G. Jäkel: Eigengeschichtsschreibung religiöser Orden

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Titel
... usque in praesentem diem. Kontinuitätskonstruktionen in der Eigengeschichtsschreibung religiöser Orden des Hoch- und Spätmittelalters


Autor(en)
Jäkel, Gerd
Reihe
Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiosen Lebens im Mittelalter. Abhandlungen 52
Erschienen
Münster 2013: LIT Verlag
Anzahl Seiten
V, 266 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Björn Gebert, Institut für Geschichte, Technische Universität Darmstadt

Die religiösen Orden des Hoch- und Spätmittelalters sind nicht nur ein Teil der Institution Kirche, sondern freilich gleichzeitig auch selbst Institutionen. Damit ist auch – obgleich die Geschichte der Orden nicht von jener der Gesamtinstitution zu trennen, sondern auf vielfältige Weise mit dieser verflochten ist – ein Anlass für eine Eigengeschichtsschreibung dieser Institutionen gegeben. Nicht wenige Texte sind überliefert, die der vom Autor des vorliegenden Buches sinnvollerweise als „Ordenschronistik im engeren Sinne“ (S. 1–3) bezeichneten Quellengattung zuzurechnen sind, die aber von der Forschung bisher – ganz im Gegensatz zu den aus den Orden kommenden chronikalischen Quellen mit einem Fokus auf extrainstitutioneller Geschichte – weniger beachtet und auch meist nur einzeln betrachtet wurden. Für eine Aufwertung der ordenschronikalischen Quellen im engeren Sinne in Hinblick auf ihren möglichen Erkenntnisgewinn hat sich vor allem Bert Roest eingesetzt, dessen grundlegende Überlegungen Gerd Jäkel in seiner hier zu besprechenden Dissertation heranzieht.1 Dabei steht über allem die Frage, auf welche Art und Weise Religiosengemeinschaften in den eigenen Darstellungen ihrer Geschichte Kontinuität behaupten. Letztere bestimmt Jäkel dabei kurz gesagt als Stabilität sichernde Repetitivität von „konstitutive[n] Regelungen, […] performative[m] Handeln [und] Rituale[n]“ (S. 13) im Alltag einer Institution, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in deren Eigengeschichtsschreibung wiederfinde.

Unter einem vergleichenden Blickwinkel untersucht der Autor zunächst ordenschronikalische Texte der Dominikaner und Franziskaner aus dem späten 13. Jahrhundert – für den Predigerorden wird die Chronica Ordinis des Gerardus de Fracheto herangezogen, für den Minderorden die Chronica des Jordan von Giano und der Tractatus de adventu fratrum minorum in Angliam. Dabei beabsichtigt Jäkel, sich dem „historiographischen Echo [der] Gründungsphase“ (S. 2) der Gemeinschaften zu nähern und die Texte nach Strukturmerkmalen und Charakteristika zu analysieren. Er vermutet bereits in diesen frühen Ordenschroniken eine Typbildung. Dieser will er – genau wie der Frage nach einer Traditionsbildung bei den Arbeitsweisen der ordenseigenen Historiker und nach „Darstellungsmodi der Kontinuität in den Ordensgeschichten“ (S. 3) – nachgehen, indem er in einem nächsten Schritt Texte der genannten Orden aus dem 14. (4 Quellen) und in einem weiteren solche aus dem 15. und frühen 16. Jahrhundert (8 Texte) in den Blick nimmt. In der Zwischenauswertung dieses ersten Untersuchungsteils (S. 19–134) kommt Jäkel zu folgenden Ergebnissen: In der synchronen Betrachtung der analysierten Texte lassen sich für die Ordensfrühzeit die Darstellung der Entstehung der Gemeinschaften und des jeweiligen Gründers als Schwer- und Bezugspunkt für die folgende Zeit ausmachen, wobei als Zweck „die Bewahrung des Wissens um die [erste] Phase der Ordensgeschichte für die nachwachsende Generation“ (S. 127) erscheint. Der Autor stellt in allen drei Texten des späten 13. Jahrhunderts als Darstellungsform der Ordensgeschichte das Prinzip der „Amtssukzession“ fest, über das nach dem Tod des Ordensgründers die Generalminister/-magister in ihrer Abfolge behandelt werden. Bei deren Charakterisierung wiederholen sich Zuweisungen hervorragender Eigenschaften wie „Heilig(mäßig)keit, Bildung oder Glaubenseifer" (S. 128), die sie gleichermaßen untereinander verbinden, wie sie auch einen Konnex zum Ursprung darstellen und „damit eine Kontinuität der Heiligkeit und des Charismas des Gründers im Leitungsamt des Ordens symbolisieren“ (ebd.). Hierin verhalten sich Provinzchroniken analog zu Ordenschroniken: An Stelle des Generals tritt der Provinzial. Als ebenfalls kontinuitätsstiftendes Moment ermittelt der Autor das Generalkapitel der Gemeinschaften, das die jeweilige Institution konstituiert und administriert. Ferner tritt der Raum als strukturierendes Mittel der Geschichte der Gemeinschaft hinzu, der durch die „Dokumentation einzelner Schenkungen und Gründungen eine exakte Definierung“ (S. 128) erfährt. Für die von Jäkel betrachteten Texte des 14. Jahrhunderts stellt er den zu erwartenden Anstieg bei ihrem Umfang und eine höhere Elaboriertheit in ihrer Struktur fest, wobei die Amtssukzession auch hier zumindest überwiegt und auch die Generalkapitel weiterhin als Strukturmoment auftreten, wenn sie nicht sogar wie im Fall der Chronica Ordinis des Dominikaners Galvanus de la Flamma als „vorherrschendes Strukturelement“ benutzt werden und damit der Chronik einen „quasi-annalistischen“ Charakter geben (S. 129). Während auch der Raum weiter zur Strukturierung der Ordensgeschichte Verwendung findet, stellt Jäkel nun einen Anstieg hagiographischer Anteile fest. Für das 15. Jahrhundert schließlich kann der Autor zeigen, dass unter weiterer Anwendung der schon bekannten strukturierenden Elemente – obgleich der Raum vor allem auf Ordensebene an Bedeutung verliert – nun besonders wichtige Ordensangehörige „prosopographisch-katalogische“ (S. 130) Darstellung finden. Ebenfalls neu ist die Thematisierung von Reformen in den Orden in den späten Texten. Zum Abschluss seines Zwischenfazits fasst Jäkel die Typenbildung in den analysierten Texten kurz zusammen und veranschaulicht dies in einer Tabelle, die die Häufigkeit der Elemente Amtssukzession sowie zeitliche, räumliche und „performative Kontinuität“ in der Quellengruppe zeigt, wobei letztere die „Einflechtung exemplarischer Verhaltensmuster in die Narration“ (S. 132) meint, die in immerhin einem Drittel der Texte nachweisbar ist.

Im Mittelpunkt des zweiten Teils der Untersuchung Jäkels steht die intrainstitutionelle Chronistik aus anderen Orden bzw. Kongregationen, die als Vergleichsgruppe zu den Texten im ersten Teil dient. Ausgewählt hat der Autor Texte der Augustinereremiten, Karmeliter, Kartäuser, Grandmontenser, Cluniazenser, der Bursfelder Benediktiner und des Deutschen Ordens, um eine große Bandbreite religioser Gemeinschaften zu erreichen. Sein Quellencorpus ist absichtlich disparat. Bei der Darstellung der Ergebnisse seiner Analyse (S. 204–207) stehen die Gemeinsamkeiten im Vordergrund, um die Texte auf Übereinstimmungen mit den im ersten Untersuchungsteil ermittelten Typen zu überprüfen. Hier zeigt sich, dass die Elemente Amtssukzession und performative wie spatiale Kontinuität häufig verwendet werden, während zusätzlich die Orientierung der Geschichte eines Klosterverbandes an externen Fixpunkten, vor allem am Papsttum, festgestellt werden kann. Die Nutzung von Generalkapiteln als strukturelles Element ist dagegen insignifikant.

In einem Vergleich der Textcorpora der beiden Teile stellt der Autor noch einmal die wesentlichen Strukturelemente heraus, die er in seiner Untersuchung ermittelt hat. Dabei führt er zu den bisher von ihm beschriebenen Prinzipien noch eine sehr häufig auftretende mythische Überhöhung der Umstände bei der Gründung der jeweiligen Gemeinschaft an.

Im letzten Teil seiner Arbeit nimmt der Autor eine Einordnung der Ordenschronistik in die „Institutional History“ insgesamt vor. Dabei kann er die Ordenschronistik über das Strukturelement der Amtssukzession überzeugend in eine lange Tradition von Klosterchroniken sowie Abts- und Bischofsgesta stellen, an deren Anfang er schließlich als „Progenitor ekklesialer Institutionengeschichtsschreibung“ (S. 224) den Liber pontificalis (richtig mit dem Catalogus Liberianus als Prototyp) setzt, der wiederum seine Vorbilder in den frühchristlichen Bischofs- sowie den römischen Konsulslisten besitzt.

Den Abschluss der Arbeit bilden ein kurzer Ausblick, die Bibliographie und Übersichten über die Berichtszeiträume der herangezogenen Ordenschroniken sowie über die „Ordensgenerale“ der verschiedenen Gemeinschaften. Leider hat sich der Autor gegen ein Register entschieden, das seine Arbeit zusätzlich zu einem wertvollen Nachschlagewerk zu den prominenteren Mitgliedern der Orden, beispielsweise der aus ihnen hervorgegangenen Päpste, Kardinäle oder Bischöfe, und deren Würdigung in der Eigengeschichtsschreibung hätte machen können – aber dies war freilich nicht das Ziel der im besprochenen Band publizierten Dissertation. Diese kann als sehr gelungen gelten und fügt sich würdig in die erfolgreiche Reihe „Vita Regularis“ ein. Zwar beruhen die Ergebnisse von Gerd Jäkels Studie „nur“ auf einer für eine Dissertation zweifellos sinnvoll erscheinenden Auswahl (obschon diese etwas konkreter und detaillierter hätte begründet werden können), doch sie zeigt an einer immer noch eindrucksvollen Menge von Texten, über welche strukturellen Elemente die Darstellung der Kontinuität einer Gemeinschaft in der Ordenschronistik vorgenommen werden konnte: über die Nachfolge im Leitungsamt, über die Stetigkeit in Performanz, Raum und Zeit, über eine extrainstitutionelle Orientierung und über die gleichsam zusätzlich legitimierende Ausgestaltung der eigenen Ursprünge durch wundersame Begleiterscheinungen, die die Institution in die göttliche Gunst stellten.

Anmerkung:
1 Vgl. z. B. Bert Roest, Later Medieval Institutional History, in: Deborah Mauskopf Deliyannis (Hrsg.), Historiography in the Middle Ages, Leiden 2003, S. 277–315.

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