G. Dalla-Corte Caballero u.a.: La conquista y ocupación de la frontera

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Titel
La conquista y ocupación de la frontera del Chaco entre Paraguay y Argentina [Die Eroberung und Besetzung der Grenze des Chaco zwischen Paraguay und Argentinien). Los indígenas tobas y pilagás y el mundo religioso en la Misión Tacaaglé del Río Pilcomayo (1900–1950) [Die Indigenen Tobas und Pilagás und die religiöse Welt in der Mission Tacaaglé am Rio Pilcomayo (1900–1950)]


Autor(en)
Dalla-Corte Caballero, Gabriela; Recalde, Fabricio Vázquez
Anzahl Seiten
143 S.
Preis
€ 14,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thilo F. Papacek, Freie Universität Berlin

Dieser kleine Band ist ein faszinierender Beitrag zur Erforschung der frontier im zentralen Südamerika des 20. Jahrhunderts. Im Zentrum steht die franziskanische Mission Tacaaglé, die im Jahr 1901 im argentinischen Teil des Gran Chaco aufgebaut wurde und bis zu ihrer Säkularisierung 1955 mit Indigenen der Ethnien Pilagá und Toba arbeitete. Die isolierte Missionsstation befand sich im Grenzgebiet zum nördlichen Chaco, der seit 1938 zu Paraguay gehörte. Gabriela Dalla-Corte und Fabricio Vázquez dokumentieren und untersuchen zahlreiche Überrestquellen und geben Aufschluss darüber, wie dieses frontier-Gebiet Teil der argentinische Nation wurde. Insbesondere Fotoquellen geben hierbei interessante Einblicke in die Lebenswirklichkeit dieser Region.

Das Buch konzentriert sich vor allem auf den Prozess der Integration der Pilagá und Toba in die argentinische Nation. Ziel der Autor/innen war es, die Konstruktion der argentinischen Staatsbürgerschaft in der Chacoregion zu diskutieren und zu untersuchen, wie der franziskanische Bruder Zurflüh das Leben der Toba und Pilagá kennenlernte und die Welt davon unterrichtete (S. 15). Dabei erheben sie den Anspruch, die Arbeit der Mission in den größeren Kontext der Integration des gesamten Chaco-Gebiets zu stellen (S. 16). In der Kürze des gerade einmal knapp 70 Seiten umfassenden Textes konnten sie dieses hoch gesteckte Ziel nur teilweise erreichen.

Dalla-Corte und Vázquez haben jedoch interessante Schlaglichter auf die Geschichte der Mission geworfen, die für die allgemeine Geschichte des Chaco von Bedeutung sind. Im ersten Kapitel geben die beiden Autor/innen einen Einblick in die Geschichte und Geografie des Chacos. Hier ist der Einfluss von Vázquez, einem promovierten Geografen, am stärksten spürbar. Das Kapitel gibt einen soliden und interessanten Überblick des physischen Raumes Chaco und seiner Geschichte bis ins 20. Jahrhundert (S. 19–31). Dem Kenner bietet das Kapitel allerdings nichts Neues.

Interessanter ist die eigentliche Untersuchung der Mission Tacaaglé. Von 1901 bis zur Säkularisierung 1955 unterstand das Gebiet um die Mission den Franziskanermönchen der Diözese von Santa Fe. In einem Gesetz wurde den Franziskanern 1900 die Administration eines Gebietes von 74.000 Hektar anvertraut, ohne dass der verantwortliche Gouverneur direkt einschreiten konnte. Dalla-Corte und Vázquez untersuchen den Schriftverkehr zwischen den Franziskanern und dem Innenministerium in Buenos Aires. Letzteres hatte Bedenken, den Mönchen so weitgehende Kompetenzen anzuvertrauen. Man fürchtete, die Franziskaner würden einen Staat im Staate aufbauen, wie es die Jesuiten im kolonialen Südamerika getan hatten (S. 38–41).

Angesichts dieses Misstrauens standen die Mönche unter Erfolgsdruck. Sie bemühten sich, ihr Wirken als verfassungskonform und im Interesse der Nation darzustellen. Dalla-Corte und Vázquez untersuchen diese Argumentation. In ihren Schreiben an das Ministerium betonten die Franziskaner, dass sie die Toba und Pilagá unter Kontrolle bringen und zivilisieren würden. Sie erklärten, dass sie Schulen für die Indigenen errichten und den Kindern die spanische Sprache und die argentinische Nationalhymne beibringen würden. Dadurch sollten die Indigenen zu Argentiniern erzogen werden.

Die Franziskaner gaben drei Ziele für ihre Missionsarbeit an: Den Verkauf von Waffen und Alkohol an die Indigenen zu unterbinden, sie zu Christen und argentinischen Bürgern zu erziehen und damit zu „zivilisieren“ und sie als nützliche Arbeiter den im Aufbau befindlichen Industrien und Farmen zur Verfügung zu stellen (S. 39–42). Wichtige Schreiben dieser Korrespondenz zwischen Ministerium und Franziskanern und die daraus resultierenden Regelungen dokumentieren die beiden Autor/innen ungekürzt (S. 51–67).

Insbesondere der Disziplinierung der indigenen Arbeitskräfte widmen sich Dalla-Corte und Vázquez ausführlich. Die Franziskaner sahen diese Arbeit als im Interesse der Indigenen selbst stehend: Die Disziplinierung, so argumentierten sie, würde diese vor der Überausbeutung in der Holzindustrie bewahren, die in dieser Zeit in den Chaco vordrang. Vázquez und Dalla-Corte zeigen, wie mit detaillierten Reglements die Indigenen an regelmäßige Arbeitszeiten und einen westlichen Lebenswandel gewöhnt werden sollten. Da sie juristisch als minderjährig galten, kontrollierten die Mönche alle Arbeitsverträge mit Arbeitgebern außerhalb der Mission (S. 42–50).

Die größte Leistung findet sich im letzten und umfangreichsten Teil des Buches. In ihm dokumentieren die Autor/innen eine Auswahl von 121 Fotos, die der Franziskaner Bruder José Zurflüh während seines Wirkens auf der Mission Tacaaglé von 1920 bis 1940 machte. Die aus dem Archiv des Konvents San Carlos stammenden Aufnahmen zeigen Angehörige der Toba und Pilagá bei der Arbeit, in ihrer traditionellen Kleidung und in den Kleidern, die sie in der Mission zum Zeichen ihrer „Zivilisierung“ erhielten. Andere Bilder zeigen die Missionsgebäude und die Schulen, in denen die Kinder der Toba und Pilagá zu argentinischen Bürgern erzogen wurden. Aber man sieht auch Fotografien von traditionellen Festen der Indigenen, welche die Franziskaner tolerierten und sogar daran teilnahmen, solange sie sich nicht gegen die katholische Religion wandten. Viele Bilder zeigen auch die Landschaft des Chacos. Die Aufnahmen sind deshalb wertvolle Zeugnisse, da sich der Chaco seitdem massiv gewandelt hat. Die Toba und Pilagá haben ihre alten Bräuche zu einem großen Teil aufgegeben. Die Nutzung des Buschwaldes im Chaco durch die Holzindustrie und später durch die Landwirtschaft haben die Region völlig verändert.

Die Aufnahmen erwecken den Eindruck, als ob Bruder Zurflüh praktisch alleine unter den Pilagá und Toba lebte. Das Verhältnis zwischen ihnen und dem Franziskaner war anscheinend deutlich weniger hierarchisch, als es die Missionsreglements vermuten lassen würden. José Zurflüh inszenierte die Fotos so, als ob es kaum einen Unterschied zwischen ihm und den Indigenen geben würde, wie Vázquez und Dalla-Corte analysieren (S. 123–125). Mit ihrer Arbeit halfen die Missionare zwar dem Staat, gewaltsame Aufstände der Indigenen zu unterbinden und sie als Arbeitskräfte anderen Kolonisten zur Verfügung zu stellen; doch letztlich waren die Missionare für das Überleben in dem ihnen unbekannten Chaco von den Kenntnissen der Indigenen abhängig.

Die hier dokumentierten Bildquellen leisten einen wichtigen Beitrag zur Geschichte Argentiniens und des gesamten ConoSur, die noch immer in den großen Nationalerzählungen die innere Grenze als „wüst“ und „unbevölkert“ darstellen. Sie zeigen, dass der Chaco mitnichten leer war. Hier lebte eine Vielzahl von Menschen mit eigener Kultur, auch wenn diese kaum respektiert wurden und bis heute marginalisiert werden. Diese Zeugnisse der Geschichte der Toba und Pilagá zu dokumentieren und zu präsentieren war das wichtige und insgesamt gelungene Anliegen von Dalla-Corte und Vázquez (S. 123f.).

Allerdings wird das Werk den darüber hinaus gehenden Ansprüchen, die die Autor/innen im Titel und in der Einleitung formulieren, kaum gerecht. Hier ist von der „Besetzung der Grenze im argentinischen und paraguayischen Chaco“ die Rede. Die Untersuchung bezieht sich aber nur auf den argentinischen Teil des Chacos in der Zeit von 1900 bis 1950. Die bedeutenden Migrationen von Pilagá und Toba vom heute paraguayischen Chaco in den argentinischen Teil im betreffenden Zeitraum kommen praktisch nicht vor. Vor den Kampfhandlungen des Chacokrieges (1932–1935) zwischen Bolivien und Paraguay flohen viele Indigene nach Argentinien. Obwohl Dalla-Corte und Vázquez dies in der Einleitung erwähnen, gehen sie in der Untersuchung nicht mehr darauf ein, obwohl der Krieg in unmittelbarer Nachbarschaft der Mission stattfand. Der interessierte Leser fragt sich, was zwischen 1932 und 1935 wohl in Tacaaglé geschah?

Auch das Ende der Mission verbleibt im Dunklen. Das Buch dokumentiert zwar recht ausführlich die Korrespondenz zur Gründung der Mission; was aber letztlich 1955 zur Säkularisierung führte, wird nicht erwähnt. Leider lässt auch die Quellenanalyse zu wünschen übrig, so erfährt man beispielsweise nichts über die Lebensdaten des fotografierenden Franziskaners Zurflüh. Das Buch ist ein guter Beitrag, der schöne und wichtige Quellen für weitere Forschungen zugänglich macht. Eine Geschichte der „Eroberung und Besetzung der Grenze des Chaco zwischen Paraguay und Argentinien“, wie der Titel vollmundig verspricht, ist es nicht.

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