Cover
Titel
Hunderte solcher Helden. Der Aufstand jüdischer Gefangener im NS-Vernichtungslager Sobibór


Autor(en)
Bruder, Franziska
Reihe
Reihe antifaschistischer Texte 24
Erschienen
Münster 2013: Unrast Verlag
Anzahl Seiten
182 S.
Preis
€ 16,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Angelika Benz, Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Iris Gleicke, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Berlin

In zwei der drei Vernichtungslager der Aktion Reinhardt – in Treblinka und Sobibor – organisierten die jüdischen Arbeiter Aufstände und versuchten so, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen. Diese Aufstände, die „herausragende Meilensteine des jüdischen Widerstandes“ (S. 7) bilden, sind bis heute kaum bekannt. Die Autorin stellt in diesem Band die Akteure des Widerstands in Sobibor vor. Ihr Ziel ist es zu zeigen, unter welchen Bedingungen diese Aufstände überhaupt möglich waren.

Im ersten Teil des Buches stellt Bruder vier Berichte jüdischer Sobibor-Überlebender vor, die bisher in deutscher Übersetzung nicht veröffentlicht sind. Es handelt sich dabei um den 1945 in russischer Sprache abgegebenen Bericht des militärischen Anführers des Aufstandes, Aleksander Petscherski, den Bericht Jehuda Lerners, der ebenfalls eine wichtige Rolle für den Aufstand spielte (bekannt durch sein Interview in Claude Lanzmanns Film „Sobibor“), sowie der Zeugnisse Icchak Lichtmanns, einer zentralen Figur des Aufstands, und Mordechaj Goldfarbs, dessen Bruder aktiv an den Vorbereitungen des Aufstands beteiligt war.

Es folgt ein Kapitel „Akteure des Aufstandes und Überlebende des Krieges“, in dem Bruder sich den Akteuren über biographische Rahmendaten nähert. Sie geht Fragen nach Beruf, Bildung, Herkunft und Alter nach. Auch versucht sie zu klären, wie der Umgang der Häftlinge untereinander war und inwieweit sich soziale oder politische Netzwerke bildeten. Das letzte Kapitel beschäftigt sich mit der Frage der Bedeutung der Aufständischen und Überlebenden für die Verurteilung der SS-Männer von Sobibor.

Das Buch gibt einen spannenden Einblick in die Geschichte des Aufstandes, gerade durch das Nebeneinander-Stellen von vier verschiedenen Berichten über den Aufstand in Sobibor variiert und ergänzt sich das Bild und vermittelt, wie kleine Bedingungen und Ereignisse den Aufstand beeinflussten. Die Berichte erlauben es, den Aufstand aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, und schaffen gleichzeitig ein Bewusstsein für die subjektive Wahrnehmung von Kleinigkeiten und deren Einordnung und Bewertung. Dabei zeigt die Autorin Sachverstand und Umsicht, wenn sie zum Beispiel in dem Kapitel „Wie Dokumente von Zeitzeugen entstehen, wie sie sich entwickeln und verändern“ (S. 55) auf Unterschiede in verschiedenen Fassungen von Zeitzeugenberichten und den Umgang mit ihnen verweist. Sie vergleicht den im April 1945 auf Russisch veröffentlichten Bericht „Aufstand im Lager Sobibor“ mit dem Original-Schreibmaschinenskript Petscherskis „Das Geheimnis des Sobiborers Lagers“, der jüdischen Fassung von 1946 und der polnischen Fassung von 1952 (wobei sich die letztgenannten Fassungen kaum unterscheiden). Dies gibt einen spannenden Einblick in die Entstehung und Veränderung von Zeitzeugenberichten und macht auch die Wahrnehmung und Einordnung derselben durch die Öffentlichkeit bzw. den Zeitgeist deutlich.

Auch das letzte Kapitel, in dem es um die Bedeutung der Überlebenden für die Verurteilung der SS-Männer geht, offenbart einige interessante Details. So hat Bruder neben den von der Jüdischen Historischen Kommission ab Sommer 1944 gesammelten Berichten polnischer Juden und den Akten des Hagener Strafverfahrens von 1956 auch persönliche Quellen einfließen lassen. So sichtete sie Briefe Petscherskis an die Presse, an Hermann Langbein und verschiedene sowjetische Institutionen. Dies ist eine Bereicherung der in der Forschungsliteratur häufig nur knapp beschriebenen Beteiligung von Zeugen an Gerichtsverfahren und vermittelt auch hier wieder eine weitere Dimension.

Das Buch liefert damit eine erfreuliche Ergänzung zu den in der (ohnehin spärlichen) Literatur über die Vernichtungslager nur knapp erwähnten Aufständen in den Vernichtungslagern. Gerade weil es sich bei den Aufständen in Sobibor und Treblinka um herausragende Ereignisse handelte, ist es wichtig, dass sich nun ein Buch mit den Akteuren eines dieser Aufstände intensiv beschäftigt und vier bislang weitgehend unbeachtete Zeitzeugenberichte darüber zugänglich macht.

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