W. Broeckaert: Navicularii et Negotiantes

Cover
Titel
Navicularii et Negotiantes. A Prosopographical Study of Roman Merchants and Shippers


Autor(en)
Broeckaert, Wim
Reihe
Pharos 28
Erschienen
Anzahl Seiten
564 S.
Preis
€ 59,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Kritzinger, Institut für Altertumswissenschaften, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Wim Broeckaert setzt sich in dem hier zu besprechenden Werk zum Ziel, die Zeugnisse zu Händlern und Schiffern aus dem westlichen Teil des Römischen Reiches zu sammeln, zu besprechen und auszuwerten.1 Ein Vorwort, eine Einleitung sowie wichtige Hinweise und Gedanken für den Benutzer eröffnen das Buch (S. 4–14). Beschlossen wird der Band durch eine umfangreiche Bibliographie (S. 506–549), des Weiteren ist ein Sach- und Namensindex (S. 550–553) beigefügt. Eingerahmt von diesen nützlichen Instrumenten findet sich die eigentliche Studie, die in vierzehn Kapitel unterteilt ist (S. 15–505). Die einzelnen Kapitel werden jeweils durch „Einführungen“ eröffnet, in denen Broeckaert in kompakter Form, doch mit beschwingter Feder seine prosopographische Quellensammlung thematisch auswertet. Die „Prosopographie“ selbst findet sich jeweils an die Kapitel in alphabetischer Reihung und fortlaufender Nummerierung (also über die Kapitel hinweg) angehängt. Dabei stellt Broeckaert in der Regel für jeden Eintrag sechs Informationspunkte zur Verfügung: die Angabe der literarischen Quelle (also den Corpus vel simile), die Inschrift, die Datierung, die Lokalisierung, die wichtige Literatur sowie Anmerkungen, die sich sowohl mit Lesung, Grammatik, Orthographie und Syntax der Inschriften als auch mit den Inhalten der Texte auseinandersetzen (vgl. S. 10f.).

Die ersten beiden Kapitel sind den negotiatores / negotiantes und mercatores gewidmet (S. 15–174). Broeckaert betont zu Recht die breite Überschneidung in der Semantik dieser Berufsbezeichnungen (so etwa in CIL X 1797). Die Begriffe unterscheiden sich weniger in ihrem Sinngehalt als vielmehr durch ein unterschiedliches Maß an Prestige, was Broeckaert überzeugend anhand der Begriffsbenutzung belegt. Während nämlich aus der überragenden sozialen Perspektive der Aristokratie (die sich in den literarischen Quellen findet) zwischen den Termini nicht differenziert wird, bezeichnen sich die Händler in den Selbstzeugnissen (also in den Inschriften) bevorzugt als negotiatores (S. 22 u. 150).

Die folgenden Kapitel setzen sich mit den nautae, utriclarii und navicularii auseinander (S. 203–250). Erneut überrascht eine auffällig divergierende quantitative Verteilung der Begriffe in epigraphischen und literarischen Zeugnissen (S. 177, 219f. u.ö.). Im jeweils engeren Sinn bezeichnet nach Broeckaerts Darstellung der utric(u)larius einen Lieferanten von Flüssigkeiten in Lederschläuchen (S. 177 u. 203ff.), der nauta den Hauptverantwortlichen an Deck eines Schiffes (S. 175ff.) und der navicularius gewissermaßen denjenigen, der aus dem Schiff kommerziellen Nutzen schlägt, der jedoch weder mit dem Eigentümer (dominus navis) noch dem Kapitän (magister navis) identisch sein musste, aber sehr wohl konnte (S. 218–222).

Es folgen die Kapitel zu propolae und poletai (S. 251–256), emporoi und kapeloi (S. 257–65), vinarii (S. 266–268), frumentarii (S. 269–271) und olearii (S. 272–286), wobei der Sinngehalt dieser termini technici kaum Deutungsschwierigkeiten bereitet. Unter den folgenden drei Schlagwörtern werden verschiedene Gegenstände besprochen, auf denen sich jeweils Namen von Händlern und ähnlichem finden (S. 287–458): Amphoren (tituli picti), Unterlagen für Amphoren („amphorae stoppers“) und Anker. Es liegt auf der Hand, dass ein so komplexes und umstrittenes Thema, wie es die tituli picti der Amphoren sind, von Broeckaert nicht in aller Ausführlichkeit besprochen werden kann (S. 287–436). Dennoch gelingt es ihm, einen knappen und aussagekräftigen Überblick zum Stand der Forschungen zu entwerfen und seine eigene Meinung zu positionieren. Weit weniger umstritten und beachtet sind naturgemäß die Amphorenstopper und Anker (S. 437–458), da sie in aller Regel höchstens mit einem Namen beschrieben sind. Broeckaert erklärt diese Inschriften überzeugend als simple Besitzanzeige (S. 437f. u. 452). Während diese Funktion der Beschriftungen für die Amphorenunterlagen unmittelbar einleuchtet, drängt sich bei den Ankern doch die Frage auf, weshalb man sich genötigt fühlte, diese sperrigen und schweren Gegenstände mit einem Namen zu kennzeichnen. Nach Ansicht des Autors habe sich die Notwendigkeit ergeben, weil Schiffe von den Eigentümern verpachtet worden seien, daher habe man mobile Gegenstände gekennzeichnet. Ob dies tatsächlich der Grund war, sei dahingestellt; andere Erklärungen bleiben zumindest auch denkbar. Das letzte Kapitel ist weiteren Händlergruppen gewidmet, die sich in keine der bisherigen Kategorien einfügen lassen und recht unterschiedlichen Charakters sind (S. 459–505).

Die 1.320 prosopographischen Einträge können hier nicht ausführlich diskutiert werden. Die sporadisch überprüften Einträge zeugen jedenfalls von einer beeindruckend akribischen Arbeitsweise. Die Qualität des prosopographischen Katalogs wird sich im Einzelnen durch die hoffentlich ausgiebige Nutzung des Werkes durch die Wissenschaft bestätigen. Thematisiert werden soll hier aber der unkonventionelle Aufbau der Studie, der das Buch weder als reine Prosopographie noch als klassische Monographie ausweist, was jedoch offenbar vom Autor so bezweckt ist. Die Art und Weise, wie Broeckaert die untersuchten Quellen organisiert, präsentiert und zu den zwar knappen, dabei jedoch äußerst fundierten Auswertungen gelangt, ist meines Erachtens vorzüglich gelungen. Das Verhältnis ausgewerteter Zeugnisse und erzielter Ergebnisse mag auf den ersten Blick unausgewogen wirken, was bei genauerer Betrachtung jedoch mitnichten zutrifft: Denn zum einen hat Broeckaert in vielen Punkten die Forschung vorangebracht oder zumindest auf solidere Beine gestellt; zum anderen wird das Werk in Zukunft der Forschung auch als Materialsammlung noch viele nützliche Dienste erweisen.

Über die Auswahl der aufgenommenen Themenbereiche ließe sich naturgemäß diskutieren. Alle Personen- bzw. Berufsgruppen zu Handel und Schifffahrt können vom Autor freilich nicht berücksichtigt werden, und folglich muss Broeckaert jeweils Argumente zur Aufnahme (oder Aussparung) bestimmter Themenkomplexe vorbringen. So begründet er zwar einleuchtend, weshalb beispielsweise ein negotiator purpurarius in die Prosopographie aufgenommen, ein purpurarius jedoch ausgeschlossen wird (S. 9). Auch die Beschränkung auf den Westen des Römischen Reiches mag vor dem Hintergrund der allgemeinen Entwicklung in der Forschung einleuchten (S. 9).2 Nichtsdestotrotz hätte sich wohl mancher Leser und Nutzer dieser Arbeit eine weniger restriktive Auswahl der Einträge gewünscht.3 Es ist zu betonen, dass dies keine Kritik am Werk darstellt, denn das Buch hält sowohl das Versprechen des Titels als auch die vom Autor selbst formulierten Ziele vollkommen ein (S. 6–8). Vielmehr ist der Wunsch nach einer vollständigen Materialsammlung zu Händlern und Schiffern im Römischen Reich Ergebnis der besonderen Qualität der Arbeit.4 Es ist zu wünschen und steht gewiss zu erwarten, dass dieses ungewöhnliche Werk zu einem vielbenutzten Standardwerk werden und die Forschung stark beeinflussen wird.

Anmerkungen:
1 Das Werk wurde ursprünglich im Jahr 2010 in niederländischer Sprache an der Universität Gent als Dissertation eingereicht.
2 Vgl. vor allem Kai Ruffing, Die berufliche Spezialisierung in Handel und Handwerk. Untersuchungen zu ihrer Entwicklung und zu ihren Bedingungen in der römischen Kaiserzeit im östlichen Mittelmeerraum auf der Grundlage der griechischen Inschriften und Papyri, Rahden 2008.
3 Wenig einleuchtend sind meines Erachtens dagegen die Argumente Broeckaerts, die zur Aussparung der Belege aus Ostia und der Schifffahrt auf dem Tiber angeführt werden (S. 10).
4 Redaktionelle Fehler finden sich nur wenige; dabei handelt es sich vor allem um Bagatellen, die sich offenbar im Zuge der Übersetzung aus dem Niederländischen ergeben haben, wie etwa auf S. 19: „en Scotland“; S. 151, Anm. 581: „ook“; S. 287: „diiferentiate“. Auch die wenig konsequente Schreibung des lateinischen „v“ (beispielsweise S. 13, Anm. 28: „vetus“; aber Anm. 29: „uendere“; S. 22, Anm. 86: „Livius […] uagos […]“; S. 150, Anm. 570: „uellera“, kurz darauf aber: „vehunt […] vasta“) sind vor dem Hintergrund der gesamten Leistung als Marginalia zu bezeichnen, nicht zuletzt auch deshalb, weil der Wunsch nach einer einheitlichen Schreibweise letztlich moderner Denkweise entspringt. Die Heftung ist dem Zweck des Buches nicht angemessen: Bereits die Nutzung für die Erstellung der Rezension hatte zur Folge, dass sich nicht wenige Blätter aus der Verklebung lösten.

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