B. Krönung: Traum, Vision, Imagination im frühen Byzanz

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Titel
Gottes Werk und Teufels Wirken. Traum, Vision, Imagination in der frühbyzantinischen monastischen Literatur


Autor(en)
Krönung, Bettina
Reihe
Millennium-Studien / Millennium Studies 45
Erschienen
Berlin 2014: de Gruyter
Anzahl Seiten
X, 390 S.
Preis
€ 109,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Grünbart, Institut für Byzantinistik und Neogräzistik, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Die Erforschung von übernatürlichen Phänomenen, Prophetie und Wahrsagerei erfreut sich in den letzten Jahren einer zunehmenden Wertschätzung. Konzentrierte sich Marie Theres Fögen auf die Auswertung spätantiker/frühbyzantinischer normativer Texte hinsichtlich des Stellenwertes von Wahrsagerei im Dunstkreis des Kaiserhofes1, so werden zunehmend auch narrative Quellen, die das Interesse und Bedürfnis breiterer Gesellschaftsschichten widerspiegeln, in den Blick genommen. Dazu traten auch Fragen der Überlieferung und Verwendung von Texten, die den sogenannten Geheimwissenschaften (occult sciences) zuzurechnen sind.2

Träume und Visionen zählten auch in der frühbyzantinischen Vorstellungswelt zu den Pfaden, über die man mit dem Transzendenten in Kontakt treten oder über die sich Göttliches äußern konnte. Nach der beginnenden Interpretation von traumdeutenden Texten aus dem byzantinischen Jahrtausend3 nimmt Bettina Krönung die monastische Literatur der frühbyzantinischen Zeit (4.–7. Jahrhundert) in den Blickpunkt ihrer Abhandlung, der eine an der Universität Jena im Jahre 2006 eingereichte Dissertation zugrunde liegt. Die Autorin wählte den Begriff „imaginäre Erfahrungen“, in dem alle Möglichkeiten der geistigen Visualisierung des Übernatürlichen wie Traum, Vision, Ekstase oder Erscheinungen im Wachzustand vereint werden können (S. 2). Als Quellengrundlage dienen 32 Zeugnisse aus der monastischen Literatur, die meisten von ihnen sind Heiligenviten. Das Ziel der Abhandlung ist es, „imaginäre Erfahrungen in der frühbyzantinischen monastischen Literatur und den kulturgeschichtlichen Hintergrund und Kontext zu beleuchten“ (S. 6).

Die Arbeit zerfällt in zwei Teile, wobei in Teil I (Kapitel 1–5) die in Teil II (S. 155–336) systematisch angeführten Stellen ausgewertet werden. In Kapitel 1 wird eine Zusammenschau der Phänomene der imaginären Erfahrungen geboten; dabei geht es der Autorin darum, zwischen bewussten (gesuchten) und unbewussten (ungesucht eingetretenen) Begegnungen mit dem Transzendenten zu scheiden. Besonders in den Biographien heiliger Frauen und Männer spielten Erfahrungen mit dem Jenseitigen/Göttlichen eine große Rolle, um die Autorität ihrer Spiritualität zu untermauern.

In Kapitel 2 untersucht Krönung, ob die angesprochenen Erfahrungen durch bestimmte Bewusstseinszustände provoziert wurden. Es zeigt sich, dass in allen möglichen Formen geistiger Konstitution – von Schlaf bis Trance – dem Transzendenten zu begegnen war. ‚Traum‘ wurde in der frühchristlichen Literatur und Tradition meist negativ bewertet und musste stets mit göttlicher Offenbarung zusammengebracht werden, stellte der Traum doch auch in paganen Kulten einen wichtigen Raum oder eine Projektionsfläche des Austausches mit dem Übernatürlichen dar. Traumvisionen konnten, durch asketische Praktiken der Protagonisten abgesichert, positiv bewertet werden. Aus dem versammelten Material schließt die Autorin, dass es keinen eindeutigen prädestinierten Raum für solche Erfahrungen gab. Traumdeutungen waren für die Theologen und Hüter des Glaubens ein heikles Terrain, da die pagane Tradition diese Erfahrungsfelder besetzt hatte (z.B. Inkubation, Tempelschlaf, Trance an Orakelstätten etc.). Als krankhaft wurden die dämonische Besessenheit und die Ekstase eingeschätzt. Die in der Antike als heilige Krankheit (hiera nosos) bezeichnete Epilepsie oder Mondsucht (sogar bei Mt 17,15 erwähnt) wird nicht mehr kosmisch (als vom Mond bestimmt) interpretiert, sondern als Ausdruck einer dämonischen Besessenheit gesehen. Klar skizziert Krönung den Übergang dieser terminologischen Neudefinition (S. 92–94).

In Kapitel 3 legt die Autorin dar, dass der Akt des Sehens und Schauens eine wichtigere Rolle übernimmt, während das Hören/die Audition und akustische Erfahrungen abnehmen. Ein Verweis auf die ‚akustischen‘ Orakelstätten der Antike, etwa in Dodona, wo man aus dem Blätterrauschen Antworten auf Fragen der Gläubigen fand, hätten dieses Kapitel noch anschaulicher gemacht. Es wird abgeschlossen durch Tabellen, die die Begriffsfelder „Traumbegriffe“, „Ekstase“, „Gesichte und Stimmen“ praktisch und übersichtlich darstellen (S. 108–113).

In Kapitel 4 wird analysiert, wie Geschautes als wahr oder falsch bewertet werden konnte. Diese Bewertung konnte nur von jemandem durchgeführt werden, der mit dem paulinischen Charisma (fußend auf I Kor 12,8–10, wo die neun Gaben des Heiligen Geistes aufgeführt werden) ausgestattet war. Die christlichen Charismatiker mussten von den paganen/spätantiken Traumdeutern geschieden werden oder von deren Kompetenzen vereinnahmt werden. Die Kardinalfrage war dabei das Differenzieren zwischen einem hellenistischen Heiligen, der aus eigener Kraft Wunder wirkte oder heilte und einem christlichen Wohltäter, der als Vermittler zwischen himmlischer und irdischer Sphäre wirkte. Dass die Traumdeutung (Oneiromantie) keineswegs ihr Leben aushauchte, zeigt ihre Transformation ins Christliche. Dieser Prozess wird am besten in schriftlichen Zeugnissen deutlich, die nach dem Zeitrahmen des hier untersuchten Gegenstandes entstanden: Sogar aus der Feder von Patriarchen stammten Traumdeutungsbücher, die damit der Orthodoxie eine tolerable Handhabe lieferten. Wenn die Autorin von der „Volksseele“ spricht, die „selbst im Kaiserherzen aufflackerte“ (S. 145), dann ist das meines Erachtens zu kurz gegriffen. Waren es doch die Kaiser, die trotz der manipulativen Gefahren stets Experten der Traumdeuterei, Astrologie und anderen Wissenschaften um sich scharten oder sich sogar selbst damit beschäftigten. Es ist hierbei zwischen der prophetischen (göttlich inspirierten) Begabung und der wissenschaftlichen Annäherung an die Erklärung übernatürlicher Phänomene zu trennen. Letztere blühte bis in die spätbyzantinische Zeit (mit einer kleinen Unterbrechung nach dem 12. Jahrhundert). Die ‚Behandlung‘ mantischer Praktiken verschob sich – nach der Enteignung der Wahrsager durch die imperiale Macht – im 6. und 7. Jahrhundert allmählich in die kanonische Gesetzgebung.4 Die Diskussion, ob wahrsagerische Praktiken erlaubt seien oder nicht, blieb jedenfalls bis spätestens ins 12. Jahrhundert auf der Tagesordnung von Prozessen.5

Die Quellensammlung ordnet die ausgewerteten Passagen (zweisprachig oder paraphrasierend) in 18 Kategorien, sodass der Leser die Bandbreite der ‚Probleme‘ der frühbyzantinischen Gesellschaft ermessen kann. Die vorgelegte Arbeit bereitet das Material der ausgewählten Quellengattung erschöpfend auf und kann als ein weiterer Baustein für die Kulturgeschichte der Prophetie und Wahrsagerei im byzantinischen Jahrtausend angesehen werden. 6

Anmerkungen:
1 Marie Theres Fögen, Die Enteignung der Wahrsager. Studien zum kaiserlichen Wissensmonopol in der Spätantike, Frankfurt am Main 1993.
2 Paul Magdalino / Maria Mavroudi (Hrsg.), The occult sciences in Byzantium, Genf 2006.
3 Steven M. Oberhelman, Dreambooks in Byzantium. Six Oneirocritica in translation, with commentary and introduction, Aldershot 2008; Christine Angelidi / George T. Calofonos (Hrsg.), Dreaming in Byzantium and Beyond, Farnham 2014.
4 Dies zeichnet Bernard H. Stolte, Magic and Byzantine Law in the Seventh Century, in: Jan N. Bremmer / Jan R. Veenstra / Brannon Wheeler (Hrsg.), The Metamorphosis of Magic from Late Antiquity to the Early Modern Period, Leuven 2002, S. 105–117, klar nach.
5 William Adler, Did the Biblical Patriarchs Practice Astrology? Michael Glykas and Manuel Komnenos I on Seth and Abraham, in: Mavroudi, Maria / Paul Magdalino (Hrsg.), The Occult Sciences in Byzantium, Genf 2006, S. 245–263.
6 An Literatur sei noch auf folgende Werke hingewiesen: Eleonora Kuntura-Galake, Prorreseis monachon kai anadeixe autokratoron ste diarkeia ton skoteinon aionon, in: Eleonora Kuntura-Galake (eds.), The Dark Centuries of Byzantium (7th–9th c.), Athen 2001, S. 421–444; Almuth Lotz, Der Magiekonflikt in der Spätantike, Bonn 2005; Steven M. Oberhelman (Hrsg.), Dreams, healing, and medicine in Greece. From antiquity to the present, Farnham 2013; nur selten stören Druckfehler: Fußnote 20 Historitzität, (durchweg) Mullet statt Mullett, S. 351 l. Podskalsky statt Podkalsky; Fußnote 174 l. Theophanes statt Theophus; ein hübscher Anachronismus ist das „Staatsoberhaupt“ auf S. 138.