J. Wiener: How we Forgot the Cold War

Titel
How We Forgot the Cold War. A Historical Journey across America


Autor(en)
Wiener, Jon
Erschienen
Anzahl Seiten
384 S.
Preis
€ 27,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jula Danylow, Deutsches Historisches Museum, Berlin

Für Jon Wiener, Journalist und Professor für Geschichte an der University of California in Irvine, steht fest: Seine Landsleute haben den Kalten Krieg vergessen. Diese Feststellung irritiert, ist doch der Kalte Krieg und damit die Systemauseinandersetzung zwischen Ost und West der prägende Konflikt der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Geistreich, gewitzt und stellenweise mit scharfer Ironie behandelt der Autor die offizielle Erinnerungspolitik an den Kalten Krieg. 1991, unmittelbar nach Ende des Kalten Krieges, hatte die amerikanische Regierung unter George Bush den „Defense Appropriation Act“ verabschiedet, der nachfolgenden Generationen den Sieg im Systemkonflikt vermitteln sollte.1

In seiner Monografie „How We Forgot the Cold War. A Historical Journey across America“ begibt sich Jon Wiener auf eine Reise durch die USA und versucht sich an einer aktuellen Bestandsaufnahme der Erinnerung an den Kalten Krieg. Sein Forschungsvorhaben umfasst 50 Museen, Gedenkstätten und Denkmäler. Die Hälfte der verzeichneten Orte analysiert er en Detail vor Ort, einige Institutionen auf Grund von Zugangsbeschränkungen nur über die jeweiligen Internetpräsenzen. Auf ein weiteres Dutzend verweist er in seinen Ausführungen. Die Auswahlkriterien für die analysierten Orte orientieren sich an einem bestimmten Narrativ des Kalten Kriegs, das Wiener das „conservative argument“ oder „the good-war framework“ nennt (S. 2).2

„How We Forgot the Cold War“ ist keine klassische historische Analyse von Orten des Kalten Krieges – seien es authentische Orte wie die „Nevada Test Site“, Orte der institutionalisierten Erinnerung wie das Museum der Truman Bibliothek oder Denkmäler wie das Churchill Memorial. Vielmehr liefert Wiener einen persönlichen Reisebericht. Der Historiker Wiener will dem Leser verdeutlichen, warum der Kalte Krieg in den USA allem Anschein nach in Vergessenheit geraten ist. Sein provokanter Buchtitel widerspricht indessen der Auseinandersetzung mit der Ära des Kalten Krieges, die über die Medien und in der Popkultur seit Jahrzehnten ungebrochen zu beobachten ist. Auch Museumsmüdigkeit oder öffentliches Desinteresse an der eigenen Geschichte sind in den USA, mit Referenz auf den von Jay Winter attestierten „memory boom“, nicht zu verzeichnen.3

Leider präsentiert Wiener keinen Fragenkatalog, auf den er in der Analyse zurückgreifen könnte, um eine Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen Institutionen zu gewährleisten. Methodisch wählt er eher einen journalistischen als einen historischen Zugang. Während seiner Forschungsreise gab sich Wiener allerdings weder als Journalist, noch als Historiker zu erkennen. Vielmehr schloss er sich – getarnt als Tourist möchte man fast sagen – geführten Rundgängen an, sprach mit Mitarbeitern, holte sich aber auch Feedback von anderen, ihm fremden Besuchern. Für Jon Wiener geben in erster Linie die Besucherzahlen Auskunft über den Erfolg der Erinnerungsorte zum Kalten Krieg. Nur wenige der analysierten Orte verzeichnen einen große Menge Besucher, was auch in ihrer abgeschiedenen Lage begründet sein mag. Das „Whittaker Chambers National Historic Landmark“ in Westminster, Maryland, ist so unbekannt, dass nicht einmal die Verantwortlichen des nahegelegenen Besucherzentrums Auskunft über Anfahrtsweg und Öffnungszeiten geben können.

Erstaunt stellt Jon Wiener fest, dass an mehr als 30 Orten in den USA Originalsegmente der Berliner Mauer präsentiert werden. Für ihn steht allerdings die Kuriosität der Installation einiger dieser Mauerstücke im Vordergrund. So findet er in einem Casino in Las Vegas auf der Herrentoilette ein Mauersegment, an dem Pissoirs angebracht sind. Leider verpasst Wiener an dieser Stelle nach der Bedeutung zu fragen, die den aus dem Kontext gerissenen Mauerstücken so zugesprochen wird.4

Jon Wiener begibt sich auf die Suche nach einem ganz bestimmten Narrativ des Kalten Krieges – dem der Siegergeschichte, dem Kampf des Guten gegen das Böse. Wieners These ist, dass die Menschen in den USA die konservative Sichtweise, den Triumph des freien Westens über den tyrannischen Kommunismus, nicht annehmen. Diese These belegt er mit der Abgelegenheit der Erinnerungsorte, den schlechten Besucherzahlen und dem Fakt, dass es kein zentrales Denkmal des Kalten Kriegs auf der National Mall in Washington D.C. gibt.

Wiener besucht drei Bibliotheken, die ehemaligen amerikanischen Präsidenten gewidmet sind. In der Reagan Bibliothek erwartet er eine politische Analyse der Rolle Ronald Reagans im Kalten Krieg, die dem Narrativ der Siegergeschichtsschreibung folgt. Stattdessen wird er Zeuge eines Happenings, das sich nicht in die klassische Sicht der politischen Geschichte einfügt – dem Hippie Day. Ein pinkfarbener VW Käfer, Schaufensterpuppen in Hippie-Kluft und Demonstrationstransparente stellen keinerlei Beziehung zur Person Ronald Reagans her. Begeistert zeigt sich Jon Wiener von seinem Besuch im Museum der Truman Bibliothek. Entgegen aller Erwartungen, werden die Entscheidungen der Truman Administration in Frage gestellt. Angelehnt an die historische Forschung werden konkurrierende Narrative ansprechend präsentiert. Am Eingang der Ausstellung wird der Besucher mit der Krux der Historiographie konfrontiert: „History never speaks with one voice. It is always under debate – a manuscript that is continually being revised, and is never complete.“5 Viele Besucher/innen sind selbst Zeitzeug/innen und können sich aus eigenen Erfahrungen und den dargebotenen konkurrierenden Interpretationen des Handelns Trumans ein eigenes Bild vom frühen Kalten Krieg machen. Damit wird die Ausstellung auch der Komplexität des Kalten Krieges als historische Epoche gerecht. Die Kennedy Bibliothek erwähnt Wiener nur kurz, obwohl dort mit der Kuba-Krise und dem Mauerbau gleich zwei zentrale Ereignisse des Kalten Krieges abgehandelt werden.

Jon Wiener konstatiert, dass die meisten Orte des Kalten Krieges zwar vor dem Hintergrund des konservativen Siegernarratives gegründet worden sind, sich die Inhalte aber mit der Zeit verschoben haben. Am Beispiel der „Nevada Test Site“, die vom „Atomic Testing Museum“ in Las Vegas betrieben wird, beschreibt er eindrücklich, wie die Geschichte des Kalten Krieges zu einer Touristenattraktion wird. Per Busshuttle werden die Touristen in die Wüste von Nevada gekarrt. Wieners Bustour wird von einem Guide begleitet, der während des Kalten Krieges als Ingenieur auf dem Gelände gearbeitet hat. Ein Film über Militärübungen auf dem Testgelände führt ins Thema ein. Er zeigt Soldaten, die während der Detonation einer Atombombe durch das Gelände robben. Einziger inhaltlicher Kommentar des Tourguides ist, dass die Soldaten damals über state-of-the-art Ausrüstung verfügten. Die Bedeutung der atomaren Aufrüstung im Kalten Krieg wird mit keinem Wort erwähnt, vielmehr sind die betreibenden Institutionen bestrebt, die gesundheitlichen und ökologischen Folgen abzuschwächen.

Abschließend vergleicht Wiener die Erinnerung an den Kalten Krieg mit schmerzhaften kollektiven amerikanischen Erinnerungserfahrungen; dem Bürgerkrieg, der Holocaust-Erinnerung und dem Angriff auf Pearl Habor. Er attestiert dem amerikanischen Volk, dass es sich kaum an den Kalten Krieg erinnert, weil die Erinnerung als solche problematisch ist, insbesondere was das „good war framework“ der Konservativen angeht. Ein Narrativ des Triumphes funktioniere vor allem, wenn es viele Opfer gibt, so Wiener. Zwischen den Zeilen hält er fest, dass der Kalte Krieg eben eine kriegerische Auseinandersetzung war, die für die Bevölkerung in den USA keinen Krieg auf dem eigenen Territorium bedeutete.

Das deutlichste Zeichen für die Ablehnung des konservativen Arguments durch die Amerikaner sieht Wiener im erfolgreichsten Erinnerungsort des Kalten Krieges, dem „Vietnam Veterans Memorial“. Ohne textliche Erläuterungen mahnt es seit 1982 in Washington D.C. den Verlust von 58.000 Amerikanern und damit das Umschlagen in einen „heißen“ Krieg. 72 Millionen Besucher seit der Enthüllung stehen für Wiener stellvertretend für eine ambivalente Einstellung der amerikanischen Öffentlichkeit zum Kalten Krieg und für Distanz zur offiziellen staatlichen Erinnerungspolitik.

Mit seiner Publikation befördert Jon Wiener die Diskussion um die Erinnerung an den Kalten Krieg. Sein spannender, lesenswerter Reisebericht führt in die entlegensten Ecken der USA und geizt nicht mit Kuriositäten in Sachen Ausstellungskultur oder US-amerikanische Erinnerungspolitik. Allerdings ist die Abhandlung stark politisch gefärbt, journalistisch impressionistisch geschrieben und damit keine Publikation, die aktuelle Tendenzen der historischen Forschung zum Kalten Krieg widerspiegelt.6

Anmerkungen:
1 Jon Wiener, How We Forgot Cold War. A Historical Journey Across America, Berkeley 2012, S. 1.
2 Ebd., S. 2.
3 Vgl. u.a. Jay Winter, The Generation of Memory: „Reflections on the Memory Boom in Contemporary Historical Studies“, in: Bulletin of the German Historical Institute 27 (2000) [<http://www.ghi-dc.org/publications/ghipubs/bu/027/b27winterframe.html> (21.06.13)].
4 Vgl. zur Forschung zur Erinnerungsfunktion der Berliner Mauer u.a. Sybille Frank, Der Mauer um die Wette gedenken. Die Formation einer Heritage-Industrie am Berliner Checkpoint Charlie, Frankfurt am Main 2009, und Anna Kaminsky/Ronny Heidenreich (Hrsg.), Die Berliner Mauer in der Welt, Berlin 2009.
5 Benjamin Hufbauer, Presidential Temples: How Memorials and Libraries Shape Public Memory, Lawrence 2005, S. 154.
6 Vgl. u.a. Odd Arne Westad, The Global Cold War. Third World Interventions and the Making of Our Times, Cambridge 2007.

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