G. Dietze: Weisse Frauen in Bewegung

Titel
Weiße Frauen in Bewegung. Genealogien und Konkurrenzen von Race- und Genderpolitiken


Autor(en)
Dietze, Gabriele
Reihe
GenderCodes 2
Anzahl Seiten
518 S.
Preis
€ 35,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nina Mackert, Historisches Seminar, Universität Erfurt

Als 1994 die Urteilsverkündigung im Prozess gegen den afroamerikanischen Footballspieler O. J. Simpson stattfand, verfolgte die Autorin des hier zu diskutierenden Buches das Geschehen in Chicago in einem Hörsaal zusammen mit weißen Jurastudierenden. Simpson war des Mordes an seiner weißen Ex-Frau und deren Freund beschuldigt – und wurde freigesprochen. Im Vorwort ihrer Studie „Weiße Frauen in Bewegung“ schildert die Amerikanistin Gabriele Dietze, wie in die „entsetzte Stille [der Studierenden] ein Jubelschrei des schwarzen Hausmeisters [platzte]“ (S. 11). Die Spannung, die in dieser Anekdote deutlich wird, steht im Vordergrund von Dietzes Habilitationsschrift: Es geht um U.S.-amerikanische Emanzipationsdiskurse und ihre Reibungsflächen, genauer gesagt, um die „Genealogien und Konkurrenzen von Race- und Genderpolitiken“. In ihrem Buch begibt sich Dietze auf die historisch-diskursiven Spuren von politischen Kämpfen, die über Race und Gender ausgehandelt wurden und werden.

Dass Race und Gender Kategorien sind, die untrennbar miteinander verschränkt Wirkmacht erlangen, ist mittlerweile zum Gemeinplatz geworden (und wird von Dietze in der Einleitung des Buches auch noch einmal in konzisen Anmerkungen zu Intersektionalität bzw. Interdependenz aufgegriffen). Auf welche Weise dies jedoch historisch variabel geschieht und vor allem wie Race und Gender trotzdem in Konkurrenz zueinander verhandelt wurden, zeigt Dietze in einer Untersuchung ausgewählter „Widerstandspunkte“ weiß-feministischer Bewegungen zwischen dem späteren 19. Jahrhundert und den 1990er-Jahren. In sechs, chronologisch angelegten Kapiteln geht es um Abolitionismus, um die Reformerinnen der Progressive Era, um die weißen Bohémiennes der 1920er-, um Second Wave-Feministinnen und Identitätspolitiken der 1990er-Jahre.

Dietze fasst das Verhältnis von Race und Gender in diesen Kapiteln als eines der gegenseitigen Artikulation. Dieses hegemonietheoretische Vokabular bedeutet, dass Race und Gender gegenseitig ausgedrückt, aber auch gegeneinander aufgebaut werden können und sowohl in synchroner als auch diachroner Perspektive variabel sind. Sie untersucht dieses komplexe Verhältnis historisch als Race-Gender-Projekte, als kontingente, historisch spezifische „pointierte Zusammenstellung[en]“ (S. 40). Dabei interessiert sie vor allem die historische Funktion und die Veränderungen von Race-Gender-Projekten.

In der abolitionistischen Bewegung, so argumentiert Dietze ausführlich, beschrieben weiße Frauen ihre Unterdrückung, indem sie eine Analogie zur Versklavung von African Americans zogen und sich dabei vor allem auf das Leid weiblicher Sklavinnen bezogen. Dietze zeigt, wie diese Prozesse subjektivierend wirkten, also weißen Frauen einerseits eine Sprache ermöglichten, andererseits sie aber auch dem zeitgenössischen „Cult of True Womanhood“ und damit einer stark reglementierten Position unterwarfen. Gerade diese Dynamik identifiziert Dietze als wichtiges Moment für eine Verschiebung des Race-Gender-Einsatzes durch weiße Feministinnen nach dem Bürgerkrieg. Die Frauenfrage rückte immer stärker ins Zentrum der abolitionistischen Bewegung – eine Zentrierung, die in den Auseinandersetzungen um das Wahlrecht dazu führen konnte, dass weiße Frauen dieses Recht in Konkurrenz zu afroamerikanischen Männern beanspruchten. In der Progressive Era wurde diese Konkurrenz, um nur einen Aspekt des zweiten Kapitels zu erwähnen, diskursiv untermauert, indem ihr eine „wissenschaftliche“ Grundlage gegeben wurde. Über Bezüge zu zeitgenössisch hegemonialen sozialdarwinistischen Vorstellungen konturierten weiße Frauen nun gerade ihre Ungleichheit zu African Americans und beriefen sich auf eines besonders tugendhaft-zivilisierte weiße Weiblichkeit. Dietze zeigt, dass diese Form eines Race-Gender-Projektes besonders produktiv war, um die Gleichheitsansprüche gegenüber weißen Männern durch eine rassistische Abgrenzung von Blackness zu untermauern. Dies ist ein Beispiel für viele überzeugende Analysen, in denen Dietze verdeutlicht, dass die gegenseitige Artikulation von Race und Gender sowohl als Anknüpfungspunkt für emanzipatorische Bewegungen dienen, als auch auf Kosten der jeweils anderen Bewegung gehen konnte.

Im dritten Kapitel steht ein historischer Moment der Brüchigkeit im Vordergrund. Dietze zeigt, wie sich in den 1920er- und 1930er-Jahren eine kleine Gruppe weißer Frauen und schwarze Künstler/innen der Harlem Renaissance affirmativ auf Vorstellungen von Primitivität beziehen und an den Grenzen der Race-Gender-Ordnung aktiv werden, diese aber nicht überschreiten konnten – zu einem Zeitpunkt, zu dem das Tabu der „miscegenation“ besonders intensiv und gewaltvoll verteidigt und sanktioniert wurde. Das vierte Kapitel untersucht für den Zeitraum ab Mitte des 20. Jahrhunderts, wie afroamerikanische Männer antirassistische Kämpfe über Reklamationen ihrer Maskulinität führten und sich dabei an der historischen Konstruktion eines Rape-Lynching-Komplexes abarbeiteten.

Als Rape-Lynching-Komplex bezeichnet Dietze „ein Ergebnis der sich überschneidenden Machtregulierungen von Race und Gender in einem Race-Sexualitätsdispositiv“ (S. 259). Das Kapitel stellt aufgrund seiner Fokussierung auf schwarze Männer einen Bruch im Aufbau von Dietzes Buch dar, fungiert andererseits aber als notwendige Vorgeschichte zum folgenden Kapitel, das die zweite Welle der weiß-feministischen Bewegung seit den 1960er-Jahren zum Thema hat. Hier verfolgt sie die Beziehungen und Bezüge der Second Wave-Feministinnen zur Bürgerrechtsbewegung. Dabei zeigt sie etwa, unter anderem am Beispiel des Lynching von Emmett Till1, wie weiße Feministinnen den Begriff und das Konzept sexism aus racism ableiteten. In einem weiteren Schritt privilegierten sie aber Sexismus als vermeintlich primäre Unterdrückungskategorie und wandten diese wiederum als Linse auf Rassismus an. Auf diese Weise konnten Feministinnen schwarze Männer, so Dietze, eher als „Male Suprematists“ und weniger als „Opfer von Rassismus“ (S. 358) klassifizieren – was bedeutende Konsequenzen für die Entwicklungen in den 1990er-Jahren hatte. Denn wie Dietze im letzten Kapitel untersucht, zeigte sich bei den Prozessen gegen O. J. Simpson und Mike Tyson sowie im Senatshearing zu Clarence Thomas Berufung an den Supreme Court „eine relative Bedenkenlosigkeit im Angriff auf schwarze Symbolfiguren“ (S. 358). Dabei sieht Dietze sowohl antirassistische als auch antisexistische Bewegungen in diesem Zeitraum in der Defensive. Sie verdeutlicht an dieser Stelle auch, wie es die neu inszenierte Race-Gender-Konkurrenz in diesen „Tribunalen“ für afroamerikanischer Frauen schwer möglich machte, sich sowohl auf antirassistische als auch feministische Politiken zu beziehen.

Wer sich in der U.S.-Amerikanischen Kulturgeschichte des späten 19. und 20. Jahrhundert etwas auskennt, wird zunächst viel Bekanntes in Dietzes Studie entdecken. Dietzes großer Verdienst besteht jedoch darin, die Race-Gender-Projekte historisch und analytisch zu systematisieren – und ausführlich zu untersuchen. Dietze hat eine beeindruckend kenntnisreiche und sehr ausführliche Studie vorgelegt, die auch dort ausführlich bleibt und analytische Kleinschritte unternimmt, wo andere Arbeiten es bei Feststellungen belassen. Dabei zeigt sie bisweilen, dass Race-Gender-Projekte nicht nur die Funktion haben konnten, beide Kategorien zu analogisieren oder voneinander abzugrenzen, sondern auch, andere Konflikte in den Hintergrund zu drängen, etwa gesellschaftliche Verteilungsfragen. Für sie ist das Buch explizit auch ein Beitrag zur kritischen Selbstreflexion der weiß-feministischen Bewegung – und diesem Ziel angemessen ist die äußerst umsichtige und politisch sensible Argumentation Dietzes. Man merkt dem Buch an, dass es durch einen längeren Diskussionsprozess gefeilt worden und gleichermaßen Wert auf die 'große Erzählung' und auf Details gelegt worden ist. Wer eine originelle, wenn auch bisweilen sehr dichte Sprache mag, wird dieses Buch gerne lesen – und viel daraus lernen.

Anmerkung:
1 Emmett Till war ein afroamerikanischer Jugendlicher, der 1955 gelyncht wurde, weil er einer weißen Frau hinterhergepfiffen hatte.

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