M. Silberman u.a. (Hrsg.): Walls, Borders, Boundaries

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Titel
Walls, Borders, Boundaries. Spatial and Cultural Practices in Europe


Herausgeber
Silberman, Marc; Till, Karen E.; Ward, Janet
Reihe
Spektrum: Publications of the German Studies Association 4
Erschienen
New York 2012: Berghahn Books
Anzahl Seiten
XIV, 268 S.
Preis
$85.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katarzyna Stokłosa, Institut for Grænseregionsforskning, University of Southern Denmark

Mauer, Grenzen und Grenzräume haben als Forschungsthemen in den letzten Jahren an Attraktivität gewonnen, was in zahlreichen Titeln zum Ausdruck kommt. Das Originelle an dem vorliegenden, von dem Germanisten Marc Silberman, der Geografin Karen E. Till und der Historikerin Janet Ward herausgegebenen Sammelband ist zum einen sein interdisziplinärer Ansatz, zum anderen die Verbindung der drei im Titel genannten Typen von Grenzen. Er setzt sich aus ausgewählten und überarbeiteten Beiträgen einer Panelserie zusammen, die aus Anlass des zwanzigsten Jahrestags des Falls der Berliner Mauer im Rahmen der jährlichen Konferenz der German Studies Association (GSA) organisiert wurde.

In der Einleitung definieren die Herausgeber ihr Verständnis von Mauern und Grenzen. Die Funktion von beiden bestehe sowohl in der Abgrenzung von- als auch in der Verbindung miteinander, abhängig von dem jeweils aktuellen politischen Kontext. Während geschlossene Grenzen ethnische oder politische Trennung bedeuten, kann von offenen Grenzen – im Falle eines Konfliktes – Gefahr ausgehen. Silberman, Till und Ward analysieren Mauern, Grenzen und Grenzräume in Verbindung mit Nationalstaaten, nationaler Identität, Kaltem Krieg und Eisernem Vorhang. Besondere Berücksichtigung finden die Aspekte der geteilten Stadt Berlin und der Berliner Mauer, die in allen drei Teilen des Buches thematisiert werden. Das Ziel der Herausgeber ist es, die Grenzregionenforschung mit einer möglichst breiten Perspektive zu betreiben.

Die Beiträge im ersten Teil des Sammelbandes befassen sich mit Stadtmauern. Es wird gezeigt, wie diese im Laufe der Geschichte nicht nur schützende, sondern auch separierende Funktionen ausübten. Der Historiker Yair Mintzker erläutert am Beispiel Frankreichs im 17. Jahrhundert, dass Mauern bereits damals immer seltener als Festung dienten. Der Autor analysiert den komplexen Zusammenhang zwischen Staat, Stadt und Mauer und skizziert damit eine generelle Forschungsperspektive. Die nächsten beiden Aufsätze rücken Berlin in den Mittelpunkt. Der Kulturwissenschaftler Olaf Briese erklärt am Beispiel dieser Metropole verschiedene Arten materiell-symbolischer Grenzen innerhalb von Städten. Dazu gehören Mauern, Stacheldraht, Zäune, Gitter, Ghettos und Wohnhäuser. In diesem Zusammenhang geht er auch auf das nationalsozialistische Lagersystem sowie sowjetische Nachkriegslager in Berlin ein. Dabei stellt er bemerkenswerte Parallelen in Bezug auf Platzierung, Design und Überwachungstechniken zwischen nationalsozialistischen und kommunistischen Lagern in Berlin fest. Der zweite Aufsatz über Berlin, geschrieben von dem Germanisten Eric Jarosinski, nimmt eine kritische Analyse der Glasmauer „Grundgesetz 49“ vor – jenes Kunstobjekts, das der israelische Künstler Dani Karavan entworfen hat. Der Autor geht der normativen Frage nach, ob es sich bei dieser Glasmauer tatsächlich um ein Kunstobjekt handelt, das symbolisch die Demokratie darstellt, oder um ein bloßes Werbeobjekt. Auf jeden Fall, so Jarosinski, diene Karavans Arbeit zur Belebung einer etablierten Debatte über demokratische Transparenz und Öffnung.

Mit dem Fall der Berliner Mauer ist die Geschichte von Mauern in Europa keineswegs zu Ende. Im letzten Aufsatz des ersten Buchabschnitts stellt die Wirtschafts- und Sozialhistorikerin Daniela Vicherat Mattar drei Beispiele von noch bestehenden europäischen Mauern vor: die urbane stählerne Mauer in Padua, die spanische Enklave im afrikanischen Ceuta und die Mauer zwischen dem katholischen und protestantischen Belfast. Sie beschreibt die Doppelfunktion, die diese Mauern als Grenze und politische Ordnung ausüben und zeigt zudem, wie im Schengen-Europa soziale bzw. religiöse Antagonismen zu Kategorisierungen der Bevölkerung einer Region führen. Die Mauern sind jedoch nach Vicherat Mattar nicht ein Problem per se. Sie können zu einem solchen werden, wenn sie, anstatt bei der Entstehung einer gemeinsamen Identität zu helfen, zur Abgrenzung voneinander, zur Marginalisierung oder gar Stigmatisierung der Anderen führen.

Der zweite Teil des Sammelbandes, der weniger ausführlich als der erste Teil ist, beschäftigt sich mit der soziokulturellen Bedeutung von Grenzen. Das Thema sind Gesellschaften in drei verschiedenen Grenzregionen, die wegen des Kalten Krieges getrennt wurden. Die beiden Historiker Muriel Blaive und Thomas Lindenberger analysieren in einer Mikrostudie, die sie in dem kleinen tschechischen Ort České Velenice durchgeführt haben, die Zustände an der tschechoslowakisch-österreichischen Grenze während des Kalten Krieges. Auf der Grundlage von narrativen Interviews rekonstruieren sie die Auswirkungen der kommunistischen Praktiken auf Grenzreglementierungen, wie territoriale Administration, Überwachung der Grenze, Militarisierung des Alltagslebens und Homogenisierung der Bevölkerung. Blaive und Lindenberger zeigen auf, wie die Instrumentalisierung der Geschichte unter tschechischen Einwohnern der Grenzregion zu antideutschen Einstellungen geführt hat. Als Beispiel werden die Beneš-Dekrete genannt. Das historische Narrativ, das in dieser Grenzregion vorherrsche, stelle alle Deutschen und Österreicher als Schuldige für das nationalsozialistische Regime dar, während die Tschechen allgemein als Opfer geschildert werden.

Der Historiker David E. Barclay analysiert das Alltagsleben in Westberlin in der Zeit nach dem Viermächteabkommen und stellt dabei eine überraschende Normalität fest: Das Leben der Westberliner sei vollkommen unheroisch, einfach ganz gewöhnlich gewesen. Steffi Marung, ebenfalls Historikerin, untersucht den Zustand an der Ostgrenze des postkommunistischen Europas. Sie fragt, was passiert, wenn sich die Grenze der Europäischen Union (EU) immer mehr Richtung Osten verschiebt, und ob die westeuropäischen Werte von den neuen EU-Ländern bzw. EU-Kandidaten übernommen würden. Die Autorin nimmt als Beispiel Polen und die Brückenfunktion dieses Landes zwischen Ost und West. Aufgrund der jahrzehntelangen Erfahrung der deutsch-polnischen Nachbarschaft spielt Polen, Marung zufolge, eine besondere Rolle beim Transfer der westlichen Werte an die östlichen Nachbarn. In ihrer Analyse konzentriert sich sie sich auf offizielle politische Diskurse und nutzt zu diesem Zweck die Quellen des polnischen Außenministeriums. Ob die Polen zugedachte führende Rolle jenseits seiner östlichen Grenze überhaupt akzeptiert und anerkannt wird, lässt Marung offen.

Der dritte und letzte Teil des Sammelbandes beschäftigt sich mit Grenzen und Migrationen. Es wird untersucht, wie in westeuropäischen Gesellschaften die etablierten Grenzen angesichts grenzüberschreitender Prozesse wie Rassismus, Migrationen und Diaspora behandelt werden. So wird nach den Kriterien der Zugehörigkeit, der Verleihung der Staatsbürgerschaft, dem Eigenen und dem Fremden, den Taktiken der Exklusion wie dem Phänomen der Gewalt gefragt. Die Geografin Patricia Ehrkamp analysiert die Islamophobie in Westeuropa, wie sie in den jüngsten Debatten zum Ausdruck kam. Als Beispiele greift sie die sehr emotionalen Diskussionen über den Minaretten-Bau in der Schweiz und die Leitkultur-Kontroversen in Deutschland heraus. Während weiterhin betont wird, die Immigranten müssten sich an die Kultur und das Wertesystem des Gastlandes anpassen, sind diese nach Ehrkamp viel internationaler und offener als die Einheimischen, was unter anderem an ihren grenzüberschreitenden Verbindungen deutlich werde. Außerdem nähmen sie längst aktiv an den in ihren Gastländern geführten Debatten teil.

In den folgenden beiden Beiträgen werden die fehlende Wahrnehmung und die Marginalisierung von Migranten in Westdeutschland problematisiert. Die Historikerin Isa Blumi analysiert am Beispiel der Migranten aus Albanien, wie das bürokratische System in Westdeutschland zur Ausgrenzung und Einteilung in die Kategorien des Eigenen und des Fremden, in West und Ost, führte. Die Autorin legt ihrer Analyse Interviews zugrunde, die sie zwischen 1995 und 2002 mit männlichen Mitgliedern der Diaspora aus dem ehemaligen Jugoslawien in mehreren westdeutschen Städten geführt hat. Der Kulturanthropologe Jeffrey Jurgens geht der Frage nach, inwieweit die Migranten in der Geschichte der geteilten Stadt Berlin Berücksichtigung fanden. Seine Antwort lautet, dass dies viel zu wenig geschehen sei, weil man sich zu sehr auf die ostdeutschen Opfer der Mauer konzentriert habe. Migranten – meistens aus der Türkei –, von denen nicht wenige zu Opfern des DDR-Regimes geworden seien, hätten dagegen kaum Aufmerksamkeit gefunden. Der Sammelband schließt mit einem sehr persönlichen, autobiografischen Beitrag. Der Theater- und Kunstwissenschaftler Gülgün Kayim, als türkischer Zyprer in der zweiten Generation in London aufgewachsen, macht deutlich, wie schwierig es immer noch ist, die national geteilten Geschichten über Gewalt und Trennung zu überwinden. Als ein Mittel zur Aufarbeitung der schmerzhaften Vergangenheit könnten Kayim zufolge das Theater und künstlerisches Schaffen dienen.

Das Buch ist allen Forschern zu empfehlen, die sich für Mauern, Grenzen und Migrationen interessieren. Er eröffnet wichtige und neue Forschungsperspektiven und lässt sich auch dank des Literatur-, Personen-, Orts- und Sachverzeichnisses sehr gut nutzen. Wünschenswert wäre allerdings eine etwas umfangreichere Einleitung gewesen, die besser in die drei Teile des Buches eingeführt und deren inneren Zusammenhang erläutert hätte.

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