Titel
Die Pfarrgemeinden der Stadt Köln. Entwicklung und Bedeutung vom Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit


Autor(en)
Wulf, Tobias
Reihe
Studien zur Kölner Kirchengeschichte 42
Erschienen
Anzahl Seiten
712 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julia Bruch, Historisches Institut, Universität zu Köln

Die zu besprechende Untersuchung zu den Kölner Pfarrgemeinden im Mittelalter und der Frühen Neuzeit von Tobias Wulf wurde im Wintersemester 2008/09 an der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen. Die Studie kann als Ergänzung zu Arnd Reitemeiers Habilitationsschrift zu den Pfarrkirchen der Städte des Reichs im Spätmittelalter gelesen werden1, die Köln aus gutem Grund fast vollständig ausklammert. Der Stadt Köln wird nicht nur eine einzigartige Entwicklung von Gesellschaft und Verfassung im Mittelalter zugesprochen, sondern auch eine sehr reichhaltige Quellenlage.2 Aus diesen Gründen führt auch Wulf keinen Vergleich zu anderen Städten durch, sondern begnügt sich damit, Reitemeiers Thesen mit seinen Ergebnissen in Köln zu kontrastieren.

Wulf beschäftigt sich mit Sozial-, Institutionen- und Frömmigkeitsgeschichte und kombiniert diese Ansätze mit der Kategorie ‚Stadt‘. Er arbeitet die „Rolle der Kirchspiele im Rahmen der kommunalen Verfassungsentwicklung inklusive lokaler und gesamtstädtischer Politik unter besonderer Berücksichtigung der Vernetzung ihrer weltlichen wie geistlichen Würdenträger“ (S. 11) heraus. Die Arbeit ist in drei Kapitel untergliedert, die chronologisch aufeinander aufbauen.

Das erste Kapitel behandelt die Entwicklung der Kölner Pfarreien als „unterste kirchliche Gliederungseinheit“ (S. 19) hin zum Kölner Pfarreisystem, das bis Ende des 18. Jahrhunderts bestand. Die städtische Bürgerschaft und der Klerus werden als Handlungsträger dieser Entwicklung seit Ende des 12. Jahrhunderts zunehmend erkennbar. Durch das Bevölkerungswachstum beziehungsweise die verdichtete Besiedlung innerhalb der Stadt war das Bedürfnis nach Pfarrseelsorge gestiegen und damit die Notwendigkeit von Pfarrkirchen. So kam es im 12. Jahrhundert zum Aus- und Neubau von Pfarrkirchen und Kapellen sowie zur Konsolidierung von Pfarrrechten. Zunehmende Stiftertätigkeit der Bevölkerung korreliert mit dem Wunsch auf Mitbestimmung. Allerdings darf dieser Zusammenhang nach Wulf nicht, wie in der älteren Forschung, überbewertet werden. Vielmehr korrespondiert „die Ausweitung der Befugnisse der Laien in den Kirchspielen“ mit „der politischen Konstituierung der Bürgerschaft auf gesamtstädtischer Ebene“ (S. 66). Dieser Prozess verläuft nicht geradlinig, die Befugnisse mussten stets neu ausgehandelt werden. Außerdem ist die Entwicklung in den einzelnen Kirchspielen sehr unterschiedlich.

Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der zunehmenden Neuorganisation der pfarrkirchlichen Verwaltung seit der Mitte des 14. Jahrhunderts. Die Aufgabenbereiche der Laienverwalter hatten zugenommen: Sie waren in der Regel zuständig für die Pflege und den Unterhalt des Kirchengebäudes, die Bereitstellung der Pfarrwohnungen, für die Alimentierung der Küster, für den Unterhalt von weiteren Gebäuden und für das Zubehör der Kirche sowie für die Aufsicht über das Stiftungswesen. Pfarrschulen gab es vor dem 15. Jahrhundert lediglich in den fünf Innenstadtpfarreien (Klein St. Marin, St. Kolumba, St. Laurenz, St. Alban und St. Brigida) sowie in St. Johann Baptist. Die Neuorganisierung und Ausbreitung der pfarrkirchlichen Verwaltung sieht Wulf im Kontext der kirchengeschichtlichen und städtischen Verfassungsentwicklung, die gemeinhin mit dem Begriff ‚Institutionalisierung‘ beschrieben wird. Zu beobachten ist, dass es zu einer zunehmenden Verrechtlichung der Beziehung zwischen weltlichen und geistlichen pfarrkirchlichen Leitungspositionen kam. Somit wurde auch die Kirchenpflegschaft institutionalisiert.

Der dritte Teil der Untersuchung befasst sich mit der weiteren Entwicklung der Kirchspiele im 16. Jahrhundert. Einher mit der ‚Professionalisierung‘ der kommunalen Verwaltung ging die Nutzung des Pfarrsystems für städtische Aufgaben (zum Beispiel Zuständigkeit für die Schreine). Wulf schlussfolgert, dass die Pfarrgemeinden das Erbe der Sondergemeinden antraten (was die Gaffen nie leisten konnten), ohne ‚politische‘ Bezirke geworden zu sein. Wulf erkennt in der Entwicklung des 16. Jahrhunderts die enge personelle Verflechtung der städtischen Elite (in der Regel der ratsfähigen Familien) mit den Angehörigen der Pfarrgemeindegremien. Zudem ist eine Wechselwirkung zwischen gesamtstädtischen Entwicklungen und denen in den Pfarrgemeinden erkennbar. Ein direktes Eingreifen des Rats auf die Kirchpflegschaft, wie es in anderen Städten des Reichs vorkam, lässt sich für Köln nicht nachweisen. Der Autor spricht an dieser Stelle von einer „indirekten Einwirkung“ der ratsherrlichen Obrigkeit „durch Kommunikation“ (S. 409). Somit waren die einzelnen Pfarrgemeinden in ihrer Verwaltung relativ eigenständig. Wulf bezieht in die Analyse der Entwicklung der Kirchspiele im 16. Jahrhundert auch die Frage nach der Stabilität des katholischen Glaubens in Köln und dessen Gründe mit ein.

An den Untersuchungsteil der Arbeit schließt sich eine Liste aller Amtsträger der Pfarrgemeinden, die sich in den Quellen fassen lassen, an: Kirchmeister, Armenprovisoren, Tirmmeister, Hauptleute sowie Amtsträger des Pfarrgemeindebeirats und der Bruderschaften. Ein Register ermöglicht einen bequemen Zugang zur Studie ebenso wie eine von Joachim Oepen erstellte Karte der Stifte, Klöster und Pfarreien in Köln bis 1802 die Orientierung enorm erleichtert.

Wulf konnte mit seiner Arbeit die Entwicklung der 19 Pfarrgemeinden in Köln vom 13. bis 16. Jahrhundert deutlich darlegen. Einige Kritikpunkte sind dennoch anzumerken: Die in Kapitel eins und zwei vorgeschlagene Kategorisierung der Pfarrgemeinden ist leider undurchsichtig. Auf der einen Seite unterscheiden sich die Zuordnungen der Pfarrgemeinden zu den Kategorien in den beiden Kapiteln, auf der anderen Seite variieren die Kriterien innerhalb der Kapitel zwischen topographischen und institutionellen Kennzeichen. Die städtischen Umbrüche in Köln von 1396 (Verbundbrief) und 1513 (Transfixbrief) jeweils als ‚Revolutionen‘ zu bezeichnen, halte ich angesichts der Bedeutung, die dieser Begriff in der frühen Neuzeit und vor allem in der Forschung erlangte, für diskussionswürdig. Schade ist, dass Wulf am Ende der Kapitel, wie auch am Ende der gesamten Untersuchung auf eine Zusammenstellung und Synthese seiner Ergebnisse fast vollständig verzichtet (die Schlussbemerkungen seiner rund 500-seitigen Analyse umfassen gerade einmal zwei Seiten). Der Arbeit hätte zudem eine Straffung und Pointierung nicht geschadet. Im Gegenteil: Immer wieder auftretende Vergleiche innerhalb statt als Zusammenfassung am Ende der Kapitel, führen zu unnötigen Wiederholungen. Anekdotenhafte Kleinigkeiten, die für die Argumentationsstruktur als nicht wichtig erscheinen, wie beispielsweise auf S. 68, S. 213 f. und S. 306 bis 308, strecken die Arbeit noch zusätzlich.

Alles im Allen ist die Arbeit jedoch sehr wichtig für weitere Forschungen zur Kölner Geschichte, vor allem durch den umfangreichen Anhang sowie die quellennahe Arbeit, werden doch die genutzten Quellen wegen des Einsturz des Stadtarchivs im Jahr 2009 für eine uneinschätzbare Zeitspanne nicht mehr zugänglich sein, selbst wenn sie die Katastrophe an sich überstanden haben.

Anmerkungen:
1 Arnd Reitemeier, Pfarrkirchen in der Stadt des späten Mittelalters. Politik, Wirtschaft und Verwaltung, Wiesbaden 2005.
2 Tobias Wulf konnte seine Doktorarbeit vor dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs fertig stellen und so noch auf die gesamten erhaltenen Kölner Quellen zurückgreifen.

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