Titel
Blótgemeinschaften. Eine Religionsethnografie des ⬡germanischen Neuheidentums


Autor(en)
Gründer, René
Reihe
Grenzüberschreitungen 9
Erschienen
Würzburg 2010: Ergon Verlag
Anzahl Seiten
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katharina Neef, Universität Leipzig

Mit dem anzuzeigenden Werk liegt eine „Religionsethnografie des ‚germanischen Neuheidentums‘“ vor, für die der Verfasser in biografischen Interviews Daten und Narrative von 28 „Asatheisten“ erhoben hat. Die Studie mit ‚nur‘ 28 Interviewpartnern bestreiten zu müssen – da es sich um ein gesellschaftlich marginales Phänomen handelt, stellen 28 Personen schon eine ganze Menge dar – gelingt vorzüglich; besonders, da sich zeigt, dass gesellschaftliche und wissenschaftliche Marginalität eben nicht kongruent sind. Dem vorzubringenden Einwurf auf die geringe Belastbarkeit einer quantitativ schmalen Basis widerspricht in einem Vorwort (S. 9-11) auch der Soziologe Hubert Knoblauch.

Was aber sind Asatheisten? Der Verfasser diskutiert den Terminus „Asatheismus“ umfassend (S. 28-41) und legt seine Vorteile gegenüber gängigen, aber pejorativen, historisch belasteten und unscharfen Begriffen (Paganismus, Neu-/Heidentum, Heathenism) dar. Asatheismus bezieht sich auf ein religiöses Wissenssystem und die damit verbundene Praxis, die die historisch überlieferten germanischen bzw. skandinavischen Gottheiten, zu denen bekanntlich auch die Asen zählen, integriert. Dieses System ist als „Resultat eklektizistischer Rezeption heterogener Quellen“ anzusehen (S. 238) – eine im Selbstverständnis „vergleichsweise undogmatische, naturverbundene, auf einer (ästhetischen) Faszination des Archaischen basierende, überaus lebensbejahende und gegenwartsorientierte Weltsicht“ (ebd., Hervorhebung im Original). Für die Interviewpartner erhob der Autor allerdings weitere Aspekte; sie definieren ihre Religiosität nicht nur als Weltsicht, sondern fügen oft praktische Komponenten hinzu: Rituale, Festzyklen, Alltagspraktiken. Dies und die teilweise beeindruckende zeitliche Kontinuität des Settings sprechen dafür, Asatheismus als autonomes religiöses Phänomen zu erfassen und nicht als individuelle Phase oder moderneflüchtigen, aber letztlich wenig reflektierten „Eskapismus“ (S. 30). Weiterhin wird das gegenwärtige Phänomen von seinen diskreditierten historischen Vorläufern abgegrenzt, hier sind nicht nur genealogische, sondern auch inhaltliche und strukturelle Brüche bezeichnend (S. 31).

Es handelt sich um eine Dissertation und ihr Aufbau entspricht auch weitgehend dem gängigen Schema der Textsorte: Der Konzeption des Gegenstands und der Feldstudie (S. 13-53) folgen umfangreich und ausführlich die empirischen Befunde (S. 55-343), die durch Befundsynopsis und weiterführende Diskussion (S. 345-385) abgerundet werden.

Die Vielfalt des Feldes wird sowohl institutionell und publizistisch aufgearbeitet als auch in den Interviews gespiegelt. Dazu identifiziert Gründer drei Strömungen: universalistische, ökospirituelle/tribalistische und völkische Asatheisten, denen wiederum verschiedene Vereinigungen und Gemeinschaften zugeordnet werden. Die historisch älteste Strömung ist die völkische; hier wurden u.a. Mitglieder des „Armanen-Ordens“ und der „Artgemeinschaft/GGG e.V.“ befragt. Teilweise in historischer Kontinuität wird germanischer Glaube biologistisch konstruiert: Abstammung und Religiosität hängen eng zusammen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden ökospirituelle Asatheismen, im engen Zusammenhang mit Umwelt-, Frauen- und neuen religiösen Bewegungen sowie mit der Aneignung indigener spiritueller Kulturen. Universalistische Asatheisten deuten „germanisch“ (wie tendenziell auch die Ökospirituellen) ganz kulturalistisch: Jeder könne germanische Götter annehmen – auch der „Afro-Germane“ (S. 87) wird denkbar. Dabei changieren die Deutungen, ob Asatheismus an einen mitteleuropäischen Kulturraum geknüpft sei, ob also Religionskultur und Kulturraum interferieren, aber gerade die Universalisten transzendieren den konkreten (historisch ‚germanischen‘) Raum.

Der Verfasser verweist darauf, dass es sich gerade für die Völkischen als schwierig erwies, Gesprächspartner zu finden – negative Erfahrungen um Umgang mit Wissenschaft und Medien führten hier zu Rückzugs- und Privatisierungstendenzen, so dass hier deutlich weniger Gesprächspartner gewonnen werden konnten als in den beiden anderen Milieus. Die Erhebung und Befragung deckt den deutschsprachigen Raum ab, allerdings konzentrieren sich die Samples auf den mittel- bis süddeutschen und deutschschweizerischen Raum, hinzu kommen die Großstädte Berlin und Hamburg.

Gegen die monolithische Eskapismusdeutung werden die Konversionserfahrungen der im Sample Versammelten angeführt; auch werden verschiedene Narrative und Topoi erkennbar, die das Feld strukturieren: Gründer unterscheidet extrinsische und intrinsische Motivationen, die auch in verschiedene Anschlussmöglichkeiten im asatheistischen Feld münden – je nachdem, ob die eigene Ablösung von der christlichen Primärsozialisation graduell oder sprunghaft, schrittweise oder problematisch vonstattenging. So korrespondieren bspw. einer Ablösung vom Christentum aufgrund kognitiver Dissonanz ein Konversionsprozess, der sich oft durch die Lektüre einschlägiger Werke oder ein entsprechendes Studium Bahn bricht, und eine asatheistische Identität, die stark auf eine alternative, individuell gestaltete Weltsicht rekurriert. Asatheisten, die sich aufgrund negativer Erfahrungen von ihrem religiösen Primärhabitat lösten, neigen dagegen eher zu Gruppenmitgliedschaft mit intensiven sozialen Vergemeinschaftungsformen, wohingegen sich im völkischen Submilieu oft Narrative des bewusst radikalen Bruchs mit dem Bisherigen und monotheismuskritische bzw. häufig dezidiert antichristliche Statements finden lassen. Die Ausführungen zu den Konversionserfahrungen (S. 89-105) sind bereichernd.

In der Thematisierung der Identitäts- und Alteritätskonstruktionen sowie sozialer Exklusionserfahrungen (S. 303-343) kommen die Konversionsnarrative noch einmal prominent zur Geltung, wobei das als Konstitutivum minderheitlicher Identität gelten mag: die Schärfung eigener Identität nicht nur in positiver Selbstreflexion, sondern gerade auch in der Abgrenzung zum mehrheitlichen „Anderen“ – eine Abgrenzung, die durch Exklusionserfahrungen empirisiert und so als rechtmäßig erfahren wird.

Ebenso interessant sind die Kapitel zur Sinnstiftung im Gruppenkontext sowie im Alltag (S. 105-221). Hier zeigt sich nochmals deutlich die Verbindung des Verfassers zu Hubert Knoblauch und Alfred Schütz. Wissenssoziologisch werden Praktiken zur Etablierung und regelmäßigen (Re-)Plausibilisierung des gewonnenen neuen asatheistischen Wissens beschrieben und kontextualisiert. Dabei bedenkt und referiert Gründer auch die wechselnden Rollen, die innerhalb der Riten (sowie im privaten Kontext) eingenommen werden. Hier ein Hinweis zum Titel: „Blót“ bezeichnet ein Opfer, „Blótgemeinschaften“ sind demnach primär Opfer- und Ritualgemeinschaften ohne notwendige verwandtschaftliche Beziehungen.

Die Rückbindung der sozialen und praxeologischen Komponenten auf der ideellen Ebene wird entlang religionskundlicher Grundbegriffe – etwa Götterbild, Ahnenkonzept, Ethik – unternommen (S. 237-303). Wenig überraschend finden sich auch hier frappante Unterschiede, die wiederum weitgehend mit der verschiedenen sozialen, ideologischen und praktischen Verortung der Sprecher korrespondieren. In der Gänze bietet der umfangreiche empirische Teil den Versuch einer erschöpfenden Erfassung asatheistischer Lebenswelt in Theorie und Praxis, in individuellen wie kollektiven Bezügen, mit internem wie externen Fokus.

Ein formaler Schwachpunkt sei noch genannt: Dem Verlag ist offenbar ein Fehler beim Satz unterlaufen, so dass das einfache Ausführungszeichen fehlt. Das ist an einigen wenigen Stellen verwirrend und stört den Lesefluss (etwa S. 47, Tabelle). In der Verantwortung des Autors liegt die mitunter exzessive Kursivsetzung und Verwendung von Anführungszeichen, die teils von Sperrungen ergänzt und uneinheitlich ist. Das irritiert bei der Lektüre. Ansonsten aber ist die Studie gut lesbar – nicht zuletzt deshalb, da der Autor (und der vorsichtige Leser mag hier eine Kritik unklarer Distanz oder Nähe ahnen) seine Gegenstände in durchaus empathischer Weise thematisiert und zu Wort kommen lässt, wodurch ein lebendiger, um nicht zu sagen: „authentischer“, Eindruck verschiedener Asatheisten entsteht. Für das Forschungsfeld ist diese Lebendigkeit der Darstellung sehr positiv, da sie Lebenswelten, Lebensführungskonzepte und reflektierte Weltsichten vermittelt und den Gegenstand des Asatheismus gegen verbreitete Verdächtigungen legitimiert, nur ein romantisches und letztlich individuell kurzlebiges Substrat von „Jugendreligion“ zu sein.

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