E. Harris u.a. (Hrsg.): The Ancient Greek Economy

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Titel
The Ancient Greek Economy. Markets, Households and City-States


Herausgeber
Harris, Edward; Lewis, David M.; Woolmer, Mark
Erschienen
Anzahl Seiten
XII, 474 S.
Preis
€ 123,68
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dorothea Rohde, Alte Geschichte, Universität Bielefeld

Nachdem die Beschäftigung mit der griechischen Ökonomie lange Zeit mehr oder minder ein Nischendasein fristete, stieg in den letzten Jahren die Quantität und Vielfalt an wirtschaftshistorischen Veröffentlichungen signifikant. Das wissenschaftliche Interesse lässt sich nicht nur mit der heutigen Globalisierung und der anhaltenden Finanzkrise erklären, sondern auch mit einer spürbaren Abkehr von „weichen“ Themen in der Geschichtswissenschaft.1 In dieser Folge versucht man sich auch in der althistorischen Wirtschaftsgeschichte an neuen Fragestellungen, um die seit den 1970er-Jahren dominante „Finley’sche Orthodoxie“ endgültig aufzubrechen. Dieser Trend war zunächst in der Analyse der römischen Verhältnisse spürbar, griff aber in den letzten Jahren auch auf die Untersuchung der griechischen Ökonomien aus. Diese zeitliche Verzögerung ist insofern erstaunlich, als die Beschäftigung mit Griechenland seit Boeckhs „Die Staatshaushaltung der Athener“ (1. Auflage 1817) als eines der innovativsten Forschungsfelder der Alten Geschichte gelten konnte, die Bücher-Meyer-Kontroverse sich an der Bewertung der athenischen Wirtschaft entzündete und Finley seine „neoprimitivistischen“ Thesen (wie bereits vor ihm Max Weber) vor allem für Griechenland formulierte.

Nun kündigt sich eine neue Orthodoxie an: die Neue Institutionenökonomie (NIE), die den methodischen Vorteil besitzt, flexibel auf verschiedene Untersuchungsgegenstände anwendbar zu sein. Mit ihrer Hilfe lassen sich Wertvorstellungen, Gesetzgebung, aber auch rein ökonomische Analysen wie Löhne, Preise oder eben die Etablierung von Märkten genauer fassen. Letzteres ist nun der Kern des zu besprechenden Sammelbandes, der seinen Ursprung in einer 2011 durchgeführten Tagung hat, die sich mit ökonomischem Handeln jenseits der Selbstversorgung auseinandersetzte. Die 16 englischsprachigen Beiträge (inklusive der Einleitung) von 15 Altertumswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern aus den USA, dem UK, Kanada und Griechenland behandeln also nicht die griechische Wirtschaft im Allgemeinen und in der gesamten Breite, wie es der Titel suggeriert, sondern ganz speziell das Marktgeschehen.

Zunächst geben Edward Harris und David M. Lewis in der Einleitung eine konzise, mit Schlagworten der Neuen Institutionenökonomie durchsetzte Einführung in das Thema. Unter Heranziehung von literarischen Zeugnissen machen sie deutlich, dass die griechische Antike (zumindest präreflexive) Einsichten in Preisbildung durch Angebot und Nachfrage kannte. Davon ausgehend formulieren sie die Grundannahme des Sammelbandes, dass nämlich der Markt als Schlüsselelement für Wirtschaft und ökonomisches Wachstum fungiert habe (S. 9). Dabei unterscheiden die Herausgeber den Begriff Markt in einem siedlungsgeographischen („physical“) und in einen ökonomischen („abstract“) Sinn, wobei letzteres als die Sphäre verstanden wird, in der Preise durch Angebot und Nachfrage gebildet werden und so Marktgeschehen von anderen Formen des Güteraustausches (wie Redistribution, Steuern etc.) abzugrenzen ist (S. 9).

Diese Vorannahmen bilden den Ausgangspunkt für das die einzelnen Beiträge leitende Erkenntnisinteresse: Es sollen verschiedene Arten preissetzender Märkte identifiziert werden, um so die (veraltete) Ansicht kritisch zu überprüfen, „die Griechen“ erstrebten Autarkie und vermieden marktorientiertes Verhalten. Im Grunde fragt der Sammelband also (wieder) nach dem Niveau der griechischen Wirtschaft, wendet sich gegen die Finley’sche These, der Markt habe als Ort des Güteraustausches nur eine untergeordnete Rolle gespielt und nimmt erneut die hundert Jahre alte Frage nach Modernität oder Primitivität (bzw. Formalismus/Substantivismus) antiken ökonomischen Handelns wieder auf, die sich in den letzten Dekaden als so lähmend erwiesen hat.2 Der Erkenntnisfortschritt ist daher im Detail zu suchen.

Die sich daran anschließenden, häufig quantifizierend arbeitenden Aufsätze sind in vier Themenfelder gruppiert und können nur exemplarisch besprochen werden. Der erste Teil befasst sich mit der Rolle der Polis in der Etablierung von Märkten. So kann beispielsweise Selene E. Posma zeigen, wie die Münzprägung auf unterschiedliche Bedürfnisse reagierte: Während kleinere Münzen für den lokalen Markt angemessen waren, eigneten sich große Nominationen von Silber- und Goldmünzen besser für den überregionalen Handel. Harris arbeitet dagegen heraus, dass die Existenz von Eigentumsverzeichnissen die Verfügbarkeit von Krediten sicherte und daher Investitionen förderte. Der zweite Teil umfasst drei Beiträge, die sich mit der Produktion des oikos für den lokalen Markt beschäftigen. Beispielsweise rekonstruiert Margaritis auf der Basis von paleobotanischen Untersuchungen und archäologischen Zeugnissen die landwirtschaftliche Praxis und Verwaltung zweier, auf Überschussproduktion ausgerichtete Landgüter im Norden Griechenlands in hellenistischer Zeit. Darauf folgen zwei Themenschwerpunkte, die sich um Markt und Handelsnetzwerke drehen. Zunächst steht die Analyse von Transportamphoren im Mittelpunkt. Dabei zeigt beispielsweise die genaue Untersuchung Thasischer Weinamphoren von Tzochev den regulären Export großer Mengen Weines an die Schwarzmeerküste. Dass sich dieser Befund auch auf andere Poleis, wenn auch in unterschiedlichem Maßstab, übertragen lässt, kann Tania Panagou für die Handelsverbindungen Korkyras zeigen.

Daran anschließend wird die Perspektive geweitet. Insgesamt fünf Beiträge nehmen vor allem die überregional verhandelten Güter (Gewürze, Sklave, Salz) in den Blick und machen deutlich, dass die Griechen einen intensiven Handel mit den verschiedensten Gütern betrieben. Am Beispiel Salz kann Cristina Carusi zeigen, dass Athen in einem Handelsnetzwerk eingebunden war, das vom Schwarzen Meer bis nach Cádiz reichte. Diese Verfügbarkeit von Waren und dem allgemein hohen Niveau an Prosperität machte es möglich, dass nicht nur die kleine wohlhabende Elite Güter konsumierte, die über weite Strecken transportiert wurden (Peter van Alfen zum Persisch-Ägäischen-Handel). Die Komplexität und das Ineinandergreifen von Handelsnetzwerken zeigt dagegen der Handel mit Weihrauch (Davies). Abschließend stellt Geoffrey Kron einen Vergleich des klassischen griechischen Handels mit Venedig in der Renaissance und Großbritannien im 19. sowie 20. Jahrhundert an und macht daran deutlich, dass im klassischen Athen Prosperität wesentlich gleicher verteilt war.

Die einzelnen Aufsätze sind detailreiche Einzelstudien, die jeweils auf der Grundlage von epigraphischen, archäologischen, numismatischen oder literarischen Zeugnissen (vgl. auch den beigefügten Katalog der in der Alten Komödie genannten Waren) das Marktgeschehen beleuchten und so neue Argumente zur alten Themenstellung hinzufügen. Sie geben einen detaillierten Einblick in die verschiedenen Formen des marktbasierten Güteraustausches auf der Polis-, Oikos- und überregionalen Ebene in klassischer und hellenistischer Zeit. Der Sammelband richtet sich daher in erster Linie an die spezialisierte Wirtschaftshistorikerin bzw. den spezialisierten Wirtschaftshistoriker, die bzw. der es vermag, die recht kleinteiligen, quantifizierenden Studien zu einem interpretatorischen Ganzen – auch jenseits der Frage nach der Modernität oder Primitivität griechischer Wirtschaft – zusammenzufügen. Für alle anderen ist insbesondere die rund dreißigseitige Einleitung hilfreich, die in die Forschungsgeschichte wirtschaftsgeschichtlicher Forschungen, in die Thematik „Markt“ und in die Neue Institutionenökonomik einführt.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa den Sammelband zu Athen im 4. Jahrhundert von Claudia Tiersch (Hrsg.), Die Athenische Demokratie im 4. Jahrhundert. Zwischen Modernisierung und Tradition, Stuttgart 2016, von dessen achtzehn thematische Beiträge sechs wirtschaftshistorische Themen behandeln, aber kein einziger eine religionswissenschaftliche Thematik berührt.
2 Kai Ruffing, Von der primitivistischen Orthodoxie zum römischen Basar. Die Wirtschaft des Römischen Reiches in der Forschung des ausgehenden 20. und des beginnenden 21. Jahrhunderts, in: Renate Lafer / Karl Strobel (Hrsg.), Antike Lebenswelten. Althistorische und papyrologische Studien, Berlin 2015, S. 3–27.

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