E. Carney: Arsinoë of Egypt and Macedon

Cover
Titel
Arsinoë of Egypt and Macedon. A Royal Life


Autor(en)
Carney, Elizabeth Donnelly
Reihe
Women in Antiquity
Erschienen
Anzahl Seiten
XVII, 215 S.
Preis
£17.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Müller, Institut für Klassische Altertumskunde, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Elizabeth Carney, Professorin für Geschichte und Carol K. Brown Endowed Scholar in Humanities an der Clemson University in South Carolina, ist die führende Expertin für argeadische und hellenistische royal women. Ihre Forschungen haben maßgebliche Wege zu einer differenzierteren Sicht jenseits negativer Stereotypdarstellungen eröffnet.1 Nach ihrer Monographie zu Olympias, der Mutter Alexanders III. von Makedonien2, widmet sie sich nun mit Arsinoë II., der Tochter Ptolemaios’ I., einer weiteren Protagonistin des frühen Hellenismus, mit der sie sich zuvor bereits in Einzelstudien beschäftigt hatte.3 Ebenso wie Olympias figuriert Arsinoë II. aufgrund ihrer Präsenz in makedonischen politischen Strukturen und herrschaftlicher Repräsentation im antiken und modernen Urteil vielfach als herrschsüchtige, machtbesessene Intrigantin.4 Ihre drei politischen Heiraten mit dem wesentlich älteren Diadochen Lysimachos, ihrem Halbbruder Ptolemaios Keraunos und dem jüngeren Vollbruder Ptolemaios II. – die erste ptolemäische Geschwisterehe, die in der Folge zum dynastischen „Markenzeichen“ avancierte – wurden ihr als Symptome ihres vermeintlich skrupellosen, unmoralischen Herrschaftsdrangs ausgelegt.

Carneys Anliegen ist die Dekonstruktion dieses fiktiven Psychogramms. So zeigt sie die Dürftigkeit der Zeugnisse für Arsinoë auf und verortet sie vor den jeweiligen soziopolitischen und kulturellen Strukturen. Übergeordnet ist dabei die Frage, inwieweit das antike und moderne Postulat von Arsinoës maßgeblichem politischem Einfluss (zumindest am Hof des Lysimachos und Ptolemaios’ II.) zutreffend ist. Teilweise wurde ihr von der Forschung die Mitregentschaft oder faktische Herrschaft über Ägypten zugeschrieben. Aktuell ist diese Sicht relativiert worden: So wird davon ausgegangen, dass der hohe Grad von Arsinoës Sichtbarkeit, der eine Weiterentwicklung der weiblichen Rolle im dynastischen Image belegt, vielfach primär in diesem repräsentativen Kontext stand.5 Dies zeigt sich etwa daran, dass viele Zeugnisse der Präsenz Arsinoës im Ptolemäerreich aus der Zeit nach ihrem Tod stammen. Carney argumentiert ebenfalls dafür, nicht vorschnell von repräsentativer Bedeutung auf faktischen politischen Einfluss zu schließen. In differenzierter Weise präsentiert sie Arsinoë als tatsächlich nicht greifbare Gestalt: „Looking at Arsinoë’s life is a bit like trying to meet someone at a big party, but somehow always missing them though, perhaps, getting a whiff of their perfume and hearing a lot of stories about them. In a sense, Arsinoë is always in the other room“ (S. 10). Die Quintessenz ihrer Studie lautet, dass unklar bleiben muss, inwiefern Arsinoë tatsächlich politischen Einfluss an den Höfen ihrer Gatten ausüben konnte, da in den Zeugnissen vor allem ihre repräsentative Funktion greifbar wird.

Der chronologisch aufgebauten Untersuchung zu Arsinoës Lebensstationen ist eine Einführung in die Schlüsselprobleme der makedonischen polygamen Hofstrukturen sowie der Heirats- und Nachfolgepolitik von den Argeaden bis zu den Diadochen vorangestellt (S. 1–10). In diesem Überblick wird der sozio-politische Kontext von Arsinoës Rolle als royal woman, basilissa und Mutter skizziert. Das erste Kapitel widmet sich Arsinoës familiärem Hintergrund als Tochter Ptolemaios’ I. (S. 11–30). Da über ihre Kindheit, Jugend und Erziehung nichts bekannt ist, unternimmt Carney in überzeugender Weise eine hypothetische Skizze, basierend auf Kenntnissen zum Bildungsgrad spätargeadischer royal women und zu den makedonischen Hofstrukturen.

Kapitel 2 behandelt Arsinoës Zeit als Frau des Lysimachos (S. 31–48). Carney erörtert die politischen Hintergründe der Heirat und wendet sich gegen das in der älteren Forschung dominierende „Lolita-Image“ Arsinoës (S. 32). Die umstrittene Beseitigung von Lysimachos’ ältestem Sohn Agathokles, an der sie beteiligt gewesen sein soll, wird vor dem Hintergrund eines in der Nachfolgefrage gespaltenen Hofs als Akt politischer Räson des Lysimachos charakterisiert. Dabei sieht Carney nicht nur Agathokles’ Verbindung mit Seleukos als einen Faktor an, der zu seinem Niedergang geführt habe, sondern auch die Anwesenheit von Ptolemaios Keraunos an Lysimachos’ Hof; dies habe für Zwietracht gesorgt und die Spaltung vorangetrieben. Im Kapitel zur Heirat zwischen der verwitweten Arsinoë und ihrem Halbbruder Ptolemaios Keraunos (S. 65–82) werden anhand der Analyse der politischen Lage beider Protagonisten deren Motive für die Zweckverbindung erläutert.

Die beiden folgenden Kapitel sind der Zeit gewidmet, aus der die meisten Zeugnisse über Arsinoë stammen: der Regierung Ptolemaios’ II., der sie zu einem ungesicherten Datum zwischen 279 und 276/75 v.Chr. zur Frau nahm (S. 65–105). Carney stellt klar, dass es Ptolemaios II. bei dieser politischen Verbindung nicht um Reproduktionszwecke, sondern um eine Sicherung der Nachfolge für seine aus erster Ehe stammenden Kinder gegangen sei. Zudem habe die Geschwisterehe dazu gedient, „to unify his dynasty“ (S. 76) und dem Image des Hauses ein besonders distinktives Markenzeichen zu verleihen. Es hätte sogar noch mehr betont werden können, inwieweit die Endogamie als Mittel erscheinen konnte, Zugriffe von außen auf den Thron zu verhindern. Arsinoë hingegen hatte keine bessere Option (S. 82). Die Präsenz Arsinoës in der dual angelegten Herrschaftsrepräsentation Ptolemaios’ II., sowohl zu ihren Lebzeiten als auch nach ihrem Tod als vergöttlichte Gattin, charakterisiert Carney in schlüssiger Weise nicht als Beleg für eine mögliche Mitregentschaft, sondern für ihre repräsentative Rolle im Imagekonzept des Königs. Das letzte Kapitel widmet sich Arsinoës Nachleben in Antike und Moderne bis in die Gegenwart und birgt interessant-kuriose Hinweise auf „Blüten“ der Rezeption wie historische Romane bis hin zu einem Arsinoë Beach Hotel auf Zypern (S. 106–133).

Die differenzierte und reflektierte Studie offenbart eine fundierte Übersicht zu Quellen und Forschungsdebatten aus jahrzehntelanger Expertise. Dissens scheint in der Sache kaum möglich. Lediglich die These, der makedonische Hof habe erst unter Alexander III. im Zuge seines Persienfeldzugs persische Einflüsse erfahren (S. 2), ist zu relativieren. In der Zeit Makedoniens unter persischer Oberhoheit gab es unter Alexander I. gerade hinsichtlich der Selbstdarstellung und Profilierung des Herrschers eine Anlehnung an das Vorbild des persischen Oberherrn.6 Einige Thesen hätten eine detailliertere Erörterung verdient, als sie im Rahmen einer relativ knappen Gesamtdarstellung möglich ist, so etwa die umstrittene Annahme, Ptolemaios I. habe eine ägyptische Gattin gehabt (S. 19).7

Der Band ist mit einer Zeitleiste, zwei Stammbäumen, einer Karte, elf Abbildungen in Schwarzweiß, einem Who’s Who der Geschichte Arsinoës (S. 135f.), einem Appendix zu den Quellen (S. 137–145), einem ausführlichen Anmerkungsapparat (S. 146–178) und einem kurzen Glossar (S. 179f.) ausgestattet. Die umfangreiche Bibliographie (S. 181–201) auf aktuellem Stand umfasst ein breites Spektrum auch nicht-englischsprachiger Publikationen; in letzter Zeit ist dies bei englischsprachigen Veröffentlichungen leider nicht mehr selbstverständlich.

Insgesamt handelt es sich um eine pointierte, fundierte und differenzierte Studie, die dazu beiträgt, die stereotypen Negativdarstellungen makedonischer königlicher Frauen, die wie Arsinoë II. als Repräsentantinnen ihrer jeweiligen Dynastie auftraten, zu dekonstruieren und mustergültig vorzugeben, welcher Weg weiterführend ist: die Analyse der sozio-politischen und kulturellen Strukturen als Hintergrund der Handlungsräume antiker royal women.

Anmerkungen:
1 Aus der Fülle der diesbezüglichen Publikationen Elizabeths Carneys seien exemplarisch zu nennen: The Sisters of Alexander the Great: Royal Relicts, in: Historia 37 (1988), S. 385–404; Eponymous Women: Royal Women and City Names, in: Ancient History Bulletin 2 (1988), S. 134–142; Foreign Influence and the Changing Role of Macedonian Royal Women, in: Ancient Macedonia 5 (1993), S. 313–323; Alexander and Persian Women, in: American Journal of Philology 117 (1996), S. 563–583; Women and Monarchy in Macedon, Norman 2000; The Initiation of Cult for Royal Macedonian Women, in: Classical Philology 95 (2000), S. 21–43; Women in Alexander’s Court, in: Joseph Roisman (Hrsg.), Brill’s Companion to Alexander the Great, Leiden 2003, S. 227–252; Women and Military Leadership in Macedonia, in: The Ancient World 35 (2004), S. 184–195; Putting Women in their Place: Women in Public under Philip II and Alexander III and the Last Argeads, in: Elizabeth D. Carney / Daniel Ogden (Hrsg.), Philip II and Alexander the Great, Oxford 2010, S. 43–53; Macedonian Women, in: Joseph Roisman / Ian Worthington (Hrsg.), Blackwell Companion to Ancient Macedonia, Oxford 2010, S. 409–427.
2 Elizabeth Carney, Olympias. Mother of Alexander the Great, New York 2006.
3 Elizabeth Carney, The Reappearance of Royal Sibling Marriage in Ptolemaic Egypt, in: Parola di Passato 237 (1987), S. 420–439; Arsinoe before she was Philadelphus, in: Ancient History Bulletin 8 (1994), S. 123–131.
4 Überblick bei Sabine Müller, Die Geschwisterehe Arsinoës II. und Ptolemaios’ II. im Spiegel der Forschung von 1896 bis 1931: Ein Verstoß gegen das normative Paarmodell, in: Ariadne 48 (2005), S. 41–49.
5 Vgl. Sabine Müller, Das hellenistische Königspaar in der medialen Repräsentation. Ptolemaios II. und Arsinoë II., Berlin 2009.
6 Vgl. Marek Jan Olbrycht, Macedonia and Persia, in: Joseph Roisman / Ian Worthington (Hrsg.), Blackwell Companion to Ancient Macedonia, Oxford 2010, S. 342–369; Johannes Heinrichs / Sabine Müller, Ein persisches Statussymbol auf Münzen Alexanders I. von Makedonien, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 167 (2008), S. 283–309.
7 Dies wurde von Tarn konstruiert, vgl. William Woodthorpe Tarn, Queen Ptolemais and Apama, in: Classical Quarterly 23 (1929), S. 138–141, hier S. 138f.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension