Review-Symposium "Westforschung": Beitrag D. Derks

Cover
Titel
Griff nach dem Westen. Die 'Westforschung' der völkisch-nationalen Wissenschaften zum nordwesteuropäischen Raum (1919–1960)


Herausgeber
Dietz, Burkhard; Gabel, Helmut; Tiedau, Ulrich
Reihe
Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas 6
Erschienen
Münster 2003: Waxmann Verlag
Anzahl Seiten
1260 S.; 2 Bände
Preis
€ 74,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hans Derks, Amsterdam

Der Rezensent, selber Objekt dieser sehr umfangreichen Publikation (die im folgenden GNW abgekürzt wird) dank seines Buches über ‚Deutsche Westforschung' (im folgenden DW), hatte nur eine CD-ROM von GNW und wenig Zeit für eine ins Einzelne gehende Lektüre zur Verfügung. Daher gehe ich in dieser ersten Reaktion von einigen generellen Beobachtungen mit Hilfe der vorzüglichen Register und des Verzeichnisses der Beitragenden aus und bespreche danach nur den anscheinend strategisch wichtigsten Beitrag von Bernd Rusinek. Damit bekommt man, so hoffe ich, eine unerwartete, aber klare Einsicht in der Struktur dieses publizistischen Großunternehmens.

Einschließlich der Einleitung enthält GNW 43 Beiträge von 48 Autoren (bei Abzug mehrfachen Auftretens 42) auf 1223 Seiten Text (inkl. der Register 1.300 S.). Wer sind diese Autoren, wo arbeiten sie, welchen wissenschaftlichen Disziplinen gehören sie an, wie alt sind sie? Diese Fragen sind relativ leicht zu beantworten. Schwieriger ist: Wer bezahlt eigentlich dieses Großprojekt? Der Waxmann Verlag ist sicherlich kein philanthropisches Unternehmen.

Was sagen also einige quantitative Analysen:

1. Westforschung ist zweifellos eine wissenschaftlich und politisch komplizierte Sache, die eine multi-, besser noch eine interdisziplinäre Herangehensweise verlangt. Aber 29 Autoren dieses Bandes sind allein Historiker; von den 13 Übrigen sind einige philologisch orientiert (5?), einer ist Soziologe usw. Nur der Geograf, Michael Fahlbusch, zeichnet sich durch ein fachübergreifendes Verständnis aus. Man kann also zunächst eine viel zu große Einseitigkeit bei der Zusammensetzung der Autorenschaft festhalten.

2. Westforschung handelt von mehreren Ländern und Sprachen, aber nur 7 der Autoren kommen aus dem Ausland, und sie schreiben nur holländisch-flämisch, nicht einmal französisch-wallonisch, friesisch oder skandinavisch! Der Untertitel erscheint vor diesem Hintergrund ziemlich übertrieben.

3. Die Autoren sind zu 83 Prozent Männer. Unter den sieben Ausländern ist das Verhältnis mit 60 Prozent Männern schon günstiger.

4. Brisant ist auch, dass von den Autoren 18 irgendeine direkte Bindung an die Standorte Münster und Bonn, die Hochburgen der (Neo-)Westforschung aufweisen, während dies für weitere 7 höchstwahrscheinlich ist. Andere, die eine genauere Kenntnis der personalen und persönlichen Beziehungen haben, können diese Affiliationen vielleicht noch höher schätzen. Dasselbe gilt selbstverständlich auch für die ausländischen Kontakte, wenn man bspw. die – historisch gesehen - Filiale von Bonn in Amsterdam, das Meertens Institut (siehe DW, passim), ansieht, das auch einen Autor beisteuert. Noch immer ‚his masters voice'? Sicher ist, dass, wenn soviel auf dem Spiel steht, die Initiatoren besser beraten gewesen wären jedem Verdacht der Parteilichkeit vorzubeugen, indem sie eine Mehrheit außerhalb der Münsteraner-Bonner Szene hätten zu Wort kommen lassen und darunter auch bekannte Kritiker der Westforschung.

5. In erster Instanz kenne ich nur drei oder vier der Mitarbeiter die, auf Grund ihrer publizierten Studien, zu einer derartigen Kritik im Stande sind, aber das ist hoffentlich ein Vorurteil. Auch ein Geburtsort im Ausland ist gewiss keine Garantie für eine kritische wissenschaftliche Haltung. Man nehme nur Autoren wie Barbara Henkes (Holland) oder Marnix Beyen (Belgien). Die Erste ist – aus welche opportunistischen Gründe auch immer – wider besseres Wissen Mitarbeiter eines von einem SS-Freund, Meertens, gegründeten volkskundlichen Institut, das auch noch immer dessen Namen trägt (siehe DW, passim), während Beyen sich mit einem Porträt Petris hervortut, das jenes von Karl Ditt übertrifft.

6. Wenn man das ausgezeichnete Register analysiert, sind die ersten zehn Personen, die am häufigsten genannt werden: F. Petri (204), F. Steinbach (159), A. Hitler (100), H. Aubin (55), H. Schneider (53), H. Himmler (47), M. Zender (40), R. Oszwald (39), A. Seyss-Inquart (38), M. Spahn (37). Die zehn Institutionen, um die es offensichtlich in GNW geht sind: NSDAP (182), SS (160), Universität Köln (134), Institut f. geschichtliche Landeskunde Bonn (116), Universität Bonn (84), Ahnenerbe SS (82), Auswärtiges Amt und Westd. Forschungsgemeinschaft (beide 80), Militärverwaltung Belgien (78) und Ver. f. Deutschtum im Ausland (67). Weitere Nennungen in beiden Kategorien geben kaum weiteren Aufschluss: Unter den nächsten fünf Personen sind abermals drei Historiker; unter den nächsten fünf Institutionen wieder drei Ministerien. Man kann also schlussfolgern: GNW handelt von Petri und Steinbach und ihrer Rolle in Partei und SS. Aubin und das Institut für geschichtliche Landeskunde in Bonn sind ebenfalls beteiligt, aber dann ist auch Schluss. Ob damit Geld und Zeit für 1.300 Seiten und die Arbeit von 42 Autoren legitimiert werden kann, wird dann eine brisante Frage.

7. Soweit aus den Angaben ersichtlich sind 6 Autoren vor 1945 geboren, eine Autorin sogar 1909. Zwischen 1945 und 1960 sind etwa 18 geboren und die übrigen nach 1960, wobei der Jüngste dem Jahrgang 1975 angehört. Also eine ausgeglichene Verteilung. Bei schneller Durchsicht des Inhaltsverzeichnisses vermute ich, dass die Arbeitsverteilung hier so liegt, dass die Älteren, wie Horst Lademacher, versuchen wie Gott über den Parteien zu stehen, die Jüngeren, wie z.B. Ulrich Tiedau, die Datensammler sind, und die zwischen diesen Altersgruppen Stehenden, wie Bernd Rusinek, besonders mit mir und DW ins Gericht gehen.

8. Betrachten wir die Themen, die man aus den Titeln der Beiträge ableiten kann. GNW besteht aus vier Teilen: fünf Artikel firmieren als ‚Übergreifende Beiträge' (nur 9 Prozent der Text) und stellen so etwas wie eine Nietzsche’anische Verhandlung von Nutzen und Nachteil dar; Nach einer Bilanz der ‚Transdisziplinarität' folgen einige methodologische und begriffsanalytische Artikel. Der zweite Teil hat 15 Beiträge (beinahe 40 Prozent der Text) und handelt über ‚Inhaltliche und ideologische Grundlagen der Westforschung' wie z.B. flämische Nationalismus, Geschichtsschreibung in der Weimarer Zeit, Volkskunde und Volkstumspolitik der SS, Kulturraumforschung in Luxemburg bis zu den deutsch-niederländischen Beziehungen in der Zwischenkriegszeit. Der dritte Teil dreht sich um ‚Organisationen, Institute und Initiativen der Westforschung' und umfasst 13 Artikel mit etwa 30 Prozent des Textes. Selbstverständlich wird die Westdeutsche Forschungsgemeinschaft (mit 80 Seiten der längste Beitrag) analysiert und die DFG (mit 6 Seiten weitaus der kürzeste Beitrag), Zeitschriften und mehrere universitäre Instituten, provinziale Verbände bis zum Brüsseler Deutschen Institut. Der letzte Teil von GNW (etwa 20 Prozent) behandelt hervorragende Westforscher wie Franz Petri, Gerhard Kallen, Leo Just u.a. und endet mit dem zweitlängsten Artikel (Rusinek) über die Kontinuität der Westforschung nach 1945.

Diese acht mehr oder weniger quantitativen Wahrnehmungen führen zu einem ersten Urteil, einem richtigen Vor-Urteil also, über GNW. Es hat nebenbei eine kursorische Lektüre angeregt, um die sich ergebenden Hypothesen wenigstens vorläufig zu prüfen.

Es scheint, als würde nur im dritten Teil tatsächlich Neuland betreten. Hier werden die von mir vorgelegten Daten und Interpretationen, wie es sich gehört, kritisiert und weiterentwickelt. Man kann bedauern, dass die Initiatoren sich nicht zur alleinigen Publikation der Artikel dieses Teils entschlossen haben, denn dies hätte sicherlich eine interessante Reihe zur Westforschung eröffnet. Es wäre m.E. die geeignetste Antwort gewesen auf meine teilweise provokante Studie. Damit hätte man auch Zeit gewonnen zum Nachdenken, ob es nötig ist, sich in der Verteidigung der eigenen Position so zu erschöpfen, wie es nun mit diesem Großunternehmen geschehen ist. Damit hätte man zugleich ein Buch publizieren können, das bezahlbar wäre und ordentlich im Buchladen verkauft werden kann mit einer etwas größeren Chance, dass es auch gelesen wird.

Das friedlichste Merkmal der Westforscher scheint aber, dass sie wuchtige Publikationen als Festschriften, Sammelwerken bevorzugen und füreinander angefertigt haben: je dicker der Band, desto höher in der Ahnengalerie; je mehr von diesen Bänden, desto mehr Macht und Ansehen kann man auch in die Außenwelt der Laien ausstrahlen oder erzwingen. So haben allein Petri und Steinbach, wenn ich richtig gezählt habe (auf ein paar hundert Seiten mehr oder weniger soll man in diesen Kreisen nicht achten), etwa 5000 Seiten sammeln können! Gelesen werden sie nur vom Jubilar, aber ihrer Geschichte können sie damit nicht entlaufen. Wenn die Initiatoren dieser Analyse nun absichtsvoll auch ein solches Imponiergehabe zeigen, ist die Frage zu beantworten, wem sie imponieren wollen mit diesen faustdicken Bände?

Man könnte zunächst einen ersten Eindruck vom Profil der Publikation zusammenfassen: es handelt sich um ein unklug dickes Buch, ein sehr einseitig von Historikern, von männlichen Deutschen aus der Münsteraner-Bonner Szene dominiertes Produkt mit einer ausgeglichenen Altersstruktur der Beiträger. In ihm wird besonders Petris und Steinbachs Rolle in der NSDAP und SS beschrieben, während Aubin und das Bonner Institut eher am Rande bleiben. Der Verdacht drängt sich auf, dass als Prinzip gilt: Steinbach schwärzer malen; Petri nicht mit der SS in Verbindung bringen, während sonst jede Kritik an ihm gestatte ist; Aubin und seinem Institut soll dagegen ein Persilschein ausgestellt werden. Das Ziel: Jede Kontinuität zwischen ‚damals' und ‚heute' verneinen. Also: klassische Legitimationswissenschaft. An Rusinek's Beitrag lässt sich diese These direkt prüfen, weshalb ich mich später auf ihn konzentrieren möchte.

Unabhängig davon lässt sich aus dem Überblick zum Aufbau des Buches auch ersehen, welche Themen nicht oder nicht explizit oder zerstückelt über viele Beiträge abgehandelt werden, während sie eigentlich die Kernthemen der Westforschung ausmachen. Systematisch hätte, erstens, die ganze Problematik des deutschen/nationalsozialistischen Imperialismus gen Westen (angefangen mit dem Pangermanismus im 19. Jahrhundert) beschrieben und analysiert werden müssen und zwar aus der Sicht der Staatsbürokratie, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft und wie sie in den ''Gastländern'' rezipiert und konterkariert wurde. Damit wäre ein Rahmen geschaffen worden für die Behandlung der folgenden Themen (hier ohne Anspruch auf eine genaue Systematik genannt!):

a. die Thematik der Sprachgrenze;

b. die Kulturraumforschung als die typische Kombination von Volkskunde, Sprachgeografie und einer besonderen Art von Mediävistik;

c. die ideologischen Hintergründe dieser Volkskunde, Sprachgeografie und Mediävistik;

d. das spezifische Verhältnis zwischen Universität und Vereinsleben bei der Mobilisierung der Massen;

e. die Relation zwischen dem Universitätsbetrieb und der Institutsautonomie;

f. das Geschichtsverständnis von Wissenschaftlern wie Aubin, Steinbach, Petri;

g. die typische Hierarchie ‚Reichskunde', Volkskunde, Landeskunde, Heimatkunde;

h. Frings' Stellung in der Nazi-, DDR- und heutige Sprachwissenschaft;

j. die beachtliche Rolle der Katholische Kirche;

k. der staatliche Einfluss auf das Entstehen und Fortbestehen von Westforschung und Kulturraumforschung.

Rusinek und die Anti-Kontinuitäts-Kreuzfahrt

Etwa sechzig Seiten (S. 1141-1201; CD-ROM, S. 579-639) lang darf Bernd-A. Rusinek, Professor der Neueren und Neueste Geschichte in Düsseldorf, über ''Westforschungs''-Traditionen nach 1945 schreiben, ausgehend von der grundfalschen Definition gleich im ersten Satz: '' ‚Westforschung' ist ein in den 1920er-Jahren aufkommender Zweig der deutschen Geschichtswissenschaft [...]'' Er ignoriert, dass ein Mediävist, Aubin, ein Sprachwissenschaftler, Frings, zusammen mit Berliner Staatsbürokraten und rheinländischen Interessenvertretern die Volkskunde usw. eingeschaltet haben als Bündelung der Kräfte zur Abwehr ausländischer Einflüsse und zur Mobilisierung der Heimat (DW, Kapitel 1). Dieser ‚Komplex' stand jedenfalls für die deutsche Westforschung Pate.

Die Dominanz der Historiker in GNW wird hier zu einem grundsätzlichen Nachteil für die Erfassung des Gesamtphänomens Westforschung.

Rusinek's Artikel, der nicht zufällig am Ende des dickleibigen Unternehmens steht, repräsentiert das Ziel von GNW: den Beweis anzutreten, dass von einer irgendwie gearteten Kontinuität zwischen ‚damals' und ‚heute' keine Rede sein könne. Die Methode dafür ist eine scharfe Auseinandersetzung mit meinem Buch über die Westforschung.

Der direkte Angriff wird S. 1159 (CD-ROM, S. 597) eröffnet und startet in einem hohem Gang, um sogleich tödlich zu wirken: elf (!) schwere Beschuldigungen in einem langen Satz, wofür Rusinek jedes Mal eine Stelle in DW anzeigt. Diese Elf werden auch noch durch die Worte ''Dauerpolemik gegen'' miteinander verbunden. Wer sind nun die Personen, Einrichtungen, Konzepte und Sachen, gegen die ich diese Art Polemik geführt habe und was habe ich eigentlich getan um eine solche Reaktion auszulösen?

Rusinek beginnt gleich mit den Ranghöchsten: ''Die niederländische königliche Familie'', wofür er nur einen Beweis findet (DW, S. 244 Fn.6) und damit ist es vielleicht keine Dauerpolemik mehr. Aber es ist schlimmer, es handelt sich gar nicht um eine Polemik des Autors Derks, sondern um die Wiedergabe der Meinung meiner genannten Quelle (Verheul) ohne weiteren Kommentar. Weiter nennt Rusinek „das NIOD“ schon mit zwei Beweise (DW, S. 23; S. 114 Fn. 62): Auf S. 23 nenne ich nur eine holländische Polemik gegen Nanda van der Zee's Buch über die Judenverfolgung, worin auch NIOD-Leute sich gegen sie wandten; Auf S. 114 geht es um eine NIOD-Publikation (eine von hunderten, die das NIOD herausgab), in der ein Autor, der merkwürdigerweise Mitarbeiter von GNW ist, objektiv Geschichtsfälschung begeht. Darüber redet Rusinek natürlich nicht, geschweige davon, dass ich den Mitarbeitern des NIOD herzlich danke, da sie ‚einige Monate lang außerordentlich behilflich gewesen' sind (DW, S. 10)!

Ganz interessant ist auch die nächste angebliche Dauerpolemik, die gegen „die niederländische und die bundesdeutsche Sozialdemokratie'' geführt würde, wofür Rusinek jedesmal nur einen Beleg (DW, S. 20, 18) nennt. Er geht sogar so weit zu schreiben (S. 1160), dass ich „eine Kontinuität zwischen der Westforschung im ‚Dritten Reich' und der sozialdemokratischen Europapolitik der Gegenwart'' erkenne, wobei er abermals auf DW, 20 verweist. Dort erwähne ich als eines von vier Beispielen zur Aktualität des Phänomens, ‚die nach weitere Diskussion verlangt' (DW, S. 19), dass ein ehemaliger niederländischer SPD- Fraktionsvorsitzender, Wöltgens, ein Plädoyer für die Verschmelzung von Holland und Deutschland hielt. Dies diente als Anekdote und kann kaum als Polemik verstanden werden. Dazu kommt, dass Wöltgens (heute Universitätsvorsitzende) ein alter Bekannter von mir ist, mit dem ich ausgerechnet diese Sache in einer entspannten Atmosphäre diskutiert habe. Seine Bemerkung hatte überhaupt nichts mit „einer sozialdemokratischen Europapolitik'' zu tun, wie Rusinek behauptet (es handelt sich um eine persönliche Meinung), und man muss schon eine verrückte Fantasie haben, um hier irgendwelche Kontinuität mit den Nazis zu konstruieren. Die „Dauerpolemik“ mit der deutschen SPD wird von Rusinek an nicht mehr als sieben Wörter auf S. 18 aufgehängt, in denen ich auch auf das lange Schweigen über den Krieg bei der SPD verweise. Uff, welche Polemik: endlich wissen wir, warum die SPD soviel Stimmen verloren hat.

Weiter scheine ich mit dem Historiker Johan Huizinga eine Dauerpolemik gehabt zu haben auf DW, 31, aber da kommt sein Name nicht vor! Auch an anderen Stellen im Buch, an denen ich an Huizingas scharfe anti-nazistischen Kritik (DW, S. 131) oder seine tapfere Haltung am Ende des Krieges (DW, S. 188) erinnere, kann nur ein Böswilliger etwas von Dauerpolemik entdecken.

Auf das nächste Opfer, Max Weber, komme ich unten zu sprechen, aber „Jürgen Habermas und Hans-Ulrich Wehler'' sind hier eine gute Kompensation. In DW, S. 10 habe ich darauf verweisen, wie diese beiden Personen im Historikerstreit die deutsche Westbindung verteidigt haben, und ich habe dazu bemerkt, dass nun ‚eine genauere Definition dieser Westbindung' nötig wird. Auch dieses hat wohl nichts mit Polemik zu tun. Anscheinend ist Rusinek ganz erschrocken über diese vorsichtige Bemerkung, da er später (S. 1162, Punkt 3) sein Staunen darüber noch nicht verloren hat.

Endlich kommen auf S. 1159 zwei Figuren, Lademacher und Ditt, und ein Projekt. Mit diesen Figuren habe ich in der Tat in DW eine Dauerpolemik gehabt und sehe nun, da ich mit GNW konfrontiert bin, wie richtig das war. Kein einziges meiner zahlreichen Argumente wird von Rusinek genannt, und er bringt seinen Text denn auch in die klassische Form einer unsachlichen Auseinandersetzung: Schweige dich aus über Argumente, aber mobilisiere möglichst heftige Emotionen.

Bleibt übrig der ominöse SFB 235. Erneut erzählt Rusinek nicht, worum es mir geht, sagt auch nicht, was evtl. falsch sei oder wundert sich gar, solche DFG-finanzierten Projekte im heutigen Deutschland vorzufinden. Ich möchte hier auch darauf verweisen, dass ich – bevor ich meinen Text publiziert habe – den Sprecher des SFB 235 brieflich informiert habe (was Rusinek natürlich unterlassen hat), jedoch bis heute keine Antwort erhalten habe. Rusinek behauptet hier nun ganz unverfroren, dass an diesem Projekt „Derks' Hauptthese abzuleiten'' ist: „Die der direkten Kontinuität von imperialistischen Optionen aus der Zeit des Ersten Weltkrieges [...] bis hin zur ‚heutigen Westforschung' zum Beispiel eines Horst Lademacher.'' (S. 1159; kurs. von R.). Als Beweis verweist er nach DW, S. 53f., aber gerade in diesem Punkt muss Rusinek den Weg völlig verpasst haben. Denn am angegeben Ort wird z.B. über eine Nicht-Kontinuität zwischen von Below und Aubin und über eine extreme Kontinuität in Frings’ persönlichem Werdegang geschrieben: während des Ersten Weltkriegs schrieb Frings schon im Rahmen der deutsche Flamenpolitik, danach hat er die Nazi-West- und Ostforschung (maßgeblich und oft fanatisch) mitentwickelt um sich ab 1945 in der DDR für genau dasselbe Programm (maßgeblich und oft fanatisch) einzusetzen. Man kann diese bemerkenswerte Kontinuität kaum verneinen, aber es wird zugleich deutlich, dass historische Kontinuitäten weit vielschichtiger und komplexer sind, als Rusinek und andere Autoren in GNW anzunehmen bereit sind. Da hilft die Manipulation von Zitaten und Beweisen nicht weiter. Anhand von DW, S. 239 wo ich eine Zusammenfassung meiner Studie beginne und auch den Versuch unternehme diese komplexe Sicht auf eine mögliche Kontinuität zu definieren (wofür ich DW, S. 239-243 benötigte!), zitiert Rusinek wiederum nur eine kleine Passage, um so zu tun als sei es der größte Unsinn der Welt, ohne mit einem Wort zu erklären warum das so wäre.

So kreiert er den nächsten falschen Beweis auch wieder mit einem falschen Zitat als er (S. 1160, erster Satz) eine „direkte Linie'' (von R. kursiviert) konstruiert zwischen Lademacher, einem „explizit als SS-Historiker firmierenden Franz Petri'' (das steht nirgends in DW, auch wenn ich herausarbeite, dass Petri immer freundlicher gegenüber der SS auftrat, und dass ist schlimm genug, selbstverständlich argumentiert R. nicht dagegen), einem „altbewährte(n) Forschungsimperialismus''. Dieses „altbewährte'' - wichtig in Kontinuitätsgeschichten - ist aber gar kein Zitat von mir, wie Rusinek suggeriert, sondern von der AWLV, wie auf DW, S. 209 eindeutig nachzulesen ist. Auch Ditt hat anscheinend bedauert, dass er dieses zitiert hat (siehe seine Rezension in H-Soz-u-Kult) und ich es zu den Belegen einer bestimmten Kontinuität rechnen konnte.

Wie Rusinek meine so genannte „Hauptthese'' verdreht zu etwas, das ''in der Substanz unverändert fortwirkt'' (S. 1160), demonstriert nicht nur, welche merkwürdigen Lesegewohnheiten hier im Spiel sind, sondern auch eine absurde Vorstellung von Kontinuität, denn natürlich existiert kaum ein Phänomen, das unverändert fortwirkt. Er demonstriert dies weiter mit faktisch falschen und nicht in DW vorzufindenden Gedanken, als ob ich diese so genannte unveränderliche Substanz „auf zwei ideologische Hauptmerkmale des Nationalsozialismus [...] Antikommunismus/Kalter Krieg und Europa-Ideologie'' zurückgeführt habe! Von einer „Europa-Ideologie'' kann man hier nicht reden und sicher nicht als „Hauptmerkmal'' des Nationalsozialismus (wohl aber von einer ‚Neuordnung Europas’ als zentralem deutschen Kriegsziel ab Sommer 1940). Vielmehr hätte Rusinek auf die Passagen in DW, S. 209-215 über die erneute Wichtigkeit der Abendland-Ideologie hinweisen können, aber dabei hätten Kontinuitätsgedanken wohl zu sehr an der Oberfläche kommen müssen!

Wir sind dabei, der Leser wird es kaum glauben, erst auf der zweiten Seite der Kritik des Professors für Neuere und Neueste Geschichte in Düsseldorf angelangt. Wenn einer seine eigene Integrität und die des Projektes, an dem er teilnimmt, ruinieren will, ist das seine Sache. Es dient jedenfalls keinem weiteren Zweck, mit der Auflistung hier fortzufahren. Leider muss ich noch zwei sog. Kritiken Rusineks abhandeln, die diese Affäre wohl in eine ganz bedenkliche Richtung rücken.

Erstens handelt es sich um meine Verwendung eines Max Weber Zitats gleich am Anfang des ganzen Buches (DW, S. 13). Rusinek macht darüber drei (!) Seiten lang Lärm mit der These: „Die Max-Weber-Deutung ist unseriös, bewegt sich nahe an der Fälschung und betrifft aus drei Gründen keine Marginalie [...]'' (S. 1162). Für jemanden, der sich intensiv mit Weber auseinandergesetzt hat, sind dies schwere Beschuldigungen. Worum geht es? „Immer wieder'' habe ich „von ‚Max Webers Eroberungsprojekt' '' gesprochen und geschlussfolgert, „das von Weber geäußerte Denken habe ’Einfluss auf den Verlauf des Zweiten Weltkrieges genommen.'“ Wenn man Rusinek's Fußnote 117 und 118 aufsucht bemerkt man, erstens, dass er sich „Eroberungsprojekt'' aus den Fingern gesogen hat, da ich von ‚EroberungsOBJEKT' geschrieben habe und, zweitens, hat er den Satz vor ‚Einfluß [...] genommen' weggelassen, wodurch eine ganz andere Bedeutung entsteht. Dort steht nämlich der Kontext, wonach man Webers Rat von 1915/16, man hätte besser Holland als Belgien angreifen sollen, nicht gefolgt war, usw. Wer fälscht hier eigentlich, Herr Rusinek? Und auf S. 1163, wo der Vorwurf wiederholt wird?

Was ich nach Rusinek gefälscht habe, ist schwer zu entdecken. Aus seiner Fußnote 115 ist zu entnehmen, dass er – merkwürdig genug - eine andere Quelle verwendet als ich für das Weber-Zitat, nämlich die Potsdamer Internet Ausgabe von Weber's Schriften. Er glaubt nun etwas anderes entdeckt zu haben, aber leider ergibt der Vergleich beider Texte, dass sie völlig identisch sind.

Es geht aber um mehr als einen Zitatenvergleich. Weber argumentiert an dieser Stelle in einer knallharten realpolitischen Art und Weise zu der Frage, was für Deutschland im Ersten Weltkrieg besser sei als eine Zweifrontenkrieg mit Russland und den Westmächte (also: wenn Deutsche Krieg mit Russland führen, sollte mit dem Westen Friede gehalten werden und umgekehrt). Nur in diesem Kontext kann man positive/freundliche oder negative/aggressive Äußerungen Webers über Belgien, Holland, Russland usw. beurteilen. Hätte Rusinek sich die Mühe gemacht, hier als Historiker zu kontextualisieren, dann hätte er bald entdeckt, dass diese Weber’sche Denkschrift Teil war einer ganze Welle von Annexionsdenkschriften, die sehr viel aggressiver waren als seine, wenn man etwa an die Denkschrift des deutschen Generalgouverneurs in Belgien, General von Bissing denkt. Ohne Berücksichtigung dieses Sachverhaltes bezichtigt mich Rusinek, dem Leser einen agressiven Weber anstatt eines freundlichen vorgetäuscht zu haben. Damit hätte ich dann einen fantasierten Weg von Weber in „direkter Linie'' zur SS usw. geöffnet. Das kleine Manöver soll abermals zeigen, wie „hysterisch'' ich mich benommen habe.

Der zweite Fall ist nicht nur für mich inakzeptabel, sondern wohl auch für das ganze GNW-Projekt desaströs. Auf Seite 1161 beansprucht Rusinek das Recht zu bestimmen, wer Westforscher sein darf oder nicht, und schreibt unter anderem: „Franz Petris Bedeutung wächst bei Derks ins Monströse, indem ihm untergeschoben wird, er hätte geplant, ‚die Wallonen zu eliminieren'.'' (Kursivierung von Rusinek). Nicht nur die Tonhöhe verrät, dass wir es hier mit einer ganz dramatischen Szene zu tun haben. In DW, S. 195 ist möglichst detailliert eine Rekonstruktion (nicht mehr und nicht weniger; DW, S. 197) eines SS-Holland-Plans gegeben. Auf Grund allerhand neu aufgefundener, aber unvollständiger Akten wurde u.a. die Möglichkeit von Petri's Beteiligung an dieser Planung untersucht. Die Implikationen einer solchen SS- Planung könnten schrecklich sein, wie aus den Ostforschungs-Studien ebenfalls hervorgegangen ist. Eine Seite dieser Akten mit Petri's Name ist in Original reproduziert (DW, S. 201), aber wie beweiskräftig meine Unterlagen auch waren, meine Formulierungen in diesen Passagen blieben vorsichtig.

Rusinek's Verurteilung, ich habe etwas „untergeschoben'', ist eine knallharte Beleidigung, die ich nicht akzeptieren kann; Was er hier als mein Zitat anführt („die Wallonen zu eliminieren'') ist mittels seiner Fußnote 108 nicht zu finden und wo diese Worte dann tatsächlich verwendet wurden (DW, S. 202) sind sie Teile einer Frage, die sich jeder Forscher hier gestellt hätte! Dazu kommt, dass die implizite Beschuldigung, ich hätte Petri monströser Taten bezichtigt, nicht nur Teil der wüsten Polemik gegen mich ist, sondern auch eine flagrante Verneinung der SS-Taten in dieser Art Planungen impliziert.

Rusinek geht in seiner Verharmlosungsarbeit noch weiter, wenn er die NS-Arbeit Petris, Aubins und Steinbachs für die Expansion des ‚Dritten Reichs' überhaupt abzustreiten sich bemüht, da man „solch eine Absicht nicht einmal den Westforschern während der Blitzkriegseuphorie 1940 in toto unterstellen könne[n].''! Es kommt sogar auf der Website des Institut für geschichtliche Landeskunde in Bonn nicht mehr vor, dass Urheber Steinbach gefeiert wird, während Rusinek ihn in Schutz nimmt: Steinbach's Texten „zeigen ihn als Reaktionär, aber nicht als Nationalsozialisten'' (S. 1177); Kategorien wie Raum, Rasse, Stamm und Volk hatten wohl überhaupt keine Bedeutung für Steinbach, und Juden waren ihm anscheinend unbekannt. Rusinek plaudert hier viel über allerhand Texte aus dem Jahr 1940, aber – man wundert sich nach Kenntnis seines Vorgehens kaum noch - der damals Bekannteste wird von Rusinek verschwiegen: Steinbach's Rede während der ‚Kundgebung in der neuen Aula der Universität, Mittwoch den 26. Juni 1940, 12.15 Uhr pünktlich, aus Anlaß des Waffenstillstandes mit Frankreich’. Es spricht Prof. Dr. F. Steinbach über: ‚Der geschichtliche Sinn des Waffenstillstandes mit Frankreich' (von der braunen Uni Bonn als 20. der Kriegsvorträge von 1940 veröffentlicht). Schon auf den ersten beiden Seiten stolpert man über Stämme bis zum 'nordischer Rassenmerkmale'; nach dem Ausruf ‚Der Kampf um den Rhein ist zu Ende!' schließt er ab mit der Anbetung des Führers und Duces, ‚die die Verantwortung für die Neuordnung Europas übernommen (haben) [...] Daß die nationalen Gefahren der Reichspolitik sich nicht wiederholen, dafür bürgt uns die völkische Führergestalt Adolf Hitlers.' Es ist möglich, dass es keine ‚Juden-Texte' von Steinbach gibt, aber es ist schändlich genug dass Rusinek und überhaupt kein Autor in GNW ‚Juden -Texte' von Petri (DW, S. 110-113) berücksichtigt.

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