen, dazu, jenseits teilweise radikal klingender christlicher Rhetorik festzustellen, dass es Ausnahmen von der Dämonisierung klassischer Werke durch christliche Autoren gab, beispielsweise in Bezug auf die idealistische Philosophie Platons. Letztlich widerstanden wohl auch die Mentalität und Lebensverhältnisse der Menschen noch längere Zeit den Tendenzen, die einem völligen Verzicht auf die Nutzung der nicht dem christlichen Weltbild entsprechenden Literatur das Wort redeten.2 Dafür spricht der noch lange erhalten bleibende Stellenwert der Rhetorik im antiken Bildungssystem, auch wenn es bereits im 4. Jahrhundert Klagen über die zunehmende Attraktivität spezieller – etwa juristischer – Fachausbildung gab, die deren Adepten einerseits für die Übernahme von Aufgaben in der Verwaltung besonders geeignet machte und sie andererseits zugleich von den – paganen – Literaturgrundlagen rhetorischer Bildung fernzuhalten vermochte.

Mit der Frage nach der Zerstörung von Bibliotheken wendet sich Rohmann sodann konkreten Maßnahmen zu, die die Überlieferung antiken paganen Kulturguts erschwerten. Allerdings bleibt es weitgehend bei spekulativen Überlegungen, weil konkrete Belege für die Vernichtung von Bibliotheksgebäuden in der Spätantike mehr als rar sind. Auch der abschließende Blick auf das Schicksal der antiken Literatur in den Nachfolgestaaten des Römischen Reiches bietet nur wenig neue Anhaltspunkte. Rohmann hält den Zeitraum von 550 bis 750 für die entscheidenden Jahre in der Frage, ob klassische Texte überliefert wurden oder untergingen (vgl. S. 262). An ausgewählten Beispielen geht er Überlieferungswegen bestimmter Literatur nach. Darüber hinaus konstatiert er, zahlreiche alte Werke seien mit christlichen Texten überschrieben worden, „perhaps because of the poor state of these classical books“ (S. 294), gewiss aber wohl auch, weil die neuen Texte für wichtiger gehalten wurden als eine Literatur, die sich einer Tradition verpflichtet fühlte, die dem jenseitsorientierten Christen mit der Zeit mehr und mehr als obsolet gelten musste.

Eine Bilanz zu ziehen fällt nicht ganz leicht. Dies liegt zum einen daran, dass die aus der gesamten spätantiken Literatur mit großem Fleiß zusammengetragenen Belege eine differenzierte Kategorisierung kaum zulassen, weil sie Einzelfälle ansprechen oder auch Vorstellungen zum Ausdruck bringen, die zwar für einen bestimmten Zeitgeist stehen mögen, aber dennoch die Realität nicht unbedingt wiedergeben. Die Auswertung der kapitelweise unter verschiedenen Aspekten über einen Zeitraum von mehr als 200 Jahren betrachteten Phänomene, die in den einschlägigen Quellen angesprochen werden, läuft daher im Großen und Ganzen auf immer dieselben Befunde hinaus. Es ist aber durchaus sinnvoll, diese Arbeit geleistet und so einen Überblick über die Präsenz des Themas in den Quellen geliefert zu haben, denn auf diese Weise können Fragen der – ausbleibenden – Überlieferung antiken Schrifttums von der in Rohmanns Monographie behandelten Seite aus nachvollzogen werden.

Zum anderen vermisst man Eindeutigkeit in der Positionierung des Verfassers in der umstrittenen Frage nach Niedergang oder Wandel in der Spätantike: Sie wird zwar vorgestellt3, der eigene Untersuchungsgang in dieses Spektrum aber nicht überzeugend eingeordnet, auch wenn die Behandlung des Themas durch Rohmann Dekadenzaspekte in den Vordergrund treten lässt. Sein Untersuchungsgang zeigt eben beide Seiten, wenn man darüber hinaus die Leistung von Klöstern für den Erhalt antiker Literatur bedenkt. Der Autor bekennt sich dazu, das Verhältnis zwischen Heiden und Christen in der Spätantike nicht als „a strong Christian-pagan divide, with regard to culture, social networks or violent conflicts“ (S. 14) aufzufassen4, auch wenn „the Christian polemical discourse“ (S. 15) andere Eindrücke in den Vordergrund stellen mag. Seine Befunde sprechen dennoch großenteils eine andere Sprache und scheinen den Antagonismus in den Vordergrund zu rücken. So bleibt letztlich manches offen: die Frage, wie Rohmanns Bekenntnis zum Transformationsgedanken und gewalttätige Zensurmaßnahmen zueinander passen, und zugleich auch das Problem des Verhältnisses von rhetorischer Gestaltung und Realität der Gewaltaktionen von Christen gegenüber antiker Literatur. Mit einer abschließenden gründlichen Reflexion dieser Probleme hätte Rohmann seiner Untersuchung noch größere Geschlossenheit verleihen können.

Anmerkungen:
1 Vgl. Cod. Theod. 16,1,2; die Bewertung dieses Gesetzes als Einführung einer Staatsreligion ziehen beispielsweise Jörg Ernesti, Princeps christianus und Kaiser aller Römer. Theodosius der Große im Lichte zeitgenössischer Quellen, Paderborn 1998, S. 23f., oder Robert Malcolm Errington, Roman Imperial Policy from Julian to Theodosius, Chapel Hill 2006, S. 217–219, in Zweifel.
2 Hier ergeben sich Berührungspunkte mit Untersuchungen zur antiken paideia angesichts des Christentums; vgl. etwa Peter Gemeinhardt, Das lateinische Christentum und die antike pagane Bildung, Tübingen 2007.
3 Vgl. Rohmann S. 8f. unter Bezugnahme auf Peter Brown, The World of Late Antiquity. From Marcus Aurelius to Muhammad, London 1971, und Peter Brown, The Rise of Western Christendom. Triumph and Diversity, AD 200–1000, 2. Aufl. Cambridge, Mass. 2003, sowie Bryan Ward-Perkins, The Fall of Rome and the End of Civilization, Oxford 2005.
4 Rohmann beruft sich mehrfach auf Alan Cameron, The Last Pagans of Rome, Oxford 2011.

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