A. Korb: Im Schatten des Weltkriegs

Cover
Titel
Im Schatten des Weltkriegs. Massengewalt der Ustaša gegen Serben, Juden und Roma in Kroatien 1941–1945


Autor(en)
Korb, Alexander
Reihe
Studien zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrunderts
Erschienen
Anzahl Seiten
510 S.
Preis
€ 28,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Armin Heinen, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen

Alexander Korb hat ein wichtiges Buch vorgelegt, wichtig, weil es bisher an grundlegenden Untersuchungen zur Ustaša-Herrschaft in Kroatien fehlt, wichtig, weil er das Geschehen genauer und besser erklären kann als bisher, schließlich wichtig, weil er es versteht, breite Quellenkenntnis und theorieorientierten Zugriff miteinander zu verbinden.

Im Kern geht es Korb darum, in seiner Untersuchung mehrere Forschungsstränge zusammenzuführen: die Holocaustforschung, die Gewaltforschung, schließlich die Faschismusforschung. Letztere freilich spielt für die Schilderung und Erklärung eine eher untergeordnete Rolle, sieht man einmal davon ab, dass Korb die Ustaša als eine gewaltorientierte, extrem nationalistische Gruppe junger, tatbereiter Aktivisten charakterisiert, was in etwa dem „faschistischen Minimum“ Roger Griffins entspricht. Aber die eigentliche Herausforderung von Korbs Studie liegt darin, dass er die Tragfähigkeit des „Faschismusbegriffs“ zur Erklärung der Massenverbrechen im Kroatien der Weltkriegszeit gerade infrage stellt (S. 63).

Worauf basiert dann aber sein Deutungsansatz? Korb schildert die Verbrechen als Tat vieler. Für die Vertreibungen, für die Massaker, für die Toten in den Lagern bedurfte es keines Generalplans. Entscheidend waren letztlich: das fühlbare Machtvakuum, die verbreitete Angst, alles zu verlieren, die Vorstellung, mit wenigen harten Maßnahmen eine neue, konfliktfreie, ethnisch homogene Ordnung schaffen zu können. Die Gewalt schuf schließlich ihre eigene Dynamik der Radikalisierung, als einzelne Gemeinden sich der angestrebten ethnischen Homogenisierung widersetzten, ihre ureigenen Interessen verfolgten und die Ustaša-Kämpfer auf unterwarteten Widerstand trafen. Weil die deutschen und die italienischen Besatzungsverwaltungen gegeneinander agierten, es selbst innerhalb der Besatzungsorgane an einer einheitlichen Linie fehlte, die Ustaša allenfalls ansatzweise auf vorhandene Staatsstrukturen zugreifen konnte, angewiesen war auf die Eigeninitiative alter und neuer Anhänger, löste sich der „Kroatische Staat“ auf, zerfiel in einzelne regional unterschiedlich strukturierte Einheiten.

Den Anstoß zur ethnischen Säuberung gab im Juni 1941, wenige Monate nach Einrichtung des „Unabhängigen Staates Kroatien“, der deutsche Wunsch einer Vertreibung von 170.000 Slowenen aus dem eigenen Herrschaftsgebiet, die im neu geschaffenen kroatischen Raum angesiedelt werden sollten, während eine gleichgroße Zahl Serben nach Osten verschoben werden sollte. Nicht nur, dass ein solches Vorhaben die Steuerungs- und Planungskapazitäten des Ustaša-Staates überforderte, es bestärkte die Allmachtsfantasien vieler junger Aktivisten. Angesichts unerklärlicher Hindernisse und des verbreiteten Widerstandes zahlreicher Bevölkerungsgruppen schien nur rücksichtslose Gewalt die neue Ordnung hervorbringen zu können. Viele Täter waren tatsächlich von der Zentrale allein gelassen, gehörten zu lokal agierenden Gruppen, waren auf sie verwiesen, da es keinen funktionierenden Staat mehr gab. Armee, Gendarmerie, offizielle Milizen, inoffizielle Milizen agierten nebeneinander, oft auch gegeneinander. Dazu traten die Ziviltäter vor Ort, jene, die die offene Situation nutzten, um eigene Interessen zu verwirklichen oder durch demonstratives Gewalthandeln, Ängste zu besänftigen und das Gefühl der Macht zu erleben.

Anknüpfend an Überlegungen von Jan-Philipp Reemtsma unterscheidet Korb die „ordnende Gewalt der Vertreibungen“ (Kapitel 2), die „entgrenzte Gewalt der Massaker“ (Kapitel 3), welche auf die Herstellung von Kontrolle über ganze Regionen abzielte, und die „konzentrierte Gewalt“ der Lager (Kapitel 4). Hier kam es zu einer ähnlichen Dynamik wie unter rumänischer Herrschaft in Transnistrien oder deutscher Herrschaft in Polen. Die Lager reichten bei Weitem nicht aus, um so viele Menschen aufzunehmen, sie mit Lebensmitteln zu versorgen und die notwendige Hygiene sicherzustellen. Angesichts der hohen Todesraten, Folge von Hunger, Erschöpfung, Krankheit und Seuche, sahen die Lagerleitungen in „Massentötungen“ wohl eine „Art Lösung“ ihrer Probleme (S. 411).

Als Beispiel dessen, was Christian Gerlach als „extrem gewalttätige Gesellschaft“ charakterisiert hat, lässt sich Alexander Korbs Studie über die Massengewalt im „Unabhängigen Staat Kroatien“ lesen. Die Stärke des Werkes liegt in der genauen Beschreibung der Handlungskonstellationen, in der Herausarbeitung der jeweiligen sozialen und lokalen machtpolitischen Zusammenhänge. Korb geht es darum, die Ustaša aus dem Diktum balkanischen Atavismus herauszulösen, das Gewalthandeln einzubetten in den gesamteuropäischen Kontext des Zweiten Weltkrieges. Das erklärt vielleicht, warum Korb die „Sprache der Gewalt“ als Untersuchungsgegenstand weitgehend ausblendet. Denn an mangelnden Quellen, wie Korb ausführt, kann es meiner Ansicht nach nicht liegen.

Insgesamt bietet das mehr als 500 eng beschriebene Seiten umfassende Werk keine leichte Lektüre. Korb verzichtet fast gänzlich auf Quellenzitate. Er will nicht erzählen, sondern analysiert das Geschehen, ordnet es ein, reflektiert streng die Quellenbasis seiner Aussagen, was gelegentlich in einen etwas bürokratisch anmutenden Sprachduktus einmündet („Der Mangel an glaubwürdigen Quellen verkompliziert eine Beschreibung des Leidens der Roma in den Lagern der Ustaša.“, S. 411). Man muss sich also durch das Werk durchkämpfen, auch deshalb, weil das prägnante Schlusskapitel nur einen Teil der Arbeitsergebnisse zusammenfasst. Doch die Lektüre lohnt, wenn der Leser das „Jahrhundert der Gewalt“ besser verstehen möchte.

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