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Titel
Handwerk im Stadtraum. Das Ledergewerbe in den Hansestädten der südwestlichen Ostseeküste (13. bis 16. Jahrhundert)


Autor(en)
Bulach, Doris
Reihe
Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte 65
Erschienen
Köln 2013: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
464 S.
Preis
€ 59,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ivette Nuckel, Institut für Geschichtswissenschaft, Universität Bremen

Im Rahmen ihrer Dissertation untersucht Doris Bulach das Handwerk im Stadtraum. Sie legt dabei ihren Schwerpunkt auf die Analyse der Ledergewerbe an der südwestlichen Ostseeküste mit den Städten Lübeck, Rostock, Wismar, Greifswald und Stralsund. Mit dem kultur- und sozialwissenschaftlichen Konzept des Raumparadigmas, des spatial turn, ordnet sie das Ledergewerbe in drei verschiedene städtische Räume ein: den Rechtsraum, den Wirtschaftsraum und zuletzt den religiösen Raum. Vorangestellt ist eine kurze Einleitung, in der Bulach den Begriff ‚Raum‘ definiert, die verwendeten Quellen vorstellt und einen Überblick über den bisherigen Forschungsstand gibt.

Im ersten Abschnitt definiert Bulach den Lederhandwerker im städtischen Rechtsraum. Dabei zeigt sie anhand von Zunftstatuten die rechtliche Situation der verschiedenen Zunftmitglieder, welche die Zünfte in Abhängigkeit vom städtischen Rat festlegten. Im ersten Teil stellt sie diverse zünftige Personengruppen wie Meister, Meisterfrau, Altermann, Gesellen und Lehrlinge vor. Ebenso gibt sie einen Einblick in die rechtliche Stellung der ‚ewigen‘ Gesellen und anderen Hilfspersonals wie Mägde oder Tagelöhner. Im zweiten Teil zeigt Bulach Restriktionen und andere ausgrenzende Maßnahmen auf, die die Zünfte und der städtische Rat in den Statuten festsetzten wie zum Beispiel den Wanderzwang, die eheliche Geburt oder das angemessene Verhalten in der Öffentlichkeit. Im dritten Teil wird die Sichtbarkeit des Handwerkers im städtischen Rechtsraum thematisiert. Sie beschreibt unter anderem repräsentative Güter wie Geschirr, Kassen und Siegel und gibt Einsicht in die verschiedenen Arten der Zusammenkünfte der Zünfte wie Morgensprachen, Bruderschaften und Gesellenvereinigungen.

Der zweite Abschnitt und zugleich auch der umfangreichste beinhaltet die Darstellung des Handwerks im städtischen Wirtschaftsraum. Zunächst beschreibt Bulach die verschiedenen Produkte der einzelnen Ledergewerbe wie zum Beispiel Schuhe, Sättel oder Riemen und ihre jeweiligen individuellen Herstellungsprozesse. Hierbei wird besonders deutlich, wie hoch der finanzielle Aufwand bei manchen Gewerben wie den Gerbern war und in welche Vorleistungen ein Meister treten musste. So erklärt sich auch die häufige Weitergabe des speziellen Handwerks in die nächste Familiengeneration, zum Beispiel an den Sohn oder durch Verheiratung der Tochter mit einem dem Handwerk entsprechenden Gesellen. Umbauten an Häusern und Werkstätten waren bisweilen so teuer, dass diese nur selten durchgeführt wurden und man lieber auf Bestehendes zurückgriff. Insgesamt zeigt Bulach hier sehr schön auf, dass das Ledergewerbe im Allgemeinen zu den eher wohlhabenderen Handwerken gehörte. Als nächstes stellt Bulach verschiedene Marktregulierungen wie beispielsweise Ort und Zeit des Verkaufsstanden sowie einzelne Produktions- und Verkaufsbeschränkungen vor. Im dritten Teil des Abschnitts wird auf die Sichtbarkeit des Handwerks im Wirtschaftsraum eingegangen. Anhand der Topographien der Städte Lübeck, Wismar, Rostock, Stralsund und Greifswald arbeitet sie die einzelnen Produktionszentren detailliert heraus. Der Rückgriff auf archivalisches Kartenmaterial macht dieses Unterkapital sehr spannend und informativ.

Im dritten Abschnitt ordnet Bulach das Lederhandwerk in den religiösen Raum ein. Hier liegt ihr Schwerpunkt nun auf archäologischen und weniger auf archivalischen Quellen. Dies mag auch der Grund dafür sein, dass die Darstellung der religiösen Praktiken wie der Bruderschaften, des Stiftungswesens und der Begräbnisse vergleichsweise kurz gegenüber der Darstellung der Kapellen, Altäre und Grabstätten ausfällt. Relativ knapp geht Bulach zuletzt noch auf die Armenfürsorge der Gewerbe ein. Deren Fokus lag hierbei auf externen Armenspenden und weniger auf der Unterstützung der eigenen Zunftmitglieder.

Hervorzuheben ist die hohe Zahl der angegebenen Titel aus der Forschungsliteratur, was deutlich zeigt, wie intensiv sich Doris Bulach in die Thematik eingearbeitet hat. Doch ist es schade, dass sie für Lübeck ausschließlich auf edierte Quellen zurückgreift. Sie erklärt in der Einleitung, dass eine archivalische Untersuchung den Rahmen der Studie gesprengt hätte (S. 22). Doch gerade das Stadtarchiv in Lübeck bietet einen großen Bestand an Handwerks- und Zunftarchivalien, die zum Teil im Wehrmann noch nicht verzeichnet sind und erst im Laufe des 20. Jahrhunderts wieder in das Archiv zurückkamen.1 Gerade kleine Streitigkeiten, die vor der internen Zunftgerichtsbarkeit und vor dem städtischen Rat verhandelt wurden, liefern interessante Informationen über die reale Anwendung der Zunftstatuten und ihre Folgen.

Bulach analysiert vornehmlich Zunftstatuten und zieht daraus einen Großteil ihrer Ergebnisse. Zwar weist sie auf die vorsichtige Verwendung dieser Quellengattung hin, die nur eine normative Sicht bietet (S. 22), diskutiert diesen Aspekt bei den Ausführungen jedoch nur selten. Ebenso fällt auf, dass jegliche Fundstelle in den Quellen genauestens genannt wird, was das Lesevergnügen stark vermindert. Es wäre besser gewesen, einen Teil der Fundstellen in die Fußnoten auszulagern und nur einige wenige Beispiele zu nennen. Spannend und informativ wird die Arbeit durch den Rückgriff auf archäologische Funde und die Einbeziehung der Forschungsergebnisse aus der Kunstgeschichte. Dies ist in der Handwerksgeschichtsforschung bisher nur unzureichend geschehen.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass Bulach ihrer Fragestellung entsprechend eine solide und umfangreiche Ausarbeitung geliefert hat, die mit dem Konzept des spatial turns eine neue Herangehensweise für die Forschung zur Handwerksgeschichte bietet. Und sie zeigt, dass sich mit einem anderen methodischen Ansatz aus schon bekanntem Quellenmaterial neue Erkenntnisse sowohl in kultureller als auch in sozialgeschichtlicher Perspektive ziehen lassen.

Anmerkung:
1 Carl Friedrich Wehrmann, Die älteren Lübeckischen Zunftrollen, Lübeck 1864.