J. Foitzik: Sowjetische Militäradministration in Deutschland

Titel
Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD). Struktur und Funktion


Autor(en)
Foitzik, Jan
Reihe
Quellen zur Zeitgeschichte 44
Erschienen
Berlin 1999: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
544 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Morré, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Ruhr Universität Bochum

Jan Foitzik, ausgewiesener Spezialist für die Geschichte der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD), legt mit diesem Buch sein opus magnum vor. Dem in sechs Kapitel gegliederten Hauptteil folgt ein umfangreicher Anhang mit einer namentlichen Auflistung der Mitarbeiter der SMAD sowie der sowjetischen Mitarbeiter im Alliierten Kontrollrat, ergänzt durch Kurzbiographien. Ebenfalls im Anhang gibt Foitzik einen Qüllen- und Literaturüberblick der ausführlicher ausfällt, als das vielleicht in der Einleitung der Fall gewesen wäre. Hier bekommt der Leser aus berufenem Munde einen vollständigen Überblick über die derzeitige Forschungslage. Die Literaturliste des Buches ist dann auch imposant. Angesichts dieser Menge angehäufter Informationen ist das am Ende präsentierte Personenregister unverzichtbarer Bestandteil des Buches.

Dem Leser tritt ein Sammler gegenüber, der gar nicht erst den Versuch einer Gesamtwürdigung der SMAD machen mag und freimütig bekennt, die Gliederung der Stoffülle habe "erhebliche Probleme" bereitet (S. 16). So gesehen wäre es vielleicht besser gewesen, den Literaturüberblick nicht in den Anhang zu verbannen, denn der uninformierte Leser bekommt dadurch den Einstieg ins Thema nicht leichter gemacht. Foitziks Buch schwankt zwischen enzyklopädisch angelegtem Nachschlagewerk und komprimierter Darstellung von Zusammenhängen. Dabei orientiert sich der Autor an Bewährtem. Die Gliederung der ersten drei Kapitel gleicht bis in die Überschriften der Struktur des knapp zehn Jahre zuvor geschriebenen Artikels im SBZ-Handbuch. Selbst die Bibliographie im Anhang soll doch nur diejenige im SBZ-Handbuch ergänzen (S. 502) 1. Die im Handbuch verarbeitete Sekundärliteratur wird nun allerdings ergänzt durch Material, das durch die Öffnung russischer und ostdeutscher Archive zugänglich geworden ist. Aber für Foitzik ist das nicht ausschlaggebend. Es sei die in der Forschung nach wie vor nicht erkannte Bedeutung der SMAD, die dieses Buch nötig mache. Der Zugang zu bislang verschlossenen Archiven habe daran nichts geändert, sondern lediglich noch mehr Fragen, vor allem Fragen methodischer Art, aufgeworfen. Ziel seiner Arbeit sei daher der "Versuch, eine Organisation, deren Selbstdarstellung und Fremdwahrnehmung ein wichtiges Element ihrer Wirkung war, in einzelne Bestandteile zu zerlegen, um reale Strukturen und Funktionen zu demonstrieren" (S. 13).

Die ersten drei Kapitel des Buches folgen dem klassischen Dreischritt von Vorgeschichte, Durchführung und Resultat. Das erste Kapitel beginnt mit den völkerrechtlichen Grundlagen und erläutert die institutionellen wie planerischen Vorgaben zu Errichtung der SMAD. Im zweiten Kapitel schließt sich eine Schilderung der Besetzung Deutschlands durch die Rote Armee an. Dabei ist Foitzik vor Allgemeinplätzen wie, "Das Verhältnis der ostdeutschen Bevölkerung zu den sowjetischen Eroberern und Besatzern war vielschichtig, komplex und oft widersprüchlich" (S. 52), nicht gefeit. Denn sein Versuch, ein Bild der Zeit zu geben, gerät in Konflikt mit seiner Begeisterung für sein Material. Er kann sich einfach nicht von der Aktenlast trennen, die ihn immer wieder in das Dickicht von Zahlen, Quellenkritik und Überlieferungslücken stürzt. Aus Sicht des Lesers steht hier die detailversessene Darstellung Foitziks in Konkurrenz zu der flüssig geschriebenen Monographie Norman Naimarks über die SMAD 2. Während dieser sein Buch schlicht "Die Russen in Deutschland" nannte und viele der von Foitzik angesprochenen Probleme in einem elegant geschlagenen Bogen verschwinden läßt, lädt sich Foitzik in verschlungenen Sätzen eben diese Detailfragen alle auf.

So gerät auch das dritte Kapitel über die Organisationsstruktur der SMAD zu einem lexikonartigen Kompendium, dessen Materialfülle den Leser erschlägt. Leider nutzt Foitzik es zu wenig, daß auch andere Forschungsgebiete von der Öffnung russischer Archive profitiert haben. Als Beispiel sei hier auf die Forschung zu den Internierungslagern des NKWD/MWD verwiesen. Zwar erwähnt Foitzik die seit ihrem Erscheinen 1998 maßgebliche Dokumentation einer deutsch-russischen Projektgruppe unter Leitung von Lutz Niethammer in einer Anmerkung (Anm. 347, S. 167), nutzt aber nicht die dadurch für jedermann schnell zugänglichen Ergebnisse und Dokumente für seine Argumentation 3. Die von ihm abermals vorgenommene Herleitung der sehr komplexen Internierungspolitik gerät zu einer für den Außenstehenden kaum nachzuvollziehenden Indizienkette.

In den folgenden drei Kapiteln löst Foitzik das ein, was er sich in der Einleitung mit den Rück- und Wechselwirkungen der "komplexen Großorganisation" SMAD in deren dynamischer Umwelt vorgenommen hat (S. 14). Das vierte Kapitel "Führungsstruktur und Kommunikation" unterteilt er in Abschnitte über die externe Führungstruktur, d.h. das Wechselverhältnis zwischen politischer Zentrale in Moskau und SMAD, und über die interne Führungsstruktur innerhalb des Apparates der SMAD. Das ist sehr spannend. Foitzik gelingt es, vor dem Hintergrund des Wirrwarrs institutioneller Neu- und Umbildungen sowie unter Berücksichtigung Moskauer Fraktionskämpfe konkret handelnde Personen zu benennen: Auf der einen Seite die Mitglieder des Politbüros Berija und Malenkow sowie Suslow, den Leiter der ZK-Abteilung Außenpolitik (S. 233); auf der anderen Seite das Außenministerium, in dem die "amtsspezifischen Informationslinien" zusammenliefen (S. 247) und dessen Mitarbeiter Semjonow, dem politischen Berater der SMAD. Als dritten (externen) Kommunikationsstrang stellt Foitzik die eigenständigen, an der SMAD vorbeilaufenden Verbindungskanäle der KPD/SED nach Moskau heraus (S. 261). Foitzik vermeidet es, den Glaubenskrieg um die Bewertung der Rolle Semjonows und seines "Gegenspielers" Tjulpanow (Leiter der Informationsabteilung der SMAD) fortzusetzen, geht aber dennoch kritisch auf die Interpretation Naimarks ein 4. Dieser lasse sich von der Außenwirkung der Informationsabteilung auf die falsche Spur locken (S. 269) und verkenne, daß der geringe Einfluß der Informationsabteilung in deren eng gesteckten Kompetenzbereich innerhalb der SMAD zu suchen sei. Diese Art der Herleitung entspricht dem durchgängigen Argumentationsstil Foitziks: Alle Zusammenhänge müssen von innen heraus, d.h. aus einer genauen Kenntnis des bürokratischen Apparates und seiner Funktionsabläufe, erschlossen werden.

Eine möglichst genaue Rekonstruktion innerer (bürokratisch-militärischer) Abläufe gibt Foizik in den folgenden beiden Abschnitten des vierten Kapitels, und setzt die Bestandsaufnahme - in weitgehend deskriptiver Form - im fünften Kapitel über die "Wirkungsmechanismen" fort. Im sechsten Kapitel schließlich wird die Außenwirkung der SMAD, d.h. die Kooperation mit bzw. Anleitung von deutschen Verwaltungsinstanzen - der "Selbstverwaltung" - dargestellt. Überzeugend wird der "permanente Verfassungsnotstand" deutscher Verwaltungen herausgearbeitet. Föderale Strukturen wurden durch Anweisungen der SMAD "entkernt". Anfangs verlief dieser Prozess schleichend, wurde Ende 1946 jedoch beschleunigt und schließlich über zentrale Weisungsbefugnisse der Zentralverwaltungen legalisiert (S. 355). In diesem Zusammenhang spielte die SED als Koordinierungsinstanz eine wesentliche Rolle, und der Ausbau der Deutschen Wirtschaftskommission wirkte als Motor dieser Entwicklung. Die kaum noch aufzulösende Verquickung sowjetischer und deutscher Verwaltungsabläufe bezeichnet Foitzik als "gemischtes System", das vor allem über die Klärung von Einzelfragen zwischen SMAD-Offizieren und KPD/SED-Funktionären funktionierte. Diese Monopolstellung baute die SED zur Entfaltung einer eigenen Machtbasis aus (S. 400 f.). Behutsam lotet Foitzik in diesem Kapitel die Handlungsspielräume der KPD/SED aus und leistet damit einen wesentlichen Beitrag zur Frühgeschichte der DDR.

In seiner Zusammenfassung stellt Foitzik heraus, daß die SMAD lediglich Instrument der in Moskau formulierten Besatzungspolitik war (S. 423). Die KPD/SED dagegen konnte durch eigene Verbindungen nach Moskau und aufgrund der diffusen Struktur der SMAD ihren Einfluß geltend machen und war somit nicht bloß Objekt sowjetischer Besatzungspolitik (S. 425). Insgesamt aber habe die sowjetische Besatzungspolitik Schwerpunkte nicht erkennen lassen, wobei sich Foitzik nicht festlegen will, ob das an der mangelnden Durchsetzungskraft der SMAD lag, oder ob diese Schwerpunkte nie formuliert wurden; dennoch: "Die DDR entstand als Selbstläufer" (S. 429)

Foitziks Herangehensweise an die Geschichte der SMAD überzeugt dadurch, daß er fehlende Belege nicht durch Vermutungen ausgleicht. Gleichzeitig verdichtet er seine Analysen zu Erkenntnissen, die die Forschung zur SMAD sicherlich befruchten. Es ist nur schade, daß er sich von dem zwar bewährtem, aber doch wenig geschmeidigen Lexikonstil des SBZ-Handbuches nicht löst. Damit wird es dem Buch schwer gemacht, über einen Expertenkreis hinaus Verbreitung zu finden.

Anmerkungen:
1 Jan Foitzik: Sowjetische Militäradministration (SMAD), in: SBZ-Handbuch. Staatliche Verwaltungen, Parteien, gesellschaftliche Organisationen und ihre Führungskräfte in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945 - 1949, hg. v. Martin Broszat und Hermann Weber, München 1990, S. 9-69
2 Norman M. Naimark: Die Russen in Deutschland. Die sowjetische Besatzungszone 1945 bis 1949, Berlin 1997
3 Sowjetische Speziallager in Deutschland 1945 bis 1950, hg. v. Sergej Mironenko, Lutz Niethammer und Alexander von Plato, in Verbindung mit Volkhard Knigge und Günter Morsch, Bd. 1: Studien und Berichte, hg. v. Alexander v. Plato, Berlin 1998, Bd. 2: Sowjetische Dokumente zur Lagerpolitik, hg. v. Ralf Possekel, Berlin 1998
4 Naimark: Russen in Deutschland, S. 403 ff.; siehe auch Sowjetische Politik in der SBZ 1945-1949. Dokumente zur Tätigkeit der Propagandaverwaltung (Informationsverwaltung) der SMAD unter Sergej Tjul'panov, bearbeitet von Bernd Bonwetsch, Gennadij Bordjugov, Ljudmilla Koscheleva, Larisa Rogavaja (Archiv für Sozialgeschichte. Beiheft 20), Bonn 1997; Wilfried Loth: Stalins ungeliebtes Kind. Warum Moskau die DDR nicht wollte, Berlin 1994, S. 129 ff.

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