R. Greiner: Die neuen Kriege im Film: Jugoslawien – Zentralafrika – Irak

Cover
Titel
Die neuen Kriege im Film. Jugoslawien – Zentralafrika – Irak – Afghanistan


Autor(en)
Greiner, Rasmus
Reihe
Marburger Schriften zur Medienforschung 39
Erschienen
Marburg 2012: Schüren Verlag
Anzahl Seiten
488 S., ca. 200 teilw. farbige Abb.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Maja Bächler, Bereich Theorie der Politik, Humboldt-Universität zu Berlin

Auch wenn die Theorie der neuen Kriege nicht alle in den letzten 20 Jahren geführten Kriege zu beschreiben im Stande ist, hat sie Kategorisierungsmöglichkeiten für bestimmte Kriegsformen gefunden und ihnen eindeutige Merkmale zugeordnet. Rasmus Greiner hat es sich zur Aufgabe gemacht, die filmischen Visualisierungen der neuen Kriege anhand dieser Kategorisierungsmerkmale aufzuspüren, zu analysieren und einzuordnen. Dabei konzentriert er sich auf die Untersuchung fiktionaler Filme, die sich auf die Kriegsregionen Jugoslawien, Zentralafrika1, Irak und Afghanistan beziehen.

Nach Herfried Münkler zeichnen sich die neuen Kriege durch vier Hauptmerkmale aus: die Entstaatlichung, die Entgrenzung der Gewalt, die Herausbildung von Gewaltökonomien sowie die Asymmetrierung der Konflikte.2 Diesen abstrakten Kategorien lassen sich konkrete Handlungsweisen der kriegsteilnehmenden Parteien bzw. Situationsdiagnosen zuweisen, wie beispielsweise die Problematik der Ununterscheidbarkeit von Kombattanten und Nicht-Kombattanten durch die Angriffe auf zivile Ziele, den Einsatz von Kindersoldaten/innen oder die Verlängerung der Kriegsdauer durch die Nichtexistenz von Kriegszielen bzw. den Aufbau einer florierenden Kriegswirtschaft, deren Beendigung nicht unbedingt im Interesse einzelner Kriegstreiber steht. Solcherart Phänomene, die Herfried Münkler und Mary Kaldor in ihren einschlägigen Werken beschreiben3, werden auch in Kriegsfilmen aufgegriffen und führen so zu einer Justierung des Kriegsfilmgenres, indem Muster klassischer Kriege von den Darstellungsweisen neuer Kriege abgelöst werden. Diesen Wandel beschreibt Rasmus Greiner in seiner Dissertation „Die neuen Kriege im Film“.

Die Kriegsregionen geben die Kapitelstruktur des Buches vor. Neben der Einleitung, einem methodisch-theoretischen Kapitel und zwei als Schlusswort fungierenden Abschnitten (Kapitel sechs und sieben) bilden vier nach Regionen gegliederte Kapitel den Kern der Studie. Dabei gibt Greiner jeweils zunächst einen Überblick über die Filmgeschichte zu der Region sowie über die realpolitische Entstehung des Konfliktes. Diese beiden Aspekte spitzt er jeweils in einem dritten Unterkapitel auf den konkret im Fokus stehenden regionalen Konflikt zu, indem er die relevanten Filme herausstellt und eine erste Einordnung in die Theorie der neuen Kriege vornimmt. In einem letzten Schritt werden beispielhaft Filmanalysen durchgeführt, die den Blick auf Einzelaspekte lenken.

Die vorliegende Studie zeichnet sich unter anderem durch eine große Materialfülle der gesichteten Filme aus. Zwar erhebt Greiner keinen Anspruch auf lexikalische Vollständigkeit des Filmmaterials zur Thematik, doch erreicht er eine gute Sammlung an aussagekräftigen Filmen. Hier liegt eine große Stärke dieser Arbeit: Wer sich über die Darstellungsweisen der neuen Kriege in Filmen informieren möchte, bekommt eine gelungene Zusammenfassung und kann in den Einzelanalysen sein Verständnis vertiefen. Dabei geht der Autor sehr umsichtig mit zum Teil heiklen Themen wie race, class und gender -Konstruktionen um und ist gegenüber Details wie Blickwinkeln auf bestimmte Phänomene sehr aufmerksam. Sowohl die Kapitelstruktur mit zum Teil sehr kurzen Abschnitten als auch der Eigenanspruch der Studie, „die ganze Breite der fiktionalen Aufarbeitung der neuen Kriege im europäischen und us-amerikanischen [sic!] Kino“ abzudecken (S. 9), verhindern an manchen Stellen allerdings den zweiten selbstgestellten Anspruch eines „Close Readings“ (ebd.) zu erreichen. Aber Greiner zeigt eindrücklich auf, welche filmischen Mittel zur Darstellung der genannten Merkmale der neuen Kriege in den Filmen verwendet werden. So arbeitet er Inter- und Subtexte detailgetreu und auch in historischer Perspektive heraus und zeigt kleine Veränderungen in den Gruppenstrukturen der Heldenfiguren ebenso auf wie neue Fokussierungen der Filme in Hinblick auf sozietäre Probleme in Kriegen. Allerdings fehlt bisweilen eine Einordnung in historische Kontexte bzw. gesellschaftlich virulente Diskurse, die über die Filmgeschichte selbst hinausreicht. Dies kann aber von einer medienwissenschaftlichen Studie vielleicht auch nicht erwartet werden.

Methodisch bleibt unklar, inwiefern der Autor von einer Inszenierungs-Wirkungskette ausgeht. Sprachlich scheint er anzunehmen, dass bestimmte Darstellungsweisen bestimmte Zuschauerreaktionen auslösen, wenn beispielsweise von der Sensibilisierung „der westlichen Zuschauer“ (S. 182) gesprochen wird. Diese Zwangsläufigkeit und Eindimensionalität ist aber zumindest zu hinterfragen, da die Wirkung von Filmen auf das Publikum höchst umstritten ist. Der Filmwissenschaftler Lothar Mikos beispielsweise betont den wesentlichen Anteil, den die Zuschauenden bei der Rezeption und Aneignung des kulturellen Gehalts von Filmen haben.4 Insofern wäre hier eine stärkere Differenzierung erforderlich, die von nahegelegten Bedeutungen und möglichen Interpretationen statt von eindeutigen Wirkmustern spricht. Dies ist aber nur möglich, wenn eine stärkere Kontextualisierung der filmischen Realität mit der theoretischen Ebene erfolgt. Was bedeutet es denn für eine Theorie der neuen Kriege, wenn ein Film die technische Überlegenheit der USA im Luftkampf durch den Absturz eines Black Hawks infrage stellt und an Erzählmuster klassischer Kriegsfilme („Mann gegen Mann“, S. 266; „Keiner wird zurückgelassen“, S. 203ff.) anknüpft? Inwiefern wirken die Filme hier selbst an der Modifikation der Theorie mit? Die Beantwortung dieser Fragen liegt quasi in der Luft und doch werden sie manchmal – nicht immer – dort einfach hängen gelassen. Einen Aspekt arbeitet Greiner freilich besonders eindrücklich heraus: Die Filme thematisieren die Rolle der Medien und damit auch sich selbst als „Vierte Macht“, deren Bedeutung für die neuen Kriege auch Münkler betont. Dabei enttarne „der fiktionale Film die mediale Realität der neuen Kriege als bloße Konstruktion ‚überschaubarer kausaler Beziehungen‘“ (S. 462f.). Die Erkenntnis der Selbstreferentialität verweist auf den Akteursrahmen visueller Medien im Rahmen politischer Prozesse allgemein und der neuen Kriege im Besonderen.

Insgesamt rundet die Studie unser Wissen über die Theorie der neuen Kriege um den empirischen Aspekt der Visualisierung neuer Gewalt ab und kann als gewinnbringender Baustein in diesem Kontext verstanden werden. Allerdings fehlen bisweilen historische und gesellschaftliche bzw. gesellschaftstheoretische Bezüge, und die Studie lässt mancherorts die gesellschaftlichen Implikationen der fundierten Beobachtungen offen – ein Desiderat vor allem für eine politik- und geschichtswissenschaftlich orientierte Leserschaft. Besonders hervorzuheben ist jedoch die Aufmerksamkeit, die Greiner den Filmen selbst schenkt. Vergleichbar mit einer langen Suche im Archiv, die durch das Finden besonderer Kostbarkeiten belohnt wird, lässt uns Greiner an seinen Entdeckungen in und Bezügen zwischen den Filmen teilhaben. Wer sich mit der medialen Umsetzung der neuen Kriege im fiktionalen Film auseinandersetzen möchte, wird um dieses Buch nicht herumkommen. Aber abgesehen davon, dass man auf allerhand Neues und Erstaunliches stößt, macht das Lesen dieses gut geschriebenen Buches Spaß. Und das ist bekanntlich in der Wissenschaft durchaus nicht selbstverständlich.

Anmerkungen:
1 Die Region „Zentralafrika“ erscheint mir etwas unklar definiert, da ihr sowohl Sierra Leone (Westafrika) als auch Somalia (Ostafrika) zugeordnet werden.
2 Herfried Münkler, Die neuen Kriege, Hamburg 2002, S. 13–57.
3 Herfried Münkler, Der Wandel des Krieges. Von der Symmetrie zur Asymmetrie, Weilerswist 2006; vgl. die Rezension von Reinhard Mehring, in: H-Soz-u-Kult, 28.09.2006, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-3-229> (10.10.2013); Mary Kaldor, Neue und alte Kriege. Organisierte Gewalt im Zeitalter der Globalisierung, Frankfurt am Main 2000; vgl. die Rezension von Wilfried von Bredow, in: H-Soz-u-Kult, 08.04.2001, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=1315> (10.10.2013).
4 Lothar Mikos, Film- und Fernsehanalyse, Konstanz 2003, S. 249.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch