Titel
Gütekraft. Ein Wirkungsmodell aktiver Gewaltfreiheit nach Hildegard Goss-Mayr, Mohandas K. Gandhi und Bart de Ligt


Autor(en)
Arnold, Martin
Erschienen
Baden-Baden 2011: Nomos Verlag
Anzahl Seiten
283 S.
Preis
€ 19,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dietmar Rothermund, Dossenheim

In seinem Geleitwort zu diesem Buch schreibt Johan Galtung: „Der westliche Individualismus lenkt unser Denken oft ausschließlich auf Eigenschaften statt auf Beziehungen... Arnold kartografiert das Territorium der Nonviolence, indem er beides berücksichtigt.“ (S. 9)

Ein „beziehungszentrisches Selbstbild“ (S. 179) ist für Arnold eine Grundvoraussetzung gewaltfreier Aktion. Ein solches Selbstbild ist nicht unmittelbar gegeben, es muss erarbeitet werden. Dazu gehört ein „Reframing“, d.h. eine Änderung der Sichtweise, die es einem unter anderem erlaubt, zu erkennen, dass man selbst ein Teil des Problems ist, das man lösen will. Gandhi hat dafür ein Beispiel gegeben, indem er den Indern, die gegen die Kolonialherrschaft waren, deutlich machte, dass die Briten Indien nicht erobert, sondern dass die Inder es ihnen gegeben hätten und es ihnen auch weiterhin durch ihre Zusammenarbeit ermöglichten, Indien zu beherrschen. In Konfliktsituationen geht es aber nicht nur um die Selbsterkenntnis des Handelnden, sondern auch um die Gestaltung der Beziehung zum Gegner. Die Aktivisten auf den Philippinen sprachen davon, dass man dem Gegner „Würde anbieten“ soll. Das ist ein besserer Ausdruck für die Regel, dass man dem Gegner ermöglichen soll, sein Gesicht zu wahren. Für die von Arnold empfohlene Streitkunst ist es wichtig, persönliche Angriffe zu vermeiden, und den, mit dem man streitet, letztlich zum Mitstreiter zu machen, um gemeinsam Missstände zu überwinden. Wiederholt verwendet Arnold für sein Anliegen die Kurzformel „Das Ziel ist der Weg“. Er meint damit, dass angestrebte Ziele wie Freiheit, Gerechtigkeit und eben auch die Überwindung eines Missstands von vornherein die Art des Strebens danach prägen sollen. Das in diesem Sinne zielgerichtete Handeln muss kommunikativ sein. In diesem Zusammenhang weist Arnold auf Habermas hin, der das „kommunikative Handeln“ thematisiert hat.

Mahatma Gandhi ist für Arnold von besonderer Bedeutung. Gandhi hat das Wort satyagraha für seine Aktionen geprägt, für die ihm der Begriff „passiver Widerstand“ nicht ausreichte, weil seine Art des Widerstands nicht „passiv“ war, sondern einen sehr aktiven Einsatz erforderte. Das „Festhalten an der Wahrheit“, das mit Gandhis Wortschöpfung satyagraha gemeint ist, geht über den westlichen Wahrheitsbegriff hinaus, weil satya „das Seiende“ bedeutet und damit auf die Ontologie verweist, die im indischen Denken tief verankert ist. Doch selbst dieser Begriff genügte Gandhi nicht, um das Wesentliche seines Einsatzes zu beschreiben. Er sprach daher von „soul force“ (Seelenkraft), um das zu bezeichnen, was bei seinen Aktionen wirksam wird. Diese Seelenkraft hat Martin Arnold als „Gütekraft“ beschrieben und damit einen präziseren Ausdruck für den Aspekt der Seelenkraft gefunden, um den es Gandhi ging. Gütekraft ist für Arnold ein Begegnungskonzept, sie muss bewusst entwickelt und eingeübt werden, so wie es auch Gandhi mit dem Training seiner satyagrahi tat.

Die Analyse von Gandhis Konzept und dessen Vergleich mit den Konzepten zweier weiterer Protagonisten der Gütekraft ist das wichtigste Anliegen der Arbeit Arnolds: Hildegard Goss-Mayr (1930–) und Bart de Ligt (1883–1938). Diese beiden bemerkenswerten Menschen sind die Zeugen für zwei weitere Weisen der Begründung der Gütekraft. Hildegard Goss-Mayr ist vom christlichen Glauben geprägt und hat in Lateinamerika mit Dom Hélder Câmara (1909–1999) zusammengearbeitet, der als Erzbischof in Brasilien einer der prominentesten Vertreter der Befreiungstheologie war. Das Vorgehen nach ihrem Konzept trug später in den Philippinen in der Kampagne gegen den Diktator Ferdinand Marcos wesentlich zur Beendigung dieser Diktatur bei und dann auch in Madagaskar bei der Kampagne gegen den Diktator Didier Ratsiraka. Bart de Ligt war zunächst protestantischer Pfarrer in den Niederlanden gewesen, hatte sich aber dann von der Kirche abgewandt und war zum Freidenker geworden. Er war ein Vorläufer der späteren Friedens- und Konfliktforschung und setzte sich für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ein, das dann in den Niederlanden eingeführt wurde. Er begegnete Gandhi 1931 und blieb auch weiterhin mit ihm in Kontakt. Sein Konzept der geestelijke Weerbaarheid (geistige Wehrhaftigkeit) stand Gandhis Konzept nahe.

Die drei Zeugen, die Arnold aufruft, ermöglichen es ihm, ein Spektrum darzustellen, das von der christlichen Begründung der Gütekraft (Goss-Mayr), über die nichtchristlich- religiöse (Gandhi) bis zur nichtreligiösen (de Ligt) reicht. Durch einen ausführlichen Vergleich konnte er daraus eine Synthese erarbeiten, die keine religiös- weltanschauliche Prägung voraussetzt. Das Werk Arnolds war zu umfangreich, als dass es in einem Band veröffentlicht werden konnte. Neben dem hier besprochenen Buch (Nomos Verlag) erschienen drei Einzelstudien zu Hildegard Goss-Mayrs christlicher Gewaltfreiheit, Gandhis Satyagraha und Bart de Ligts Geestelijke Weerbaarheid (Overrath: Verlag Bücken/Sulzer 2011). Johan Galtung hat zu Recht geschrieben, dass Arnold mit seinem Werk den Sozialwissenschaften und insbesondere der Friedensforschung einen riesigen Dienst erwiesen hat.

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