Cover
Titel
Mann und Maschine. Eine genealogische Wissenssoziologie des Ingenieurs und der modernen Technikwissenschaften, 1850–1930


Autor(en)
Paulitz, Tanja
Anzahl Seiten
392 S.
Preis
€ 34,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter-Paul Bänziger, Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Universität Zürich

Mit dem vorliegenden Buch leistet Tanja Paulitz einen differenziert argumentierenden und gut lesbaren Beitrag zu einer Wissens- und Geschlechtergeschichte der Industrialisierungszeit und der Industriegesellschaften. Anders als es der Haupttitel vielleicht vermuten lässt, geht es dabei nicht um eine (Körper-)Geschichte der Beziehungen von Männern und Maschinen, sondern um eine (Professionalisierungs-)Geschichte der deutschsprachigen Technikwissenschaften aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive. Methodisch orientiert sich Paulitz an Verfahren der wissensgeschichtlichen Diskursanalyse, wobei der Fachdiskurs, wie er in zwei maßgeblichen Zeitschriften sowie in den Texten wichtiger Akteure auftaucht, im Zentrum steht. Die zentrale, das Buch strukturierende These lautet, dass in der Geschichte der Technikwissenschaften zwischen 1850 und 1930 zwei Phasen unterschieden werden können, die sich sowohl anhand der Definition des Faches, als auch an den jeweils dominanten Männlichkeitskonzepten erkennen lassen: Die Figur des „Maschinenwissenschaftlers“ kam um die Mitte des 19. Jahrhunderts auf und war während der Konsolidierungszeit des Fachs in den 1870er und 1880er Jahren dominant. Im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde sie dann zunehmend infrage gestellt und machte dem Ingenieur als „Mann der Tat“ Platz. Diesen Phasen widmen sich die ersten beiden Teile des Buchs. Sie folgen auf zwei umfangreiche Kapitel zu den theoretischen und methodologischen Grundlagen der Studie.

Der erste empirische Teil beginnt mit einer Untersuchung der Schriften Ferdinand Redtenbachers (1809–1863), eines zentralen Akteurs der Frühzeit des deutschsprachigen Ingenieurwesens. Paulitz zeigt, dass sein Fachverständnis sowohl das implizite Wissen einer emotional-erfahrungsgeleiteten Herangehensweise umfasste als auch die „'wissenschaftliche' Aktivität des Ordnens und Systematisierens“ (S. 108). Letzterem habe er allerdings eindeutig den Vorrang gegeben. Bei der Interpretation dieses Befundes wendet sich Paulitz gegen eine Tendenz, solche Hierarchisierungen von vorne herein als binär geschlechtlich markierte zu verstehen und so „die zu analysierenden Diskurse selbst zu vergeschlechtlichen“ (S. 116). Vielmehr gehe es in den Texten hauptsächlich um Differenzierungen verschiedener Männlichkeiten, „erstens durch das Anknüpfen an die bildungsbürgerliche Norm des rationalen Wissenschaftlers und humanistisch umfassend belesenen Mannes im privaten Studierzimmer; zweitens durch die Abgrenzung gegenüber dem 'Stallgeruch' des Handwerks, der der Technik traditionell anhaftet“ (S. 126). Noch deutlicher lässt sich diese parallele Abgrenzung von subalterner und Gleichsetzung mit hegemonialer Männlichkeit in der Konsolidierungsphase der Ingenieurwissenschaften erkennen, wie Paulitz anschließend am Beispiel von Franz Reuleaux (1829–1905) zeigt, der ebenfalls als eine der zentralen Figuren seiner Zeit gelten kann.

Ab den 1890er Jahren lassen sich grundlegende Transformationen dieses Arrangements erkennen, und zwar sowohl auf der Ebene der Selbstpositionierung der Ingenieure innerhalb des wissenschaftlichen Feldes als auch in Bezug auf ihre geschlechtliche Markierung. Auf Basis der Texte von Alois Riedler (1850–1936), wiederum ein einflussreicher Protagonist und ab 1899 Rektor der TH Berlin-Charlottenburg, beschreibt Paulitz am Anfang des zweiten Buchteils, wie sich Fachvertreter jener Zeit bemühten, „einen der Technik eigenen Wissenschaftsbegriff“ (S. 172) zu etablieren. Dabei habe man sich deutlich von den älteren Bemühungen abgegrenzt, die Technik als universitäre Wissenschaft zu bestimmen. Stattdessen sei nun die „Praxis“ ins Zentrum gerückt worden, ohne dass man sich jedoch einem „handwerklichen“ Verständnis zugewandt hätte: Kennzeichen des den Ingenieurwissenschaften jener Zeit eigenen „hybriden“ (S. 176) Praxisbegriffs seien vielmehr Merkmale wie „Konkretion, Vollständigkeit, Anwendungsbezogenheit“ (ebd.) gewesen sowie die Ausrichtung am Prinzip der Wirtschaftlichkeit und die Beschreibung der Technik als „Können“ (S. 177), das dem unproduktiven „Wissen“ der abstrakten Wissenschaften gegenüber gestellt wurde. Zunehmend seien damit die individuellen, nicht erlernbaren (Charakter-)Eigenschaften der Ingenieure betont und das Bemühen aufgegeben worden, sich der Männlichkeit der humanistisch gebildeten universitären Eliten anzunähern. Stattdessen lasse sich eine „offensive und emphatische Maskulinisierung“ (S. 186) erkennen, die sich nicht zuletzt in einer Hinwendung der Ingenieure zur Figur des künstlerischen Genies äußerte, das auf der Basis „natürlicher“ Eingebungen handelt und scharf von der „feminisierte[n], 'dekadente[n]', technikabstinente[n] Kunst“ (S. 241) abgegrenzt wurde. Paulitz verortet diese Verschiebung im Kontext einer grundlegenden Veränderung hegemonialer Männlichkeitskonzepte um 1900, als die „bürgerlich-patriarchale[] Männlichkeit“ an „gesellschaftliche[r] Legitimität“ (S. 186) verlor. Im 20. Jahrhundert sei es dann nicht zuletzt vor diesem Hintergrund zu einer zunehmend völkisch aufgeladenen Abwendung von der kapitalistisch-produktivistischen Rationalisierungsbewegung gekommen, die schließlich zum Konzept eines männlichen Schöpfer-Ingenieurs geführt habe, der einen besonderen, geschützten „Lebensraum“ braucht, um sich entfalten und seinen Beitrag für die „Gemeinschaft“ leisten zu können.

Gegenstand des dritten und letzten Buchteils ist die Frage nach geschlechtlichen Markierungen in den im engeren Sinne wissenschaftlichen Texten der Ingenieure. Hierzu untersucht Paulitz neben den sich wandelnden Definitionen der Maschine vor allem die Verwendung des Begriffes „Kraft“. Wiederum geht sie zunächst auf Redtenbacher ein, bei dem „[d]as dynamische Prinzip der Kraft […] mehr und mehr als entscheidende Entität in den Mittelpunkt gerückt, während ihr Gegenspieler, die Masse, sukzessive auf einen bloßen Zustand reduziert wird.“ (S. 276) Im selben Zuge wurde der Kraftbegriff anthropomorphisiert und stellte schließlich geradezu ein Synonym von „Tätigkeit“ und „Leben“ dar. Auch in der Folgezeit blieb er zentral für die Technikwissenschaften, um dann vom „Mann der Tat“ in „regelrecht inflationärer“ (S. 287) Weise verwendet zu werden. Hier habe das Konzept insbesondere dazu gedient, eine aktive und subjektive Leistung zu beschreiben, womit die kreative Tätigkeit der Ingenieure davor geschützt werden konnte, effeminiert zu werden: „Im Sinne eines naturgesetzlichen Phänomens, in dem biologische Zeugung, Stärke und Mut des Kämpfers am Ursprung der menschlichen Kultur untrennbar mit Männlichkeit verwoben sind, rückt (Natur-)Kraft als geradezu grenzenloses Reservoir produktiver Männlichkeit ins Zentrum dieser Naturalisierungsstrategie technischen Schaffens.“ (S. 291) Da somit im dritten Teil hauptsächlich die Argumentation der vorangehenden beiden Teile differenziert wird, hätten vielleicht einige Redundanzen vermieden werden können, wenn die hier präsentierten Ergebnisse nicht gesondert dargestellt worden wären – auch weil sich die untersuchten Quellen letztlich nicht grundlegend unterscheiden. Zudem hätte die „exemplarische“ Darstellungsweise, aufgrund derer „große“ Männer im Zentrum mehrerer Kapitel stehen, auf diese Weise etwas abgeschwächt werden können.

Damit wird die Relevanz des zentralen Arguments jedoch nicht tangiert. Das gilt auch für einen weiteren Kritikpunkt, der zum Schluss skizziert sei. Gelegentlich kommt bei der Lektüre des Buches der Verdacht auf, dass die Prozesse der Vergeschlechtlichung und der Professionalisierung, beziehungsweise die Reichweite ihrer immer wieder behaupteten „Koproduktion“, an bestimmten Stellen etwas überbewertet werden. Insbesondere wenn Paulitz schreibt, dass „die Konstruktion des Mannes der Tat um 1900 als Neuauflage im Kampf der Ingenieure um gesellschaftliche Anerkennung zu deuten [ist], der ganz maßgeblich als Kampf um hegemoniale Männlichkeit geführt wird, nur mit anderen Mitteln als zuvor“ (S. 256), hätte sie zumindest zeigen müssen, dass es tatsächlich auch eine andere Seite gab in diesem Kampf und es sich folglich nicht um ein Spiegelgefecht handelte. Wenn man stattdessen – wie sie es auch selbst tut – davon ausgeht, dass sich Männlichkeiten um 1900 allgemein im Umbruch befanden, dann handelte es sich zwar sehr wohl um einen Kampf um Männlichkeiten, doch die direkte Verknüpfung mit dem professionalisierungssoziologischen Argument wird problematisch. Gerne hätte man an dieser Stelle also mehr über die Männlichkeitskonstruktionen in anderen (Natur-)Wissenschaften erfahren. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Einführung des Promotionsrechts an den Technischen Universitäten im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts könnte man schließlich auch argumentieren, dass der Übergang von Assimilations- zu Distinktionsstrategien weniger eine Reaktion auf das Scheitern ersterer, denn das Resultat eines neuen Selbstbewusstseins war. In diesem Fall würde jedoch das Argument hinfällig, dass es nach wie vor darum gegangen sei, „aus einer unterlegenen sozialen Position herauszukommen“ (S. 186). Sicherlich spielten Professionalisierungsbestrebungen – etwa Bemühungen um Zulassung zur Verwaltung (vgl. S. 296) oder Verhandlungen um „die Position der Berufsgruppe in der bürokratischen Organisation“ (S. 218) – nach wie vor eine Rolle, aber vielleicht wäre es besser gewesen, nicht gleich von einem eigentlichen „Professionalisierungsprojekt“ mehr oder weniger bewusst handelnder „Akteure“ (S. 254) auszugehen. Mit anderen Worten: Die modernen Technikwissenschaften wurden nicht „ganz wesentlich vor dem Hintergrund professionspolitischer Anliegen in ihrer jeweiligen Form ausformuliert“ (S. 335), sondern entstanden in sich wandelnden diskursiven Arrangements, die nicht zuletzt die jeweiligen Professionalisierungsbestrebungen selbst formten. Zu zeigen, dass unterschiedliche Formen von Männlichkeit hierbei eine wichtige Rolle spielten, ist eines der zentralen Verdienste von Paulitz' Buch.