Titel
Governing the World. The History of an Idea


Autor(en)
Mazower, Mark
Erschienen
London 2012: Allen Lane
Anzahl Seiten
496 S.
Preis
£25.00
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Benjamin Ziemann, University of Sheffield, Department of History

In seinem neuesten Buch verfolgt der in New York lehrende Historiker Mark Mazower, wie sich die Vorstellung einer international oder global operierenden Kontrolle und Regulierung von Macht vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart entwickelt hat. Dazu analysiert er sowohl intellektuelle Ideen als auch jene Institutionen, in denen Anläufe zu einer internationalen Ordnung praktisch umgesetzt wurden, vor allem den Völkerbund und die Vereinten Nationen. Das Buch ist in zwei Teile gegliedert, einen ersten, der Rhetorik und Semantik des Internationalismus bis 1945 analysiert, und einen zweiten, „Governing the World the American Way“ überschrieben, der einen skeptischen, desillusionierten Blick auf die Rolle der USA in Versuchen zur Stabilisierung internationaler Regelungskapazität seit 1945 wirft. In den ersten Kapiteln erinnert Mazower an jene Denker und Bewegungen, die sich vor dem Hintergrund des europäischen Konzerts der Großmächte im 19. Jahrhundert zur Idee einer „internationalen“ Ordnung äußerten und dabei jenen Begriff mit Leben füllten, den Jeremy Bentham überhaupt erst als Neologismus geprägt hatte (S. 19).

Für die Zeit vor 1914 konzentriert sich Mazower auf eine idealtypische Gegenüberstellung von drei Ordnungsmodellen, mit denen sich eine internationale Kooperation realisieren lasse. Da ist zum einen die vom italienischen Nationalisten Giuseppe Mazzini und seinem „Jungem Europa“ vertretene Idee eines Internationalismus der Nationalstaaten, die sich als selbstbestimmte Einheiten gegen die restaurativen Tendenzen der fünf Großmächte zusammenschließen und organisieren. Mazzini war auch einer der Vorkämpfer der Idee einer internationalen humanitären Intervention, mit der Befreiungsbewegungen zur Sicherung des Friedens von außen unterstützt werden sollten. Da ist zweitens die von Richard Cobden praktisch und programmatisch vertretene Freihandelslehre, welche auf eine sukzessive Überwindung von internationalen Spannungen durch die Involvierung in kommerzielle Transaktionen setzte. Und da ist schließlich der sozialistische Internationalismus marxscher Prägung. Marx teilte mit Cobden die Einsicht in die globalisierende Rolle des Handels, musste aber, wie Mazower betont, beim Aufbau der Ersten Internationale sehr viel Energie darauf verwenden, die nationalistische Terminologie von Mazzinis Jungem Europa zu verdrängen. All drei Spielarten des Internationalismus vor 1914 scheiterten nach anfänglich hochfliegenden Erwartungen, nicht zuletzt deshalb da sie die Beharrungskraft des Konzerts der Großmächte und die Regelungskapazität der Nationalstaaten unterschätzten, wie Mazower betont, vom zunehmend aggressiven Bellizismus der Nationalisten ganz zu schweigen (S. 63). Praktischen Versuchen zur internationalen Kooperation wie dem Esperanto als Weltsprache oder dem Internationalen Roten Kreuz kam, so signifikant sie im Einzelnen waren, bis 1914 kaum große Bedeutung zu.

Eine der Stärken des Buches ist das Augenmerk Mazowers für Personen aus der zweiten Reihe der internationalen Politik, die durch ihr praktisches Organisationstalent die Entwicklung supranationaler Institutionen seit 1919 voranzutreiben halfen und die es lohnt, stärker ins Rampenlicht zu rücken. Zu ihnen zählt etwa Raymond Fosdick (1883–1972), ein junger Amerikaner, der 1919 das Generalsekretariat des Völkerbundes mit aufbaute und dies mit einer klaren Vorstellung über die Bedeutung gerade eher un-politischer, technischer Arbeit für die Entwicklung internationaler Zusammenarbeit verband. Fosdick kehrte 1920 in die USA zurück als sich abzeichnete, dass die USA dem Völkerbund nicht beitreten würden. Dort avancierte er später zum Leiter der Rockefeller Foundation und unterstützte in dieser Funktion während des Zweiten Weltkrieges all jene, die für eine stärkere Rolle der USA in einer internationalen Ordnung warben (S. 143f., 193). Mazower verbindet diese biographische Vignette mit einer konzisen Betrachtung über die historische Rolle des Völkerbundssekretariates, das mit seinen 650 Mitarbeitern die erste voll funktionstüchtige, kompetenzübergreifende internationale Organisation darstellte und sich vom Opiumhandel über die Flüchtlingshilfe einer Vielzahl von praktischen Problemen widmete, die grenzüberschreitendes Handeln erforderten.1 Mazowers Hochachtung für die praktische Seite internationaler Organisationen und ihrer Politik zeigt sich auch in seinen Ausführungen zu Robert Jackson (1911–1991), einem jungen australischen Marineoffizier, der sich während des Zweiten Weltkrieges seine Sporen mit der Organisation der Verteidigung von Malta verdient hatte. Als Leiter von MESC, dem „Middle East Supply Center“, regelte Jackson die Logistik der Truppenversorgung für Großbritannien und die USA im gesamten Nahen Osten. Dies war dann das Sprungbrett zu seiner Ernennung als stellvertretender Leiter der internationalen Hilfsorganisation UNRRA, die sich seit 1943 der Vermeidung einer humanitären Katastrophe in der Nachkriegszeit widmete, und dabei, sehr zum Missfallen der US-Regierung, technische Hilfe auch in Osteuropa inklusive der UdSSR leistete (S. 226, 281f.).

Der zweite Teil changiert zwischen einer gedrängten Abhandlung der internationalen Politik seit 1945 unter dem Gesichtspunkt internationaler Kooperation und einem Fokus auf die Ambivalenzen in der Politik der jeweiligen US-Regierungen gegenüber den Vereinten Nationen und internationaler Governance generell. Die Palette der dabei behandelten Themen ist weit gespannt, von der Gründungsidee der Vereinten Nationen bei einem Treffen von Roosevelt und Churchill im Dezember 1941 – wiederum als Anekdote präsentiert, der zufolge der britische Premier nur mit einem Handtuch bekleidet war, als FDR ihm den Namen „United Nations“ vorschlug (S. 197) – über die Organisierung der Dritten Welt seit der Bandung-Konferenz 1955 bis hin zum Aufstieg der NGOs als eigenständigem Akteur, hier dargestellt am Beispiel der Gründung von Amnesty International durch Peter Benenson (S. 323–328). In einem eigenen Kapitel macht Mazower keinen Hehl aus seiner Geringschätzung für die destruktive Rolle der USA im internationalen Recht der letzten beiden Jahrzehnte, das diese wenn – wenn überhaupt – nur zu ihren eigenen Gunsten einsetzen (S. 378–405). Dabei unterschätzt er wohl die konstruktive Rolle, die das internationale Recht für die Regelung humanitärer Fragen trotz der Instrumentalisierung durch die Großmächte besitzt.

Insgesamt ist dies wohl nicht eines der stärksten Bücher von Mark Mazower, dem wir zahlreiche bahnbrechende Studien verdanken, nicht zuletzt seine großartige Geschichte Europas im 20. Jahrhundert.2 Es fehlt ein kohärentes Set von trennscharfen Fragen, die den großen historischen Bogen vom Wiener Kongress bis in die Gegenwart tragen und zusammenbinden. Auch in den einzelnen Kapiteln überwiegt eher die Schilderung von Details oder die biographische Miniatur als der Versuch einer analytischen und begrifflichen Durchdringung komplexer Sachverhalte, auch wenn Mazower dabei, wie angedeutet, auf wichtige Personen und Themen hinweist. Trotz dieser Einschränkungen sei das Buch nachdrücklich empfohlen: es handelt sich um einen insgesamt zuverlässigen und eminent lesbaren Abriss von Theorie und Praxis internationaler „governance“ in den letzten zweihundert Jahren.

Anmerkungen:
1 Vgl. auch Joachim Wintzer, Deutschland und der Völkerbund 1918–1926, Paderborn 2006, S. 84–89.
2 Mark Mazower, Dark Continent. Europe’s Twentieth Century, London 1998.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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