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Titel
Gottes Haus. Untersuchungen zur Kirche als heiligem Raum von der Spätantike bis ins Frühmittelalter


Autor(en)
Czock, Miriam
Reihe
Millennium-Studien / Millennium Studies 38
Erschienen
Berlin 2012: de Gruyter
Anzahl Seiten
348 S.
Preis
€ 109,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Larissa Düchting, DFG-Projekt 1533: Sakralität und Sakralisierung in Mittelalter und früher Neuzeit, Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg

Die als Monografie vorliegende Dissertation von Miriam Czock gibt auf ihren etwa 300 Textseiten einen Überblick über die Entwicklung der Heiligkeit des Kirchenbaus von der Spätantike bis ins beginnende zehnte Jahrhundert. Unterteilt ist das Werk in sechs Abschnitte sowie einen resümierenden siebten Teil. Für die Untersuchung der Heiligkeit von Kirchengebäuden wurden vor allem liturgische, aber auch rechtliche und normative Quellen herangezogen. Das Werk schließt sich an den aktuellen Forschungsdiskurs zur Ortsheiligkeit (beispielsweise an die Arbeiten von Dominique Iogna-Prat, Carola Jäggi und Sible de Blaauw) an, beziehungsweise ergänzt diesen noch weiter. Zu kritisieren wäre, dass die Begriffe Ort und Raum nicht scharf voneinander unterschieden werden, worauf in einer Fußnote aber Bezug genommen sowie auf eine Anzahl an Literatur verwiesen wird (S. 8, Anm. 20). Bei dem Untersuchungsraum handelt es sich um Gallien, das Frankenreich, und es werden Ausblicke nach England vorgenommen.

Im ersten Teil werden die Grundlagen der Untersuchung, die aktuelle Forschung und der Aufbau des Werkes vorgestellt, wobei die verschiedenen Forschungsansätze diskutiert und zum Teil bewertet werden. Im zweiten Abschnitt wendet sich Miriam Czock dem Kirchengebäude in der Spätantike zu und zeigt auf, dass ursprünglich (beispielweise bei den Kirchenvätern) weniger die Kirche an sich eine erhöhte Relevanz besaß, sondern vielmehr der einzelne Gläubige als Teil der Gemeinde. Erst im Laufe der Zeit lässt sich auch eine größere Bedeutung des Kirchenraumes in den Quellen konstatieren, der zuvor in bewusster Ablehnung der heidnischen Religionen eher zurückgestanden hatte und nun eine eigene Wertigkeit gewann.

Chronologisch geht es im dritten Abschnitt mit dem sechten Jahrhundert weiter, in dem das Kirchengebäude vermehrt als Ort der Beziehung zwischen Gott und den Menschen wahrgenommen wurde. Dies lässt sich an der aufkommenden Altarweihe sowie anhand der wachsenden Bedeutung von Heiligenreliquien für den Kirchenraum nachvollziehen. Hierfür werden die merowingischen Konzilien sowie die Predigten des Caesarius von Arles und die Lex Salica genauer auf ihre Bestimmungen und Beschreibungen von Kirchengebäuden untersucht. Hier fällt bei Caesarius auf, dass er das Kirchengebäude kaum als heiligen Raum bezeichnet, sondern verstärkt auf die Liturgie eingeht und damit das richtige Verhalten der Gläubigen in der Kirche einfordert. Für ihn steht die Reinheit der Gläubigen im Zentrum, die nur mit keuschem Körper und reinem Herzen an den Altar treten sollen. Ihm dient der Begriff des Kirchengebäudes eher als Metapher für die Seele der Gläubigen als für den tatsächlichen Raum. Die Lex Salica beschäftigt sich besonders mit den Vergehen gegen das Kirchengebäude und dem weltlichen Vorgehen in einem solchen Fall. Die Kirche wird hier nicht nur über die Reliquien, sondern auch über das Heiligungsritual definiert.

Im nachfolgenden Abschnitt, der sich mit dem ausgehenden siebenten und beginnenden achten Jahrhundert auseinandersetzt, werden besonders die Bußbücher, verschiedene Collectiones sowie unterschiedliche Leges genauer in Augenschein genommen. Hierbei kann ein zunehmender Ausdifferenzierungsprozess erkannt werden, der auch mit der materiellen und ethischen Reinheit im Kult zusammenhing. Die Bußbücher beschäftigen sich mit der Sexualität, aber auch mit der körperlichen Reinheit der Gläubigen. Aber auch der Abriss und Wiederaufbau einer Kirche werden thematisiert. In einer Zwischenbilanz stellt Miriam Czock fest, dass „es in der Spätantike Ansätze dazu [gab], die Kirchengebäude als heilige Räume wahrzunehmen, doch wurde diese Vorstellung nicht zu einer eigenen Sinnformation, erst im Laufe des 6. und beginnenden 8. Jahrhunderts scheinen Indizien dafür auf, dass sich ein eigener Diskurs über die Heiligkeit der Kirchengebäude entfaltete“ (S. 143).

Erst in der Karolingerzeit wurde das Kirchengebäude Teil der Ekklesiologie, womit sich der fünfte Abschnitt des Buches befasst. In dieser Zeit kann ein Kirchweihritus, der über die Altarweihe hinausgeht, festgestellt werden. Eine rituelle Handlung machte die besondere Hervorhebung der Kirche als besonderen sakralen Ort auch visuell nachvollziehbar. Zunächst wird in der Arbeit der Kirchweihritus dargestellt und auf die Begriffe der Weiheheiligkeit eingegangen. So folgert Miriam Czock: „Die Kirchweihe in ihrer Ausformung um 800 schafft durch ein eindeutig auf den Raum bezogenes Handlungsritual einen abgegrenzten Raum, der zum Wohnort Gottes wird“ (S. 172). Es folgt eine Untersuchung der ekklesiologischen normativen Quellen, hierzu werden Kapitularien, Leges und Konzilien einer genauen Analyse unterzogen. Im Rahmen der königlichen Gesetzgebung wurde versucht, das Volk zu einem wahrhaft christlichen Leben zu erziehen, weswegen in ihnen auch auf den korrekten Umgang mit dem Kirchengebäude eingegangen wird. Dies hängt mit der Ansicht zusammen, dass der König für das Seelenheil seiner Untertanen die Verantwortung trage. Somit wird in diesen Quellen geregelt, wie mit einer Zerstörung der Kirche oder einem sonstigen Vergehen gegen sie umgegangen werden soll. In den Rechtsquellen wird betont, dass bei dem Weiheritus nicht das gesamte Kirchenvolk anwesend war, sondern nur ein kleiner Kreis an Klerikern Zeuge der Handlung wurde. Im Anschluss werden exegetische Schriften der Zeit von Hrabanus Maurus und Walahfrid Strabo auf Verweise zur Kirchweihe überprüft sowie das anonyme Traktat „Quid significent duodecim candelae“. An diese Überlegungen schließt sich ein Exkurs über die normativen Vorstellungen abseits der Rechtsquellen an, die eine Liturgieerklärung oder eine Laienparänese enthalten. Amalarius von Metz, Jonas von Orléans und Walahfrid Strabo werden hierfür als Quellen herangezogen. So kann aufgezeigt werden, wie die Theologie und religionspraktische Ansprüche miteinander verschränkt wurden. Somit wird die äußere Handlung der Gläubigen mit ihren inneren Zuständen in Verbindung gebracht, die beide gottgefällig sein sollen.

Im sechsten Abschnitt folgt eine diachrone Spurensuche durch normative, liturgische und erzählende Quellen. Dabei kann Miriam Czock feststellen, dass die Vorstellung der Heiligkeit des Kirchengebäudes sehr vielschichtig war: Sichtbare und unsichtbare Zeichen des Göttlichen machten diese Heiligkeit aus. Dies zeigt sich etwa im Umgang mit dem heiligen Raum nach einer Verletzung seines sakralen Charakters. Hier nennen die normativen Quellen sehr unterschiedliche Regelungen. Teilweise wurden Neuweihen nötig. Eine Untersuchung des Asylrechtes und seiner Verletzung offenbart darüber hinaus wichtige Aspekte der Wahrnehmung des Heiligen und die besondere Beziehung zwischen dem Ort und dem an ihm ruhenden Heiligen, wie anhand einer Analyse der Werke Reginos von Prüm, Alkuins, Gregors von Tours und Thomas‘ von Aquin dokumentiert wird.

Am Ende resümiert Miriam Czock, dass die Kirche in ihren Ursprüngen noch kein heiliger Ort war, sondern vor allem die Gemeinde im Mittelpunkt des Interesses stand. Erst im Laufe der Jahrhunderte gewann der materielle Bau als Ort der Begegnung zwischen Gott und den Menschen eine zunehmende Bedeutung, die sich durch ausdifferenzierte Weiheriten manifestierte, so zunächst durch die Altar-, später durch die Kirchweihe. Verschiedene Kapitularien und Konzilsbeschlüsse unterstreichen diese Wandlung, da zunehmend das richtige Verhalten der Gläubigen reglementiert wurde und der Umgang mit dem Gebäude eine stärkere Gewichtung erhielt. Die „Ecclesia“ konnte sowohl die institutionelle Kirche als auch den einzelnen Christen meinen. Somit bestand ein Spannungsfeld zwischen dem heiligen Raum und der Sakralisierung der gesamten Gesellschaft durch das Christentum. Abgeschlossen wird die Arbeit durch ein 23-seitiges Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Register.

Die diachrone Untersuchung des Quellenmaterials zeigt neue Aspekte auf, die in dieser Form in der Forschung noch keine Aufmerksamkeit erhalten haben, da für gewöhnlich die Religionspraxis und die Heiligenverehrung Teil der Analyse waren und weniger die Theologie und Rechtsgeschichte, die nun von Miriam Czock genauer in Augenschein genommen wurde. Insgesamt stellt die Untersuchung durch eine ausführliche Quellenuntersuchung und -interpretation einen wichtigen Beitrag in der aktuellen Heiligkeitsforschung dar. Somit regt das Werk zu einer weiteren Beschäftigung mit diesem Thema, sowohl der Theologie als auch der gelebten Praxis, an.

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