Titel
Der nackte Geist. Die Juristische Fakultät der Berliner Universität im Umbruch von 1933


Autor(en)
Gräfin von Lösch, Anna-Maria
Reihe
Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 26
Erschienen
Tübingen 1999: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
526 S.
Preis
€ 89,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wilfried Nippel, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Das Thema Wissenschaft im Nationalsozialismus ist weiterhin aktuell; in jüngster Zeit sind dabei besonders die außeruniversitären Forschungsorganisationen in den Vordergrund gerückt. Aber auch für die Geschichte einzelner Universitäten und Fakultäten besteht trotz einer beachtlichen Zahl von Studien immer noch Klärungsbedarf.

Die vorliegende Arbeit, eine 1998/99 an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin angenommene Dissertation, untersucht die Geschichte dieser Fakultät von 1930 bis 1936/1937; zu letzterem Zeitpunkt waren die personellen Veränderungen ebenso wie die organisatorischen Umgestaltungen (etwa die Neuordnung der Fakultätsstruktur an der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität, mit der die juristische in eine rechts- und staatswissenschaftliche Fakultät eingegliedert wurde) weitgehend vollzogen. Die Studie beruht auf einer breiten Auswertung der einschlägigen Literatur sowie diverser Aktenbestände, besonders derjenigen des Archivs der Humboldt-Universität; zudem konnten einige Zeitzeugen befragt werden, darunter Reinhard Höhn als einziger der damaligen Professoren. Die Verfasserin konzentriert sich ganz auf die Entwicklung der Institution; das Werk der behandelten Rechtswissenschaftler wird nicht einbezogen. Diese aus arbeitsökonomischen Gründen unmittelbar einleuchtende Beschränkung wird unnötigerweise zusätzlich inhaltlich zu begründen gesucht. Sicherlich trifft zu, daß der "Fakultätsalltag ... um das Jahr 1933 nicht so sehr von schreibenden, denn von handelnden Personen beherrscht" worden ist (2); weniger einleuchtend ist das Argument, eine Einbeziehung der Publikationen müsse den Blick auf die konkreten Handlungszusammenhänge und den jeweiligen fakultätsinternen Einfluß der Akteure verstellen.

Die Arbeit stellt zunächst die sich deutlich verschlechternde soziale Lage der Studentenschaft dar, die zu einem drastischen Rückgang der Studierendenzahlen (von 4200 Jurastudenten 1929 auf 2800 im Jahre 1933) führte; außerdem werden die politischen Aktivitäten von kommunistischen und nationalsozialistischen Gruppen behandelt, die in den letzten Jahren der Weimarer Republik verschiedentlich zu Krawallen geführt hatten, denen die Universitätsleitung mit disziplinarischen Maßnahmen, Relegierungen eingeschlossen, begegnete.

Die Berliner juristische Fakultät nahm eine Spitzenstellung in Deutschland ein (die sich auch in den hohen Dienstbezügen der Ordinarien auswies). 1932/33 gab es dreizehn ordentliche Professoren, von denen sechs der Fakultät schon im Kaiserreich angehört und weitere vier bis 1923 berufen worden waren. Sie zeigten sich bemüht, ihre exklusive Stellung innerhalb eines insgesamt etwa 110 Personen (Honorarprofessoren, beamtete und nichtbeamtete außerordentliche Professoren, Privatdozenten, Lehrbeauftragte sowie Assistenten) umfassenden Lehrkörpers zu bewahren. Der vom Hochschulrecht vorgesehenen Beförderung der außerordentlichen beamteten Professoren zu Ordinarien widersetzte man sich; selbst die Zuweisung von vier neuen Ordinariaten 1931 stieß auf Widerstand, so daß nicht alle Stellen besetzt wurden; deutlich nahm dagegen die Zahl der Fakultätsassistenten zu; diese erhielten eine - verlängerbare - Anstellung für jeweils ein Semester, im Regelfall auf halben Stellen. Die Professoren reagierten empfindlich auf Kürzungen von Beamtengehältern und die durch den Rückgang der Studentenzahlen bedingten Einbußen an Hörergeldern; besonders energisch trat man - im Verbund mit allen anderen deutschen Juristenfakultäten - gegen die Ende 1931 in Preußen verfügte Ersetzung der Emeritierung durch die Pensionierung auf, die schließlich ein Jahr später vom Staatsgerichtshof wieder aufgehoben wurde. Die Vertretung von Standesinteressen wurde mit pathetischen Erklärungen zum Eintreten für Recht und Verfassung in einer Zeit der allgemeinen "Rechtsnot" dekoriert.

Detailliert werden die Rückwirkungen der "Machtergreifung" auf die Berliner Universität dargestellt, u. a. die politischen Bekenntnisse von Professoren, das Auftreten des Ministers Rust in der Universität am 6. Mai 1933, die neue Organisation der Studentenschaft, die Begünstigung von Studenten, die wegen Tätigkeit in einer NS-Organisation ihr Studium vernachlässigt hatten, die ersten Diskriminierungen jüdischer Studenten sowohl durch die Studentenschaft wie durch neue Rechtsvorschriften.

Der seit Juli 1932 als Rektor amtierende Strafrechtler Eduard Kohlrausch blieb auch 1933 seiner Linie treu und trat den studentischen Kampagnen "wider den undeutschen Geist" und den Krawallen, die sich unter anderem gegen den Handelsrechtler Martin Wolff (nach NS-Kriterien "Volljude") richteten, energisch entgegen; sein Konflikt mit der Studentenschaft führte dazu, daß er sich im Mai 1933 nicht um eine Wiederwahl bewarb. Kohlrausch zeigte jedoch eine höchst ambivalente Haltung. Verschiedene, nicht nur als taktisch bedingt zu erklärende, Äußerungen zeigen, daß er nicht grundsätzlich gegen eine "Entjudung" der Hochschule Stellung bezog, sondern nur darauf bestand, daß diese in "anständiger" Weise zu geschehen habe (173).

Verfügungen im Anschluß an das "Berufsbeamtengesetz" vom 7. April 1933 wurden hingenommen. Dabei wurden Professoren jüdischer Herkunft von Zwangsmaßnahmen getroffen, die noch nicht einmal formal durch dieses Gesetz gedeckt waren, das z. B. keine Zwangsbeurlaubung vorsah, wie sie als erste gegen den Strafrechtler James Goldschmidt verhängt wurde. Goldschmidt und andere (die sich auf die Ausnahmeregelung für vor 1914 ernannte Beamte berufen konnten) suchten ihre Positionen mit juristischen Einwänden - und zumeist auch Hinweisen auf ihre nationale Gesinnung - zu retten. Bei langwierigen Verhandlungen über Beurlaubung, Versetzung, Emeritierung und Festsetzung des Ruhegehalts schwankte das Ministerium zwischen formaler Beachtung der Gesetze und Willkürmaßnahmen. Alle Betroffenen setzten sich jeweils einzeln mit der Behörde auseinander; sie erfuhren im Regelfall keine Unterstützung von seiten der Fakultät, dachten aber auch nicht daran, ihre Einspruchsversuche untereinander zu koordinieren. Während die endgültige Vertreibung jüdischer Ordinarien (außer Goldschmidt und Wolff noch Ernst Rabel, Fritz Schulz und Hermann Dersch) sich bis 1937 hinzog, erfolgte der Ausschluß aus dem weiteren Kreis des Lehrkörpers einschließlich der Assistenten aus "rassischen", in einigen Fällen auch politischen Gründen, innerhalb eines knappen Jahres. Für Habilitationen galten seit Oktober 1933 (mit Rückwirkung für alle Verfahren seit dem 30. Januar) neue Rechtsvorschriften, die u. a. die Teilnahme an einem Wehrsport- und Dozentenlager forderten. Einige laufende Verfahren an der Berliner Fakultät wurden angehalten, andere nicht mehr eröffnet; warum in zwei Fällen aus politischen Gründen zunächst gestoppte Verfahren später doch noch zum Abschluß gebracht werden konnten, bleibt undurchschaubar.

Parallel zu den Repressalien gegen Angehörige des Lehrkörpers verlief die Neubesetzung von Lehrstühlen mit Professoren, die dezidiert im Sinne des neuen Regimes hervorgetreten waren. Bei der Berufung Carl Schmitts im Sommer 1933 wurde die Fakultät von der Entscheidung des Ministeriums nur nachträglich in Kenntnis gesetzt, bei der Bestallung von Wenzel Graf von Gleispach (der in Wien wegen seiner nationalsozialistischen Aktivitäten entlassen worden war) als Nachfolger von Goldschmidt (zuerst als Honorarprofessor, später als Ordinarius) suchte die Fakultät das Gesicht zu wahren, indem sie eine auf politischer Ebene schon getroffene Entscheidung mit einem gleichlautenden eigenen Vorschlag aufgriff; bei der Berufung eines weiteren, politisch einschlägig ausgewiesenen Professors, Carl August Emge, ging die Initiative von der Fakultät aus.

Zum Wintersemester 1935/36 wechselte Rudolf Smend nach Göttingen. Es handelte sich formal nicht um eine gegen seinen Willen vorgenommene Versetzung, sondern um eine Berufung. Smend sah sich aber starkem Druck von seiten des Ministeriums ausgesetzt. Die Verfasserin vermutet plausibel, daß dies im Zusammenhang mit der geplanten Berufung des SS- bzw. SD-Mannes Reinhard Höhn (geb. 1904, habilitiert in Heidelberg 1934) stand, der Ende 1935 als außerordentlicher Professor und Direktor des Instituts für Staatswissenschaften nach Berlin geholt wurde. Treibende Kraft war das SS-Mitglied Karl August Eckhardt, der seit Oktober 1934 Referent im Kultusministerium war. Der 1901 geborene Eckhardt hatte als Spezialist für germanisch-deutsche Rechtsgeschichte eine glänzende akademische Laufbahn mit mehrfacher Berufung auf Lehrstühle zurückgelegt. In seiner Referententätigkeit hatte er sich besonders der Umgestaltung der Lehrpläne für das juristische Studium angenommen, in dem nun anfangs eine "völkische Allgemeinbildung" breiten Raum einnehmen sollte. (Das Römische Recht wurde jedoch nicht gänzlich ausgeschlossen; Eckhart bewirkte auch, daß Paul Koschaker Nachfolger von Ernst Rabel für Römisches Recht wurde). Im Herbst 1935 ging Eckhardt an die Berliner Universität, zunächst in die Philosophische Fakultät, später wechselte er in die Juristische Fakultät. Sein eigentliches Ziel war jedoch die Übernahme der Präsidentschaft der Monumenta Germaniae Historica, was ihn in einen erbitterten Kampf mit Walter Frank, Leiter des "Reichsinstituts für die Geschichte des neuen Deutschlands", verwickelte. Diese Auseinandersetzungen überschnitten sich mit dem von Höhn und Eckardt gemeinsam betriebenen Kampf gegen Carl Schmitts Führungsposition innerhalb des "Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen" (seit Mai 1936: "Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund"). Die Kampagnen, in denen man sich wechselseitig "judenfreundliche" Äußerungen aus der Zeit vor 1933 vorwarf, führten schließlich zur "Kaltstellung" Schmitts, aber auch zu einem Positionsverlust für Eckhardt, der 1937 nach Bonn ging. Auch Höhn geriet innerhalb der SS zumindest vorübergehend in Schwierigkeiten.

Mit der Darstellung dieser Positionskämpfe, in die diverse Staats- und Parteidienststellen (bis hinauf zu Hitler, Göring und Himmler) involviert waren, an denen die Berliner Fakultät, der diese drei Professoren angehörten, als solche aber nicht beteiligt war, schließt eine Studie, die zwar im Hinblick auf die Folgen der NS-Machtergreifung für die Universitäten keine umstürzend neuen Erkenntnisse aufweisen kann (was auch schwerlich zu erwarten gewesen wäre), aufgrund ihres Materialreichtums jedoch eine wertvolle Ergänzung des Forschungsstandes darstellt.

Dem Fazit, daß die Fakultät nicht zu gemeinsamem Handeln fähig war und selbst die ihr noch verbliebenen Handlungsspielräume nicht ausgeschöpft habe, ist nichts hinzuzufügen. Ob sich in diesem Verhalten speziell die traditionelle Staatsnähe der Juristen widerspiegelte (477), mag man beim Blick auf das Gesamtverhalten der Universitäten bezweifeln.

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