A. Willing (Hrsg.): Bibliothek des Klosters St. Katharina zu Nürnberg

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Titel
Die Bibliothek des Klosters St. Katharina zu Nürnberg. Synoptische Darstellung der Bücherverzeichnisse. 2 Bände


Herausgeber
Willing, Antje
Erschienen
Berlin 2012: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
CXX, 1517 S.
Preis
€ 248,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sandra Groß, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Die Bibliothek des 1295 gegründeten Dominikanerinnenkloster St. Katharina in Nürnberg zählt zu den größten Laienbibliotheken des Mittelalters und wurde hauptsächlich nach 1428 aufgebaut. St. Katharina war nicht nur ein Zentrum der spätmittelalterlichen Ordensreform, sondern auch der Reproduktion und Verbreitung geistlicher Literatur. Umso erfreulicher ist die Tatsache, dass circa zwei Drittel des Buchbestandes dieses Klosters erhalten geblieben sind und sich dieser zudem sehr detailliert rekonstruieren lässt. Aus den überlieferten Verzeichnissen kann jedoch nicht nur die Zusammensetzung der Bibliothek nachgezeichnet werden, sondern darüber hinaus auch die konkrete Verwendung der Schriften im Klosteralltag.

Die vorliegende zweibändige Arbeit bietet die bisher erste Zusammenstellung des gesamten inventarisierten Buchbestandes der Dominikanerinnen in Nürnberg und ist ein Ergebnis des Datenbankprojektes „Dokumentierende Rekonstruktion der Bibliothek des Nürnberger Katharinenklosters“, das von 2005 bis 2010 an der Universität Erlangen-Nürnberg durchgeführt wurde.1 Antje Willing arbeitete als Mitarbeiterin an diesem von Hartmut Kugler initiierten Projekt und hat einen Teil der Ergebnisse in den vorliegenden Bänden herausgegeben. Darüber hinaus soll die Bereitstellung einer Datenbank auf der Website der Stadtbibliothek Nürnberg erfolgen, die jede im Kloster nachweisbare Schrift mit kodikologischen und bibliographischen Angaben sowie Verweisen auf das jeweilige Bücherverzeichnis beinhaltet. Diese Datenbank ist zum jetzigen Zeitpunkt leider noch nicht zugänglich.

Die beiden Bände gliedern sich in einen 114-seitigen Einleitungsteil sowie eine knapp 1470 Seiten umfassende synoptische Darstellung der vier überlieferten Bücherverzeichnisse und ein umfangreiches Literaturverzeichnis. Ziel der Publikation ist die Präsentation der mittelalterlichen Bücherverzeichnisse in Form einer Synopse. Wiedergegeben werden ausschließlich die deutschsprachigen Bücher, da nur diese von den Dominikanerinnen in die Verzeichnisse aufgenommen wurden. Damit wird aber ein Großteil des Bestandes erfasst, da diese insgesamt etwa drei Viertel des nachweisbaren Gesamtbestandes der Bibliothek ausmachen. In der Datenbank soll dann der gesamte Buchbesitz des Klosters recherchierbar sein. Dieser umfasste insgesamt 726 Kodizes, davon 565 deutschsprachige (259 erhalten) und 161 lateinische (komplett erhalten) und wurde mithilfe sowohl der Bücherverzeichnisse des Klosters als auch der erhaltenen Handschriften und Inkunabeln rekonstruiert. Rund 100 erhaltene deutschsprachige Handschriften sind nicht in den Verzeichnissen inventarisiert, das heißt sie werden in der vorliegenden Darstellung nicht berücksichtigt. Trotzdem werden auch die nicht verzeichneten deutschen und lateinischen Schriften in der Publikation, geordnet nach inhaltlichen Gruppen, kurz charakterisiert und äußerst benutzerfreundlich mit Signatur, allerdings ohne Titel, wiedergegeben. Bei sechzehn Büchern aus dem Privatbesitz der Schwestern ist sogar die jeweilige Besitzerin mit angeben.

Im einleitenden Teil stellt Antje Willing zunächst die Bibliothek des Nürnberger Dominikanerinnenklosters mit seinen lateinischen und deutschen Handschriften und anschließend die vier überlieferten Bücherverzeichnisse vor. Dabei handelt es sich um einen Bibliothekskatalog, ein Inventar der im Privatbesitz der Schwestern befindlichen Bücher und zwei Tischlesungskataloge. Zudem überliefert und in der vorliegenden Arbeit mit einbezogen ist ein Leihzettel des Subpriors der Nürnberger Dominikaner von 1478 mit elf an die Schwestern ausgeliehenen Büchern. Der spätmittelalterliche Bibliothekskatalog (angelegt zwischen 1455 und 1457, später erweitert) wird hinsichtlich Konzeption und Provenienz der verzeichneten Kodizes vorgestellt. An ausgewählten Beispielen wird die Problematik der unzureichenden Wiedergabe oder sehr verkürzten und ungenauen Zusammenfassung von Sammelhandschriften im Katalog verdeutlicht, wie sie auf viele mittelalterliche Bibliotheksverzeichnisse zutrifft.

Etwa zeitgleich mit der Anlage des Bibliothekskataloges wurden auch die privaten Bücher der Schwestern inventarisiert. Im einleitenden Teil der vorliegenden Publikation wird dieses Verzeichnis mit Angabe aller aufgeführten Schwestern (inklusive nachgewiesener Daten und gegebenenfalls Ämter) vorgestellt. Antje Willing zieht aus dem Vorhandensein dieses Verzeichnisses den Schluss, dass die Nürnberger Dominikanerinnen nach Einführung der Observanz „zumindest für Bücher einen Dispens hiervon erwirkt […] haben“ müssen (S. XXXIV). Eine Gegenüberstellung dieses Inventars mit dem Bücherverzeichnis ermöglicht die Identifizierung einzelner Schriften, was an gut nachvollziehbaren Beispielen verdeutlicht wird.

Schließlich werden die beiden Tischlesekataloge (1436/42 und 1455/57) hinsichtlich ihres Aufbaus und ihrer Datierung vorgestellt und stellenweise miteinander verglichen. Diese Lektiokataloge sind wertvolle Ergänzungen zu den anderen beiden Inventaren, da sie Aufschluss über die tatsächliche Nutzung der Bücher im klösterlichen Alltag und somit die Rezeption geistlicher Literatur in diesem Kontext geben. Darüber hinaus dokumentieren die beiden erhaltenen Lektiokataloge die Umsetzung der Verpflichtung zur gemeinschaftlichen Tischlesung in Umfang und Inhalt über mehrere Jahrzehnte hinweg. Auf Besonderheiten bei der Tischlesung im Nürnberger Katharinenkloster wie das ausschließliche Lesen deutscher Texte und die Lesung ordensrechtlicher Texte ausschließlich in der Fastenzeit weist Antje Willing hin und interpretiert diese Befunde in der folgenden Darstellung der Kataloge. Die Lesung ausschließlich deutscher Texte wird als eindeutiger Hinweis auf die mangelhaften Lateinkenntnisse der Schwestern gewertet und findet eine Parallele bei den Nürnberger Klarissen, die sich 1410 vom Rat der Stadt mit eben dieser Begründung die rein deutsche Tischlesung approbieren ließen. Herausragende Bedeutung bei der Lesung besaßen liturgische Texte und Predigten. Antje Willing vermutet, dass diese sich aufgrund ihrer Bedeutung für den Alltag der Schwestern, aber auch ihres Umfangs und ihrer stilistischen Merkmale am besten für die Lesung eigneten. Andere Textgattungen wie Traktate waren in St. Katharina nur selten dafür vorgesehen. Schließlich wird von der Verfasserin anhand der beiden Kataloge die Entwicklung der Tischlesung bis zum Ende des 15. Jahrhunderts nachvollzogen.

Im dritten Teil der einführenden Darstellung wird der Buchtransfer des Klosters im Allgemeinen und im Besonderen im Spiegel der Observanzbewegung dargestellt und mit zahlreichen Beispielen belegt und illustriert. Im abschließenden Teil der Einführung wird schließlich noch ein Vergleich der Nürnberger Bibliothek mit jener des Dominikanerinnenkloster St. Gallen geboten. Trotz nicht ganz gleicher Voraussetzungen hinsichtlich der Überlieferungssituation der beiden Bibliotheken und der Einschränkung, diese nicht inhaltlich, sondern ausschließlich hinsichtlich ihres Umfangs und ihrer Entwicklung zu vergleichen, hilft dies doch, die Nürnberger Ergebnisse zu verorten und den Einfluss der Observanzbewegung auf die Entwicklung von Klosterbibliotheken nachzuvollziehen. Aus St. Gallen sind zwei mittelalterliche Inventare (1484 und 1507) überliefert, deren Angaben zusätzlich durch ein Schwestern- und ein Konventsbuch ergänzt werden können. Antje Willing zeigt Parallelen in der Entwicklung des Buchbestandes, die in St. Gallen zu einem wesentlichen Teil durch Abschriften von aus Nürnberg geliehenen oder durch die dortigen Schwestern geschenkten Büchern geprägt ist. Generell lassen sich für beide Konvente große Ähnlichkeiten bei der Zunahme der Tätigkeit der Skriptorien und des Buchtransfers mit anderen Klöstern nachweisen. Beide Bibliotheken wuchsen nach Einführung der Observanz in ähnlichem Umfang und Tempo an. Antje Willing attestiert daher beiden Konventen ein „aktive[s], nicht zuletzt aus der Einführung der Observanz resultierende[s] Bemühen um Literatur, die im gemeinschaftlichen Konventsleben wie auch in der privaten Andacht der Schwestern genutzt werden konnte und sollte“ (S. CXIV).

Dieser einführenden Darstellung und teilweisen Auswertung folgt nun die umfangreiche Synopse der Bibliotheksinventare. Diese soll sowohl in Verbindung mit der Datenbank als auch unabhängig davon zur Visualisierung und Erschließung des Buchbestandes dienen. Zu allen in den Katalogen verzeichneten Schriften sind in übersichtlicher Weise die wichtigsten Informationen (Autor, Titel, Signatur, Provenienz, Verweis auf Handschriftenkataloge et cetera) sowie die entsprechenden Verweise zur Datenbank angegeben. Die Wiedergabe der einzelnen Werke entspricht ihrer Reihenfolge in den Bücherverzeichnissen, wodurch diese durch den Leser leicht nachvollzogen werden kann.

Die vorliegende Publikation – und sicherlich auch die angekündigte Datenbank – leistet einen wichtigen Beitrag zur Erforschung (spät-)mittelalterlicher Klosterbibliotheken im Allgemeinen und jener von (observanten) Mendikanten, aber auch von Frauenklöstern im Besonderen. Sie reiht sich ein in zahlreiche Klosterbibliotheken, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten untersucht wurden2 und schließt eine weitere Lücke auf diesem Gebiet. Jeder ausgewertete und der Forschung zugänglich gemachte Bestand bereichert dieses Bild, zumal dann, wenn die Überlieferung so umfangreich und günstig ist wie im vorliegenden Fall, obgleich die Kataloge natürlich den Bestand zu einem bestimmten Zeitpunkt am Ende des Mittelalters abbilden. Die Erforschung von Bibliotheken ist immer auch ein Beitrag zur Bildungs- und Rezeptionsgeschichte und in diesem Fall auch zur Erforschung des klösterlichen Alltags. So kann der hier detailliert dargestellte Bestand etwa theoretischen Annahmen, gewonnen aus ordines und consuetudines, gegenübergestellt werden und so Übereinstimmungen, aber auch Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit hinsichtlich Besitz und Benutzung von Büchern in einem mittelalterlichen Kloster untersucht werden. Zur schnelleren Erschließung der umfangreichen Bibliothekskataloge und -verzeichnisse wäre ein Register sicherlich wünschenswert gewesen, dies wird sich aber durch die parallele Verwendung der Datenbank vermutlich erübrigen.

Anmerkungen:
1 Vgl. Dokumentierende Rekonstruktion der Bibliothek des Nürnberger Katharinenklosters, in: Informationssystem der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, <http://www.univis.uni-erlangen.de/formbot/dsc_3Danew_2Fresrep_view_26rprojs_3Dphil_2Fdgeko_2FLGDP_2Fdokume_26dir_3Dphil_2Fdgeko_2FLGDP_26ref_3Dresrep> (06.02.2013).
2 Vgl. etwa Tom Graber / Martina Schattkowsky (Hrsg.), Die Zisterzienser und ihre Bibliotheken. Buchbesitz und Schriftgebrauch des Klosters Altzelle im europäischen Vergleich, Leipzig 2008; Anja Freckmann, Die Bibliothek des Klosters Bursfelde im Spätmittelalter, Göttingen 2006; Hermann-Josef Schmalor, Die westfälisches Stifts- und Klosterbibliotheken bis zur Säkularisierung. Ergebnisse einer Spurensuche hinsichtlich ihrer Bestände und Ausrichtungen, Paderborn 2005; Angelika Häse, Mittelalterliche Bücherverzeichnisse aus Kloster Lorsch. Einleitung, Edition und Kommentar, Wiesbaden 2002; Eva Schlotheuber, Die Franziskaner in Göttingen. Die Geschichte des Klosters und seiner Bibliothek, Werl 1996.