Cover
Titel
Christian Human Rights. Intellectual History of the Modern Age


Autor(en)
Moyn, Samuel
Erschienen
Anzahl Seiten
264 S.
Preis
€ 24,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hannah Müller-Sommerfeld, Universität Leipzig

Samuel Moyn, gegenwärtig einer der profiliertesten Historiographen der westlichen Menschrechtsdiskurse seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts1, hat dem Ozean an Menschenrechtsliteratur einen weiteren Tropfen hinzugefügt, wenngleich keinen neuen. Seinem Buch „Christian Human Rights“ liegen vier bereits veröffentlichte Beiträge zugrunde. Die bibliographischen Angaben nennt Moyn auf S. 245f.

Für Kenner der Materie bietet der zu rezensierende Band wenig Neues, da die früheren Beiträge nur minimal stilistisch verändert und um die neuere Literatur aktualisiert sind (Kapitel 1, 2 und 4). Für weniger Vertraute hingegen stellt das Buch eine bequeme Möglichkeit des thematischen Einstiegs in die komplexe und umstrittene Genese der Menschenrechte seit Mitte des 20. Jahrhunderts dar.

Als zentrale These formuliert Moyn in seiner Einführung, gängige Perspektiven revidieren zu wollen. Die Entwicklung der Menschenrechte seit den 1930er-Jahren würden meist als „uncomplicated triumph of liberal democracy” gesehen, doch seien sie vielmehr ein Projekt der Christlichen Rechten, denn der säkularen Linken gewesen (S. 8). Christlicher Konservativismus habe sich seit den 1930er-Jahren rekonfiguriert, christlich-konservative Kreise hätten die neue moralische Weltordnung nach dem Zweiten Weltkrieg angetrieben (S. 10). Dabei richtet Moyn seinen Fokus primär auf Katholiken, die parallelen Entwicklungen im transatlantischen Protestantismus, die die Ausbildung der Menschenrechte seit Mitte des 20. Jahrhunderts maßgeblich befördert haben, erwähnt er lediglich (S. 17).

In Kapitel 1 „The Secret History of Human Dignity“ behandelt Moyn die Genese und Bedeutung der Präambel der irischen Verfassung von 1937, die eine singuläre katholische Alternative zu den zeitgenössischen autoritären und faschistischen Lösungen darstellte. Moyn sieht in der religionsverfassungsrechtlichen Forderung, die „Würde und Freiheit des Individuums“ zu sichern, eine historische Wende, insofern als der Begriff der Würde hier erstmalig die Verlagerung von einem meist korporativen Verständnis hin zu einem individualrechtlichen dokumentiert.

Auch Kapitel 2 „The Human Person and the Reformulation of Conservativism“ bewegt sich im Themenbereich Katholizismus. Im Zentrum steht Jacques Maritain, seinerzeit einer der herausragenden katholischen Menschenrechtsphilosophen. Ihm kommt das Verdienst zu, nach der offiziellen katholischen Hinwendung zu Personalität und Menschenrechten seit Ende der 1930er-Jahre den unterschiedlichen innerkatholischen Diskursen einen systematischeren Rahmen gegeben zu haben. In Maritains Lesart wurden Menschenrechte eine dezidiert katholisch-konservative Tradition.

Kapitel 3 „The First Historian of Human Rights“ widmet Moyn Gerhard Ritter, dem Doyen der deutschen Nachkriegshistoriker. Nach dem Zweiten Weltkrieg als einer „Wirklichkeit ohne Menschenrechte“ setzte sich Ritter als einer der ersten (protestantischen) Wissenschaftler historiographisch mit „Ursprung und Wesen der Menschenrechte“ (1948) auseinander. Er betrachtete Menschenrechte in „echtem Glauben“ und nicht nur als Programm, als zentralen Dreh- und Angelpunkt für den Fortbestand der abendländischen Kultur.

Im letzten Kapitel 4 „From Communist to Muslim: Religious Freedom and Christian Legacies“ bringt Moyn Katholizismus und Protestantismus zusammen. Er geht auf die europäische Menschenrechtskonvention von 1950 ein, auf Kopftuch-Urteile des Menschengerichtshofes in Straßburg (2004), auf die Entwicklung der Religionsfreiheit als internationalem Menschenrecht sowie auf die Rolle des Katholizismus für die europäische Menschenrechtskonvention.

Insgesamt positiv ist hervorzuheben, dass sich Moyn mit „Christian Human Rights“ auf das Parkett der Religionen, vornehmlich des (katholischen) Christentums begeben hat. Er moniert im Einleitungskapitel die zentrale Problematik der Forschung, dass vielen Beobachtern die „Christian incarnation of human rights“ gar nicht bewusst sei. Profanhistoriker hätten sie „nervös umgangen“, während jene, die am Christentum interessiert seien, meist dazu neigen würden, sie falsch zu interpretieren, nämlich dahingehend, dass Menschenrechte in enger Verbindung mit dem Christentum entstanden seien (S. 4f.). Zum größten Teil gelingt es Moyn, diesem Dilemma zu entgehen. Irritierend bleibt jedoch seine teils essentialistische Terminologie. Bereits der Titel des Buches lässt fragen: Was sind „christliche Menschenrechte“? Auch wüsste man beispielsweise genauer, welche Christen gemeint sind, wenn Moyn schreibt: „And yet it is also Christians who did much and perhaps most to welcome and define the idea of human rights in the 1940s, as well as some of its core notions such as the importance of human dignity, which nobody else was yet making central in 1942.” (S. 7f.)

Diese Äußerung verweist gleichzeitig auf eine allgemeinere Problematik des gegenwärtigen Forschungsstandes zur Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert: die meist getrennte Untersuchung von christlichen und jüdischen Anteilen. Dass wie von Moyn angesprochen Papst Pius XII. in seiner Weihnachtsansprache von 1942 „Menschenwürde“ zu einem zentralen Begriff machte, erscheint singulär progressiv innerhalb der katholischen Kirchengeschichte. Wenn man allerdings die zivilrechtlich-emanzipatorischen Kämpfe um „Humanität“ und Menschenrechte im transatlantischen Judentum, die ihre Geschichte seit dem 18. Jahrhundert begleiten, hinzunehmen würde, müsste man dann nicht auch zu einer anderen Einschätzung gelangen?

Forschungen zu Menschenrechtskonzeptionen sollten nicht bei monoreligiösen Fragehorizonten stehen bleiben. Eine Überwindung der fachlich bedingten Trennungen könnte offenlegen, dass Entwicklung und Geschichte der Menschenrechte eine multireligiöse Genese haben und eine Reihe von interreligiösen Dependenzen, Widersprüchen, Transfers und Einflüssen bestanden haben und noch bestehen.

Anmerkung:
1 Vgl. auch Samuel Moyn, The Last Utopia. Human Rights in History, Cambridge 2010.