O. Konrád: Nevyvážené vztahy [Unausgewogene Beziehungen]

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Titel
Nevyvážené vztahy [Unausgewogene Beziehungen]. Československo a Rakousko 1918-1933 [Die Tschechoslowakei und Österreich 1918-1933]


Autor(en)
Konrád, Ota
Anzahl Seiten
309 S.
Preis
340 CZK
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Niklas Perzi, Zentrum für Migrationsforschung im Institut für Geschichte des ländlichen Raums, St. Pölten

Immer wieder werden die Beziehungen zwischen Österreich und der Tschechischen Republik von Streitpunkten beeinflusst, die unmittelbar oder auch nur indirekt Rekurs auf die Vergangenheit nehmen. Otá Konrád macht sich nun in seiner Monographie daran, eine umfassende Darstellung der Beziehungen beider Nachbarländer nach dem Zusammenbruch des gemeinsamen Staates, der Österreichisch-Ungarischen Monarchie bis zum Jahr 1933 zu liefern, als sich in Österreich die Ablöse der Demokratie durch ein autoritäres Regierungsform abzeichnete und die Koordinaten der mitteleuropäischen Politik durch die Machtübernahme der NSDAP in Deutschland zu verändern begannen. Konrád begreift seine Monografie als Studie über die Beziehungen zweier Demokratien zueinander und weist darauf hin, dass die bisher erschienenen Arbeiten zum Thema aus der Feder österreichischer und tschechischer Autoren meist vor allem von der jeweils im eigenen Land vorhandenen Quellenbeständen ausgingen. Er sieht dabei die verschiedenen von ihm als Quellen herangezogenen diplomatischen Texte und politischen Konzepte als Grundlagen zur Untersuchung mentaler Strukturen und Handlungen an.

Das erste Kapitel der klassisch aufgebauten Studie ist dem Prozess der Desintegration nach der Liquidierung des gemeinsamen Staates gewidmet, der jedoch von den Eliten beider Länder unterschiedlich erlebt wurde – nicht zuletzt als Resultat der völlig unterschiedlichen politischen und mentalen Voraussetzungen. Was den einen die Vollendung ihrer national-politischen Aspirationen ermöglichte, war für die anderen der Beginn einer Phase elementarer Unsicherheit, in der etwa Fragen der staatlichen Identität und des Territoriums unklar waren. Diese wurden zwar fürs erste mit der Berufung auf den ethnischen Bezug als „Deutsch-Österreich“ mit dem Ziel des Einschlusses aller geschlossenen deutschen Siedlungsgebiete der Monarchie und deren Anschluss an das Deutsche Reich gelöst, jedoch durch die Beschlüsse der Friedenskonferenz von St. Germain schon bald darauf wiederum erschüttert. Die Ereignisse der Jahre 1918/19 wurden von der Forschung bereits ausführlich behandelt, Konrád referiert hier nur die wichtigsten Punkte des Konfliktes zwischen den beiden neuen Staaten, also im Wesentlichen den bereits von Hanns Haas beschriebenen „Widerstreit der Selbstbestimmungsansprüche“1 und stellt fest, dass die deutschösterreichische politische Repräsentanz auch deshalb so hartnäckig an ihrem Anspruch auf die deutschen Siedlungsgebiete der ehemaligen Monarchie (und damit auf große Teile Böhmens und Mährens) festhielt, da dies eben die einzige Klammer, eine Art von „nationalen Konsens“ innerhalb des Landes selber darstellte. Der entscheidende Nachteil gegenüber dem neuen tschechoslowakischen Gegenüber war die Tatsache, dass Frankreich bereits im September 1918 nicht nur die provisorische tschechoslowakische Regierung, sondern auch deren territoriale Vorstellungen anerkannt hatte, oder wie es Beneš auf den Punkt brachte: „Wir sind von der Welt anerkannt, sie nicht.“ (S. 53)

Detailliert geht Konrád auf die Hintergründe des Eintretens der beiden führenden österreichischen Sozialdemokraten Karl Renner und Otto Bauer für den Anschluss an das Deutschen Reich ein, wo sich marxistische und nationale Leitmotive mit dem Glauben an die fehlende Existenzfähigkeit des deutschösterreichischen Reststaates mischten. Demgegenüber berief sich Beneš in Paris bereits im November 1918 weniger auf nationale und staatsrechtliche Argumente, sondern wies auf die Rolle seines Staates als Faktor von Ruhe und Ordnung inmitten des neuen Mitteleuropa hin. Seine Politik setzte nach Außen auf Zerfall, nach Innen auf (nationale) Integration. In allen Phasen des Konflikts um die „Sudentengebiete“ hatte die Tschechoslowakei zeitliche und machtpolitische Vorteile auf ihrer Seite. Die Frage der Staatsgrenzen war noch vor dem Eintreffen der deutschösterreichischen Delegation in St. Germain im Mai 1919 bereits zugunsten der „tschechoslowakischen Sache“ entschieden.

Interessant ist Konráds Interpretation der Kompromisslosigkeit beider Seiten. Während sich die tschechoslowakische ihrer Sache sicher sein konnte, fehlte es auf der österreichischen nicht nur an Informationen und Verbindungen zu den Alliierten, sondern vor allem an realistischen Interpretationen des Konflikts und Kompromissvarianten. Dies führt Konrád neben der Schwierigkeit, den politischen Konsens des Anspruchs auf alle deutschen Siedlungsgebiete aufzugeben, vor allem auf die Haltung Otto Bauers zurück, der der Tschechoslowakei große nationale und soziale Spannungen voraussagte. Den nicht erreichten Erfolg und das damit verbundene Zerbrechen des nationalen Konsens macht Konrád auch für die nachfolgenden Probleme in Österreich mitverantwortlich, als es nicht gelang, eine gemeinsame nationale „Erzählung“ zu schaffen, die die einzelnen politischen „Lager“ verbunden hätte. Nach Außen war man somit gezwungen, Interessen zu vertreten, über die im Inneren keine Übereinstimmung herrschte. Gefühle von Hilflosigkeit und Abhängigkeit prägten die österreichische (Außen-)Politik auch noch in den Folgejahren.

Nachdem der Friedensvertrag klare Verhältnisse herstellte und damit aus Benešs Sicht „alle unsere Rechnungen beglichen“ (S. 120) wurden, begannen Renner und Beneš jedoch sehr rasch, Gespräche über das zukünftige Verhältnis aufzunehmen, die schließlich im geheimen Prager Protokoll vom 12. Jänner 1920 mündeten, das unter anderem die gegenseitige Nichteinmischung in den Minderheitenfragen festlegte und von dem wiederum die Machtposition seines Landes ausspielenden Beneš wohl zurecht als großer Erfolg verbucht wurde. Neben den unterschiedlichen machtpolitischen und damit eng verbundenen machtpsychologischen Voraussetzungen sieht Konrád jedoch auch in der engen Einbindung der österreichischen Außenpolitik in den parlamentarischen Prozess (mitsamt wechselnder Minister) einen Unterschied zur Tschechoslowakei, in der diese die fast alleinige Domäne von Beneš blieb. Wiederholt wurde in der tschechoslowakischen politischen Öffentlichkeit ein Bild von Österreich als „bettelndem“ Erbe der Monarchie gezeichnet, wo noch immer das unselige Erbe der Habsburger nachwirke. Der schwache Partner bot jedoch den Ansatz zur ökonomischen Penetration auf dem Weg hin zur mitteleuropäischen Führungsrolle.

Ein eigenes Kapitel widmet Konrád den Mitteleuropa-Plänen, die er ebenfalls vor dem Erfahrungshorizont und der zeitgenössischen Ideenwelt der handelnden Akteure untersucht. Renner scheiterte mit seinen Plänen einer „europäischen Mitte“ am Widerstand von Beneš, der in der Zwischenzeit zusammen mit Bukarest und Belgrad die primär gegen Ungarn gerichtete „Kleine Entente“ auf den Weg gebracht hatte, die jedoch wiederum den meisten österreichischen Politikern als nicht beitrittswürdiger „antideutscher“ Block erschien, obwohl einige wenige Spitzenbeamte eben diesen als Möglichkeit der Emanzipation von der gesamtdeutschen Orientierung der österreichischen Politik in Betracht zogen. Während also die tschechoslowakische Politik im allgemeinen und Beneš im Besonderen der eigenen Nation eine fast metaphysisch überhöhte Schlüsselrolle im dichotomischen Kampf von alten und neuer zuwies, war die österreichische nicht einmal von der eigenen Existenz überzeugt. Die sich nur langsam bildende österreichische „kleinstaatliche“ Identität wurde jedoch nur von einem (christlichsozialen) politischen Lager mitgetragen und musste in ihrem affirmativen Bezug auf der altösterreichischen Vergangenheit erst recht (wieder) in Opposition zur Gedankenwelt der tschechoslowakischen Eliten geraten.

Es ist der große Verdienst und die Stärke des Buches von Konrád, die Beziehungen zwischen beiden Staaten auch auf der Ebene der „mental maps“ der politischen Eliten untersucht zu haben. Weiteren Arbeiten wird es noch vorbehalten sein, diese auch für die Akteure der bilateralen Alltags-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte offen zu legen.

Anmerkung:
1 Hanns Haas, Im Widerstreit der Selbstbestimmungsansprüche. Vom Habsburgerstaat zur Tschechoslowakei – die Deutschen der böhmischen Länder 1918–1919, in: Hans Mommsen/Dušan Kováč/Jiří Malíř/Michaela Marek (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg und die Beziehungen zwischen Tschechen, Slowaken und Deutschen, Essen 2001, S. 141–220.

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