N. Kampe u.a. (Hrsg.): Wannsee-Konferenz

Cover
Titel
Die Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942. Dokumente, Forschungsstand, Kontroversen


Herausgeber
Kampe, Norbert; Klein, Peter
Erschienen
Köln 2013: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
481 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alex J. Kay, Frankfurt am Main

Dieser auf eine Fachkonferenz zum 70. Jahrestag der so genannten Wannsee-Konferenz zurückgehende Sammelband ist die bisher wohl detaillierteste Analyse der besagten Besprechung der Staatssekretäre vom 20. Januar 1942.1 In insgesamt neunzehn Beiträgen werden die Dokumente zur Wannsee-Konferenz und ihre Überlieferung, die Besprechung an sich und ihr historischer Kontext, die Teilnehmer und deren Institutionen, die europäische Dimension des nationalsozialistischen Völkermords an den Juden sowie die Rezeption und Wirkungsgeschichte der Konferenz diskutiert. Außerdem werden auf 96 Seiten zahlreiche Dokumente zur Wannsee-Konferenz sowie deren Vor- und Nachgeschichte abgedruckt.

Einige Beiträge ragen heraus. Hierzu gehören diejenigen von Christian Mentel zur Überlieferung, Veröffentlichung und revisionistischen Infragestellung des Protokolls der Wannsee-Konferenz (S. 116–138), Andrej Angrick zu Motiven und Strategie Reinhard Heydrichs (S. 241–258) sowie Christoph Kreutzmüller zu den Zahlen Adolf Eichmanns für die Anzahl der Juden in den Niederlanden (S. 357–378). Geschickt und überzeugend entlarvt Mentel die Versuche verschiedener Revisionisten, das Wannsee-Protokoll als Fälschung darzustellen, als irreführend und haltlos. Angrick geht der Frage nach, wer zur Konferenz, „obwohl ebenfalls von Amtswegen mit dem Genozid betraut, nicht eingeladen war“ (S. 244) und wieso, und trägt somit zur Einordnung der Wannsee-Konferenz in die Strategie Heydrichs bei. Kreutzmüller liefert eine akribische Rekonstruktion der Erfassung der Juden in den Niederlanden sowie der Herkunft der im Wannsee-Protokoll genannten Zahl für die Juden in den Niederlanden. Zu den schwächeren Beiträgen gehört derjenige von Michael Wildt zur nationalsozialistischen Moral (S. 151–166). Dieser eher nebulöse Beitrag ist sowohl im übergeordneten Abschnitt des vorliegenden Bandes („Dokumente und Überlieferung“) als auch insgesamt im Band fehl am Platz, behandelt er doch die NS-Moral anhand der Person Adolf Eichmanns und nicht die Wannsee-Konferenz, die bei ihm nur auf drei Seiten überhaupt zur Sprache kommt.

So sehr der Band in seinem Umfang, seiner Vielfältigkeit und Detailliertheit beeindruckt, enthält er auch eindeutige Schwächen. Überlegungen zu den während der NS-Zeit abgehaltenen Staatssekretärsbesprechungen als Bestandteil der Regierungsführung im nationalsozialistischen Deutschland wie auch als Forum zur Beratung von politischen Entscheidungen und zur Koordination der daran beteiligten Institutionen unter Berücksichtigung anderer solcher Besprechungen fehlen völlig.2 Außerdem erzielt der Band keinen Konsens bezüglich der Gesamtstellung der Wannsee-Konferenz in der Geschichte der so genannten „Endlösung der Judenfrage“. Dies ist zum Teil dem Fehlen einer Schlussbemerkung der beiden Herausgeber Norbert Kampe und Peter Klein geschuldet (der Band enthält auch keinen einleitenden Beitrag, sondern lediglich ein eineinhalbseitiges „Vorwort der Herausgeber“). Ferner widersprechen sich die Beiträge teilweise in ihren Interpretationen und sogar darin, ob die Konferenz insgesamt von großer oder geringer Bedeutung war (vgl. beispielsweise Angrick: „[…] die Bedeutung der Wannsee-Konferenz in der Gesamtgeschichte des Holocaust ist gering […]“, S. 258, und Jan Erik Schulte: „Die Wannsee-Konferenz erwies sich als Schnittstelle zwischen den Ostsiedlungsplanungen, der hierfür vorgesehenen Ausbeutung jüdischer Arbeitskraft und dem Völkermord“, S. 238).

Nichtsdestotrotz wird mit diesem Band zum ersten Mal eine fundierte Studie vorgelegt, die die verschiedensten Aspekte der Wannsee-Konferenz und ihre historische Verortung im Gesamtkontext des Holocaust ausführlich und aus diversen Perspektiven im Rahmen einer internationalen Kooperation behandelt. Zweifellos wird er somit die Forschung zur Wannsee-Konferenz im Besonderen und zum nationalsozialistischen Völkermord an den europäischen Juden im Allgemeinen sowohl bereichern als auch vorantreiben.

Anmerkungen:
1 Von den früheren grundlegenden Arbeiten zur Wannsee-Konferenz sind hervorzuheben: Kurt Pätzold / Erika Schwarz, Tagesordnung: Judenmord. Die Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942, Berlin 1992; Christian Gerlach, Die Wannsee-Konferenz, das Schicksal der deutschen Juden und Hitlers politische Grundsatzentscheidung, alle Juden Europas zu ermorden, in: WerkstattGeschichte 18 (November 1997), S. 7–44; Mark Roseman, The Villa, the Lake, the Meeting. Wannsee and the Final Solution, London 2002. Roseman steuert einen Beitrag auch zum vorliegenden Band bei (S. 401–414).
2 Vgl. Alex J. Kay, Verhungernlassen als Massenmordstrategie. Das Treffen der deutschen Staatssekretäre am 2. Mai 1941, in: Zeitschrift für Weltgeschichte 11/1 (Frühjahr 2010), S. 81–105, hier S. 85f. und S. 96f.

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