J. Süselbeck: Im Angesicht der Grausamkeit

Cover
Titel
Im Angesicht der Grausamkeit. Emotionale Effekte literarischer und audiovisueller Kriegsdarstellungen vom 19. bis zum 21. Jahrhundert


Autor(en)
Süselbeck, Jan
Erschienen
Göttingen 2013: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
520 S.
Preis
€ 34, 90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jens Eder, Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft, Universität Mannheim

Krieg, Medien, Emotionen – diese Trias findet gegenwärtig in mehreren Disziplinen große Aufmerksamkeit. Das hängt nicht nur mit dem Gedenken an den Ersten Weltkrieg und dem Leiden unter „neuen Kriegen“1 zusammen, sondern auch damit, dass sich die medienbezogene Emotionsforschung nach Grundsatzdebatten nun konkreteren Fragestellungen zuwendet. Das Spektrum der Arbeiten, die das Verhältnis zwischen medialer Kriegsdarstellung und Emotionsauslösung untersuchen, reicht von sozialwissenschaftlichen Studien (etwa in der Zeitschrift Media, War & Conflict) über die Medien- und Rezeptionsgeschichte (etwa bei Frank Bösch) bis zu philosophischen Überlegungen (etwa bei Judith Butler). Besonders intensiv wird das Thema innerhalb der Filmwissenschaft untersucht, beispielsweise von Hermann Kappelhoff oder Elisabeth Bronfen.2

Um die interdisziplinäre Diskussion der Thematik hat sich Jan Süselbeck als Tagungsorganisator, Buchherausgeber und Verfasser zahlreicher Forschungsberichte verdient gemacht. Innerhalb der Literaturwissenschaft darf er als einer der besten Kenner des Forschungsfeldes gelten. Angesichts dessen enttäuscht seine 2013 publizierte Habilitationsschrift Im Angesicht der Grausamkeit leider. Der Untertitel des Buches lässt eine umfassende Übersicht über „emotionale Effekte literarischer und audiovisueller Kriegsdarstellungen vom 19. bis zum 21. Jahrhundert“ erwarten. Trotz beeindruckender Materialfülle löst das Buch dieses Versprechen jedoch nicht ein. Seine Gesamtstruktur wirkt unfertig. Statt systematische Argumentationsschritte zu durchlaufen oder einer Chronologie zu folgen, bewegt sich die Darlegung in teils schwer nachvollziehbaren Sprüngen und Zirkeln. Vermutlich ist die Vorgehensweise dem hermeneutischen Bemühen geschuldet, das Thema anhand von Fallstudien aus wechselnden Perspektiven zu beleuchten und durch Zeitsprünge die „überzeitlichen Muster von Gewaltdarstellungen“ (S. 60) aufzuzeigen. Doch gerade dieses Verfahren hätte eine sorgfältigere Orientierung der Leser, eine höhere Stringenz und Prägnanz der Formulierungen erfordert.

Der Text zerfällt in drei nur lose verbundene Hauptteile: Der erste beschäftigt sich mit „Emotionalisierungsstrategien literarischer und filmischer Repräsentationen des Ersten Weltkriegs“, der zweite mit der Geschichte der „ästhetischen Assoziation von Krieg, Liebe und Lust“, der dritte mit „[e]motionale[n] Wirkungen von Shoah-Repräsentationen“. Verbunden werden diese Blöcke vor allem dadurch, dass alle drei auf denselben Ausschnitt aus dem breiten Spektrum kriegsbezogener Emotionen zentriert sind, das von Hass und nationalistischen Gemeinschaftsgefühlen über Neugierde und Schock bis zu Angst, Grauen, Trauer und Mitleid reicht. Innerhalb dieses Spektrums interessiert Süselbeck vor allem die reale und mediale Lust an autotelischer Gewalt: die Gewaltlust militärischer Protagonisten und das lustvolle (Mit-)Erleben der Rezipienten. Der freudianischen Dialektik von Eros und Todestrieb folgend (S. 484f.), münden seine Überlegungen in die problematische These, Kriegsnarrative „funktionierten“ „meistens“ mittels Formen der „Sexualisierung“ (S. 480). Diese Schlussthese erscheint jedoch als petitio principii, weil von Anfang an entsprechende (oder gegenläufige) Emotionalisierungsstrategien aus dem umfangreichen Korpus von Texten gezielt herausgefiltert werden, anstatt dass die Werke in ihrer jeweiligen Gesamtdramaturgie dargestellter und intendierter Emotionen systematisch analysiert werden. Immerhin ergeben sich dabei einige interessante Einsichten zur medialen Lust an der Gewalt.

Im einleitenden Vorwort positioniert sich Süselbeck zunächst im Feld der Emotionsforschung, wobei es ihm primär um Strategien textueller Emotionslenkung geht. Sich von evolutionspsychologischen Positionen scharf abgrenzend, zeigt er sich gegenüber vielen anderen Theorieansätzen offen; wichtigster Bezugspunkt sind Fritz Breithaupts „Kulturen der Empathie“. Den internationalen Diskurs der Emotionsforschung berücksichtigt er ebenso wenig wie medienwissenschaftliche Diskussionen um Gewalt oder geschichtswissenschaftliche Untersuchungen zum Kriegserleben, zu emotionalen Normen oder communities (Barbara H. Rosenwein). Ähnlich lückenhaft mutet die Korpusbildung an. Süselbeck wählt populäre, kanonisierte oder vieldiskutierte Werke aus dem Bereich der narrativen Langformen Roman, Spielfilm und Drama aus, erläutert jedoch nicht, inwiefern diese Werke als typisch oder repräsentativ gelten können. Wenn beispielsweise, worauf er selbst hinweist, zwischen 1914 und 1939 mehr als 6.500 Bücher zum Ersten Weltkrieg erschienen sind (S. 63), stellt sich die Frage, wie die untersuchten Romane in diesem Diskurs positioniert sind. Auswahl und Kontext der Filme und Dramen werden noch weniger reflektiert.

Im ersten Hauptteil wendet sich Süselbeck – fast ausschließlich literarischen – Darstellungen des Ersten Weltkriegs nach 1918 zu und arbeitet mehrere Emotionalisierungsstrategien heraus: die Sexualisierung von Gewalt (in Arnolt Bronnens „O.S.“), die Sakralisierung des Todes (bei Walter Flex), die Mischung von Schocks und Euphorie (bei Ernst Jünger), tröstende Empathie mit soldatischen Ich-Erzählern und die Identifikation mit reflexionsunfähigen Protagonisten (in Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ und dessen Verfilmung). Dabei macht Süselbeck konsequent auf Ambivalenzen aufmerksam: Gerade die unverbrämte Gewaltlust in „O.S.“ habe zeitgenössische Rezipienten verstört, während „Antikriegsromane“ wie „Im Westen nichts Neues“ eher zu einer Entpolitisierung und Entlastung von Schuldgefühlen beigetragen hätten – eine zwar diskutable, doch interessante These.

Der zweite Teil des Buchs erweitert die historische Perspektive. Die Bandbreite der untersuchten Werke reicht von Homers Epen über Leo Tolstoi und Heinrich von Kleist bis zu Elfriede Jelineks Postdramatik, von Francis Ford Coppola und Stanley Kubrick über Ridley Scott bis zu Quentin Tarantino; auch die Abu-Ghraib-Fotos fehlen nicht. Innerhalb dieses heterogenen Materials will Süselbeck gemeinsame Emotionsstrukturen (etwa Pathosformeln) zu Gewaltlust, Ekel und Sexualisierung erkennen, indem er zwischen Zeiten, Medien und Genres hin- und herspringt. Dieses Vorgehen gelingt nur gelegentlich, insgesamt wirkt es desorientierend und wird der Spezifik der Werke, ihrer medialen Formen und soziokulturellen Situierung nicht gerecht. Schon die Textauswahl ist nicht immer nachvollziehbar, wenn etwa Jelineks Dramen Hollywood-Genrefilmen gegenübergestellt werden, während Harun Farockis oder Romuald Karmakars Kriegsanalysen fehlen. Einige Literaturanalysen präsentieren durchaus anregende Beobachtungen (etwa im Aufweis „vorfilmischen Schreibens“ bei Tolstoi (S. 257) oder im Vergleich zwischen Kleist und Lukas Bärfuss). Insbesondere die Filmanalysen erscheinen jedoch oft zu undifferenziert und wenig überzeugend (beispielsweise in der Überbeanspruchung intertextueller Bezüge oder im Kurzschluss zwischen Computeranimation und Kriegstechnik bei „Avatar“, S. 293f.). Dass meist nur entkontextualisierte Einzelszenen betrachtet werden, verschärft die Problematik.

Im dritten und letzten Hauptteil des Buchs werden Elemente der vorigen Kapitel wieder aufgenommen. Doch entsteht hier ein inhaltlicher Bruch: Die grundsätzliche Frage, wie sich „Shoah-Repräsentationen“ zu „Kriegsdarstellungen“ verhalten, bleibt ungeklärt. Im Mittelpunkt des Kapitels steht neben der Gewaltlust (bei Jonathan Littell) vor allem die Verdrängung von Schuldgefühlen. Die Kritik an der zunehmenden Umdeutung von Geschichte durch die „Opferperspektive“ neuerer deutscher Historienfilme ist in diesem Zusammenhang sicherlich gerechtfertigt, doch referiert Süselbeck hier im Wesentlichen die Arbeiten anderer.3 Eigenständiger und plausibel ist seine Kritik an der ähnlich verfahrenden Gegenwartsliteratur (zum Beispiel von Bernhard Schlink).

Das Nachwort bietet keine zusammenfassende Klärung, sondern verstärkt nur den zwiespältigen Eindruck, den Süselbecks Arbeit hinterlässt. Wer sich von ihr eine systematische oder historische Übersicht über die Emotionalisierungsstrategien medialer Kriegsdarstellungen erhofft, wird enttäuscht. Wer sich vor allem für das Verhältnis zwischen Krieg, Emotion und Film interessiert, sollte sich anderen Forschungsbeiträgen zuwenden.4 Wer sich jedoch spezifisch dafür interessiert, wie literarische Texte mit der Gewaltlust von Figuren und Lesern umgehen, kann durchaus zahlreiche Anregungen finden.

Anmerkungen:
1 So die umstrittene Bezeichnung in Herfried Münkler, Die neuen Kriege, Reinbek 2002.
2 So untersuchen, um nur zwei aktuelle Arbeiten zu nennen, ein von Hermann Kappelhoff geleitetes DFG-Projekt die „Affektpoetik“ des Kriegsfilms und Elisabeth Bronfen das Hollywoodkino als Form der affektiven Kriegsverarbeitung. Vgl. Hermann Kappelhoff / David Gaertner / Cilli Pogodda (Hrsg.), Mobilisierung der Sinne. Der Hollywood-Kriegsfilm zwischen Genrekino und Historie, Berlin 2013; DFG-Projekt „Inszenierungen des Bildes vom Krieg als Medialität des Gemeinschaftserlebens“, in: <http://www.empirische-medienaesthetik.fu-berlin.de/affektmobilisierung/projekt_inszenierungen_des_bildes_vom_krieg/index.html> (14.01.2014); Elisabeth Bronfen, Specters of War. Hollywood's Engagement with Military Conflict, New Brunswick 2012.
3 Etwa Tobias Ebbrecht, Geschichtsbilder im medialen Gedächtnis. Filmische Narrationen des Holocaust, Bielefeld 2011; vgl. die Rezension von Matthias Steinle, in: H-Soz-u-Kult, 06.11.2012, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2012-4-109> (28.01.2014).
4 Siehe die Fußnoten 2 und 3.

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