C. Bachmann: Wenn man die Welt als Gemälde betrachtet

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Titel
Wenn man die Welt als Gemälde betrachtet. Studien zu den Eikones Philostrats des Älteren


Autor(en)
Bachmann, Cordula
Erschienen
Heidelberg 2015: Verlag Antike
Anzahl Seiten
268 S.
Preis
€ 45,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Schirren, Fachbereich Altertumswissenschaften, Klassische Philologie und Wirkungsgeschichte der Antike – Gräzistik, Universität Salzburg

Die Münchner Dissertation von Cordula Bachmann teilt sich in drei große Teile: 1. Die Vorüberlegungen zeigen das rege Interesse, welches das Werk des kaiserzeitlichen Sophisten Philostrat neuerdings findet („ästhetische Erfahrung“); 2. eine ausführliche Einführung (S. 14–68) widmet sich dem Proömium, versucht eine Textsortenbestimmung der Ekphrasis und geht der Frage der Fiktionalität nach, ehe schließlich die These entfaltet wird, es handele sich bei den 65 Stücken um eine „Anleitung zur Kunstproduktion“; 3. im „Kommentar“ (S. 69–233), dem eigentlichen Kernstück der Studie, werden sechs Bilder aus dem zweiten Buch (1, 4, 10, 14, 16, 21) kommentierend interpretiert.

Bachmann stützt sich auf Primavesi/Giuliani (S. 30).1 Deren Deutung der symmetria hebt sich deutlich von der communis opinio ab. Wer nämlich, so beginnt der einleitende kunsttheoretische Essay der Eikones, die Malerei ablehne, der tue auch der Wahrheit Unrecht und missachte die symmetria. (Imag. §1) Primavesi/Giuliani (S. 52–56) deuten die weitere Bestimmung dieser symmetria, nämlich dass sie es sei, wodurch die Techne auch den logos „berühre“ (haptetai), nicht wie üblich als ‚Proportion‘, ‚Gesetz‘ et cetera, sondern als ‚Prosarede‘.2 Damit werde aber die Prosarede zum eigentlichen Medium der Kunsterfahrung bzw. Kunstbetrachtung.

Dabei bleibt ausgeblendet, dass seit dem 5. Jahrhundert im Bereich der Malerei, aber auch der Plastik symmetria terminologisch fixiert ist. Symmetria bezeichnet dort allein die ausgewogenen Verhältnisse innerhalb des Werkes. Dieser Gedanke entspricht Konzepten in der zeitgenössischen Humoralpathologie und ist für die Wissenschaft des 5. und 4. Jahrhundert v.Chr. typisch.3 Vor diesem Hintergrund wird das „logische“, Proportionsverhältnis im Proömium programmatisch zugespitzt und gegen die platonische Kritik an der Mimesis gehalten.4 Dass dagegen die Malerei als Techne (durch die symmetria) die Prosarede „berühren“ soll, entbehrt hier des Sinnes – wird aber zu einer wesentlichen Voraussetzung für die zentrale These von der „Anleitung zur Kunstrezeption“ bei Bachmann (S. 64–68). Die Frage der Fiktionalität bzw. der Echtheit werde obsolet, weil es nur mehr um den Rezeptionsvorgang von Kunst gehe, aber keine objektiven Bildinhalte referiert würden: „Die in den Eikones evozierten Gemälde werden zum Kommunikationsmedium, das Auskunft gibt über das Wesen und die Techniken der Malerei im Allgemeinen sowie deren Interpretationsmöglichkeiten. Insofern müssen die Bildbetrachtungen Philostrats, mit denen er seine Leser zur Kunstrezeption anleitet, als Bildinterpretation aufgefasst werden, gehen Sie doch über das reine Betrachten hinaus.“ Philostrat zeige an den Bildern die „spezifisch malerischen Ausdrucksformen auf rhetorische, das heißt fesselnde Art und Weise“ (S. 64). Daher könne es bei den „Formen der Malerei“ auch nicht um eine „Kunstgeschichte ohne Namen“5 gehen, da gar keine Entwicklung der ars in den Blick genommen werde, in Frage komme allenfalls eine „horizontale Kunstgeschichte“ bezogen auf „Methoden der Darstellung“ (S. 65; S. 32). Andere Forschungen legen indes nahe, in den „Formen der Malerei“ (§1) durchaus Genres der Malerei zu erkennen, da ihre Einteilung zum klassischen Bildprogramm gehörte (S. 65 Anm. 253).6

Freilich sollte man nicht verkennen, dass sich die sprachliche Darstellung des Bildobjektes gerade immer wieder im Erzählen der dargestellten Handlung zu verlieren scheint. Man beachte auch, dass die Rede sich an einen Knaben von 10 Jahren richtet (§5), der fiktionsintern malerische Termini natürlich nicht verstehen kann.7 Stattdessen gelingt es dem Erzähler immer wieder, Handlungssequenzen mit rhetorischer enargeia vor das innere Auge des Rezipienten zu bringen. In den von Bachmann ausgewählten Bildern finden sich kaum Hinweise auf kunsttheoretische Begriffe. Und da, wo ein solcher Begriff doch einmal fällt, wird er von ihr nicht als solcher reflektiert. So etwa der des schema im Sinne einer bestimmten erkennbaren Figurenhaltung (S. 76).8 Komplizierter ist der Fall in Imag. 2,14,2, wo die enargeia einmalmal explizit wird: das schema des Poseidon zeigt sich zumal in seiner Wirkung auf den Rezipienten, der nämlich den ausholenden Arm des Gottes als immer schon zuschlagenden im Geiste ergänzt, weil er die Wirkung des Schlages vor Augen hat (S. 167–169).9

Sophia wird als „(schöpferische) Phantasie“ definiert (S. 79). Philostrat. VA 6,19 kann dies freilich nicht begründen;10 es fehlt also ein Anhalt, phantasia mit sophia gleichzusetzen,11 erstere verdiente eine eingehendere philosophiehistorische Erörterung.12 Oftmals bedeutet in den Eikones sophia einfach nur geschickte malerische Fertigkeit.

Statt „Bildbetrachtung“ oder „Bildinterpretation“ scheint es mir um detaillierte Erzählungen zu gehen, wobei aber kaum je das Malerische, also die Ausführung gemäß kunsttheoretischer Termini thematisch wird, sondern vielmehr bereits die Referenz, also das Bezeichnete selbst statt des Bezeichnenden in den Mittelpunkt rückt. Die spezifische Materialität oder Methode des gemalten Zeichens dagegen kommt allenfalls am Rande in den Blick.13

Es hat sich zwar in der Klassischen Philologie etabliert, durch den Kommentar dem Leser auch Deutungen an die Hand und sogar vorzugeben, so dass der Kommentar bereits die Interpretation lenkt. Ein Kommentar ist aber nur so wertvoll, wie er sich auf eine Vielzahl möglicher, auch divergierender Fragen und Probleme im Text einlässt. Ein Beispiel: In Imag. 2,1 heißt es von einer elephantinen Statue der Aphrodite, dass ihr Material „fugenlos zusammengesetztes Elfenbein“ sei (hyle syntheke memykotos elephantos). Der Ausdruck ist nicht geläufig; „adjektivisches Attribut“ genügt nicht (S. 78 mit Anm. 30); man sucht einen semantischen Hintergrund für die merkwürdige Junktur, die keine kunsttheoretische Termini sind, gleichwohl wirkt der Begriff technisch.14 Und diese Wortwahl ist typisch für den Rhetor, der nämlich anders als Lukian oder Dion von Prusa die Semiose von Bezeichnendem und Bezeichnetem immer wieder zu variieren liebt. Er will eben nicht einfach belehren, sondern transzendiert gerne spielerisch die Didaxe.15 Überhaupt hätte die interessante Studie noch an Klarheit gewinnen können, wenn auch die bildtheoretische Begrifflichkeit auf ein philosophisches Fundament gestellt wäre. Dann hätte klar zwischen Bildobjekt, Bildträger und deren mitunter problematischer Verbindung als „Bild“ oder gar „Gemälde“ unterschieden werden können.16 Dass der Sophist sich solche Unschärfen immer wieder für überraschende Effekte zunutze macht, bleibt eine Herausforderung für Leser und Interpreten.

Anmerkungen:
1 Oliver Primavesi / Luca Giuliani, Bild und Rede. Zum Proömium der Eikones des zweiten Philostrat, in: Poetica 44 (2012), S. 25–79.
2 Siehe Ailios Aristides Or. 45,10, wo die Prosarede der Dichtung als überlegen durch das metron herausgehoben wird und diese Maßhaftigkeit wiederum in der symmetria kulminieren soll; symmetria als intrinsische wie extrinsische („sachbezogene“) Proportioniertheit.
3 Nadia Koch, Techne und Erfindung in der klassischen Malerei. Eine terminologische Untersuchung (Studien zur antiken Malerei und Farbgebung, IV), München, 2000, S. 109–122; S. 214–215.
4 Auch die folgenden theologischen Ausführungen (Imag. §1) zur Mimesis gehören in diesen Kontext einer antiplatonischen Volte.
5 So Primavesi/Giuliani, Bild und Rede, S. 64 nach Wölfflin.
6 Koch, Techne und Erfindung, S. 81–108; es muss verwundern, dass Bachmann diese Aufarbeitung übersehen hat, da sie Koch mehrfach heranzieht, aber offenbar nicht konsequent durchgearbeitet hat.
7 Thomas Schirren, Bewegte Bilder, in: Claus Reinholdt et al., Aiakeion, FS Florens Felten, Wien 2009, hier S. 134–137. Dazu auch M. Squire, Helios 40 (2013), S. 108.
8 Siehe dazu Nadia Koch, Schema. Zur Interferenz technischer Bilder in Rhetorik und Kunstschriftstellerei, in: International Journal for the Classical Tradition 6 (2000), S. 503–515.
9 Koch, Schema, und Koch, Techne und Erfindung, S. 59–61 und S. 101–102. Hier hätte Bachmann über das Problem der „kontinuierenden Darstellungen“ in unterschiedlichen Gattungen sprechen und nach Bildmaterial suchen müssen; immerhin bieten die sogenannten Odyssee-Fresken vom Esquilin solche Fälle, aber das ist ein Fries, keine Tafelmalerei, vgl. Ralf Biering, Die Odysseefresken vom Esquilin, München 1995, S. 162, Anm. 229, der auf das Problem von reihenden Bildern verweist; in Bildfriesen hat man solche Phänomene natürlich häufiger.
10 S. dazu Thomas Schirren, Philosophos Bios, Die antike Philosophenbiographie als symbolische Form. Studien zur Vita Apollonii des Philostrat, Heidelberg 2005, S. 272–285.
11 So auch Primavesi/Giuliani, Bild und Rede, S. 51 „schöpferischer Geist“, dagegen im Sinne des sophos technites siehe Koch, Techne und Erfindung, S. 75–76. Imag. Pr. §3; §4; 1,4,2. 7,3. 9,5.
12 S. Anm. 7.
13 Man könnte allenfalls sagen, im Begriff eines Tableaus konvergierten Bildobjekt und Erzählung. Das würde dann die einzelnen Eikones als ‚kleine Form‘ im Sinne von André Jolles fassen. Zur stoischen Zeichentheorie siehe S. 181–182.
14Memykós, „geschlossen“ wird in medizinischen Traktaten von Gefäßen, der Gebärmutter und anderen Öffnungen gebraucht, umgangssprachlich von den geschlossenen Augen (daher auch die Mystik). Syntheke wird ausweislich LSJ nur im Sinne der Wortfügung synonym mit sunthesis (onomaton) in einem konkreten Sinne technisch, sonst in der Bedeutung „Vereinbarung“ abstrakt gebraucht. Die griechische Wendung bildet diese glatte Fügung wiederum ab, da die Copula fehlt.
15 Von einer „Metaekphrasis“ spricht auch Squire (Anm. 7) 110.
16 Im Anschluss an Edmund Husserl Lambert Wiesing, Artifizielle Präsenz. Studien zur Philosophie des Bildes, 4. Aufl., Frankfurt am Main 2015, bes. S. 44–51.

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