M. Speidel: Netzwerke, Kooperationen und Management-Buy-Out

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Titel
Netzwerke, Kooperationen und Management-Buy-Out. Die Geschichte des Unternehmens Loewe zwischen 1962 und 1985


Autor(en)
Speidel, Markus
Erschienen
Anzahl Seiten
256 S.
Preis
€ 24,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Armin Müller, Duale Hochschule Ravensburg

Unterhaltungselektronik made in Germany gehörte über Jahrzehnte zur Grundausstattung bundesdeutscher Haushalte. Hinter erfolgreichen Marken wie Grundig, SABA, Telefunken, Nordmende oder Blaupunkt standen große Unternehmen der deutschen Rundfunkindustrie mit einheimischen Produktionen. Überlebt haben die meisten nur als Marke, nicht als eigenständig produzierende Unternehmen. Eine der wenigen Ausnahmen ist die Firma Loewe mit Sitz im oberfränkischen Kronach. Den ersten Teil der Loewe-Unternehmensgeschichte hat Kilian Steiner 2005 vorgelegt1, darin werden die Jahre 1923 bis 1962 dargestellt.

Die Fortsetzung dazu bildet nun die Arbeit von Markus Speidel, dessen Darstellung bis 1985 reicht. Inhaltlich ist das die Zeit, in der Loewe Tochterunternehmen des verzweigten Philips-Konzerns war. Daraus ergibt sich auch eines der Kernthemen Speidels, denn diese Eigentümerschaft wurde vor der Öffentlichkeit systematisch verheimlicht und selbst im Unternehmen Loewe war sie nur wenigen bekannt. Zweites Kernthema ist die Einbettung der Loewe-Geschichte in die Entwicklung der deutschen und europäischen Unterhaltungselektronikindustrie. Zum Dritten widmet sich der Autor einem analytischen Ansatz, indem er die Unternehmensgeschichte Loewes mit Hilfe von Netzwerktheorien interpretiert. Er stützt sich hierbei vor allem auf die Akteur-Netzwerk-Theorie in der Tradition Bruno Latours, auf die Weiterentwicklung in Michel Callons Modell des Techno-Ökonomischen Netzwerks und auf Modelle unternehmerischer Netzwerke in einer institutionalistischen Tradition.

Gegliedert ist die Arbeit in insgesamt sechs Abschnitte, wobei Kapitel 4 den größten Anteil ausmacht. Hier findet sich die empirische Darstellung der Unternehmensentwicklung in drei zeitlichen Phasen: zunächst das Jahrzehnt 1962–1971, dann die Jahre bis 1978 und schließlich die dritte Phase bis zum Ausstieg von Philips und dessen Verlauf in Form eines Management-Buy-Outs. Gerahmt wird der Hauptteil von einem Theoriekapitel, einem kurzen Ausblick auf die Zeit bis heute und einem knappen Resümee.

Die Bindung an den Philips-Konzern ergab sich infolge des Todes des jüdischen Gründers Dr. Siegmund Loewe, der im Nationalsozialismus die Arisierung seiner Firma erlebte und in die USA emigrieren musste. Zwar war ihm sein Besitz nach Kriegsende wieder zurück übertragen worden, aber in sein Heimatland war er nicht mehr zurückgekehrt. Stattdessen lag das operative Geschäft der Loewe Opta AG in den Händen einer Manager-Gruppe. Loewes Erben entschieden sich zum Verkauf an Philips, der Vorgang blieb aber weitgehend geheim und wurde über Tochtergesellschaften des niederländischen Elektronikkonzerns abgewickelt. Für Loewe war damit aber kein Entwicklungsbruch verbunden. Philips versuchte dezent über Mittelsmänner Einfluss zu nehmen und forcierte technische Kooperationen, Personal- und Managementstrukturen blieben weitgehend intakt.

Zu diesem Zeitpunkt war Loewe ein Unternehmen mit rund 4.000 Mitarbeitern, die vor allem an den beiden Hauptstandorten Berlin und Kronach mit Entwicklung, Produktion und Vertrieb von Rundfunkgeräten beschäftigt waren. Erst eine Absatzkrise offenbarte 1966/67 technische und organisatorische Probleme und zwang Philips zu Interventionen. Die Geschäftsführung wurde ausgewechselt, Schlüsselfiguren wurden in den Aufsichtsrat abgeschoben, die Governance-Struktur wurde gestrafft, Personal entlassen und die Produktion modernisiert.

Die Restrukturierung gelang und Loewe konnte insbesondere über den erfolgreichen Einstieg ins Geschäft mit Farbfernsehgeräten wieder wachsen. Erst 1977 erlebte Loewe eine weitere, tiefe Krise, die unter anderem zur Schließung des Berliner Stammwerkes und zur Konzentration auf den Standort Kronach führte. Berlin war bislang für die Radioproduktion verantwortlich gewesen, und gerade in diesem Bereich konnten alle europäischen Hersteller dem Konkurrenzdruck aus Fernost nicht mehr standhalten. Insgesamt hatte Loewe auf vielen Geschäftsfeldern an Innovationskraft und Marktanteilen verloren, sodass die Firma nur durch eine massive finanzielle Unterstützung durch Philips gerettet werden konnte.

Viele Mitbewerber mussten in dieser Zeit vollständig aufgeben. In Europa konzentrierte sich die Branche rasch um die Konzerne Thomson (Frankreich), Philips und die deutsche Grundig AG. Dank Philips erhielt Loewe seine Eigenständigkeit und schafft es, sich mit neuen Vertriebsstrukturen, neuen Produkten (vor allem Bildschirmtext-Geräte und Stereo-Technik) und einer strategischen Neuausrichtung auf hochwertige, design-orientierte Geräte als Zukunftsunternehmen zu positionieren. 1985 wurden die bislang verdeckten Verbindungen zu Philips öffentlich. In Folge dessen trennte sich der Konzern von seiner deutschen Tochter und die Aktienmehrheit wurde von den bisherigen Geschäftsführern in Form eines Management-Buy-Outs übernommen. Letztlich war es dieser historische Zufall, der Loewe in die Unabhängigkeit trieb und in Folge dessen das Unternehmen bis heute einen eigenen Weg ging.

Speidels Buch thematisiert ein sehr bewegtes und wichtiges Kapitel deutscher Wirtschaftsgeschichte. Für die Rundfunkindustrie war und ist Loewe sicherlich ein Sonderfall, aber gerade die verdeckte Bindung an den Philips-Konzern macht Loewe auch aus wissenschaftlich-analytischer Sicht interessant. Speidel betrachtet diese Besonderheit aus seiner Netzwerkperspektive. So arbeitet er für alle drei Phasen unterschiedliche Konstellationen personaler Netzwerke und strategischer Kooperationen zwischen Konzern und heimlicher Tochter heraus. Diese Analyse deckt verschiedene Formen der Corporate Governance auf. In zwei Punkten kann sie aber nicht überzeugen. Zum einen versucht Speidel am Beispiel der Entwicklungsabteilung immer wieder „Netzwerke in der Hierarchie“ zu beschreiben. Aus institutioneller Sicht werden hier zwei verschiedene Konzepte von Netzwerk – personale Netzwerke und Netzwerkorganisationen – vermischt. Zum anderen werden anfangs die Akteur-Netzwerk-Theorie und das Modell des Techno-Ökonomischen Netzwerks eingeführt. Damit rücken unter anderem nichtmenschliche Akteure wie Verträge oder Technologien in den Blickpunkt. Ähnliche Ergebnisse hätte man aber sicherlich auch über eine klassische Analyse der Verfügungsrechte (Property Rights) im Unternehmen erzielt. Da die Publikation hier auch viel theoretisches und methodisches Neuland betritt, gilt es abzuwarten, welche Tragfähigkeit die genannten Ansätze in Zukunft entwickeln können. Abschließend bleibt festzuhalten, dass sich Verlag und Autor mehr Mühe bezüglich Sprache, Stil und Layout hätten machen können. Der Text liest sich an einigen Stellen doch eher sperrig, Gliederung und Aufbau hätten leserorientierter realisiert werden können. Insgesamt liegt mit dem zweiten Teil der Loewe-Geschichte aber eine für die Unternehmensgeschichte wichtige Fallstudie vor.

Anmerkung:
1 Kilian J.L. Steiner, Ortsempfänger, Volksfernseher und Optaphon. Die Entwicklung der deutschen Radio- und Fernsehindustrie und das Unternehmen Loewe 1923–1962, Essen 2005.

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